Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 10.04.2014, Az. IX ZR 176/13

IX. Zivilsenat | REWIS RS 2014, 6332

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen


BUNDESGERI[X.]HTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

IX ZR 176/13

Verkündet am:

10. April 2014

Preuß

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin

der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
InsO § 179 Abs. 1, § 180 Abs. 1 Satz 1
Zur Berechnung der Forderung eines Anlegers, der seine Einlage in einem in Form eines Schneeballsystems betriebenen Einlagenpool verloren hat.
[X.], Urteil vom 10. April 2014 -
IX ZR 176/13 -
LG [X.] am Main

AG [X.] am Main

-
2
-
Der IX.
Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom 10. April 2014
durch [X.] [X.],
die Richter
Prof. Dr. Gehrlein, [X.], [X.] und Dr. Pape

für Recht erkannt:

Die Revision gegen das Urteil der 24. Zivilkammer des Landge-richts [X.] am Main
vom 4.
Juli 2013
wird auf Kosten des
Be-klagten
zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der [X.] ist Verwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermö-gen der P.

GmbH
(Schuldnerin), das am 1.
Juli 2005 eröff-net worden ist. Die Schuldnerin bot seit 1992 nach Maßgabe ihrer allgemeinen Geschäftsbedingungen
Beteiligungen an einem Einlagenpool ("Managed Ac-count") an, welche die Anleger am Erfolg oder Nichterfolg der von ihr, der Schuldnerin, betriebenen [X.] teilhaben
lassen sollten.
Sie erwirt-schaftete bis 1997 hohe Verluste, die sie jedoch verschwieg. Ihre auf gefälsch-ten Kontoauszügen und [X.] beruhenden Jahresabschlüsse sowie die Kontoauszüge und Abrechnungen, welche die Anleger erhielten, wie-sen tatsächlich nicht erzielte Gewinne aus. Die Schuldnerin verwandte die Ein-lagen im Wesentlichen dazu, [X.] an schon vorhandene Anleger auszuzahlen und sonstige Rückzahlungen zu leisten sowie die eigenen [X.]
-
3
-
schäftskosten zu decken. [X.] betrieb sie seit 1997 allenfalls in -
bezogen auf die Einlagen
-
geringem Umfang.

Die Klägerin hatte sich seit dem 1.
April 1997 mit
Einlagen in Höhe von insgesamt 15.269,87

(ohne Agio)
beteiligt. Am 29.
Dezember 2000 wurden ihr
12.782,30

. Nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens meldete sie unter Angabe ihrer
"Vertragsnummer"
eine als "Hauptforderung/letzter Kon-tostand"
bezeichnete Forderung von 17.370,13

. Der [X.] bestritt die Forderung.

Die Klägerin macht nunmehr die Differenz zwischen den Einlagen und der
Auszahlung
als Insolvenzforderung geltend. Sie hat beantragt, eine Forde-rung von 2.487,57

t-gegen getreten. Seiner Ansicht nach muss sich die Klägerin die vertraglich ver-einbarten Verwaltungsprovisionen sowie die im Zeitraum ihrer Beteiligung er-wirtschafteten Handelsverluste
von anteilig 3.057,02

anrechnen lassen. Mit der Auszahlung von 12.782,30

zustehe.
Das Amtsgericht hat die beantragte Feststellung getroffen. Die Beru-fung des [X.]n ist erfolglos geblieben. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision will der [X.] weiterhin die Abweisung der Klage
erreichen.

Entscheidungsgründe:

Die Revision bleibt ohne Erfolg.

2
3
4
-
4
-
I.

Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Der Klägerin stehe eine Insolvenz-forderung in Höhe der Differenz zwischen ihrer Einlage und den Rückzahlungen zu. Verwaltungskosten seien zwar vereinbart worden, dürften aber nicht abge-zogen werden. Die Schuldnerin habe den in Nr.
10.2 ihrer [X.] vereinbarten Anspruch auf Gebühren in Höhe von 0,5
v.H.
des jeweiligen [X.] durch ihr unredliches Verhalten verwirkt. Auch die in Nr.
7, 13 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Schuldnerin vereinbarte Verlustbeteiligung verstoße unter den gegebenen Umständen ge-gen Treu und Glauben.

II.

Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung stand.

1. Gegenstand des Rechtsstreits
nach §
179 Abs. 1,
§
180 Abs. 1 Satz 1 InsO
sind ausschließlich die vertraglichen Ansprüche der Klägerin. Ansprüche der Klägerin gegen die Schuldnerin aus unerlaubter Handlung sind nicht zur Tabelle angemeldet worden; sie bleiben deshalb außer Betracht (vgl. [X.], Ur-teil vom 5.
Juli 2007 -
IX
ZR 221/05, [X.]Z 173, 103 Rn.
12;
vom
22.
Januar 2009 -
IX
ZR 3/08, [X.], 242 Rn.
8
ff;
vom 21.
Februar 2013 -
IX
ZR 92/12, [X.], 388 Rn.
21).

