Bundesgerichtshof, Urteil vom 29.02.2024, Az. VII ZR 701/21

7. Zivilsenat | REWIS RS 2024, 1706

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Tenor

Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des 12. Zivilsenats des [X.] mit Sitz in [X.] vom 21. Juni 2021 in der Fassung des [X.] vom 18. August 2021 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Klage betreffend eine deliktische Schädigung des [X.] durch das Inverkehrbringen des in seinen Klageanträgen näher bezeichneten Fahrzeugs abgewiesen worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Streitwert des Revisionsverfahrens: bis zu 30.000 €

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt die Beklagte hinsichtlich eines von ihm im November 2014 von der Beklagten als Neuwagen erworbenen und von der Beklagten hergestellten Fahrzeugs [X.] [X.] in Anspruch. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor des Typs [X.] ([X.] 5B+) ausgestattet. Im Mai 2018 verkaufte der Kläger das Fahrzeug für 15.500 €.

2

Der Kläger ist der Auffassung, die Beklagte habe ihn im Wege des Schadensersatzes so zu stellen, als habe er den Kaufvertrag für das Fahrzeug nicht abgeschlossen. Mit der Klage hat er die Rückzahlung des um den Weiterveräußerungserlös reduzierten Kaufpreises nebst Delikts- und Verzugszinsen sowie die Erstattung von vorprozessualen Rechtsanwaltskosten verlangt.

3

Die Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Mit der vom Senat beschränkt auf deliktsrechtliche Ansprüche zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Anträge weiter.

Entscheidungsgründe

4

Die Revision hat Erfolg.

I.

5

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung, wie folgt begründet:

6

Die Voraussetzungen des § 826 BGB in Verbindung mit § 31 BGB lägen nicht vor. Der Kläger habe für seine Behauptung, in seinem Fahrzeug sei eine unzulässige "Abschaltlogik" verbaut entsprechend derjenigen, die in Motoren des Typs [X.] Verwendung gefunden habe, keine greifbaren Anhaltspunkte aufgezeigt, so dass sie als "ins Blaue hinein" aufgestellt zu bewerten und einer Beweisaufnahme nicht zugänglich sei. Das Fahrzeug unterliege keinem Rückruf des [X.] ([X.]). Die zuletzt vom Kläger vorgelegte [X.] umfasse zwar auch Fahrzeuge des Typs [X.] mit dem [X.] ([X.]). Ob dies dem hier verbauten Motor [X.] ([X.]B+) entspreche, bleibe aber offen. Erfasst seien nach der Liste zudem nur Produktionszeiträume bis Juni 2014, während der Kläger sein Fahrzeug erst Ende September 2014 bestellt und zwei Monate später ausgeliefert erhalten habe. Eine unzulässige Abschalteinrichtung hinsichtlich des [X.] sei schon deswegen nicht anzunehmen, weil nicht feststehe, dass das Fahrzeug darüber verfüge; dem Bestreiten der [X.] sei der Kläger nicht substantiiert entgegengetreten. Messungen, nach denen im realen Fahrbetrieb deutlich höhere Stickoxidmengen ausgestoßen würden als im Neuen [X.]päischen Fahrzyklus, belegten eine unzulässige Abschalteinrichtung nicht. Selbst wenn man ein [X.] annehme, fehle es für ein [X.] Handeln der [X.] an der Darlegung von Umständen, die ihr Verhalten als besonders verwerflich erscheinen ließen. Dies gelte auch für den Vortrag zur [X.] ([X.]), für den offenbleiben könne, ob dieser gemäß § 531 Abs. 2 ZPO präkludiert sei. Dem Vortrag der [X.], die [X.] arbeite auf und außerhalb des [X.] in gleicher Weise, sei der Kläger nicht entgegengetreten. Aus dem Gutachten des Sachverständigen [X.]in einem Verfahren vor dem [X.] ergebe sich nichts Anderes, zumal schon unklar sei, ob der dort untersuchte Motor dem hiesigen entspreche. Die Beklagte habe unwidersprochen vorgetragen, dass das Fahrzeug des [X.] keine Kühlerjalousie aufweise, während der vom Sachverständigen [X.]untersuchte Motor nach dessen Darstellung im Gutachten über eine solche verfügt habe. Eine Haftung der [X.] aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV oder Art. 5 der Verordnung ([X.]) Nr. 715/2007 scheide mangels Schutzgesetzeigenschaft der Normen aus.

II.

