Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 11.01.2017, Az. 2 StR 463/16

2. Strafsenat | REWIS RS 2017, 17613

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[X.]:[X.]:[X.]:2017:110117B2STR463.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 463/16
vom
11. Januar
2017
in der Strafsache
gegen

wegen Vergewaltigung u. a.

-
2
-
Der 2. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des Generalbun-desanwalts
und des Beschwerdeführers
am 11.
Januar
2017
gemäß §
349 Abs.
4
StPO beschlossen:

1.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 10. Mai 2016 mit den Feststel-lungen aufgehoben.
2.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten
des Rechtsmittels, an eine andere Strafkam-mer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in zwei Fäl-len, jeweils in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung, sowie in einem Fall in Tatmehrheit
mit Nötigung in Tateinheit mit
vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg.

1
-
3
-
[X.]
Die Beweiswürdigung des [X.], mit dem sich dieses von der Begehung der beiden Tatgeschehen am 1.
März 2014 und 7.
Oktober 2015 durch den Angeklagten überzeugt hat, hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
Die Beweiswürdigung ist zwar grundsätzlich Sache des Tatgerichts; der revisionsgerichtlichen Überprüfung unterliegt aber, ob dem Tatgericht dabei Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist etwa der Fall, wenn die Beweiswürdi-gung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesi-cherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. [X.], Urteil vom 30.
März 2004

1
StR 354/03,
NStZ-RR 2004, 238; Urteil vom 11.
Januar 2005

1
StR 478/04, [X.], 147;
Urteil vom 2.
Dezember 2005

5
StR 119/05, [X.], 925, 928) oder wenn die einzelnen Beweisergebnisse nur isoliert gewertet und nicht in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden (st. Rspr.; vgl. [X.], Urteil vom 10.
Dezember 1986

3
StR
500/86, [X.]R StPO §
261 Beweiswürdigung
2;
Urteil vom 14.
August 1996

3
StR 183/96, [X.]R StPO
§
261 Beweiswürdigung
11; Senat, Urteil vom 17.
September 1986

2
StR 353/86, [X.]R StPO §
261 Beweiswürdigung, unzureichende 1; Urteil vom 12.
September 2001

2
StR 172/01, [X.], 48;
[X.], Urteil vom 30.
März 2004

1
StR 354/03,
NStZ-RR 2004, 238;
Senat, Beschluss vom 27.
September 2012

2
StR 349/12, [X.], 51). Solche Rechtsfehler liegen sowohl hinsichtlich der Tat vom 1.
März 2014 wie auch vom 7.
Oktober 2015 vor.
1. a) Hinsichtlich der Vergewaltigung der Zeugin W.

am 1.
März
2014 hat das [X.] die Einlassung des Angeklagten als widerlegt ange-sehen und sich insoweit auf die Angaben der Geschädigten zum Tatgeschehen 2
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gestützt, die durch das Ergebnis der weiteren Beweisaufnahme bestätigt [X.] seien (UA S.
28 ff.). Dabei hat es einzelnen Abweichungen in den Angaben der Zeugin bei ihren Aussagen vor der Polizei, gegenüber der sachverständigen Zeugin Dr. P.

und in der Hauptverhandlung keine Bedeutung für die
Glaubhaftigkeit beigemessen. So hat das [X.] in der erstmals
in der Hauptverhandlung erfolgten Schilderung, sie habe (vor der späteren Vergewal-tigung) selbst ihren Gürtel ausgezogen und auch ihre Hose, Strumpfhose und Slip zunächst ein Stück weit nach unten gezogen, bevor der Angeklagte ihre Kleidung sodann bis zu früheren Angaben gesehen, wonach der Angeklagte ihr die Kleidung ausgezo-gen habe. Dass die Zeugin unmittelbar nach der Tat vom 1.
März 2014 [X.] hat, den Angeklagten vormittags im [X.] (und nicht

wie festgestellt

im [X.]) getroffen zu haben, hat die [X.] unter Berücksichtigung, dass sie dies in der anschließenden ausführlichen Verneh-mung vom 20.
August 2014 klargestellt habe, mit dem Hinweis erklärt, dass es bei ihr unter dem Eindruck der Tat offensichtlich zu Erinnerungsdefiziten ge-kommen sei. Soweit das Tatopfer gegenüber der sachverständigen Zeugin Dr.
P.

