Bundesfinanzhof, Urteil vom 03.02.2011, Az. VI R 4/10

6. Senat | REWIS RS 2011, 9786

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Gegenstand

Kein Zufluss von Arbeitslohn bei Gehaltsverzicht ohne wirtschaftlichen Ausgleich - Beherrschender Gesellschafter


Leitsatz

Verzichtet ein Gesellschafter-Geschäftsführer gegenüber der Gesellschaft auf bestehende oder künftige Entgeltansprüche, so fließen ihm insoweit keine Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit zu, als er dadurch eine tatsächliche Vermögenseinbuße erleidet .

Tatbestand

1

I. Streitig ist die Nachversteuerung vertraglich zugesagten, aber nicht zur Auszahlung gebrachten [X.]es.

2

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist Rechtsnachfolger einer GmbH, an deren Kapital er und seine Ehefrau mit je 50 % beteiligt waren. Im Gesellschaftsvertrag war vereinbart, dass [X.] der einfachen Mehrheit bedürfen, wobei die Abstimmung nach Geschäftsanteilen (je 1.000 DM eine Stimme) erfolgte. Mit Anstellungsvertrag vom 30. November 1995 (§ 1) wurde der Kläger zum alleinvertretungsberechtigten Geschäftsführer bestellt. Er war von den Beschränkungen des § 181 des Bürgerlichen Gesetzbuchs befreit. Nach § 4 des Anstellungsvertrages hatte er Anspruch auf ein monatliches Gehalt von 6.000 DM. Darüber hinaus wurde ihm ein [X.] in Höhe eines Monatsgehaltes zugesichert. Am 25. Juli 1996, 31. Dezember 1997, 1. Juni 2000 und 31. Dezember 2000 erfolgten das Gehalt sowie das [X.] betreffende Ergänzungen zum Anstellungsvertrag. Obwohl sich die GmbH nicht in Zahlungsschwierigkeiten befand, wurde dem Kläger das vereinbarte [X.] in den Jahren 1998 bis 2001 (9.500 DM in 1998, 10.000 DM in 1999, 12.625 DM in 2000 und 14.599 DM in 2001) in Höhe von insgesamt 46.724 DM (= 23.889,60 €) nicht ausgezahlt. Entsprechende Nachträge zum [X.] hierzu wurden nicht vorgenommen. Unstreitig hatte die [X.] auch weder als Aufwand gebucht noch dafür entsprechende Passivposten in ihrer Bilanz ausgewiesen.

3

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --[X.]--) nahm im [X.] an eine für den streitigen Zeitraum 1. Januar 1998 bis 31. Oktober 2002 durchgeführte [X.] die GmbH mit Haftungsbescheid für Lohn- und Kirchensteuer einschließlich Solidaritätszuschlag der Jahre 1998 bis 2002 in Anspruch, soweit für das [X.] keine Lohnsteuer einbehalten worden war. Das [X.] war der Auffassung, dass bei einem beherrschenden Gesellschafter nach der Rechtsprechung des [X.] ([X.]) eine Forderung bei Fälligkeit als zugeflossen gelte und dies auch vorliegend für das vertraglich zugesagte [X.] gelten müsse, nachdem der Kläger darauf nicht klar, eindeutig und im Voraus verzichtet habe.

4

Der nach erfolglosem Vorverfahren erhobenen Klage gab das [X.] ([X.]) mit den in Entscheidungen der [X.]e 2010, 1785 veröffentlichten Gründen statt.

5

Mit der Revision rügt das [X.] die Verletzung von § 11 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Das [X.] habe verkannt, dass das [X.] dem Kläger mit Fälligkeit zugeflossen sei.

6

Es beantragt,

das Urteil des Thüringer [X.] vom 18. Februar 2009 [X.] 1027/05 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

7

Der Kläger beantragt,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

8

II. 1. Die Revision ist zulässig, aber unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Das [X.] hat im Ergebnis zu Recht entschieden, dass der angefochtene Haftungsbescheid rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt. Denn die GmbH war wegen des streitigen [X.] nicht zum Lohnsteuerabzug verpflichtet.

9

a) Nach § 38 Abs. 3 Satz 1 EStG hat der Arbeitgeber die Lohnsteuer für Rechnung des Arbeitnehmers bei jeder Lohnzahlung vom Arbeitslohn einzubehalten und abzuführen (§ 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG). Nach § 38 Abs. 2 Satz 2 EStG entsteht die Lohnsteuer jedoch erst in dem Zeitpunkt, in dem der Arbeitslohn dem Arbeitnehmer zufließt.

