Bundesgerichtshof, Urteil vom 11.12.2023, Az. VIa ZR 340/22

6a. Zivilsenat | REWIS RS 2023, 9301

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Gegenstand

Schadensersatzanspruch gegen Fahrzeughersteller im Dieselskandal: Anforderungen an Verschulden des Herstellers


Leitsatz

Für eine Haftung des Fahrzeugherstellers wegen eines Verstoßes gegen § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV gegenüber dem Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeugs müssen der objektive und der subjektive Tatbestand der Pflichtverletzung - hier: beim Inverkehrbringen des Fahrzeugs - zeitlich zusammenfallen. Für die Frage, ob dem Fahrzeughersteller ein Verschuldensvorwurf gemacht werden kann, kommt es insoweit nur zusätzlich noch auf den Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses an.

Tenor

Auf die Revision des [X.] wird der Beschluss des 13. Zivilsenats des [X.] mit Sitz in [X.] vom 7. Februar 2022 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger, der am 18. November 2010 einen von der Beklagten hergestellten und mit einem Dieselmotor der [X.] (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüsteten gebrauchten [X.] erwarb, nimmt die Beklagte auf Schadensersatz in Anspruch. Er macht geltend, das Fahrzeug verfüge über mehrere unzulässige Abschalteinrichtungen.

2

Die auf Erstattung des Kaufpreises nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs sowie auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten gerichtete Klage ist in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren in vollem Umfang weiter.

Entscheidungsgründe

3

Die Revision des [X.] hat Erfolg.

I.

4

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

5

[X.] Ansprüche des [X.] seien zu verneinen, weil die Beklagte den Kläger nicht sittenwidrig geschädigt habe. Der Kläger habe für seine Behauptung, in seinem Fahrzeug sei eine unzulässige Abschaltlogik verbaut worden, keine greifbaren Anhaltspunkte aufgezeigt. Die Applikation einer temperaturabhängigen Steuerung des [X.] sei nicht mit der Verwendung einer Prüfstanderkennungssoftware zu vergleichen. Eine Verwerflichkeit des Verhaltens der Beklagten durch den Einbau des [X.] hätte sich nur dann ergeben, wenn zu dem - hier unterstellten - Verstoß gegen Art. 5 der Verordnung ([X.]) Nr. 715/2007 weitere Umstände hinzugetreten wären, die das Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen. Daran fehle es.

6

Der Kläger könne seinen Schadensersatzanspruch auch nicht aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV herleiten. Dem stehe bereits entgegen, dass die Regelungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV kein Schutzgesetz darstellten.

II.

7

Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

8

1. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.

9

2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV in der maßgeblichen Fassung (vgl. [X.], Urteil vom 16. Oktober 2023 - [X.], [X.], 2194 Rn. 9 ff.) aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der [X.] nach Erlass der Berufungsentscheidung entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des [X.] gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der [X.] zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung ([X.]) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.], NJW 2023, 2259 Rn. 29 bis 32, zur [X.] bestimmt in [X.]Z).

Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des [X.] auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.], NJW 2023, 2259 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen [X.]s zustehen kann (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso [X.], Urteile vom 20. Juli 2023 - [X.], [X.], 1839 Rn. 21 ff.; - [X.], juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - [X.], juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

Die angefochtene Entscheidung ist aufzuheben, § 562 ZPO, weil sie sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO.

Insbesondere kann der [X.] entgegen den Einwänden der Revisionserwiderung auf der Grundlage der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen und nach Maßgabe des [X.] vom 26. Juni 2023 ([X.], NJW 2023, 2259 Rn. 59 ff.) ein Verschulden der Beklagten nicht ausschließen. Zwar müssen der objektive und der subjektive Tatbestand einer Pflichtverletzung zeitlich zusammenfallen (vgl. [X.], Urteil vom 5. Februar 2007 - II ZR 234/05, [X.]Z 171, 46 Rn. 8) und kommt es für die Frage, ob der Beklagten ein [X.] gemacht werden kann, insoweit nur zusätzlich noch auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses an ([X.], Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 61; Urteil vom 16. Oktober 2023 - [X.] 1511/22, juris Rn. 12 f.). Dass zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Fahrzeugs, wie die Revisionserwiderung geltend macht, keine Zweifel an der Zulässigkeit von [X.] bestanden hätten, sondern erst durch die spätere Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] begründet worden seien, ließe - selbst wenn der Einwand der Revisionserwiderung zuträfe - das Verschulden indessen nicht entfallen. Dass sich ein Hersteller nicht ohne weiteres und gestützt auf eine zu einem bestimmten Zeitpunkt mehr oder weniger verbreitete Auffassung von der Zulässigkeit bestimmter Abschalteinrichtungen entlasten kann, hat der [X.] entschieden und näher dargelegt ([X.], Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 69; zu den Anforderungen an die Darlegung eines unvermeidbaren Verbotsirrtums außerdem [X.], Urteil vom 25. September 2023 - [X.] 1/23, [X.], 2064 Rn. 13 ff.). Dass ein [X.] durch vom Kläger gezogene Vorteile vollständig aufgezehrt sei, ergeben die Feststellungen des Berufungsgerichts nicht.

Der [X.] kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen [X.] darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des [X.]s vom 26. Juni 2023 ([X.], NJW 2023, 2259) die erforderlichen Feststellungen zu der - bislang lediglich unterstellten - Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV zu treffen haben.

[X.]     

      

Möhring     

      

Wille 

      

Liepin     

      

Vogt-Beheim     

      

Meta

VIa ZR 340/22

11.12.2023

Bundesgerichtshof 6a. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Frankfurt, 7. Februar 2022, Az: 13 U 427/19

§ 823 Abs 2 BGB, § 6 Abs 1 EG-FGV, § 27 Abs 1 EG-FGV

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 11.12.2023, Az. VIa ZR 340/22 (REWIS RS 2023, 9301)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 9301

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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VII ZR 412/21

III ZR 303/20

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