Bundesgerichtshof, Urteil vom 29.02.2024, Az. VII ZR 628/21

7. Zivilsenat | REWIS RS 2024, 1868

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Tenor

Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des 22. Zivilsenats des [X.] vom 21. Mai 2021 in der Fassung des [X.] vom 22. Juli 2021 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis zu 30.000 € festgesetzt.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt die Beklagte hinsichtlich eines von ihm im Mai 2015 als Gebrauchtwagen erworbenen und von der Beklagten hergestellten Fahrzeugs [X.] [X.] in Anspruch. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor des Typs [X.] ([X.]) ausgestattet. Die Abgasrückführung erfolgt unter anderem temperaturgesteuert mittels eines sog. Thermofensters; weiter verfügt das Fahrzeug über eine [X.] ([X.]). Das Fahrzeug ist nicht von einem Rückrufbescheid des [X.] ([X.]) wegen unzulässiger Abschalteinrichtungen betroffen.

2

Der Kläger ist der Auffassung, die Beklagte habe ihn im Wege des Schadensersatzes so zu stellen, als habe er den Kaufvertrag für das Fahrzeug nicht abgeschlossen. Mit der Klage hat er die Rückzahlung des um eine Nutzungsentschädigung gekürzten Kaufpreises nebst Verzugszinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des Fahrzeugs, die Feststellung, dass sich die Beklagte im Annahmeverzug befinde, sowie die Erstattung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten verlangt.

3

Das [X.] hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen eingelegte Berufung des [X.] hatte keinen Erfolg. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Klageanträge weiter.

Entscheidungsgründe

4

Die Revision hat Erfolg.

I.

5

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung, wie folgt begründet:

6

Eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung gemäß § 826 BGB scheitere ebenso wie ein Anspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 StGB. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung komme bei einer temperaturabhängigen Steuerung des [X.] der Vorwurf der Sittenwidrigkeit nur in Betracht, wenn zu dem unterstellten Verstoß gegen Art. 5 der Verordnung ([X.]) Nr. 715/2007 weitere Umstände hinzuträten, die das Verhalten der handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen. Solche habe der Kläger nicht dargetan.

7

Soweit der Kläger eine Vielzahl weiterer Abschalteinrichtungen erstmals in der Berufungsinstanz vorgetragen habe, sei das Vorbringen gemäß § 531 Abs. 2 ZPO nicht zuzulassen, zumal der Kläger zuvor auf die Notwendigkeit, den Grund für die Verzögerung vorzutragen und glaubhaft zu machen, hingewiesen worden sei. Dies gelte auch für die [X.], deren prüfstandsbezogene Ausgestaltung streitig sei. Soweit der Kläger sich auf einen Bericht des Handelsblatts vom 22. Juni 2019 beziehe, habe er nicht dargelegt, dass dies der erste veröffentlichte Bericht über die [X.] gewesen sei, wogegen bereits spreche, dass dieser Bezug auf einen Bericht der "B.            " nehme. Insoweit komme es auf die Kenntniserlangung vom Gutachten des Sachverständigen [X.]Ende 2020 nicht an. Denn das Bekanntwerden eines neuen Beweismittels bedeute nicht, dass der Vortrag, der damit untermauert werden solle, prozessual noch in zweiter Instanz berücksichtigt werden könne. Schließlich habe der Kläger auch nicht dargelegt, wieso im Hinblick auf das freiwillige Software-Update und die zuvor [X.] erfolgte amtliche Prüfung des [X.] die Ergebnisse des Sachverständigengutachtens [X.]  , der nicht die Motorsteuerungssoftware des Klägerfahrzeugtyps untersucht habe, auf das Klägerfahrzeug übertragbar sein sollten.

8

Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV oder Art. 5 der Verordnung ([X.]) Nr. 715/2007 scheiterten daran, dass das geltend gemachte Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, nicht im Schutzbereich der Normen liege.

II.

