Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 04.07.2013, Az. III ZR 201/12

III. Zivilsenat | REWIS RS 2013, 4475

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
III ZR 201/12
Verkündet am:

4. Juli 2013

K i e f e r

Justizangestellter

als Urkundsbeamter

der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
ja
[X.]R:
ja

BGB § 839 H
Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch und der [X.] sind keine Rechtsmittel im Sinne des §
839 Abs.
3 BGB.
[X.], Urteil vom 4. Juli 2013 -
III ZR 201/12 -
OLG [X.]

LG [X.] I
-

2

-

Der III.
Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom 4. Juli 2013
durch den Vizepräsidenten
Schlick und die Richter

Dr. [X.], [X.], [X.] und Seiters

für Recht erkannt:

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Oberlandes-gerichts [X.] -
1. Zivilsenat
-
vom 24. Mai 2012 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des [X.], an das Berufungsge-richt zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

Die Klägerin nimmt die beklagte Deutsche Rentenversicherung Bund aus
Amtshaftung in Anspruch. Diese habe es versäumt, auf sie gemäß §
119 SGB
X übergegangene Schadensersatzansprüche gegen Dritte vor Eintritt der Verjährung zu verfolgen, wodurch ihre, der
Klägerin, Rentenansprüche verrin-gert seien.

Die 1941 geborene Klägerin erlitt durch von ihr nicht zu verantwortende
Verkehrsunfälle im August 1987 und im August 1988 unter anderem [X.].
Vom 2. August
1987 an war sie wiederholt für 1
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längere Zeit
arbeitsunfähig erkrankt. Vom 23. September bis zum [X.] 1989 erhielt sie Arbeitslosengeld. Anschließend blieb sie ohne Einkommen.

Am 14. Juni 1989 beantragte sie bei der [X.] eine Erwerbsunfähig-keitsrente.
Deren Bewilligung wurde wegen fehlender Beitragszeiten abgelehnt. Im Oktober 1993 beantragte sie
bei der [X.] erneut die Bewilligung einer Erwerbsunfähigkeitsrente ab dem 14. Juni 1989. Diese
Rente wurde mit [X.] erst ab dem 1. Januar 1992 gewährt. Die gegen den entsprechenden Be-scheid erhobene Sozialgerichtsklage der Klägerin blieb in
zwei Instanzen ohne Erfolg. Ihre
zugleich erhobene Klage, mit der sie
die Beklagte verpflichten [X.] wollte, den
[X.] aus den Verkehrsunfällen durchzuführen, wur-de vom Sozialgericht abgetrennt und mit Beschluss vom 3. September 2002 ruhend gestellt. Nachdem sich die Klägerin im Jahr 2002 mit den Haftpflichtver-sicherern der Unfallverursacher
verglichen hatte, soweit es sich nicht um auf die
Leistungsträger
der Sozialversicherung übergegangene
Ansprüche handelte, beantragte sie bei der [X.], den [X.]
fortzuführen. Auf Anfrage der Klägerin teilte diese
mit Schreiben vom 6.
September 2005 mit, das [X.] sei bereits Ende 1989 endgültig abgeschlossen worden.
Lediglich für den Zeitraum vom 30. September bis zum 13.
Dezember 1987 wurden von
Haft-pflichtversicherern
Rentenbeiträge nachentrichtet.

Daraufhin rief die Klägerin den
ruhenden Rechtsstreit
beim Sozialgericht wieder auf. Ihre Klage blieb auch in zweiter Instanz erfolglos. Das Landessozi-algericht stellte sich auf den Standpunkt, die Ansprüche gegen die Unfallgegner seien mittlerweile verjährt,
und die Erhebung der Einrede der Verjährung sei als gewiss anzunehmen. Ergänzend führte das [X.] aus, dass über eine Verpflichtung der [X.], aus welchem Rechtsgrund auch immer, Pflichtbeiträge für die Ausfälle in der Rentenversicherung zu Gunsten der Klä-3
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gerin vorzumerken, nicht zu entscheiden sei, da ein entsprechender Antrag nicht gestellt worden sei.

