Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 11.11.2020, Az. 8 C 24/19

8. Senat | REWIS RS 2020, 4345

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Gegenstand

Anfrage bei dem Fünften Senat des Bundesarbeitsgerichts: Anwendbarkeit des § 3 ArbZG auf Fahrer i.S.d. Art. 21 Abs. 1 Satz 1


Tenor

Bei dem [X.] des [X.] wird angefragt, ob dieser an seiner Rechtsauffassung, das [X.] sehe für Fahrer im Sinne des § 21a Abs. 1 [X.] keine kalendertägliche Begrenzung der Höchstarbeitszeit vor, auch insoweit festhält, als danach die Begrenzung der werktäglichen Arbeitszeit auf höchstens zehn Stunden gemäß § 3 Satz 2 [X.] für solche Fahrer nicht gilt.

Gründe

I

1

Die Beteiligten streiten über die Anwendbarkeit des [X.]es auf die bei der Klägerin als LKW-Fahrer beschäftigten Arbeitnehmer. Die Klägerin betreibt eine Einrichtung zur Entsorgung und Verarbeitung von Tierkörpern und anderen tierischen Nebenprodukten. Ihre Fahrer führen den Transport von den Anfallstellen zur Fabrik der Klägerin durch.

2

Mit Bußgeldbescheid vom 11. Juni 2013 setzte der Beklagte gegen den Geschäftsführer der Klägerin eine Geldbuße wegen Verstoßes gegen §§ 3 und 4 [X.] ([X.]) fest. Im Rechtsbeschwerdeverfahren stellte das [X.] das Verfahren nach § 47 Abs. 2 OWiG ein.

3

Im Dezember 2015 hat die Klägerin Klage erhoben und beantragt festzustellen, dass die Arbeitszeiten ihrer Fahrer im Bereich der Entsorgung tierischer Nebenprodukte im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 14 Fahrpersonalverordnung ([X.]) nicht unter die Bestimmungen des [X.]es fallen. Der Beklagte hat widerklagend beantragt festzustellen, dass hinsichtlich des Fahrpersonals der Klägerin § 3 [X.] nicht durch § 21a Abs. 4 [X.] - soweit der Anwendungsbereich der letztgenannten Vorschrift eröffnet ist - verdrängt wird. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen und der Widerklage stattgegeben. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Das [X.] sei nach § 21a Abs. 1 Satz 1 [X.] auf die im Bereich der Entsorgung tierischer Nebenprodukte beschäftigten Fahrer der Klägerin anzuwenden. § 3 [X.] werde durch § 21a Abs. 4 [X.] nicht verdrängt, sondern ergänze dessen Regelungen.

4

Mit der vom Oberverwaltungsgericht zugelassenen Revision macht die Klägerin geltend, das Berufungsurteil verletze § 18 Abs. 1 Nr. 14 [X.] i.[X.]. Art. 13 Abs. 1 Buchst. n der Verordnung ([X.]) Nr. 561/2006 sowie §§ 21a und 3 [X.].

II

5

Gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 des Gesetzes zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des [X.] ([X.]) vom 19. Juni 1968 ([X.] [X.]), zuletzt geändert durch Art. 144 der Verordnung vom 31. August 2015 ([X.] [X.] 1474), ist eine Vorlage an den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des [X.] nur zulässig, wenn der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, auf die zu begründende Anfrage des erkennenden Senats erklärt hat, dass er an seiner Rechtsauffassung festhält. Daher ist zunächst die aus dem Tenor ersichtliche Anfrage an den [X.] des [X.]arbeitsgerichts zu richten.

6

1. Nach Ansicht des erkennenden Senats ist das Berufungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass für Fahrer im Sinne des § 21a Abs. 1 des [X.]es ([X.]) vom 6. Juni 1994 ([X.] [X.] 1170, 1171), zuletzt geändert durch Art. 8 und Art. 11 Abs. 2 Satz 2 des Gesetzes vom 27. März 2020 ([X.] [X.] 575), neben der wöchentlichen Höchstarbeitszeit des § 21a Abs. 4 [X.] auch die Begrenzung der werktäglichen Arbeitszeit gemäß § 3 [X.] gilt, insbesondere die werktägliche Höchstarbeitszeit von zehn Stunden nach Satz 2 der Vorschrift. Daher möchte der Senat die Revision der Klägerin auch in Bezug auf die Widerklage zurückweisen.