b) Geldbeträge fließen dem Steuerpflichtigen in der Regel dadurch zu, dass sie bar ausgezahlt oder einem Konto des Empfängers bei einem Kreditinstitut gutgeschrieben werden. Jedoch kann auch eine Gutschrift in den Büchern des Verpflichteten einen Zufluss bewirken, wenn in der Gutschrift nicht nur das buchmäßige Festhalten einer Schuldbuchverpflichtung zu sehen ist, sondern darüber hinaus zum Ausdruck kommt, dass der Betrag dem Berechtigten von nun an zur Verfügung steht. Allerdings muss der Gläubiger in der Lage sein, den [X.] ohne weiteres Zutun des im Übrigen leistungsbereiten und leistungsfähigen Schuldners herbeizuführen (ständige Rechtsprechung, vgl. etwa [X.]-Urteile vom 2. November 1962 VI 284/61 S, [X.], 270, [X.]I 1963, 96; vom 14. Mai 1982 VI R 124/77, [X.], 542, [X.] 1982, 469; vom 14. Februar 1984 VIII R 221/80, [X.], 542, [X.] 1984, 480; vom 2. März 1993 [X.], [X.], 48, [X.] 1993, 602; vom 24. März 1993 [X.]/91, [X.], 191, [X.] 1993, 499; vom 2. September 1994 VI R 35/94, [X.] 1995, 208; vom 11. Mai 1999 [X.], [X.] 2000, 18; vom 30. Oktober 2001 [X.], [X.], 126, [X.] 2002, 138; vom 18. Dezember 2001 [X.], [X.] 2002, 643, m.w.[X.]; vom 28. Oktober 2008 [X.], [X.], 166, [X.] 2009, 190, und vom 11. Februar 2010 [X.]/08, [X.] 2010, 1094).

c) Da sich die Erlangung der wirtschaftlichen Verfügungsmacht nach den tatsächlichen Verhältnissen richtet (vgl. [X.]-Urteil vom 12. April 2007 [X.], [X.], 555, [X.] 2007, 719, m.w.[X.]), kann das [X.] § 11 EStG nicht fingiert werden. Eine Ausnahme macht die Rechtsprechung hiervon lediglich bei beherrschenden [X.]ern einer Kapitalgesellschaft. Bei diesen wird angenommen, dass sie über eine von der [X.] geschuldete Vergütung bereits im Zeitpunkt der Fälligkeit verfügen können und ihnen damit entsprechende Einnahmen zugeflossen sind ([X.]-Urteile in [X.], 542, [X.] 1984, 480, unter 2.b; vom 16. November 1993 [X.], [X.], 322, [X.] 1994, 632). Allerdings werden von dieser Zuflussfiktion (vgl. [X.]/[X.], EStG, 29. Aufl., § 11 Rz 10) nur Gehaltsbeträge und sonstige Vergütungen erfasst, die die Kapitalgesellschaft den sie beherrschenden [X.]ern schuldet und die sich bei der Ermittlung ihres Einkommens ausgewirkt haben ([X.]-Urteil vom 11. Februar 1965 [X.], [X.], 440, [X.]I 1965, 407).

d) Hingegen sind nach der Rechtsprechung des [X.] keine Einnahmen zugeflossen, wenn der Gläubiger ([X.]er) gegenüber dem Schuldner ([X.]) auf bestehende oder künftige Ansprüche ohne Ausgleich verzichtet und dadurch eine Vermögenseinbuße erleidet (Beschluss des Großen Senats des [X.] vom 9. Juni 1997 GrS 1/94, [X.]E 183, 187, [X.] 1998, 307, m.w.[X.]). Etwas anderes gilt nur, wenn der verzichtende [X.]er den Erlass gewährt und dadurch eine (verdeckte) Einlage leistet. Denn hierdurch erleidet er keine Vermögenseinbuße, sondern bewirkt eine Umschichtung seines Vermögens (Beschluss des Großen Senats des [X.] in [X.]E 183, 187, [X.] 1998, 307).

2. Nach diesen Grundsätzen hat das [X.] vorliegend im Ergebnis zutreffend darauf erkannt, dass dem Kläger das streitige [X.] weder tatsächlich (a) noch bei Fälligkeit (b) oder im Wege einer verdeckten Einlage (c) zugeflossen ist.

a) Nach den bindenden Feststellungen der Vorinstanz (§ 118 [X.]O) sind dem Kläger im Haftungszeitraum die streitigen [X.] weder bar ausgezahlt noch auf ein für ihn bei einem Kreditinstitut bestehendes Konto überwiesen worden. Auch ist nach den Feststellungen des [X.] nicht ersichtlich, dass ihm die streitigen Beträge in den Büchern der GmbH gutgeschrieben worden sind. Somit hat der Kläger vorliegend keine Verfügungsmacht über die streitigen [X.] erlangt.

b) Die von der GmbH nicht ausgezahlten Beträge gelten dem Kläger auch nicht mit Fälligkeit des [X.] als zugeflossen. Denn die Grundsätze über den Zufluss von Einnahmen bei einem beherrschenden [X.]er sind vorliegend nicht anzuwenden.