Seit dem 1. September 2006 bezieht die Klägerin von der [X.] eine Altersrente.

Die Klägerin trägt vor, diese Rente
wäre monatlich um mindestens 300

höher ausgefallen, wenn die Beklagte den [X.] wegen der beiden Verkehrsunfälle durchgeführt hätte. Die Differenz macht sie mit der vorliegen-den
Klage teilweise beziffert und im Übrigen im Wege der Feststellungsklage geltend. Die Beklagte hat unter anderem eingewandt, bis zum [X.] habe alles dafür gesprochen, dass
die Erwerbsunfähigkeit der Klägerin nicht auf die Verkehrsunfälle, sondern auf ein hiervon unabhängiges Leiden zurückzuführen gewesen sei. Zudem hat sie die Einrede der Verjährung
erhoben.

Das [X.] hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben. Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision verfolgt sie

ihren Anspruch weiter.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der [X.] Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an die Vorin-stanz.

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I.

Nach Auffassung des Berufungsgerichts fällt der [X.] zwar eine Amtspflichtverletzung zur Last. Einem Schadensersatzanspruch der Klägerin aus §
839 Abs.
1 Satz 1 BGB i.V.m. Art.
34 Satz
1 GG stehe jedoch entgegen, dass sie es versäumt habe, den ihr zustehenden sozialrechtlichen [X.] zu verfolgen. Die Ersatzpflicht der [X.] trete dementspre-chend gemäß §
839 Abs.
3 BGB nicht ein.

Die Beklagte habe es [X.] unterlassen, den auf sie gemäß §
119 [X.] übergegangenen
Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen die wegen der Verkehrsunfälle [X.] zu verfolgen. Auch wenn
die Beklagte bis 1994 habe davon ausgehen dürfen, dass die Erwerbsunfähigkeit der Klägerin nicht auf die Unfälle, sondern auf eine hiervon unabhängige [X.] zurückzuführen sei,
stelle sich ernsthaft die Frage, ob die Beklagte im Hinblick auf die unübersichtliche Sachlage nicht gehalten gewesen wäre, eine Feststellungsklage gegen die Unfallverursacher zu erheben. Aber auch, wenn eine solche Verpflichtung nicht bestanden hätte, läge eine Amtspflichtverletzung der [X.] vor. Nach ihrem eigenen Vorbringen habe sie erst 1994 Kenntnis davon erhalten, dass die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin unfallbedingt gewesen sei. Die Beklagte hätte ab diesem Zeitpunkt die Ansprüche der Klägerin verfol-gen müssen. Sie sei jedoch untätig geblieben, weil sie unzutreffend davon aus-gegangen sei, dass die auf sie übergegangenen Schadensersatzansprüche zu diesem Zeitpunkt bereits verjährt gewesen seien. Die gemäß §
852 BGB a.F. für den Beginn der Verjährung maßgebliche
Kenntnis aller
anspruchsbegrün-denden Tatsachen habe sie
jedoch erst 1994 erlangt.
Für den verfahrensge-genständlichen Teilanspruch, der mit dem Entstehen der Beitragslücke
auf die Beklagte übergegangen sei, komme es ab diesem Zeitpunkt für die Verjährung 9
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allein auf die Kenntnis der [X.] an. Der [X.] der Kläge-rin gegen die Beklagte sei
nicht verjährt. Vielmehr sei die Verjährung durch die sozialgerichtliche Klage auf Durchführung des [X.]es
gehemmt ge-wesen.

Die Klägerin habe jedoch gegen die Beklagte
einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch auf Gutschrift der Beiträge auf ihrem Rentenversiche-rungskonto gehabt, die der [X.] aufgrund des von ihr versäumten [X.] zugeflossen wären. Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch sei
ein Rechtsmittel im Sinne von §
839 Abs.
3 BGB. Der Begriff des Rechtsmit-tels im Sinne dieser Bestimmung sei weit zu fassen. Zwar habe der [X.] noch nicht ausdrücklich darüber entschieden, ob der sozialrechtliche
Herstellungsanspruch hierunter falle. Dies ergebe sich jedoch aus dem Senats-urteil vom 11. Februar 1988 ([X.], [X.], 242), in dem dieser An-spruch
im Zusammenhang mit der Verjährung der Forderung aus Amtshaftung
als in seiner Zielsetzung mit der Inanspruchnahme des primären Rechtsschut-zes eng verwandt bezeichnet worden sei.