7

2. Daran sieht er sich aber gehindert, weil er von der Rechtsprechung des [X.]arbeitsgerichts abwiche.

8

a) Nach dem Urteil des [X.]arbeitsgerichts vom 18. April 2012 - 5 [X.] - ([X.], 796) gilt für Fahrer und Beifahrer im Sinne des § 21a Abs. 1 [X.] nur die wöchentliche Höchstarbeitszeit des § 21a Abs. 4 [X.], nicht aber die werktägliche Höchstarbeitszeit des § 3 [X.]. Für diese Beschäftigten sehe das [X.] eine kalendertägliche Betrachtungsweise nicht vor, vielmehr seien die Grenzen des § 3 [X.] von werktäglich acht bzw. zehn Stunden in die wochenbezogenen Grenzwerte eingeflossen ([X.], Urteil vom 18. April 2012 - 5 [X.] - [X.], 796 Rn. 21).

9

Die zitierte Entscheidung beruht auch auf dieser Annahme. Wegen der arbeitsvertraglichen Vereinbarung einer den jeweiligen gesetzlichen Rahmen ausschöpfenden Arbeitszeit erkannte sie dem damaligen Kläger einen Entgeltanspruch für Überstunden nur für die über die Höchstgrenzen des § 21a Abs. 4 [X.] hinaus geleistete Arbeit zu, ohne zu prüfen, ob innerhalb einzelner in die Durchschnittsberechnung einbezogener Kalenderwochen eine werktägliche Arbeitszeit von zehn Stunden überschritten wurde. Dass solche Überschreitungen vorgekommen waren, legen die seinerzeit vom Berufungsgericht zu Grunde gelegten arbeitsgerichtlichen Feststellungen nahe. Ihnen zufolge wurde in sieben Kalenderwochen der Jahre 2006 bis 2008 jeweils mehr als 60 Stunden (48 Stunden plus mehr als 12 vom Arbeitsgericht als Überstunden gewertete Stunden) gearbeitet, ohne dass Sonn- oder Feiertagsarbeit oder Voraussetzungen einer Ausnahme gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 10 [X.] festgestellt worden wären (vgl. [X.], Urteil vom 9. Februar 2010 - 16 Ca 2561/09 - unter [X.] 7.).

b) Eine entstehende Divergenz gäbe Anlass zu einer Vorlage an den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des [X.]. Die vorgeschaltete Anfrage ist gemäß § 11 Abs. 3 Satz 2 i.[X.]. § 4 Abs. 1 Satz 1 [X.] an den [X.] des [X.]arbeitsgerichts zu richten.

3. Die Rechtsfrage ist entscheidungserheblich. Der erkennende Senat geht davon aus, dass das [X.] auf die Fahrer der Klägerin anwendbar ist. Die Annahme des Berufungsgerichts, die diesbezügliche Klage sei zulässig (a), aber unbegründet (b), ist revisionsrechtlich fehlerfrei. Auch die Widerklage ist zulässig (c).

a) Das Berufungsgericht hat die Feststellungsklage gemäß § 43 Abs. 1 VwGO zu Recht für zulässig gehalten. Zwischen den Beteiligten besteht ein hinreichend konkretes Rechtsverhältnis. Das berechtigte Interesse an der begehrten Feststellung ergibt sich aus der Wiederholungsgefahr wegen drohender weiterer Bußgeldverfahren.

b) Das Berufungsgericht ist ohne Verstoß gegen [X.]recht davon ausgegangen, dass das [X.] auf die Fahrer der Klägerin im Bereich der Entsorgung tierischer Nebenprodukte im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 14 der Verordnung zur Durchführung des Fahrpersonalgesetzes vom 27. Juni 2005 ([X.] [X.] 1882), zuletzt geändert durch Art. 1 der Verordnung vom 8. August 2017 ([X.] [X.] 3158), Anwendung findet.