7

Die Revision ist begründet. Sie führt im Umfang der Zulassung zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

8

1. Allerdings begegnet es auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen keinen revisionsrechtlichen Zweifeln, dass das Berufungsgericht eine Haftung der [X.] gemäß §§ 826, 31 BGB mangels vorsätzlichen und sittenwidrigen Verhaltens verneint hat. Hieran ist das Revisionsgericht gemäß § 559 Abs. 2 ZPO in Ermangelung eines zulässigen und begründeten Revisionsangriffs gebunden. Die Revision zeigt nicht auf, dass dem Berufungsgericht bei der Würdigung der von ihm festgestellten Tatsachen und des von ihm als zutreffend unterstellten Sachvortrags des [X.] ein Rechtsfehler unterlaufen wäre (vgl. zur eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfung [X.], Urteil vom 25. November 2021 - [X.] Rn. 32 m.w.N., [X.], 87). Sie legt auch nicht dar, dass das Berufungsgericht relevanten Sachvortrag oder Beweisantritte des darlegungs- und beweisbelasteten [X.] (vgl. [X.], Urteil vom 13. Juli 2021 - [X.] Rn. 14, [X.], 1252; Beschluss vom 19. Januar 2021 - [X.]/19 Rn. 19, NJW 2021, 921; Beschluss vom 9. März 2021 - [X.] 889/20 Rn. 29, NJW 2021, 1814; Beschluss vom 14. März 2022 - [X.] Rn. 21, juris) übergangen hätte. Im Einzelnen:

9

a) Gegen die Abweisung von Ansprüchen gemäß § 826 BGB im Hinblick auf ein [X.] wendet sich die Revision nicht.

b) Die Feststellung des Berufungsgerichts, der Kläger habe keine ausreichenden Anhaltspunkte für den Einbau einer prüfstandsbezogenen [X.] in das Klägerfahrzeug dargelegt, beruht nicht auf überspannten Substantiierungsanforderungen. Dies gilt insbesondere mit Blick auf die von der Revision angeführten Entscheidungen des [X.] vom 13. Juli 2021 ([X.] Rn. 24 ff., [X.], 1609) und vom 28. Januar 2020 ([X.] Rn. 8 ff., [X.], 476). Auf den von der Revision aufgezeigten Instanzvortrag zur Funktionsweise der [X.] kommt es für die Frage, ob eine solche prüfstandsbezogene [X.] im Klägerfahrzeug eingebaut ist, nicht an. Auch die Annahme des Berufungsgerichts, der Kläger sei dem Vortrag der [X.], die [X.] funktioniere auf der [X.] und auf dem Prüfstand in gleicher Weise, nicht mehr entgegengetreten, begegnet keinen durchgreifenden revisionsrechtlichen Bedenken. In dem vom Berufungsgericht in Bezug genommenen Instanzvortrag legt die Beklagte dar, dass die [X.] für die Einhaltung der Grenzwerte nicht relevant sei und das [X.] ausweislich aktueller Auskünfte die [X.] nicht als prüfstandsbezogene Abschalteinrichtung einstufe. Ein Bestreiten dieses Vortrags zeigt die Revision nicht auf. Die Feststellung des Berufungsgerichts, das Fahrzeug unterliege keinem Rückruf, begegnet ebenfalls keinen Bedenken. Dass die Beklagte mit Blick auf die vom Kläger überreichte [X.] nicht zur Frage der Produktionszeiträume der betroffenen Fahrzeuge vorgetragen hat, hindert das Berufungsgericht nicht, anhand der überreichten Anlage dazu eigene Schlussfolgerungen zu ziehen. Mit den von der Revision angeführten Abgasmessungen der [X.], der [X.] und des [X.] hat sich das Berufungsgericht ebenso befasst wie mit dem Gutachten [X.]aus einem Verfahren vor dem [X.]. Die Vergleichbarkeit der untersuchten Motortypen mit dem im Fahrzeug des [X.] verbauten Motor hat das Berufungsgericht verfahrensfehlerfrei zurückgewiesen. Zudem begründen angesichts der unstreitig gravierenden Unterschiede der Bedingungen, unter denen die Messung erfolgt, von den Messwerten nach Neuem [X.]päischen Fahrzyklus abweichende Messwerte im Realbetrieb schon kein Indiz für eine Abschalteinrichtung, und erst recht nicht für eine Manipulationssoftware, die die Voraussetzungen des § 826 BGB erfüllen könnte. Der Kläger hat den Vortrag der [X.], das vom Sachverständigen [X.]  untersuchte Fahrzeug verfüge ebenso wenig wie das Fahrzeug des [X.] über eine Kühlerjalousie, nicht unstreitig gestellt, so dass sich die Revision darauf nicht berufen kann.

c) Auch im Übrigen erachtet der Senat die von der Revision erhobenen [X.] von [X.] nicht für durchgreifend (§ 564 Satz 1 ZPO).