Hätte die Klägerin den ihr zustehenden
Herstellungsanspruch gegenüber der [X.] erhoben, wäre der Schaden, den sie nunmehr im Wege der Amtshaftungsklage ersetzt verlangt, nicht eingetreten.

II.

Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung im entscheidenden Punkt nicht stand.

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-

1.
Die Ausführungen des Berufungsgerichts
zum Vorliegen einer Amts-pflichtverletzung der [X.] und insbesondere zur Verjährung des auf sie übergegangenen [X.]anspruchs gegen die aus den Verkehrsunfäl-len [X.] nimmt die Revision als ihr günstig hin. Sie sind auch nicht zu
beanstanden.

Die insoweit von der [X.] erhobene Revisionsgegenrüge ist unbe-gründet. Sie meint, entgegen der Ansicht der Vorinstanz sei der [X.] nach §
119 [X.] nicht erst mit Eintritt der [X.], sondern bereits im Augenblick der Entstehung des gesamten Er-satzanspruchs mit dem Schadensereignis (unter Bezugnahme auf [X.], Urteil vom 17. April 2012 -
VI
ZR 108/11, [X.]Z 193, 67 Rn.
8 und vom 2. Dezember 2003 -
VI
ZR 243/02, NJW-RR 2004, 595, 596). Dies mag zutreffen, ist aber für die Rechtsposition der [X.] unbehelflich. Da es sich um deliktische [X.] handelte, richtete sich der Verjährungsbeginn bereits vor der [X.] des Verjährungsrechts nach der Kenntnis des Ersatzberechtigten von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des
Schuldners (§
852 BGB a.F.). Wenn
der wegen des [X.] begründete Ersatzanspruch sogleich mit seiner Entstehung auf den Sozialversicherungsträger überging, kommt es für die Verjährung auf dessen Kenntnis an ([X.], Urteil vom 17. April 2012 [X.]O
mit umfangreichen weiteren Nachweisen). Hiervon ist das [X.] in beiden von ihm hinsichtlich der Amtspflichtverletzung in Betracht gezogenen Varianten ausgegangen. Reichten die Erkenntnisse der [X.] vor 1994 für die
Erhebung einer Feststellungsklage zur Sicherung des Beitrags-regresses aus,
hatte sie die
gegenüber der Klägerin bestehende Amtspflicht, diese Klage rechtzeitig vor Eintritt der Verjährung zu erheben oder einen Ver-zicht der Schuldner auf diese Einrede zu erwirken.
Hatte die Beklagte hingegen erst 1994 hinreichend zuverlässige Kenntnis davon, dass die Erwerbsunfähig-14
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keit der Klägerin unfallbedingt war, konnte die Verjährung des [X.]-anspruchs zuvor noch nicht begonnen haben, da die
Kausalität ein für das Ent-stehen des [X.] erforderlicher tatsächlicher Umstand war. Dann aber hatten
die Bediensteten der [X.], wie vom Berufungsgericht ange-nommen,
ab 1994 die
Amtspflicht, den Anspruch gegen die Unfallverursacher zu verfolgen, bevor die seither laufende Verjährung beendet
war.

Ebenso ist die Auffassung des Berufungsgerichts nicht zu beanstanden, dass der [X.] der Klägerin gegen die Beklagte nicht verjährt ist.