aa) Nach § 21a Abs. 1 Satz 1 [X.] gelten für die Beschäftigung von Arbeitnehmern als Fahrer oder Beifahrer bei Straßenverkehrstätigkeiten im Sinne der Verordnung ([X.]) Nr. 561/2006 des [X.] und des Rates vom 15. März 2006 zur Harmonisierung bestimmter Sozialvorschriften im Straßenverkehr und zur Änderung der Verordnung ([X.]) Nr. 3821/85 und ([X.]) Nr. 2135/98 des Rates sowie zur Aufhebung der Verordnung ([X.]) Nr. 3820/85 des Rates ([X.] L 102), die Vorschriften dieses Gesetzes, soweit nicht die folgenden Absätze abweichende Regelungen enthalten. Nach den bindenden Feststellungen des Berufungsurteils üben die Fahrer der Klägerin eine Straßenverkehrstätigkeit im Sinne des Art. 2 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung ([X.]) Nr. 561/2006 aus. Ihre Tätigkeit ist nicht nach Art. 3 der Verordnung von deren Anwendungsbereich ausgenommen. Auch § 21a Abs. 2 bis 8 [X.] schließen eine Anwendung des [X.]es auf Fahrer und Beifahrer im Sinne von Absatz 1 Satz 1 der Vorschrift nicht aus; die in ihnen für dessen Anwendungsbereich getroffenen Spezialregelungen verdrängen sonstige Vorschriften des Gesetzes lediglich, soweit sie jeweils von diesen abweichen.

bb) § 21a Abs. 1 Satz 2 [X.] steht der Anwendung des [X.]es auf solche Fahrer und Beifahrer ebenfalls nicht entgegen. Nach seinem Wortlaut bleiben die Vorschriften der Verordnung ([X.]) Nr. 561/2006 und des [X.] unberührt. Daraus, aus dem systematischen Zusammenhang und aus der Entstehungsgeschichte der Norm ergibt sich, dass dem [X.] neben den Regelungen über Lenk- und Ruhezeiten eine eigenständige Bedeutung zukommt.

[X.] regelt die gesamte Zeitspanne zwischen Arbeitsbeginn und Arbeitsende ohne die Ruhepausen (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 1 [X.]; Art. 3 Buchst. a Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 der Richtlinie 2002/15/[X.] des [X.] und des Rates vom 11. März 2002 zur Regelung der Arbeitszeit von Personen, die Fahrtätigkeiten im Bereich des [X.] ausüben ([X.] Nr. L 80 S. 35, nachfolgend: [X.]). Dagegen begrenzen die Vorschriften der Verordnung ([X.]) Nr. 561/2006 über die Lenk- und Ruhezeiten die in die Arbeitszeit fallende, sie aber nicht zwangsläufig völlig ausfüllende Fahrtätigkeit (vgl. die auf die Arbeitszeit im Sinne der [X.] Bezug nehmende Definition "anderer Arbeiten" in Art. 4 Buchst. e der Verordnung).