2. Der Senat hat sich im Rahmen eines [X.] im Zu-sammenhang mit
der Abgrenzung des entgeltlichen vom unentgeltlichen Teil einer Rückzahlung wie folgt zur Berechnung des dem Anleger zustehenden 5
6
7
8
-
5
-
Rückzahlungsanspruchs geäußert ([X.], Urteil vom 9.
Dezember 2010 -
IX
ZR 60/10, [X.], 364 Rn.
12
ff; ähnlich
Urteil
vom 10.
Februar 2011 -
IX
ZR 18/10, [X.], 324 Rn.
8, 14):

"Die [X.] (= Anlegerin) war von Anfang an berechtigt, den [X.] eingezahlten Betrag zurückzuverlangen (§
675 Abs.
1, §
667 Fall 1 BGB). Nach den vereinbarten Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Schuld-nerin sollten allerdings Verluste aus den [X.] mit den Beiträgen des Anlegers verrechnet werden ([X.], 5.2, 5.3) und die Schuldnerin als Vergütung eine monatliche Verwaltungsgebühr von 0,5 v.H. vom jeweiligen Vermögensstand erhalten ([X.]). Diese Klauseln berücksichtigt die vom Kläger nachträglich erstellte "Verteilung des realen Handelsergebnisses und Neuberechnung der Gebühren"
in Verbindung mit der auf das Guthaben der [X.]n bezogenen "Realen Gewinn-
und Verlustverteilung", in welcher der Kläger die Entwicklung des Kontos der [X.]n abweichend von den tat-sächlich übersandten Kontoauszügen unter Verrechnung von in den Jahren 2000 bis 2003 eingetretenen Verlusten und angefallenen Verwaltungsgebühren darzustellen versucht.

Eine Verrechnung der anteiligen Verluste aus den in geringem Umfang noch getätigten [X.] und der Verwaltungsge-bühr mit der Einzahlung der [X.]n verstößt unter den gegebenen [X.] gegen den Grundsatz von Treu und Glauben.

Den Anspruch auf die Verwaltungsgebühr hat die Schuldnerin verwirkt. Nach gefestigter [X.] kann ein an sich begründeter Vergütungsanspruch nach dem [X.] des §
654 BGB verwirkt sein, wenn ein
Dienstverhältnis eine besondere Treuepflicht begründet und der Dienstleistende in schwerwiegender Weise [X.] Treuepflicht verletzt und sich dadurch als seines Lohnes unwürdig erweist.

Unstreitig hat die Schuldnerin die schon in den Jahren vor dem Beitritt der [X.]n (=
Anlegerin)
eingetretenen hohen Verluste zu verschleiern versucht, 9
-
6
-
indem sie zunächst Buchungen manipulierte, später fiktive gewinnbringende Anlagegeschäfte über ein nicht existierendes Konto vortäuschte und die Ein-zahlungen der Anleger entgegen der vertraglichen Vereinbarung weit überwie-gend nicht mehr für neue Anlagen, sondern für Auszahlungen an Altkunden und für die laufenden Kosten verwendete. Das dargestellte Vorgehen der Schuldne-rin, die in betrügerischer Weise neue Anleger warb und ihre vertraglichen [X.] entsprechend ihrer vorgefassten Absicht grob verletzte, verbietet es auch, die [X.] (=
Anlegerin) in der Weise am Vertrag festzuhalten, dass ihr Anspruch auf Rückzahlung der Einlage um die Verluste aus den wenigen noch getätigten [X.] zu vermindern wäre."

3. An dieser Ansicht hält der Senat fest.
Die hiergegen von der Revision erhobenen [X.] greifen nicht durch.

a) Die Revision meint, das betrügerische
Verhalten der Schuldnerin habe
bei
der
Prüfung des Umfangs der vertraglichen Ansprüche der Klägerin außer Betracht zu bleiben. Diese Ansicht trifft nicht zu. Die zweckwidrige Verwendung der eingesammelten Gelder erfüllt nicht nur den Tatbestand der Untreue (§
266 StGB), sondern stellt auch eine Vertragspflichtverletzung gegenüber jedem [X.] Anleger dar, dem versprochen worden war, dass seine Einlage zur Er-höhung der Gewinnchancen mit den Einlagen der anderen Anleger gepoolt
werden würde. Gleiches gilt für das betrügerische Einwerben neuer Verträge zur Fortführung des "Schneeballsystems", welches (auch) dazu diente, schein-bar erzielte Gewinne auszuzahlen und so die bereits vorhandenen Anleger von der Kündigung ihrer Verträge abzuhalten.