2.
Indessen vermag der Senat nicht der
Beurteilung des Berufungsgerichts zu folgen, die Schadensersatzpflicht der [X.] sei gemäß §
839 Abs.
3 BGB ausgeschlossen, weil die Klägerin es versäumt habe, ihren sozialrechtli-chen Herstellungsanspruch gegen die Beklagte geltend zu machen, der auf Gutschrift der infolge der Unfälle nicht fortentrichteten Beiträge auf ihrem [X.] gerichtet gewesen sei. Dieser Anspruch ist kein Rechtsmittel im Sinne des §
839 Abs.
3 BGB.

a) Nach der Rechtsprechung des Senats ist der Begriff des Rechtsmittels zwar nicht auf die in den Verfahrensvorschriften vorgesehenen Behelfe be-schränkt, sondern umfasst auch andere, rechtlich mögliche und geeignete -
förmliche oder formlose
-
Rechtsbehelfe
(z.B. Gegenvorstellungen, Erinnerun-gen an die Erledigung eines Antrags, Beschwerden und Dienstaufsichtsbe-schwerden), ist also in einem weiten Sinn zu verstehen (z.B.: Senatsurteile vom 4. Juni 2009 -
III
ZR 144/05, [X.]Z 181, 199 Rn.
25; vom 8. Januar 2004 -
III
ZR 39/03, NJW-RR 2004, 706, 707; vom 9. Oktober 1997 -
III
ZR 4 /97, [X.]Z 137, 11, 23
und vom 3. Juni 1993 -
III
ZR 104/92, [X.]Z 123, 1, 7
f). Der 16
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Rechtsbehelf muss sich jedoch unmittelbar gegen die schädigende Amtshand-lung oder Unterlassung selbst richten und ihre Beseitigung beziehungsweise
Vornahme bezwecken und ermöglichen
(Senat [X.]O
sowie Urteil vom 16. Okto-ber 2008 -
III
ZR 15/08, [X.], 86 Rn.
24). Diese Voraussetzung erfüllt der sozialrechtliche Herstellungsanspruch nicht.

b) Allerdings hat der Senat, worauf das Berufungsgericht seine gegentei-lige Rechtsauffassung gestützt hat, wiederholt entschieden, dass die Geltend-machung eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs zur Unterbrechung beziehungsweise Hemmung der Verjährung eines [X.]s we-gen desselben Fehlverhaltens des [X.] führt (Urteile vom 20.
Juli
2000 -
III
ZR 64/99, [X.], 1108, 1112 und vom 11. Februar 1988 -
III
ZR 221/86, [X.], 242, 246; siehe auch Senatsurteile vom 12. Mai 2011 -
III
ZR 59/10, [X.], 1670 Rn.
56 f und vom 10. Februar 2011 -
III
ZR 37/10, [X.]Z 188, 302 Rn.
36 f). Der Senat hat in diesem Kontext
insbesondere den engen Zusammenhang des Herstellungsanspruchs mit dem Primärrechts-schutz hervorgehoben
(Urteile
vom 12. Mai 2011 [X.]O Rn.
57, 62 und vom 11.
Februar 1988 [X.]O S.
247; siehe auch Urteil vom 10. Februar 2011 [X.]O Rn.
36). Er hat jedoch mangels Entscheidungserheblichkeit in den seinerzeit zu beurteilenden Sachverhalten bislang davon abgesehen zu entscheiden, ob der sozialrechtliche Herstellungsanspruch ein Rechtsmittel im Sinne des §
839 Abs.
3 BGB darstellt, diese Frage vielmehr ausdrücklich offen gelassen (Urteile vom 20. Juli 2000 [X.]O; vom 16. November 1989 -
III
ZR 146/88, NJW-RR 1990, 408, 409 und vom 9. März 1989 -
III
ZR 76/88, [X.]R BGB §
839 Abs.
3 Primärrechtsschutz 2).

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c) Die Frage
ist nunmehr zu verneinen
(so auch Ossenbühl/[X.], St[X.]tshaftungsrecht, 6.
Aufl., S.
397
zum verwaltungsrechtlichen Folgenbeseiti-gungsanspruch).