§ 21a [X.] dient der Umsetzung der [X.] in nationales Recht und nimmt den in Art. 2 Abs. 4 dieser Richtlinie festgelegten Vorrang der Regelung über die Lenk- und Ruhezeiten ausdrücklich in das Gesetz auf, um Rechtsunsicherheiten zu vermeiden (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des [X.], Bau und Stadtentwicklung vom 31. Mai 2006, [X.]. 16/1685 S. 12, zur entsprechenden Vorgängerverordnung 3820/85/[X.]). Danach gehen die Vorschriften über die Lenk- und Ruhezeiten in ihrem Geltungsbereich den arbeitszeitrechtlichen Regelungen vor, ohne deren ergänzende Anwendung auf Fahrer im Sinne des § 21a Abs. 1 Satz 1 [X.] auszuschließen. Dies wird durch teleologische Erwägungen bestätigt. [X.] dient der Sicherheit und dem Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer (§ 1 Nr. 1 [X.]). Die [X.] verfolgt neben dem Zweck, die Sicherheit und Gesundheit des Fahrpersonals zu schützen, auch das Ziel, die Straßenverkehrssicherheit zu gewährleisten sowie die Wettbewerbsbedingungen anzugleichen (Erwägungsgründe 4 und 10 sowie Art. 1 der [X.]). Diese Ziele verfolgt auch die Verordnung ([X.]) Nr. 561/2006 (Erwägungsgründe 17 und 22 sowie Art. 1 der Verordnung). Die parallele unionsrechtliche Zielsetzung beider Regelungsbereiche berücksichtigt, dass nicht nur die [X.], sondern auch die darüber hinausgehende Arbeitszeit des Fahrpersonals (beispielsweise das Be- und Entladen des Fahrzeugs) Einfluss auf dessen Gesundheit und die Straßenverkehrssicherheit hat. Dem widerspräche es, auf das Fahrpersonal nur die Regelungen über die Lenk- und Ruhezeiten, nicht aber die Bestimmungen über die höchstzulässige Arbeitszeit anzuwenden.

cc) Die Annahme des Berufungsgerichts, das Fahrpersonal der Klägerin sei von der Anwendung des [X.]es nicht schon wegen der Privilegierung nach § 2 Nr. 3 Buchst. a des Gesetzes über das Fahrpersonal von Kraftfahrzeugen und Straßenbahnen (Fahrpersonalgesetz - [X.]) i.d.F. der Bekanntmachung vom 19. Februar 1987 ([X.] [X.] 640) zuletzt geändert durch Art. 138 des Gesetzes vom 20. November 2019 ([X.] [X.] 1626), § 18 Abs. 1 Nr. 14 [X.] ausgenommen, ist revisionsrechtlich fehlerfrei. Die Ausnahmebestimmung des § 18 Abs. 1 Nr. 14 [X.] erstreckt sich nicht auf die Arbeitszeit der Fahrer.

Nach § 18 Abs. 1 Nr. 14 [X.] sind Fahrzeuge, die in einem Umkreis von 250 km vom Standort des Unternehmens zum Transport tierischer Nebenprodukte verwendet werden, von der Anwendung der Art. 5 bis 9 der Verordnung ([X.]) Nr. 561/2006 ausgenommen. Diese Ausnahmeregelung macht von der gesetzlichen Ermächtigung in § 2 Nr. 3 Buchst. a und b [X.] nicht durch Modifizierungen der Arbeitszeitgrenzen, sondern nur in Bezug auf die [X.]en, Ruhezeiten und [X.] Gebrauch. Nur darauf erstreckt sich auch die den Mitgliedstaaten in Art. 13 Abs. 1 Buchst. n der Verordnung ([X.]) Nr. 561/2006 eingeräumte Befugnis, für Fahrzeuge, die zur Beförderung von tierischen Abfällen oder von nicht für den menschlichen Verzehr bestimmten Tierkörpern verwendet werden, Abweichungen von den Art. 5 bis 9 der Verordnung zuzulassen. Die Ausnahme von den [X.]en des Art. 6 der Verordnung ([X.]) Nr. 561/2006 ist ebenfalls auf diesen Regelungsgegenstand beschränkt. Aus der Bezugnahme des Art. 6 Abs. 2 der Verordnung ([X.]) Nr. 561/2006 auf die [X.] folgt nichts Anderes. Nach Art. 6 Abs. 2 der Verordnung ([X.]) Nr. 561/2006 darf die wöchentliche [X.] 56 Stunden nicht überschreiten und nicht dazu führen, dass die in der [X.] festgelegte wöchentliche Höchstarbeitszeit überschritten wird. Diese Bestimmung unterstreicht, dass Lenk- und Arbeitszeitregelungen nebeneinander anzuwenden sind.

dd) Die von der Klägerin aufgeworfene Frage:

Ist Art. 13 Abs. 1 der Verordnung ([X.]) Nr. 561/2006 so auszulegen, dass eine nach dieser Vorschrift durch den Mitgliedstaat zugelassene Abweichung des Inhalts, bestimmte Fahrtätigkeiten von den Vorgaben über [X.]en des Art. 6 der Verordnung ([X.]) Nr. 561/2006 auszunehmen, zugleich zur Folge hat, dass die Regelungen über die Arbeitszeit der Personen, die diese Fahrtätigkeiten ausüben, insbesondere die Vorgaben der Richtlinie 2002/15/[X.] bzw. der zu ihrer Umsetzung erlassenen nationalen Rechtsvorschriften für diese Fahrtätigkeiten nicht gelten,

gibt keinen Anlass, eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der [X.] einzuholen, weil die Voraussetzungen des Art. 267 A[X.]V nicht erfüllt sind. Nach dem eindeutigen Wortlaut der Art. 6 und 13 Abs. 1 der zitierten Verordnung sowie dem in Art. 2 Abs. 4 der [X.] klargestellten systematischen Verhältnis der unionsrechtlichen Lenk- und Arbeitszeitregelungen ist die aufgeworfene Frage derart offenkundig zu verneinen, dass - auch unter Berücksichtigung der Eigenheiten des Gemeinschaftsrechts, der besonderen Schwierigkeiten seiner Auslegung und der Gefahr voneinander abweichender mitgliedstaatlicher Gerichtsentscheidungen - keinerlei Raum für vernünftige Zweifel bleibt (acte clair, vgl. [X.], Urteile vom 6. Oktober 1982 - [X.]/81 [[X.]:[X.]:C:1982:335], [X.] - Slg. 1982 [X.] Rn. 16 ff. und vom 15. September 2005 - [X.]/03 [[X.]:[X.]:C:2005:552], [X.]. 2005, [X.] Rn. 33). Wie bereits dargelegt, betreffen die [X.] und die Verordnung ([X.]) Nr. 561/2006 verschiedene Regelungsgegenstände. Die in Art. 13 Abs. 1 der Verordnung enthaltene Ermächtigung zu Abweichungen von Art. 6 der Verordnung deckt nur abweichende [X.] und nicht auch Arbeitszeitregelungen. Zulässige Abweichungen bezüglich der [X.] können deshalb keine Arbeitszeitvorschriften suspendieren. Diese Auslegung steht im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung des Gerichtshofs. Danach betrifft die [X.]regelung der - inzwischen durch die Verordnung ([X.]) Nr. 561/ 2006 abgelösten - Verordnung Nr. 3820/ 85 nur eine der Gefahrenquellen für die Sicherheit des Straßenverkehrs, nämlich zu lange [X.]en des Fahrpersonals; sie wird durch die Richtlinie 2002/15/[X.] über die Arbeitszeit des Fahrpersonals mit Blick auf Gefahren wegen der übermäßigen Häufung anderer Tätigkeiten "sachgerecht ergänzt" ([X.], Urteil vom 9. September 2004 - [X.]/02 und [X.]/02 [[X.]:[X.]:[X.]], [X.] und [X.] - Slg. 2004 [X.] und Rn. 36).

c) Die Widerklage ist gemäß § 89 Abs. 1 Satz 1 VwGO zulässig, weil der Gegenanspruch mit dem in der Klage geltend gemachten Anspruch zusammenhängt. Beide resultieren aus demselben zwischen den Beteiligten bestehenden Rechtsverhältnis und finden ihren Ursprung in demselben Lebenssachverhalt. Die Widerklage ist auch als Feststellungsklage zulässig. Der Beklagte kann sich wegen der nach wie vor streitigen Befugnis, gegenüber der Klägerin die werktägliche Begrenzung der Höchstarbeitszeit durchzusetzen, auf ein berechtigtes Feststellungsinteresse berufen und ist insoweit entsprechend § 42 Abs. 2 VwGO klagebefugt. Er kann nicht darauf verwiesen werden, zur Klärung des Rechtsverhältnisses einen Feststellungsbescheid zu erlassen, weil die Klägerin für diesen Fall eine weitere gerichtliche Auseinandersetzung angekündigt hat.

