Bundesfinanzhof, Beschluss vom 27.11.2014, Az. I R 69/13

1. Senat | REWIS RS 2014, 935

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Gegenstand

Analoge Anwendung der Härteausgleichsregelungen in § 46 Abs. 3 und 5 EStG 2009 bei in der Schweiz beschäftigtem Grenzgänger - Die Entscheidung wurde nachträglich zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt; sie war seit dem 4. März 2015 als NV-Entscheidung abrufbar.


Leitsatz

Die Härteausgleichsregelungen in § 46 Abs. 3 und 5 EStG 2009 sind aus Gleichbehandlungsgründen analog bei solchen Arbeitnehmern anzuwenden, die mit ihrem von einem ausländischen Arbeitgeber bezogenen Arbeitslohn im Inland unbeschränkt steuerpflichtig sind und mangels Vornahme eines Lohnsteuerabzugs nicht gemäß § 46 EStG 2009, sondern nach der Grundnorm des § 25 Abs. 1 EStG 2009 zu veranlagen sind (Anschluss an BFH-Urteile vom 7. August 1959 VI 299/57 U, BFHE 69, 538, BStBl III 1959, 462, und vom 10. Januar 1992 VI R 117/90, BFHE 167, 52, BStBl II 1992, 720, jeweils zu einem in der Schweiz beschäftigten Grenzgänger) .

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des [X.], [X.], vom 18. April 2013  3 K 2356/12 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.

Tatbestand

1

I. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute, die im Streitjahr (2010) im Inland wohnten und zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Der Kläger war bei der in [X.] ansässigen [X.] tätig. Er erzielte im Streitjahr einen "Bruttolohn total" in Höhe von 166.248 [X.]. Die [X.] behielt vom Bruttolohn gemäß Art. 15a Abs. 1 Satz 2 und 3 des Abkommens zwischen der [X.] und [X.]erischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und Vermögen vom 11. August 1971 ([X.] 1972, 1022, BStBl I 1972, 519) i.d.[X.] vom 21. Dezember 1992 ([X.] 1993, 1888, [X.], 928) --DBA-Schweiz 1971/1992-- 4,5 % Quellensteuer ein und führte diese an die [X.] ab. Die Abführung erfolgte monatlich.

2

Die Klägerin erzielte aus ihrer in der [X.] ([X.]) ausgeübten nichtselbständigen Tätigkeit als Ärztin insgesamt einen Bruttoarbeitslohn von 67.415 €. Von diesen Einnahmen wurde Lohnsteuer von insgesamt 11.323 € einbehalten und an das zuständige Betriebsstättenfinanzamt abgeführt. Im Übrigen bezog die Klägerin noch Einkünfte aus selbständiger Arbeit in Höhe von 243 €.

3

Des Weiteren erzielten die Kläger gemeinsam je zur Hälfte Einnahmen aus Kapitalvermögen in Höhe von insgesamt 1.816,23 €. Diese Kapitalerträge unterlagen dem inländischen Steuerabzug. Es wurde jeweils Kapitalertragsteuer und Solidaritätszuschlag einbehalten.

4

Gegen den für das Streitjahr ergangenen Einkommensteuerbescheid legten die Kläger Einspruch ein und machten hierbei geltend, dass der [X.] und Revisionskläger (das Finanzamt --[X.]--) zu Unrecht den erweiterten [X.] gemäß § 46 Abs. 5 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden Fassung (EStG 2009) i.V.m. § 70 der im Streitjahr geltenden Fassung der [X.] (EStDV 2000) nicht durchgeführt habe. Bei Anwendung des (erweiterten) [X.]s vermindere sich das zu versteuernde Einkommen um 363 €. Damit konnten die Kläger jedoch nicht durchdringen, weil sich das [X.] auf eine Passage im sog. Grenzgängerhandbuch der [X.] Finanzverwaltung (dort Fach B Teil 3 Nummer 1 [X.] 2) berief, wonach der [X.] in einem Fall wie dem vorliegenden nicht zu gewähren sei. Die dagegen erhobene Klage war erfolgreich. Das Finanzgericht ([X.]) [X.] vermochte keinen sachlichen Grund zu erkennen, den erweiterten [X.] zu versagen (Urteil vom 18. April 2013  3 K 2356/12, Entscheidungen der Finanzgerichte 2014, 1316).

5

Dagegen wendet sich das [X.] mit seiner vom [X.] zugelassenen Revision.

Entscheidungsgründe

6

II. Die Entscheidung ergeht gemäß § 126a der Finanzgerichtsordnung ([X.]O). Der [X.] hält einstimmig die Revision für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Beteiligten sind davon unterrichtet worden und hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.

7

1. Das [X.] hat rechtsfehlerfrei entschieden. Der Kläger unterlag mit seinen von der [X.] bezogenen Einkünften als Grenzgänger gemäß Art. 15a [X.] 1971/1992 im Inland der [X.]. Die Tatsache, dass wegen des ausländischen Arbeit-gebers kein Lohnsteuerabzug durchgeführt wurde, steht der An-wendung der Härtefallregelung des § 46 Abs. 5 EStG 2009 [X.]. § 70 EStDV 2000 nicht entgegen.