bei ihrer körperlichen Untersuchung unmittelbar nach der Tat ange-
geben hat, der Angeklagte habe die Wohnung verschlossen, sie auf die Couch gedrückt, am Hals gewürgt und anschließend gegen ihren Willen ca. fünf [X.] den ungeschützten vaginalen Geschlechtsverkehr vollzogen, hat die [X.] diese abweichenden Angaben, von der sie sich in der [X.], es habe sich bei ihren Erst
eine bewusste Falschbelastung gehandelt. Im Ergebnis ist das [X.] da--
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von ausgegangen, dass die Angaben der Zeugin W.

zum eigentlichen
Tatgeschehen mit Ausnahme ihrer Angaben gegenüber der Zeugin Dr.
P.

konstant seien, obwohl sie mehrfach ausführlich im Verlauf des Verfahrens be-S.
34). Zudem sei bei ihren Angaben, die indiziell durch weitere Zeugen, die die Geschädigte nach der Tat in einer erkennbar emotional belasteten Situation erlebt hätten, bestätigt worden seien, keinerlei Belastungstendenz zu erkennen.
b) Diese Würdigung der Aussage der Zeugin W.

erweist sich als
rechtsfehlerhaft, weil sie die gebotene Gesamtwürdigung aller für und gegen die Glaubhaftigkeit einer Zeugenaussage sprechenden Umstände nicht vorge-nommen hat. Der formelhafte Hinweis der [X.] am Ende der Beweis-würdigung (nach der Würdigung der Angaben zum zweiten Tatgeschehen, UA S.
46), dem sich eine Erklärung der Tat(en) aus psychologischer Sicht und ein Vergleich mit dieser Tat und einem vergleichbaren (nicht angeklagten) Vorfall anschließt, räumt nicht die Besorgnis des Senats aus, das [X.] habe tatsächlich nicht alle gegen die Zuverlässigkeit der Zeugenangaben sprechen-den Umstände in den Blick genommen und gewogen.
Einige bedeutsame Umstände werden außer Betracht gelassen. So hat die [X.] bei ihrer Würdigung nicht ausdrücklich einbezogen, dass die Zeugin in der Hauptverhandlung angegeben hat, sie habe den Angeklagten erstmalig am 31.
Dezember 2013 kennen gelernt und ihn erst am Tattag wieder gesehen, und sie diesen Angaben nicht gefolgt ist (UA S.
19
f.).
Sie hat auch nicht erkennbar in den Blick genommen, dass die Zeugin W.

(offenbar)
auch noch in der Hauptverhandlung berichtete, sie habe von dem Angeklagten am 31.
Dezember 2013 Bargeld in Höhe von 300,-