III

Der Senat versteht § 21a Abs. 4 [X.] nicht als abschließende Regelung der Höchstarbeitszeit für Fahrer und Beifahrer im Sinne des Absatzes 1 der Norm, sondern als Spezialregelung, die gemäß § 21a Abs. 1 Satz 1 [X.] eine ergänzende Anwendung des § 3 [X.] unter Berücksichtigung der in § 21a Abs. 2 bis 8 [X.] geregelten Abweichungen (etwa bezüglich der Arbeitszeitdefinition gemäß Absatz 3) zulässt.

1. In Rechtsprechung und Literatur ist die Frage, ob § 21a Abs. 4 [X.] eine abschließende, § 3 [X.] verdrängende Regelung der Höchstarbeitszeit von Fahrern im Sinne des § 21a Abs. 1 Satz 1 [X.] darstellt, umstritten.

a) Die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung geht im Anwendungsbereich des § 21a Abs. 1 Satz 1 [X.] davon aus, dass § 3 [X.] durch § 21a Abs. 4 [X.] nicht verdrängt wird, sondern neben diesem anzuwenden ist (vgl. die hier angegriffenen vorinstanzlichen Entscheidungen sowie [X.], Urteil vom 12. März 2015 - 17 K 3507/14 - juris Rn. 34). Diese Auffassung vertritt - mindestens bezüglich der werktäglichen Höchstarbeitszeitgrenze von zehn Stunden - auch ein Teil der Literatur (vgl. Gäntgen, in: Henssler/[X.]/Kalb, Arbeitsrecht, 9. Aufl. 2020, § 21a [X.] Rn. 7; [X.], in: [X.]/[X.], Strafrechtliche Nebengesetze, Stand Juli 2020, § 21a [X.] Rn. 9; Jerchel, in: [X.]/[X.], [X.], 2. Aufl. 2018, § 3 [X.] Rn. 60; wohl auch [X.], in: [X.]/[X.], [X.], 2. Aufl. 2018, § 21a [X.] Rn. 11; [X.], in: [X.]/[X.], [X.], 2019, § 21a Rn. 33 f.; [X.]/[X.], in: Kohte/[X.]/Feldhoff , Gesamtes Arbeitsschutzrecht, 2. Aufl. 2018, § 21a [X.] Rn. 17).

b) Andere Kommentierungen folgen der vom [X.]arbeitsgericht begründeten Auslegung des § 21a Abs. 4 [X.] als abschließender Höchstarbeitszeitregelung, die § 3 [X.] vollständig verdrängt (so etwa [X.]/[X.]/Winzer, [X.], 4. Aufl. 2020, § 21a Rn. 22; [X.], in: [X.] Arbeitsrecht, Stand Juni 2020, § 21a [X.] Rn. 18; [X.]/[X.], [X.], 16. Aufl. 2013, § 21a Rn. 7 und § 3 Rn. 11; [X.], in: [X.][X.], Gewerbeordnung, Stand Februar 2020, § 21a [X.] Rn. 11; [X.], in: Kohte/[X.]/Feldhoff , Gesamtes Arbeitsschutzrecht, 2. Aufl. 2018, § 3 [X.] Rn. 48; [X.], [X.], 4. Aufl. 2020, § 3 Rn. 109; wohl auch [X.], in: [X.]/[X.], [X.], 2. Aufl. 2004, § 3 [X.] Rn. 37).