8

a) Besteht das Einkommen ganz oder teilweise aus Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit, von denen ein Steuerabzug vorgenommen worden ist, so wird eine Veranlagung nur bei Vorliegen der in § 46 Abs. 2 Nr. 1 bis 8 EStG 2009 aufgeführten besonderen Voraussetzungen durchgeführt. So ist nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 Alternative 1 EStG 2009 etwa dann zu veranlagen, wenn die --um bestimmte Beträge ggf. zu vermindernde-- positive Summe der einkommensteuerpflichtigen Einkünfte, die nicht dem Steuerabzug vom Arbeitslohn zu unterwerfen waren, mehr als 410 € beträgt. Liegen die besonderen Voraussetzungen nicht vor, dann unterbleibt eine Veranlagung (§ 25 Abs. 1 letzter Halbsatz EStG 2009).

9

In denjenigen Fällen, in denen nach § 46 Abs. 2 EStG 2009 die Veranlagung durchzuführen ist, ist gemäß § 46 Abs. 3 Satz 1 EStG 2009 ein Betrag in Höhe der einkommensteuerpflichtigen Einkünfte, von denen der Steuerabzug vom Arbeitslohn nicht vorgenommen worden ist, vom Einkommen abzuziehen, wenn diese Einkünfte insgesamt nicht mehr als 410 € betragen (sog. [X.]). Betragen diese Einkünfte in den Fällen des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG 2009 mehr als 410 €, dann kann durch eine Rechtsverordnung die Besteuerung so gemildert werden, dass auf die volle Besteuerung dieser Einkünfte stufenweise übergeleitet wird (§ 46 Abs. 5 EStG 2009, sog. erweiterter [X.]). Von dieser Ermächtigung hat der Verordnungsgeber Gebrauch gemacht und zum Ausgleich von Härten in § 70 EStDV 2000 Folgendes geregelt: Betragen in den Fällen des § 46 Abs. 2 Nr. 1 bis 7 des Gesetzes die einkommensteuerpflichtigen Einkünfte, von denen der Steuerabzug vom Arbeitslohn nicht vorgenommen worden ist, insgesamt mehr als 410 €, so ist vom Einkommen der Betrag abzuziehen, um den die bezeichneten Einkünfte, vermindert um den auf sie entfallenden Altersentlastungsbetrag (§ 24a des Gesetzes) und den nach § 13 Abs. 3 des Gesetzes zu berücksichtigenden Betrag, niedriger als 820 € sind ([X.]sbetrag). Der [X.]sbetrag darf nicht höher sein als die nach Satz 1 verminderten Einkünfte.

b) Ausgangspunkt der Härtefallregelungen in § 46 Abs. 3 und 5 EStG 2009 ist danach die in § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG 2009 enthaltene 410 €-[X.] für "Nebeneinkünfte" eines Arbeitnehmers, dessen Arbeitslohn als "Haupteinkunftsquelle" bereits im [X.]verfahren der Besteuerung unterworfen wurde. Wird die [X.] unterschritten, dann findet eine dem Vereinfachungszweck des [X.]verfahrens zuwiderlaufende Pflichtveranlagung des Arbeitnehmers nicht allein deshalb statt, um die geringfügigen Nebeneinkünfte der an sich gebotenen Besteuerung zuführen zu können. Dadurch werden die Nebeneinkünfte dieses Arbeitnehmers bis zur "Freigrenze" von 410 € im Ergebnis von der Besteuerung freigestellt. § 46 Abs. 3 EStG 2009 überträgt diese "Freigrenze" der Sache nach auf die [X.] des § 46 Abs. 2 Nr. 2 bis 8 EStG 2009 und sorgt damit für die Gleichbehandlung aller Arbeitnehmer: Auch wenn eine Veranlagung aus den in § 46 Abs. 2 Nr. 2 bis 8 EStG 2009 genannten Gründen erfolgen muss, bleiben Nebeneinkünfte unterhalb von 410 € steuerlich unberücksichtigt (Urteil des [X.] --BFH-- vom 21. Februar 2003 VI R 74/00, [X.], 300, [X.] 2003, 496). Der erweiterte [X.] ergänzt das Entlastungskonzept, indem er die bei einem geringfügigen Überschreiten der "Freigrenze" drohende sprunghafte Mehrbelastung des Arbeitnehmers in einer Übergangszone bis 820 € stufenweise abmildert.

c) Ebenfalls aus Gleichbehandlungsgründen sind die steuerlichen Vergünstigungen, die der einfache und der erweiterte [X.] gewähren, auch solchen Arbeitnehmern zuzugestehen, die mit ihrem von einem ausländischen Arbeitgeber bezogenen Arbeitslohn im Inland unbeschränkt steuerpflichtig sind und mangels Vornahme eines [X.] nicht gemäß § 46 EStG 2009, sondern nach der Grundnorm des § 25 Abs. 1 EStG 2009 zu veranlagen sind. Denn es ist kein sachlicher Grund ersichtlich, diesen Arbeitnehmern den [X.] zu versagen, der ihnen ohne Weiteres zugestanden hätte, wenn sie bei einem inländischen Arbeitgeber beschäftigt gewesen wären (BFH-Urteile vom 7. August 1959 VI 299/57 U, [X.], 538, [X.]I 1959, 462; vom 10. Januar 1992 VI R 117/90, [X.], 52, [X.] 1992, 720, jeweils zu einem in der [X.] beschäftigten Grenzgänger).