[X.]) Tragende
Erwägung des Senats, der Geltendmachung des
sozial-rechtlichen Herstellungsanspruchs
verjährungsunterbrechende [X.] -hemmende Wirkung
für einen [X.], der auf dieselbe Pflichtverletzung gestützt wird,
zuzuerkennen, war der Gesichtspunkt der [X.] (siehe insbesondere Senatsurteile vom 12. Mai 2011 [X.]O und vom 10. Februar 2011 [X.]O Rn.
37). Der Geschädigte soll nicht wegen Fortschreitens der
Zeit gezwungen werden, eine Amtshaftungsklage zu erhe-ben, um den Eintritt der Verjährung seines Anspruchs aus §
839 Abs.
1 Satz 1 BGB i.V.m. Art.
34 Satz
1 GG zu verhindern, obgleich er noch parallel
seinen Herstellungsanspruch verfolgt, der
hinsichtlich der Rechtswidrigkeit der in Rede stehenden Amtshandlung
dieselben Fragen aufwirft.

Der Gesichtspunkt des Schutzes der Beteiligten
vor
der Notwendigkeit, wegen einer (möglicherweise) rechtswidrigen Amtshandlung mehrere Verfahren parallel zu führen,
ist jedoch für
§
839 Abs.
3 BGB nicht ausschlaggebend, auch wenn dies ein nützlicher
Nebeneffekt sein mag.
Das
gesetzgeberische Anlie-gen, das der Regelung des
§
839 Abs.
3 BGB zugrunde liegt, besteht vielmehr darin, nach [X.] und Glauben nur demjenigen Schadensersatz zuzubilligen, der sich in gehörigem und ihm zumutbarem Maße für seine eigenen Belange ein-setzt und damit den Schaden abzuwenden sich bemüht. Es soll nicht erlaubt sein, den Schaden entstehen oder größer werden zu lassen, um ihn schließlich, gewissermaßen als Lohn für eigene Untätigkeit, dem Beamten oder dem St[X.]t in Rechnung zu stellen;
§
839 Abs.
3 BGB stellt damit eine besondere Ausprä-gung von §
254 BGB dar (Senatsurteil vom 29. März 1971 -
III
ZR 98/69, [X.]Z 20
21
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56, 57, 63).
Daneben ist die Deutung getreten, dass §
839 Abs.
3 BGB die schadensersatzrechtliche Sanktion des ihm vorausliegenden Gebots darstellt, den Primärrechtsschutz in Anspruch zu nehmen,
die Vorschrift
somit die se-kundäre Schadensersatzpflicht in den Nachrang verweist
([X.]/Papier, 5.
Aufl., §
839 Rn.
330; Ossenbühl/[X.] [X.]O
S.
94).
Wer durch hoheitliches Unrecht Schaden erleidet, muss sich unmittelbar gegen den schädigenden Hoheitsakt wenden, soweit dies möglich und zumutbar ist. Ein Wahlrecht steht dem Geschädigten nicht zu
(dies. [X.]O).

bb) Ausgehend von diesen Zweckbestimmungen
hat der Senat in seiner Rechtsprechung den Begriff des Rechtsmittels im Sinne des §
839 Abs.
3 BGB wie oben unter Buchstaben a wiedergegeben ausgelegt. Mit dieser Definition ist es nicht vereinbar, den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch -
ebenso wie
den verwaltungsrechtlichen Folgenbeseitigungsanspruch
-
als
Rechtsmittel im Sinne des §
839
Abs.
3 BGB zu qualifizieren.