2. Aus der Sicht des erkennenden Senats überwiegen die Argumente für eine ergänzende Anwendbarkeit des § 3 [X.].

a) Der Wortlaut der Regelungen lässt eine solche Auslegung zu. § 3 Satz 1 [X.] begrenzt die werktägliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer auf acht Stunden. Sie kann nach Satz 2 der Vorschrift auf bis zu zehn Stunden nur verlängert werden, wenn innerhalb von sechs Kalendermonaten oder innerhalb von 24 Wochen im Durchschnitt acht Stunden werktäglich nicht überschritten werden. § 21a Abs. 4 Satz 1 [X.] bestimmt, dass die Arbeitszeit von Fahrern und Beifahrern im Sinne des § 21a Abs. 1 Satz 1 [X.] 48 Stunden wöchentlich nicht überschreiten darf. Sie kann nach § 21a Abs. 4 Satz 2 [X.] auf bis zu 60 Stunden verlängert werden, wenn innerhalb von vier Kalendermonaten oder 16 Wochen im Durchschnitt 48 Stunden wöchentlich nicht überschritten werden. Nach § 21a Abs. 1 Satz 1 [X.] verdrängt die in § 21a Abs. 4 [X.] getroffene Spezialregelung für Fahrer und Beifahrer andere Vorschriften des Gesetzes nur, soweit sie von diesen abweicht. Das trifft jedenfalls auf die [X.] zu, die durch § 21a Abs. 4 i.[X.]. Abs. 2 [X.] gegenüber § 3 Satz 2 [X.] modifiziert, nämlich nach Kalender- statt [X.] berechnet und verkürzt werden. Dagegen lässt sich der Formulierung des § 21a Abs. 4 [X.] nicht entnehmen, dass damit zugleich jede werktägliche Begrenzung der Höchstarbeitszeit gemäß § 3 [X.] ausgeschlossen werden soll.

b) Die Entstehungsgeschichte des § 21a [X.] spricht gegen einen abschließenden Charakter der Regelung. Sie dient der Umsetzung der [X.], die laut Art. 1 nur Mindestvorschriften für die Gestaltung der Arbeitszeit des Fahrpersonals festlegt. Nach Art. 10 Satz 1 der Richtlinie bleibt die Befugnis der Mitgliedstaaten unberührt, günstigere Vorschriften für das Fahrpersonal zu erlassen und ein im Vergleich zur Richtlinie höheres Schutzniveau der Arbeitnehmer zu gewähren. Art. 10 Satz 2 der Richtlinie verbietet ausdrücklich, deren Umsetzung als Begründung für ein Absenken des generellen Schutzniveaus der Arbeitnehmer heranzuziehen.

Dementsprechend ging der nationale Gesetzgeber bei Erlass des § 21a [X.] davon aus, dass dessen Absatz 4 die wöchentliche Höchstarbeitszeit des Fahrpersonals "ergänzend zu § 3" des Gesetzes regele. "Neben" der dort normierten werktäglichen Höchstarbeitszeit dürfe die Höchstarbeitszeit pro Woche 48 Stunden nicht übersteigen (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des [X.], Bau und Stadtentwicklung vom 31. Mai 2006, [X.]. 16/1685 S. 13). Auch im Übrigen hielt er nur einige Anpassungen - etwa bei der Definition der Woche (vgl. § 21a Abs. 2 [X.]; Art. 3 Buchst. g der [X.]) - für erforderlich, weil das [X.] im Wesentlichen bereits den Vorgaben der [X.] entspreche ([X.]. 16/1685 S. 12). Er ließ damit deutlich erkennen, dass er den bislang durch das [X.] gewährten Schutz für die von der [X.] erfassten Arbeitnehmer nicht aus Anlass der [X.] absenken, sondern die über das Schutzniveau der Richtlinie hinausgehende Höchstarbeitszeitregelung auch für diese [X.] beibehalten wollte. Andernfalls würde die werktägliche zeitliche Inanspruchnahme solcher Arbeitnehmer nur durch die Lenk- und Ruhezeitenregelungen begrenzt. Danach dürfte die tägliche [X.] bis zu zweimal wöchentlich von höchstens neun auf höchstens zehn Stunden verlängert werden, ohne dass am selben Tag eine Beschäftigung mit außerhalb der [X.] zu erbringenden, nach § 2 Abs. 1 i.[X.]. § 21a Abs. 3 [X.] ebenfalls als Arbeitszeit anzurechnenden anderen Arbeiten ausgeschlossen wäre (vgl. § 1 Abs. 1 [X.] i.[X.]. Art. 6 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 der Verordnung ([X.]) Nr. 561/2006).