l-ten und sei dazu von der Wohnung des Angeklagten in der [X.] ins [X.] und zurückgefahren, und sie diese Angaben den Feststellun-5
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gen nicht zugrunde gelegt hat. Solche gegen die Annahme von Aussage-konstanz
durften bei einer Würdigung der Glaubhaftigkeit der Zeugenangaben nicht unberücksichtigt bleiben.
Soweit die [X.] sich im Rahmen ihrer Würdigung mit den [X.] gegen die Glaubhaftigkeit sprechenden Umständen auseinander gesetzt hat, geschieht dies jeweils nur isoliert, ohne sich gesamtwürdigend mit der [X.] zu befassen, ob die Hypothese einer Falschbelastung mit Blick auf [X.] in verschiedenen Aussagen und widersprüchliche Angaben der Zeugin in der Hauptverhandlung tatsächlich widerlegt werden kann. Die Erklärungsver-suche der [X.] für einzelne abweichende oder zum Teil widerlegte An-gaben der Zeugin sind
spekulativ, wenn das [X.] anführt, es habe nicht (vollständig) ausschließen können, dass es unter dem Einfluss der Tat zu An-gaben der Zeugin gekommen sei, die auf einer unbewussten Verwechslung, fehlerhaften Erinnerung oder Erinnerungsdefiziten infolge des Schocks über das Erlebte basierten, oder dass es bei der Vernehmung zu sprachlichen Miss-verständnissen gekommen sei. Sie versperren auch den Blick auf eine umfäng-liche Würdigung der auf das gesamte Tatgeschehen (einschließlich der Vorge-schichte) bezogenen Aussage, ihrer Entstehung und Entwicklung sowie der ihr zugrunde liegenden Motivlage und lassen eine unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des [X.] angezeigte differenzierte Glaubwür-digkeitsbeurteilung der Zeugenangaben vermissen.
Auf diesem Mangel beruht die Verurteilung hinsichtlich der Tat vom 1.
März 2014. Der Senat kann trotz der für eine Tatbegehung sprechenden Umstände nicht ausschließen, dass das Tatgericht bei einer umfassenden Ge-samtwürdigung zu einer anderen Beurteilung der Angaben der Zeugin
W.

gelangt wäre und den Angeklagten insoweit freigesprochen hätte.
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2. a) Ihre Überzeugung von der Tat vom 7.
Oktober 2015 hat die [X.] auf die Angaben der Geschädigten M.

gestützt. Sie hat sich
dabei auf die zum Tatgeschehen konstanten Aussagen der Zeugin bezogen und festgestellte Divergenzen (Anlass der Auseinandersetzung mit dem Ange-klagten, Details der körperlichen Auseinandersetzung) als unbeachtlich ange-sehen (UA S.
39). Das [X.] hat zudem in den Blick genommen, dass ihre Angaben zu ihrer Bekanntschaft mit dem Angeklagten, die sie

trotz von der Kammer festgestellter Intimkontakte

vollständig verleugnete, mit Blick auf Aussagen neutraler Zeugen unzutreffend gewesen seien (UA S.
43). Es hat aus diesem Grund eine besonders
kritische Würdigung der Aussage vorgenommen u der Überzeu-gung gelangt, dass die Angaben der Zeugin zum Ablauf der Tat den Urteilsfest-stellungen zugrunde gelegt werden konnten. Dabei hat sie als indizielle Bestäti-gung der Angaben die Aussage der Zeugin [X.]

, die Hilferufe der Geschädig-
ten vernommen hatte, in Augenschein genommene Lichtbilder von den Verlet-zungen der Geschädigten sowie DNA-
und Spermaspuren des Angeklagten an [X.] der Zeugin herangezogen und zudem berücksichtigt, dass die Geschädigte bei ihrer an die Zeugin gerichteten Bitte, die Polizei zu verständi-gen, zunächst nur von der Entwendung ihres Mobiltelefons, nicht aber von der Vergewaltigung gesprochen hatte. Schließlich hat sie im Rahmen ihrer Ge-samtwürdigung als wesentlichen Aspekt
den Umstand herangezogen, dass beide Taten
wie auch der festgestellte, nicht verfahrensgegenständliche [X.]ablauf vom 17.
Februar 2014 zum Nachteil der Zeugin Pa.

gewisse Ähnlichkeiten aufweisen würden, die mit bloßem Zufall nur unzuläng-lich zu erklären seien.