9

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

1. Allerdings begegnet es auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen keinen revisionsrechtlichen Zweifeln, dass das Berufungsgericht eine Haftung der [X.] gemäß §§ 826, 31 BGB und gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 StGB mangels vorsätzlichen (und sittenwidrigen) Verhaltens verneint hat, weil es entsprechende Anhaltspunkte für das Vorstellungsbild der für die Beklagte handelnden Personen nicht feststellen konnte. Hieran ist das Revisionsgericht gemäß § 559 Abs. 2 ZPO in Ermangelung eines zulässigen und begründeten Revisionsangriffs gebunden. Die Revision zeigt nicht auf, dass dem Berufungsgericht bei der Würdigung der von ihm festgestellten Tatsachen und des von ihm als zutreffend unterstellten Sachvortrags des [X.] ein Rechtsfehler unterlaufen wäre (vgl. zur eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfung [X.], Urteil vom 25. November 2021 - [X.] Rn. 32 m.w.N., [X.], 87). Sie legt auch nicht dar, dass das Berufungsgericht relevanten Sachvortrag oder Beweisantritte des darlegungs- und beweisbelasteten [X.] (vgl. [X.], Urteil vom 13. Juli 2021 - [X.] Rn. 14, [X.], 1252; Beschluss vom 19. Januar 2021 - [X.]/19 Rn. 19, NJW 2021, 921; Beschluss vom 9. März 2021 - [X.] 889/20 Rn. 29, NJW 2021, 1814; Beschluss vom 14. März 2022 - [X.] Rn. 21, juris) übergangen hätte.

a) Die Revision rügt vergeblich, das Berufungsgericht habe verfahrensfehlerhaft die Voraussetzungen des § 531 Abs. 2 ZPO hinsichtlich der vom Kläger behaupteten prüfstandsbezogenen Ausgestaltung der [X.] bejaht, obwohl der Geschäftsführer der Prozessbevollmächtigten die Versicherung an Eides statt angeboten habe, dass er erst Ende 2020 von dem Gutachten [X.]erfahren habe, in dem die [X.] näher erläutert werde, und diesen Vortrag noch mit anwaltlicher Sorgfalt habe prüfen müssen. [X.] beanstandungsfrei lehnt es das Berufungsgericht ab, darauf abzustellen, ob das Gutachten [X.]  , nur in Bezug auf dessen Vorlage der Kläger zu den Voraussetzungen des § 531 Abs. 2 ZPO vorgetragen hat, die Behauptung zu einer Prüfstandsbezogenheit der [X.] untermauert. Das Berufungsgericht stützt sich darauf, dass der vom Kläger in Bezug genommene Artikel im [X.]      vom 22. Juni 2019 einen früheren Zeitungsartikel zitiert, für den der Kläger den [X.] nicht darlegt. Diese Artikel teilten bereits mit, wie die [X.] (angeblich) funktioniere, nämlich durch verzögerte Erwärmung des Motoröls im Rahmen des [X.] für die Einhaltung der Grenzwerte zu sorgen, während die Funktion im Straßenbetrieb deaktiviert werde, was der Kläger in der Berufungsbegründung auch so vorgetragen hat.

b) Unabhängig davon hat das Berufungsgericht den gemäß § 531 Abs. 2 ZPO zurückgewiesenen Vortrag inhaltlich berücksichtigt. Es führt aus, der Kläger habe nicht dargelegt, wieso das Gutachten [X.]auf das Klägerfahrzeug trotz (nur) freiwilligen Software-Updates und amtlicher Untersuchung durch das [X.] übertragbar sein solle. Dagegen bringt die Revision nichts Erhebliches vor, sondern verweist nur auf Klägervortrag zur manipulativ-prüfstandsbezogenen Funktionsweise der [X.], der aber nichts für die Verwendung einer solchen im Klägerfahrzeug besagt. Diese Feststellung des Berufungsgerichts beruht auch nicht auf überspannten Substantiierungsanforderungen. Dies gilt insbesondere mit Blick auf die von der Revision angeführte Entscheidung des [X.] vom 13. Juli 2021 ([X.] Rn. 24 ff., [X.], 1609). Die Revision setzt sich insoweit mit der Begründung des Berufungsgerichts nicht hinreichend auseinander.

c) Fehlt es damit an einem begründeten Angriff auf die Feststellung des Berufungsgerichts, eine Prüfstandsbezogenheit der [X.] sei nicht substantiiert vorgetragen, zeigt die Revision auch keine anderen Umstände auf, die über die bloße Verwendung einer - revisionsrechtlich zu unterstellenden - unzulässigen Abschalteinrichtung hinaus die besondere Verwerflichkeit des Verhaltens der [X.] indizieren würden und die vom Berufungsgericht übergangen worden wären.

d) Auch im Übrigen erachtet der Senat die von der Revision erhobenen [X.] von [X.] nicht für durchgreifend (§ 564 Satz 1 ZPO).