Der vom [X.] richterrechtlich entwickelte sozialrechtliche Herstellungsanspruch knüpft an die Verletzung behördlicher Auskunfts-, Bera-tungs-
und Betreuungspflichten als Nebenpflichten
im Sozialrechtsverhältnis
an. Er begründet einen Anspruch auf (eine Art
von) Naturalrestitution. Er ist auf die Vornahme einer zulässigen Amts-
beziehungsweise
Rechtshandlung zur Her-stellung desjenigen Zustandes gerichtet, der bestehen würde, wenn der
Sozialleistungsträger die ihm aus dem Sozialrechtsverhältnis erwachsenden Nebenpflichten ordnungsgemäß wahrgenommen hätte
(st. Rspr., z.B.: [X.],
NZS 2013, 233 Rn.
28; [X.]E 65, 21, 26; 49, 76, 78 f; siehe auch Senatsurteil vom 11. Februar 1988 -
III
ZR 221/86, [X.], 242, 246). Damit entspricht er weitgehend dem im allgemeinen Verwaltungsrecht anerkannten [X.], der ebenfalls auf die Beseitigung der rechtswidrigen Folgen 23
24
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eines Handelns oder Unterlassens der vollziehenden Gewalt gerichtet ist und einen Ausgleich in natura
gewährt (z.B. [X.], 34 Rn.
18; BVerwG [X.]
310 §
113 Abs.
1 VwGO Nr. 35; BVerwGE 69, 366, 371).
Zwar
unter-scheiden sich die beiden Institute darin, dass
im Sozialrecht der Anspruch [X.] gerichtet ist, den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn sich der Sozialleistungsträger von vornherein rechtmäßig verhalten hätte, während auf dem Gebiet des allgemeinen Verwaltungsrechts unrechtmäßige hoheitliche Maßnahmen
nur im Rahmen zulässigen Verwaltungshandeln ausgeglichen werden können
(BVerwG [X.] [X.]O). Gegenstand eines verwaltungsrecht-lichen Folgenbeseitigungsanspruchs ist daher nicht die Einräumung derjenigen Rechtsposition, die der Betroffene bei rechtsfehlerfreiem Verwaltungshandeln haben würde. Der Anspruch auf Folgenbeseitigung ist dementsprechend re-gelmäßig nur auf die Wiederherstellung des ursprünglichen, durch hoheitliches Handeln veränderten Zustands gerichtet (BVerwG [X.]O).

Entscheidend im vorliegenden Zusammenhang ist jedoch die Gemein-samkeit beider Ansprüche, dass sie nicht auf die Abwehr oder Veränderung der zugrunde liegenden Verwaltungsmaßnahme gerichtet sind, sondern
die Besei-tigung von deren Folgen
zum Ziel haben.
Sie tragen
damit einen auf die Konse-quenzen
des in Rede stehenden Verwaltungshandelns oder -unterlassens ge-richteten kompensatorischen, nicht aber auf die Maßnahme selbst gerichteten defensiven Charakter.
Demgegenüber müssen sich, wie unter Buchstaben
a ausgeführt,
Rechtsmittel im Sinne des § 839 Abs. 3 BGB
unmittelbar gegen die als Amtspflichtverletzung darstellende Handlung richten und das Ziel haben, diese zu beseitigen oder zu berichtigen.

25
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13

-

Der
[X.] nach §
839 Abs.
1 Satz 1 BGB i.V.m. Art.
34 Satz 1 GG ist ebenso wie der sozialrechtliche Herstellungs-
und der [X.] Folgenbeseitigungsanspruch auf den Ausgleich der Folgen von (pflichtwidrigen) Amtshandlungen und -unterlassungen
gerichtet. Auch wenn §
839 Abs.
1 Satz 1 BGB im Gegensatz zu den letztgenannten Instituten ein Verschulden des rechtswidrig handelnden Amtswalters erfordert (vgl. hierzu Senatsurteil vom 11. Februar 1988 -
III
ZR 221/86, [X.], 242, 246
f; BVerwG [X.] 310
§
113 Abs.
1 VwGO Nr.
35; [X.]E 49, 76, 77, 80) und anders als diese
nicht auf Naturalrestitution, sondern auf Geldersatz gerichtet ist
(Senat [X.]O S. 247; zum Hintergrund näher Schäfer/[X.], [X.], Einführung Rn.
53), steht er damit rechtssystematisch auf derselben Stufe wie diese [X.]. Auch dies spricht dagegen, ihnen im Wege des §
839 Abs.
3 BGB Vorrang
gegenüber dem [X.]
einzuräumen.