2. Im Lichte der nach Erlass der Entscheidung des Berufungsgerichts ergangenen neueren Rechtsprechung des [X.] kann allerdings eine Haftung der [X.] nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV auf Ersatz des [X.] nicht ausgeschlossen werden (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.], [X.]Z 237, 245).

Der [X.]. Zivilsenat des [X.] hat am 26. Juni 2023 entschieden, dass von § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV nach der gebotenen unionsrechtlichen Lesart das Interesse des Käufers geschützt ist, durch den Abschluss eines Kaufvertrags über ein Kraftfahrzeug nicht wegen eines Verstoßes des Fahrzeugherstellers gegen das [X.] Abgasrecht eine Vermögenseinbuße im Sinne der [X.] zu erleiden. Der Gerichtshof der [X.]päischen Union habe in seinem Urteil vom 21. März 2023 ([X.]/21) Art. 3 Nr. 36, Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der Richtlinie 2007/46/[X.] im Sinne des Schutzes auch der individuellen Interessen des Käufers eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO ([X.]) Nr. 715/2007 ausgerüsteten Kraftfahrzeugs gegenüber dem Fahrzeughersteller ausgelegt. Den Schutz der individuellen Interessen des [X.] im Verhältnis zum Hersteller habe er dabei aus der in Art. 26 Abs. 1 der Richtlinie 2007/46/[X.] vorgesehenen Beifügung einer Übereinstimmungsbescheinigung für die Zulassung, den Verkauf oder die Inbetriebnahme des Fahrzeugs abgeleitet. Der Gerichtshof der [X.]päischen Union habe das auf der Übereinstimmungsbescheinigung beruhende und unionsrechtlich geschützte Vertrauen des Käufers mit dessen Kaufentscheidung verknüpft und dem Unionsrecht auf diesem Weg einen von einer vertraglichen Sonderverbindung unabhängigen Anspruch des [X.] gegen den Fahrzeughersteller auf Schadensersatz "wegen des Erwerbs" eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs entnommen. Das trage dem engen tatsächlichen Zusammenhang zwischen dem Vertrauen des Käufers auf die Ordnungsmäßigkeit des erworbenen Kraftfahrzeugs einerseits und der Kaufentscheidung andererseits Rechnung. Dieser Zusammenhang wiederum liege der Rechtsprechung des [X.] zu dem Erfahrungssatz zugrunde, dass ein Käufer, der ein Fahrzeug zur eigenen Nutzung erwerbe, in Kenntnis der Gefahr einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung von dem Erwerb des Fahrzeugs abgesehen hätte. Dementsprechend könne der vom Gerichtshof geforderte Schutz des Käufervertrauens im Verhältnis zum Fahrzeughersteller, sollten [X.] vermieden werden, nur unter einer Einbeziehung auch der Kaufentscheidung gewährleistet werden (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.], [X.]Z 237, 245; Urteil vom 20. Juli 2023 - [X.]/20 Rn. 22, [X.] 2023, 1903). Der erkennende Senat hat sich dieser Rechtsprechung angeschlossen (vgl. Urteile vom 26. Oktober 2023 - [X.] und [X.], juris).

Das Berufungsgericht hätte die Berufung des [X.] bei richtiger rechtlicher Bewertung mithin nicht zurückweisen dürfen, ohne ihm Gelegenheit zu geben, den von ihm geltend gemachten Schaden im Sinne des [X.] zu berechnen. Die Stellung eines an die Geltendmachung des [X.] angepassten [X.] ist dem Kläger möglich.Denn dem von ihm in erster Linie auf §§ 826, 31 BGB gestützten großen Schadensersatz einerseits und einem [X.] nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGVandererseits liegen lediglich unterschiedliche Methoden der Schadensberechnung zugrunde, die im [X.] an die [X.] bei Abschluss des Kaufvertrags anknüpfen ([X.], Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.] Rn. 45, [X.]Z 237, 245).

III.

Danach ist das angefochtene Urteil im tenorierten Umfang aufzuheben und die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Eine Entscheidung in der Sache durch den Senat kommt nicht in Betracht, weil der Rechtsstreit nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO).

[X.]     

      

Graßnack     

      

Borris

      

Brenneisen     

      

[X.]     

      

Meta

VII ZR 701/21

29.02.2024

Bundesgerichtshof 7. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Frankfurt, 21. Juni 2021, Az: 12 U 233/19

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 29.02.2024, Az. VII ZR 701/21 (REWIS RS 2024, 1706)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2024, 1706

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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