Dieser Rechtsprechung schließt sich der [X.] an. Dass diese zur Rechtslage nach dem früher geltenden [X.] 1971 ergangen ist, ist unerheblich. Denn im [X.] hat sich hinsichtlich der Grenzgängerbesteuerung nichts geändert, was für die Frage der analogen Anwendung des § 46 Abs. 3 und 5 EStG 2009 von Bedeutung sein könnte.

2. Nach diesen Grundsätzen ist vom Einkommen der Kläger ein [X.]sbetrag abzuziehen.

a) Beim Kläger wurde im Hinblick auf seine Einkünfte aus seiner Grenzgängertätigkeit zutreffend kein Lohnsteuerabzug vorgenommen, weil sein ausländischer Arbeitgeber hierzu nicht verpflichtet war (§ 38 Abs. 1 EStG 2009). Daher ist der Kläger zwar nicht gemäß § 46 Abs. 2 EStG 2009, wohl aber nach der Grundnorm des § 25 Abs. 1 EStG 2009 zu veranlagen. Die [X.]sregelungen in § 46 Abs. 3 und 5 EStG 2009 sind in diesem Fall analog anzuwenden (BFH-Urteile in [X.], 538, [X.]I 1959, 462, und in [X.], 52, [X.] 1992, 720).

b) Die Grenzgängereinkünfte des Klägers können entgegen der Auffassung der Revision nicht i.S. des § 46 Abs. 3 und 5 EStG 2009 [X.]. § 70 Satz 1 EStDV 2000 als "einkommensteuerpflichtige Einkünfte, von denen der Steuerabzug vom Arbeitslohn nicht vorgenommen worden ist" (nicht lohnversteuerte Nebeneinkünfte), qualifiziert werden und führen im Ergebnis daher auch nicht zu einem (deutlichen) Überschreiten der dort genannten Betragsgrenzen von 410 € und 820 €. Denn es liegt in der Konsequenz der analogen Anwendung der [X.]sregelungen auf [X.], dass der in der [X.] erzielte und im Inland besteuerte Arbeitslohn so behandelt wird, als wäre er aus einem inländischen Beschäftigungsverhältnis unter Vornahme des [X.] bezogen worden (lohnversteuerte Haupteinkünfte). Mit diesem Verständnis wird das Gleichbehandlungsziel, das von den [X.]sregelungen verfolgt wird, entgegen der vom [X.] in der Revisionsbegründung geäußerten Auffassung nicht verfehlt, sondern für Grenzgänger gerade erst erreicht. Ein sachlicher Grund, Grenzgängern im Unterschied zu Inlandsbeschäftigten die materiellen Steuervergünstigungen des § 46 Abs. 3 und 5 EStG 2009 vorzuenthalten, kann weder dem [X.] noch den nationalen Steuervorschriften entnommen werden. Auch das [X.] vermag keinen solchen Grund zu benennen. Sein Hinweis, dass im Streitfall im Hinblick auf den lohnversteuerten Arbeitslohn der Klägerin ein Veranlagungstatbestand nach § 46 Abs. 2 EStG 2009 gegeben sei, ändert an der gleichheitsrechtlichen Problematik nichts. Denn selbst wenn eine Veranlagungspflicht gemäß § 46 Abs. 2 EStG 2009 gegeben sein sollte, so spricht doch nichts dafür, den Klägern materielle Steuervergünstigungen vorzuenthalten, die ihnen ohne Weiteres zustünden, wenn der "ganze Fall in [X.] spielen" würde.

3. Von einer weiter gehenden Begründung sieht der [X.] gemäß § 126a Satz 3 [X.]O ab.

4. [X.] beruht auf § 135 Abs. 2 [X.]O.

Meta

I R 69/13

27.11.2014

Bundesfinanzhof 1. Senat

Beschluss

vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg, 18. April 2013, Az: 3 K 2356/12, Urteil

§ 25 Abs 1 EStG 2009, § 46 Abs 3 EStG 2009, § 46 Abs 5 EStG 2009, § 70 EStDV 2000, Art 15a Abs 1 S 1 DBA CHE 1992, Art 3 Abs 1 GG, EStG VZ 2010, Art 15a Abs 1 S 1 DBA CHE 1971, § 38 Abs 1 EStG 2009

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 27.11.2014, Az. I R 69/13 (REWIS RS 2014, 935)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 935

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