Zum einen haben sich die streitigen Beträge bei der Ermittlung des Einkommens der GmbH nicht ausgewirkt. Denn sie sind unstreitig in den Büchern der [X.] nicht als Gehaltsaufwand erfasst worden. Schon deshalb kommt vorliegend ein Zufluss bei Fälligkeit nicht in Betracht. Zum anderen war der Kläger im Haftungszeitraum kein beherrschender [X.]er der GmbH. Dies verkennt das [X.]. Der Kläger war nach den nicht angefochtenen Feststellungen des [X.] lediglich zu 50 % am Stammkapital der GmbH beteiligt und besaß keine Stimmrechtsmehrheit. In einem solchen Fall ist der [X.]er kein beherrschender (vgl. [X.]-Urteil vom 5. Oktober 2004 [X.], [X.] 2005, 526). Denn eine beherrschende Stellung eines GmbH-[X.]ers liegt im Regelfall vor, wenn der [X.]er die Mehrheit der Stimmrechte besitzt und deshalb bei [X.]erversammlungen entscheidenden Einfluss ausüben kann. Im Allgemeinen ist das erst der Fall, wenn der [X.]er, der durch Leistungen der Kapitalgesellschaft Vorteile erhält, mehr als 50 % der Stimmrechte hat (vgl. z.B. [X.]-Urteile vom 13. Dezember 1989 [X.], [X.]E 159, 338, [X.] 1990, 454; vom 26. Juli 1978 I R 138/76, [X.]E 125, 557, [X.] 1978, 659; vom 21. Oktober 1981 [X.]/78, [X.]E 134, 315, [X.] 1982, 139; vom 8. Januar 1969 [X.], [X.]E 95, 215, [X.] 1969, 347).

Hält ein [X.]er --wie im Streitfall der [X.] nicht mehr als 50 % der [X.]santeile, kann er nach ständiger Rechtsprechung einem beherrschenden [X.]er gleichgestellt werden, wenn er mit anderen gleichgerichtete materielle, d.h. finanzielle Interessen verfolgenden [X.]ern zusammenwirkt, um eine ihren [X.]erinteressen entsprechende Willensbildung der Kapitalgesellschaft herbeizuführen (vgl. z.B. [X.]-Urteile vom 4. Dezember 1991 [X.]/90, [X.]E 166, 279, [X.] 1992, 362, m.w.[X.]; vom 13. Dezember 1989 [X.]/84, [X.] 1990, 455; vom 28. Februar 1990 [X.], [X.]E 160, 192, [X.] 1990, 649; vom 10. März 1993 [X.], [X.], 58, [X.] 1993, 635, m.w.[X.]). Tatsachen, die vorliegend auf gleichgerichtete materielle Interessen der beiden im nämlichen Umfang an der GmbH beteiligten [X.]er schließen lassen, sind im Streitfall jedoch weder festgestellt noch vorgetragen. Allein der Umstand, dass die [X.]er Eheleute sind, kann eine entsprechende Vermutung jedenfalls nicht begründen (vgl. Beschluss des [X.] vom 12. März 1985  1 BvR 571/81, 1 BvR 494/82, 1 BvR 47/83, [X.] 69, 188, [X.] 1985, 475). Schon deshalb kann die anders lautende Erkenntnis des [X.], beim Kläger habe es sich um einen beherrschenden [X.]er gehandelt, den erkennenden Senat nicht binden.

Ein Zufluss des [X.] bereits mit Fälligkeit kommt im Streitfall daher nicht in Betracht. Die vom [X.] aufgeworfene Frage, ob der Kläger rechtzeitig vor Fälligkeit wirksam auf seinen Anspruch auf [X.] verzichtet hat, braucht der Senat deshalb nicht zu entscheiden. Denn sie ist vorliegend ohne Bedeutung.

c) Schließlich hat der Kläger durch den Verzicht auf das [X.] keine Zufluss begründende (weil vermögensumschichtende) verdeckte Einlage bewirkt. Der Verzicht des [X.] hat nicht zum Wegfall einer zuvor passivierten Verbindlichkeit bei der GmbH und damit zu einer Vermehrung ihres Vermögens und ihrer Ertragsfähigkeit geführt. Denn das streitige [X.] ist zu keinem Zeitpunkt als [X.] in die Bücher der GmbH eingegangen. Damit hat der Kläger im Streitfall durch den Verzicht sein Vermögen nicht in Beteiligungskapital umgeschichtet, sondern eine tatsächliche Vermögenseinbuße erlitten.

Nach alldem war die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Meta

VI R 4/10

03.02.2011

Bundesfinanzhof 6. Senat

Urteil

vorgehend Thüringer Finanzgericht, 18. Februar 2009, Az: III 1027/05, Urteil

§ 42d EStG 1997, § 41a Abs 1 EStG 1997, § 39b EStG 1997, § 38 Abs 3 EStG 1997, § 11 EStG 1997, § 42d EStG 2002, § 41a Abs 1 EStG 2002, § 39b EStG 2002, § 38 Abs 3 EStG 2002, § 11 EStG 2002

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 03.02.2011, Az. VI R 4/10 (REWIS RS 2011, 9786)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 9786

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Wird zitiert von

1 StR 207/23

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