2. Im Lichte der nach Erlass der Entscheidung des Berufungsgerichts ergangenen neueren Rechtsprechung des [X.] kann allerdings eine Haftung der [X.] nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV auf Ersatz des [X.] nicht ausgeschlossen werden (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.], [X.]Z 237, 245).

Der [X.]. Zivilsenat des [X.] hat am 26. Juni 2023 entschieden, dass von § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV nach der gebotenen unionsrechtlichen Lesart das Interesse des Käufers geschützt ist, durch den Abschluss eines Kaufvertrags über ein Kraftfahrzeug nicht wegen eines Verstoßes des Fahrzeugherstellers gegen das [X.] Abgasrecht eine Vermögenseinbuße im Sinne der [X.] zu erleiden. Der [X.] habe in seinem Urteil vom 21. März 2023 ([X.]/21) Art. 3 Nr. 36, Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der Richtlinie 2007/46/[X.] im Sinne des Schutzes auch der individuellen Interessen des Käufers eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO ([X.]) Nr. 715/2007 ausgerüsteten [X.] gegenüber dem Fahrzeughersteller ausgelegt. Den Schutz der individuellen Interessen des [X.] im Verhältnis zum Hersteller habe er dabei aus der in Art. 26 Abs. 1 der Richtlinie 2007/46/[X.] vorgesehenen Beifügung einer Übereinstimmungsbescheinigung für die Zulassung, den Verkauf oder die Inbetriebnahme des Fahrzeugs abgeleitet. Der [X.] habe das auf der Übereinstimmungsbescheinigung beruhende und unionsrechtlich geschützte Vertrauen des Käufers mit dessen Kaufentscheidung verknüpft und dem Unionsrecht auf diesem Weg einen von einer vertraglichen Sonderverbindung unabhängigen Anspruch des Fahrzeug-käufers gegen den Fahrzeughersteller auf Schadensersatz "wegen des Erwerbs" eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs entnommen. Das trage dem engen tatsächlichen Zusammenhang zwischen dem Vertrauen des Käufers auf die Ordnungsmäßigkeit des erworbenen Kraftfahrzeugs einerseits und der Kaufentscheidung andererseits Rechnung. Dieser Zusammenhang wiederum liege der Rechtsprechung des [X.] zu dem Erfahrungssatz zugrunde, dass ein Käufer, der ein Fahrzeug zur eigenen Nutzung erwerbe, in Kenntnis der Gefahr einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung von dem Erwerb des Fahrzeugs abgesehen hätte. Dementsprechend könne der vom Gerichtshof geforderte Schutz des Käufervertrauens im Verhältnis zum Fahrzeughersteller, sollten [X.] vermieden werden, nur unter einer Einbeziehung auch der Kaufentscheidung gewährleistet werden (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.], [X.]Z 237, 245; Urteil vom 20. Juli 2023 - [X.]/20 Rn. 22, [X.] 2023, 1903). Der erkennende Senat hat sich dieser Rechtsprechung angeschlossen (vgl. Urteile vom 26. Oktober 2023 - [X.] und [X.], juris).

III.

Danach hat das angefochtene Urteil keinen Bestand. Es ist aufzuheben und die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Eine Entscheidung in der Sache durch den Senat kommt nicht in Betracht, weil der Rechtsstreit nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO).

[X.]     

      

Kartzke     

      

Borris

      

Brenneisen     

      

[X.]     

      

Meta

VII ZR 628/21

29.02.2024

Bundesgerichtshof 7. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Düsseldorf, 21. Mai 2021, Az: I-22 U 546/19

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 29.02.2024, Az. VII ZR 628/21 (REWIS RS 2024, 1868)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2024, 1868

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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