b) Die Revision beanstandet weiter, dass die Sichtweise des Senats die Anleger besser stelle, als sie stünden, wenn die Schuldnerin sich vertragsge-10
11
12
-
7
-
mäß verhalten hätte. Diese hätten
gerade keinen vertraglichen Anspruch [X.], so gestellt zu werden, als
hätte der Einlagenpool keinerlei Verlust erzielt. Die Verluste, welche der [X.] anteilig anrechnen wolle, seien tatsächlich entstanden und wären wohl auch bei vertragsgerechtem Verhalten der Schuld-nerin entstanden.
Auch diese Argumentation greift zu kurz. Bei vertragsgerech-tem Verhalten der Schuldnerin hätte die Klägerin ihre Einlage wahrscheinlich vollständig verloren. Gegenstand des Vertrages war jedoch die [X.]hance, durch [X.] Gewinne zu erzielen. Um diese [X.]hance ist die Klägerin ge-bracht worden, weil die versprochenen Geschäfte überwiegend gar nicht erst getätigt worden sind. Dann ist kein Grund ersichtlich, warum sie mit
Nebenkos-ten oder
der
vertraglich vereinbarten Verlustbeteiligung belastet werden sollte.

c) Die Revision rügt schließlich die ihrer Ansicht nach zufälligen [X.]. Die tatsächlichen Verluste würden
nach der Lösung des Berufungsge-richts über die Senkung der Quote
gleichmäßig auf alle Anleger umgelegt, auch auf diejenigen, die sich zu einer Zeit beteiligt hätten, als gar keine Geschäfte mehr getätigt wurden und keine anrechenbaren Verluste mehr entstanden [X.]. Für einen solchen "Solidarausgleich"
gebe es keine Grundlage. Dies trifft nicht zu. Jeder Anleger, dessen Vertrag die Schuldnerin durch die zweckwidrige Verwendung seiner Einlage
oder der Einlage anderer Anleger, die dem [X.] zuzuführen gewesen wäre, verletzt hat,
hat nach der Lösung des Se-nats Anspruch auf Rückzahlung seiner Einlage abzüglich der Rückzahlungen, welche die Schuldnerin vor der Eröffnung noch geleistet hat. Es kommt
also
nur auf
die Vertragsverletzung an, die in der "Veruntreuung"
der
für den
Pool
be-stimmten Gelder
liegt. Keinem der hiervon betroffenen Anleger hätte die Schuldnerin bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens Verwaltungsgebühren abverlangen oder Verluste zuweisen können. Ob mehr oder weniger Geld "[X.]"
wurde, weil die Geschäftstätigkeit der Schuldnerin zum Erliegen kam, 13
-
8
-
spielt für die Frage des Vertragsbruchs keine Rolle. Da die vorhandene Masse nicht zur Erfüllung sämtlicher Ansprüche ausreicht, können die Gläubiger nur mit einer Quote rechnen. Zu Ungleichbehandlungen kommt es allerdings
dann, wenn Rückzahlungen erfolgt sind, die wegen Zeitablaufs nicht mehr im Wege der Anfechtung zur Masse gezogen werden können.
Diese Anleger, zu denen die Klägerin gehört, werden gegenüber solchen Anlegern bevorzugt, deren Rückzahlungsanspruch noch offen ist, die also
nur die Quote erhalten.
Diese Ungleichbehandlung liegt jedoch in den
Vorschriften
des Insolvenzrechts [X.], welche die Anfechtung nur in bestimmten Zeiträumen vorsieht.

d) Im Übrigen ist eine Divergenz zur Rechtsprechung des XI.
Zivilsenats, der über Schadensersatzansprüche von Anlegern nach dem Einlagensiche-rungs-
und Anlegerentschädigungsgesetz entschieden hat, nicht gegeben. Der XI.
Zivilsenat hat ausdrücklich erwogen, dass weitergehende Schadensersatz-ansprüche der Anleger gegen ihren Vertragspartner bestehen können ([X.],

14
-
9
-
Urteil vom 23.
November 2010 -
XI ZR 26/10, [X.]Z 187, 327 Rn.
30, 32; vom 25.
Oktober 2011 -
XI [X.], [X.], 2219 Rn.
29).

Kayser
Gehrlein
[X.]

Fischer
Pape

Vorinstanzen:
AG [X.] am Main, Entscheidung vom 12.10.2012 -
29 [X.] 763/12 (81) -

LG [X.] am Main, Entscheidung vom 04.07.2013 -
2-24 S 31/13 -

Meta

IX ZR 176/13

10.04.2014

Bundesgerichtshof IX. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 10.04.2014, Az. IX ZR 176/13 (REWIS RS 2014, 6332)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 6332

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

IX ZR 176/13 (Bundesgerichtshof)

Forderungsfeststellung im Insolvenzverfahren gegen eine Kapitalanlagegesellschaft: Berechnung der Schadensersatzforderung eines Kapitalanlegers bei Verlusten im Rahmen …


IX ZR 60/10 (Bundesgerichtshof)

Insolvenzanfechtung: Auszahlung der Einlage an den Anleger in einem Schneeballsystem


IX ZR 60/10 (Bundesgerichtshof)


IX ZR 18/10 (Bundesgerichtshof)

Insolvenzanfechtung: Bewertung von Ausschüttungen im Rahmen eines als Schneeballsystem geführten Anlagemodells


IX ZR 18/10 (Bundesgerichtshof)


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

IX ZR 176/13

XI ZR 26/10

XI ZR 67/11

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.