Bundesfinanzhof, Beschluss vom 20.02.2012, Az. III B 207/11

3. Senat | REWIS RS 2012, 8990

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Gegenstand

Beschwerde gegen Verfahrensaussetzung


Leitsatz

1. NV: Die Aussetzung eines finanzgerichtlichen Verfahrens kann geboten sein, wenn vor dem BVerfG ein nicht als aussichtlos erscheinendes Musterverfahren gegen eine im Streitfall anzuwendende Norm anhängig ist, zahlreiche Parallelverfahren vorliegen und keiner der Verfahrensbeteiligten ein besonderes berechtigtes Interesse an einer Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit der umstrittenen gesetzlichen Regelung hat.

2. NV: Setzt ein FG ein Verfahren, in dem es um die Zusammenveranlagung homosexueller Lebenspartner geht, im Hinblick auf die beim BVerfG anhängigen einschlägigen Verfassungsbeschwerden entsprechend § 74 FGO aus, so ist dies ermessensgerecht.

Tatbestand

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I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) beantragte beim Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt --[X.]--) für das [X.] zusammen mit [X.], mit dem er in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft lebt, zur Einkommensteuer veranlagt zu werden. Das [X.] lehnte dies ab und führte für den Kläger eine Einzelveranlagung durch. Dagegen wendet sich dieser mit Einspruch und Klage. Das Finanzgericht ([X.]) setzte das Verfahren durch Beschluss vom 20. Oktober 2011 nach § 74 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) bis zur Entscheidung des [X.] ([X.]) über die dort anhängigen [X.] 2 BvR 909/06 und 2 BvR 288/07 aus.

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Hiergegen richtet sich die Beschwerde des [X.]. Zur Begründung trägt er vor, das [X.] habe die entscheidungserhebliche Rechtsfrage bereits beantwortet, so dass die Entscheidung über die [X.], derentwegen das [X.] das Verfahren ausgesetzt habe, nicht vorgreiflich sei. Die Frage, ob die Partner einer eingetragenen Lebenspartnerschaft einen Anspruch darauf hätten, im Steuerrecht wie Ehegatten behandelt zu werden, habe das [X.] im Beschluss vom 21. Juli 2010  1 [X.], 1 BvR 2464/07 ([X.]E 126, 400, [X.], 1295) bereits mit bindender Wirkung bejaht (vgl. § 31 des Gesetzes über das [X.] --[X.]G--). Diese Bindungswirkung dürfe von einem Fachgericht nicht durch eine Verfahrensaussetzung unterlaufen werden. Auch habe das [X.] seine Verpflichtung verletzt, wegen der Verfassungswidrigkeit der §§ 26, 26b des Einkommensteuergesetzes eine Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) an das [X.] zu richten.

Entscheidungsgründe

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II. Die Beschwerde ist unbegründet und wird durch Beschluss zurückgewiesen (§ 132 [X.]O). Das [X.] hat ermessensfehlerfrei das Verfahren entsprechend § 74 [X.]O ausgesetzt.

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1. Nach § 74 [X.]O kann das Gericht die Aussetzung des Verfahrens u.a. dann anordnen, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet. Die Entscheidung über die Aussetzung des Klageverfahrens entsprechend § 74 [X.]O ist eine Ermessensentscheidung (vgl. Urteil des [X.] vom 18. Juli 1990 [X.], [X.], 409, [X.] 1990, 986). Eine Verfahrensaussetzung kann geboten sein, wenn vor dem [X.] bereits ein nicht als aussichtslos erscheinendes Musterverfahren gegen eine im Streitfall anzuwendende Norm anhängig ist, zahlreiche Parallelverfahren vorliegen und keiner der Verfahrensbeteiligten ein besonderes berechtigtes Interesse an einer Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit der umstrittenen gesetzlichen Regelung trotz des beim [X.] anhängigen Verfahrens hat (z.B. [X.]sbeschlüsse vom 7. Februar 1992 [X.], 25/91, [X.], 418, [X.] 1992, 408; vom 18. September 1992 [X.], [X.], 110, [X.] 1993, 123; vom 10. Februar 1995 [X.]/94, [X.], 435, [X.] 1995, 415; vom 16. Juli 2011 [X.]/10, [X.], 1901).

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2. Ermessensfehlerfrei hat das [X.] die Voraussetzungen für eine Verfahrensaussetzung bejaht. Beim [X.] sind die [X.] ([X.] 2 BvR 909/06, 2 BvR 1981/06 und 2 [X.]/07 anhängig, die [X.] gegen die [X.]surteile vom 26. Januar 2006 [X.] ([X.], 236, [X.] 2006, 515), vom 20. Juli 2006 [X.] ([X.], 347, [X.] 2006, 883) und vom 19. Oktober 2006 [X.]/06 ([X.] 2007, 663) betreffen. In diesen Entscheidungen hatte der [X.] keine verfassungsrechtlichen Bedenken dagegen, dass eingetragene Lebenspartner nicht wie Ehegatten zwischen getrennter Veranlagung und Zusammenveranlagung mit Splittingtarif wählen können, sondern einzeln zur Einkommensteuer zu veranlagen sind und die Einkommensteuer nach der [X.] zu berechnen ist. Nach den Feststellungen des [X.] liegen hierzu zahlreiche Parallelverfahren vor. Ein besonderes berechtigtes Interesse an einer vorzeitigen Entscheidung des [X.] trotz der beim [X.] anhängigen Verfahren wurde vom Kläger nicht geltend gemacht und ist auch nicht ersichtlich.

6

3. [X.] des [X.], das Verfahren auszusetzen, ist entgegen der Rechtsansicht des [X.] nicht deshalb fehlerhaft, weil der zur Ungleichbehandlung von Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft im Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz ergangene Beschluss des [X.] in [X.]E 126, 400, [X.], 1295 möglicherweise Gesichtspunkte enthält, die auch für ein Verfahren, in dem es um die Ungleichbehandlung von Ehen und Lebenspartnerschaften im Einkommensteuerrecht geht, von Bedeutung sein können. Eine Bindung des [X.] an tragende Entscheidungsgründe des [X.]-Beschlusses in [X.]E 126, 400, [X.], 1295 nach § 31 [X.]G ist zu verneinen. Die Bindungswirkung ist auf das überprüfte Gesetz beschränkt (vgl. BFH-Urteil vom 11. August 1999 [X.], [X.], 413, [X.] 1999, 771). Aus diesem Grund bestand auch keine Verpflichtung zu einer Richtervorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG.

Meta

III B 207/11

20.02.2012

Bundesfinanzhof 3. Senat

Beschluss

vorgehend FG Düsseldorf, 20. Oktober 2011, Az: 9 K 1483/11 E, Beschluss

§ 31 BVerfGG, § 26 EStG 2009, § 26b EStG 2009, § 74 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 20.02.2012, Az. III B 207/11 (REWIS RS 2012, 8990)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 8990

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