Diese Erwägungen
korrespondieren damit, dass im -
allerdings wegen fehlender Gesetzgebungskompetenz des [X.] ([X.] 61, 149)
-
St[X.]tshaftungsgesetz ([X.]) vom 26. Juni 1981 (BGBl. I S.
553) der Folgenbeseitigungs-
und der der Amtshaftung
entspre-chende Anspruch gleichrangig nebeneinander standen. Nach §
4 Abs.
1 Satz 1 [X.] hatte der Geschädigte grundsätzlich die Wahl, ob er statt der in §
3 [X.] geregelten Folgenbeseitigung Geldersatz gemäß §
2 [X.] verlangt.
Auch der durch das [X.] entwickelte sozialrechtliche Herstellungsan-spruch trat "als weiterer Baustein"
zu dem System öffentlich-rechtlichen Nach-teilsausgleichs, das neben
dem [X.] unter anderem Rege-lungen über die
Enteignungsentschädigung, einen Ausgleich für enteignungs-gleiche Eingriffe und den Aufopferungsanspruch enthält ([X.]E 49,
76, 78). Schon die Formulierung, der sozialrechtliche Herstellungsanspruch trete zu dem "neben"
dem [X.] bestehenden Ausgleichssystem,
deu-26
27
-

14

-

tet darauf hin, dass nach der Konzeption des [X.]s Gleichrang zwischen den beiden Instituten bestehen sollte. Noch deutlicher wird dies durch die Einreihung des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs
zu den aufgeführ-ten
übrigen Instituten. Insbesondere zwischen den Ansprüchen aus enteig-nungsgleichem Eingriff und dem [X.]
besteht Anspruchs-konkurrenz
(z.B. [X.], Großer Senat für Zivilsachen, Beschluss vom 12. April 1954 -
GSZ 1/54, [X.]Z 13, 88 ff; Senatsurteil vom 11. Januar 2007 -
III
ZR 302/05, [X.]Z 170, 260 Rn.
31). Die Haftung aus § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB ist
nicht gegenüber dem Anspruch aus enteignungsgleichem Eingriff gemäß §
839 Abs.
1
Satz 2 BGB subsidiär ([X.], Großer Senat für Zivilsachen, [X.]O
S.
101
ff),
und eine Anwendung von §
839 Abs.
3 BGB auf diesen Anspruch wurde erst gar nicht erwogen. Wird der sozialrechtliche Herstellungsanspruch im öffentlich-rechtlichen Ausgleichssystem auf dieselbe Stufe wie der [X.] wegen
enteignungsgleichen
Eingriffs
gestellt, ist dies ein wei-terer Hinweis darauf, dass eine Forderung aus §
839 Abs.
1 Satz 1 BGB i.V.m. Art.
34 Satz
1 GG gegenüber dem sozialrechtlichen Anspruch ebenfalls keinen Nachrang hat, worauf es aber hinauslaufen würde, wenn jener als Rechtsmittel im Sinne des
§
839 Abs.
3 BGB einzuordnen wäre.

Schließlich spricht auch der Charakter von §
839 Abs.
3 BGB als beson-dere Ausprägung von §
254 BGB (Senatsurteil vom 29. März 1971 -
III
ZR 98/69, [X.]Z 56, 57, 63, siehe auch oben Buchst. [X.]) gegen die Qualifizierung des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs und des verwaltungsrechtlichen Folgenbeseitigungsanspruchs als Rechtsmittel im Sinne des [X.]. Bei der im Rahmen der Auslegung der Vorschrift gebotenen typisieren-den Betrachtungsweise sind Maßnahmen des Betroffenen, die sich unmittelbar gegen das in Rede stehende Amtshandeln oder -unterlassen richten, grund-sätzlich
geeignet, den Eintritt eines aus ihm folgenden Schadens zu verhindern 28
-

15

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oder
zu mindern. Dies trifft auf den sozialrechtlichen Herstellungs-
und den verwaltungsrechtlichen Folgenbeseitigungsanspruch nicht zu. Sie gewähren ebenso wie
der [X.] lediglich einen Ausgleich der infolge der in Rede stehenden Amtsmaßnahme bereits eingetretenen Nachteile
und
sind schon vom Ansatz her nicht auf deren Vermeidung ausgerichtet. Auch sind sie -
jedenfalls bei der wiederum erforderlichen generalisierenden Betrachtung
-
nicht dazu bestimmt, die Belastung der ausgleichspflichtigen Körperschaft zu mindern. Zwar sind sie auf Naturalrestitution gerichtet, während nach §
839 Abs.
1 Satz 1 BGB i.V.m. Art.
34 Satz 1 GG ausschließlich Geldersatz [X.] wird
(z.B. Senatsurteil vom 11. Februar 1988 -
III
ZR 221/86, [X.], 242, 247). Die Naturalrestitution ist jedoch für
den [X.]
nicht typi-scherweise wirtschaftlich weniger belastend
als der Geldersatz.