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b) Auch diese Ausführungen lassen besorgen, dass die [X.] die gebotene Gesamtwürdigung der Angaben der Zeugin M.

nicht vorge-
nommen hat. Jedenfalls lässt sich den Urteilsgründen, die lediglich am Rande erwähnen, es seien keine objektiven Anhaltspunkte für eine vorsätzliche Falschbelastung ersichtlich, nicht entnehmen, dass das [X.] bei seiner Gesamtwürdigung alle hierfür maßgeblichen Gesichtspunkte, insbesondere ihre Leugnung, den Angeklagten zu kennen, ihre
unterschiedlichen Angaben auch zum Tathergang und
ihre Alkoholisierung tatsächlich in den Blick genommen und eine umfassende Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Zeugin vorgenom-men hätte.
Die Beweiswürdigung erweist sich zudem als rechtsbedenklich, weil sie sich wesentlich auf die Vergleichbarkeit mit
der Tat vom 1.
März 2014 und mit dem Vorfall zum Nachteil der Zeugin Pa.

gestützt hat. Beiden Gesche-
hen kommt

wenn überhaupt

ein allenfalls geringer Beweiswert zu. Dies folgt hinsichtlich der Tat vom 1.
März 2014 daraus, dass auch

wie oben ausge-führt

diese Beweiswürdigung rechtlichen Bedenken ausgesetzt ist. Für den weiteren Vorfall zum Nachteil der Zeugin Pa.

, bei dem es sich auch um
den Vorwurf einer Vergewaltigung handelte, ergibt sich dies daraus, dass sich dieser Vorwurf auch aus
Sicht der [X.], die hinsichtlich dieses [X.]

obwohl ein entsprechendes, allerdings lediglich wegen des [X.] der gefährlichen Körperverletzung und der Freiheitsberaubung geführtes Strafverfahren bereits mit Beschluss vom 14.
Juli 2014 nach §
153a StPO ein-gestellt worden war

eine eigene Beweisaufnahme durchgeführt hat, nicht be-stätigen ließ (UA S.
18). Inwieweit sich daraus noch ein den Angeklagten [X.] Umstand ergeben soll, erläutert das [X.] nicht.
Diese Rechtsfehler führen hinsichtlich der Tat vom 7.
Oktober 2015, also auch in Bezug auf die tatmehrheitlich zu der angenommenen Vergewaltigung 10
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hinzutretende Verurteilung von tateinheitlich mit Körperverletzung zusammen-treffender Nötigung, die auch auf den Angaben der Zeugin M.

beruht,
zur Aufhebung der Verurteilung.

I[X.]
Die Sache bedarf insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen auch die Annahme voll erhal-ten gebliebener Schuldfähigkeit hinsichtlich des Tatgeschehens vom 7.
Oktober 2015 rechtlich nicht unbedenklich erscheint. Warum die konkrete Intoxikation soll, erschließt sich nicht ohne Weiteres. Dass die [X.] den festgestell-ten Ausfallerscheinungen keine für die Annahme einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit des Angeklagten hinreichende Bedeutung beigemessen hat, weil es sich bei dem Drogen-
und Alkoholproblem nicht um den (alleinigen) Auslöser der Tat gehandelt habe, verfehlt den Maßstab bei der Prüfung der Vo-raussetzungen des §
21 StGB, bei der es allein um die Frage geht, ob zur [X.] der Tatbegehung aufgrund des Konsums von Drogen und Alkohol
eine erhebli-che Einschränkung des Hemmungsvermögens gegeben ist. Angesichts dessen wird sich der neue Tatrichter, zweckmäßigerweise unter Einschaltung eines anderen Sachverständigen, eingehender als bisher mit der Frage auseinander zu setzen haben, ob trotz einer hohen Blutalkoholkonzentration bei gleichzeiti-gem Konsum von Crack und trotz der durch die Angaben von Polizeibeamten 13
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belegten (teilweisen) Einschränkungen des Leistungsverhaltens des Angeklag-ten die Ablehnung des Vorliegens erheblich verminderter Schuldfähigkeit ge-rechtfertigt ist.
[X.] Zeng

Bartel Grube

Meta

2 StR 463/16

11.01.2017

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 11.01.2017, Az. 2 StR 463/16 (REWIS RS 2017, 17613)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 17613

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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2 StR 463/16

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