c) Der systematische Zusammenhang spricht ebenfalls für eine ergänzende Anwendbarkeit des § 3 [X.]. Nach § 21a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 [X.] kann in einem Tarifvertrag oder aufgrund eines Tarifvertrages in einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung zugelassen werden, die Arbeitszeit abweichend von Absatz 4 sowie den §§ 3 und 6 Abs. 2 festzulegen, wenn objektive, technische oder arbeitszeitorganisatorische Gründe vorliegen. Das setzt voraus, dass § 3 [X.] für die in den Anwendungsbereich des § 21a Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 [X.] fallenden Fahrer und Beifahrer gilt.

Dies führt auch nicht zu systematischen Widersprüchen. Die Begrenzung der werktäglichen Höchstarbeitszeit auf zehn Stunden gemäß § 3 Satz 2 [X.] vermittelt den Fahrern auch, wenn die Modifizierung des Arbeitszeitbegriffs durch § 21a Abs. 3 [X.] berücksichtigt wird, einen über die Begrenzung der kalenderwöchentlichen Höchstarbeitszeit gemäß § 21 Abs. 4 [X.] hinausgehenden Schutz.

d) Für die ergänzende Anwendbarkeit des § 3 [X.] und gegen dessen völlige Verdrängung durch § 21a Abs. 4 [X.] sprechen schließlich Sinn und Zweck der Regelungen. Die im [X.] eingeführte werktägliche Regelarbeitszeit von acht Stunden dient dem Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer. Bei Erlass des [X.]es 1994 hielt der Gesetzgeber an dem Grundsatz des [X.] ausdrücklich fest, weil er nach den bisherigen arbeitswissenschaftlichen und arbeitsmedizinischen Erkenntnissen und Erfahrungen eine gesetzliche Regelung der täglichen Höchstarbeitszeit zum Schutz der Gesundheit der Arbeitnehmer für erforderlich hielt (vgl. den Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Vereinheitlichung und Flexibilisierung des [X.]s - [X.]sgesetz - vom 13. Oktober 1993 - [X.]. 12/5888 S. 20, 22, insbesondere [X.]). Diese Überlegungen trafen und treffen auch auf das Fahrpersonal zu. Dessen Gesundheit wird - ebenso wie die anderer Arbeitnehmer - durch eine über die Grenzen des § 3 [X.] hinausgehende werktägliche Arbeitszeit beeinträchtigt. Außerdem wirkt sich eine Überbeanspruchung bei Übermüdung auch auf die Straßenverkehrssicherheit aus. Dass die [X.] unter anderem bezweckt, Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden (vgl. Erwägungsgrund 10 und Art. 1 der Richtlinie), steht der ergänzenden Anwendung des § 3 [X.] nicht entgegen. Art. 1 und 10 der [X.] lassen keinen Zweifel daran, dass Wettbewerbsverzerrungen nicht durch ein Absenken des Schutzstandards beseitigt werden sollen, sondern durch die Gewährleistung unionsweit gleicher Mindeststandards ohne Reduzierung des mitgliedstaatlich bereits erreichten Schutzniveaus.

Meta

8 C 24/19

11.11.2020

Bundesverwaltungsgericht 8. Senat

Beschluss

Sachgebiet: C

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 10. Oktober 2019, Az: 4 A 1337/17, Urteil

Art 1 EGRL 15/2002, Art 2 Abs 4 EGRL 15/2002, Art 6 EGV 561/2006, Art 13 EGV 561/2006, § 11 Abs 3 S 2 RsprEinhG, § 3 ArbZG, § 21a Abs 1 S 1 ArbZG, § 21a Abs 2 ArbZG, § 21a Abs 3 ArbZG, § 21a Abs 4 ArbZG, § 21a Abs 6 ArbZG, § 2 Nr 3 Buchst a FahrpersStG, § 18 Abs 1 Nr 14 FPersV

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 11.11.2020, Az. 8 C 24/19 (REWIS RS 2020, 4345)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 4345

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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5 AZR 195/11

5 AS 2/21

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