Die Unanwendbarkeit von §
839 Abs.
3 BGB auf den sozialrechtlichen Herstellungs-
und den verwaltungsrechtlichen Folgenbeseitigungsanspruch schließt allerdings im
Einzelfall nicht aus, dass der Geschädigte, der eine Amtshaftungsforderung erhebt, gemäß §
254 Abs.
2 BGB auf diese Ansprüche verwiesen werden kann, wenn die Naturalrestitution für die betroffene Körper-schaft wirtschaftlich günstiger und dem Anspruchsberechtigten, auch unter Be-rücksichtigung einer etwaigen Ausgleichszahlung (siehe hierzu
BVerwGE 82, 24, 27
f), zuzumuten ist (vgl. Senatsurteil vom 11. Februar 1988 [X.]O S.
248). Der vorliegend zur Entscheidung stehende Sachverhalt enthält aber keine [X.] dafür, dass eine solche Fallgestaltung vorliegen könnte. Im Gegen-teil ist nichts dafür vorgetragen oder sonst ersichtlich, dass die vom Berufungs-gericht in Betracht gezogene Beitragsgutschrift auf dem Rentenkonto der Klä-

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16

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gerin im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruch die Beklagte im Er-gebnis weniger belastet
als die begehrte Zahlung von Schadensersatz in Höhe der Differenz zwischen dem
tatsächlichen Rentenanspruch
und demjenigen, der bestünde, wenn die Beklagte den [X.] durchgeführt hätte.

3.
Das Berufungsgericht hat, von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerich-tig, keine Feststellungen zum Verschulden der Bediensteten der [X.] ge-troffen. Dies ist nachzuholen. Hierbei wird das Berufungsgericht einerseits die sogenannte Kollegialgerichtsrichtlinie
(vgl. hierzu z.B.: Senatsurteile vom 9. [X.] -
III
ZR 272/09, [X.], 571 Rn.
21; vom 4. November 2010 -
III
ZR 32/10, [X.]Z 187, 286 Rn.
35 ff mit
umfangreichen weiteren Nachwei-sen
in Rn.
36; vom 16. Oktober 2008 -
III
ZR 15/08, [X.], 86 Rn.
21 und vom 2. Juni 2005 -
III
ZR 306/04, [X.], 1482, 1484)
zu berücksichtigen
haben, da das mit drei Berufsrichtern besetzte [X.] eine Pflichtverlet-zung der [X.] verneint hat, sich zugleich aber auch mit deren Einschrän-kungen zu befassen haben (siehe z.B. Senatsurteile vom 9. Dezember 2010; vom 16. Oktober 2008 und vom 2. Juni 2005 jeweils
[X.]O; Senatsurteil vom 4.
November 2010 [X.]O Rn.
37; Senatsurteil vom 12. November 1992 -
III
ZR 178/91, [X.]Z 120, 184, 197
mwN; siehe ferner [X.]/[X.] [2013] §
839 Rn.
213).

4.
Weiterhin wird das Berufungsgericht gegebenenfalls Feststellungen zur Höhe des geltend gemachten Zahlungsanspruchs nachzuholen haben.

30
31
-

17

-

5.
Da die Sache noch nicht zur Endentscheidung reif ist, ist sie zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das
Berufungsgericht zurückzuverweisen (§
563 Abs.
1, 3 ZPO).

Schlick
[X.]

[X.]

[X.]
Seiters
Vorinstanzen:
LG [X.] I, Entscheidung vom 27.07.2011 -
15 O 20925/10 -

OLG [X.], Entscheidung vom 24.05.2012 -
1 U 3366/11 -

32

Meta

III ZR 201/12

04.07.2013

Bundesgerichtshof III. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 04.07.2013, Az. III ZR 201/12 (REWIS RS 2013, 4475)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 4475

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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