Bundessozialgericht, Urteil vom 30.01.2013, Az. B 4 AS 37/12 R

4. Senat | REWIS RS 2013, 8577

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Gegenstand

Grundsicherung für Arbeitsuchende - Leistungsausschluss für Ausländer während der ersten drei Monate des Aufenthalts - keine Anwendbarkeit bei Nachzug zu einem deutschen Ehegatten


Leitsatz

Drittstaatsangehörige, die als Familienangehörige eines Deutschen in die Bundesrepublik Deutschland einreisen, sind in den ersten drei Monaten ihres Aufenthalts nicht von Leistungen nach dem SGB 2 ausgeschlossen.

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 12. Januar 2012 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat dem Kläger auch die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger im [X.]raum vom 14.2.2010 bis zum [X.] Leistungen nach dem [X.] zustehen.

2

Der am [X.] geborene Kläger ist algerischer Staatsangehöriger. Am 13.7.2009 heiratete er in [X.] die am 9.10.1970 geborene [X.] Staatsangehörige [X.] Nach Zustimmung der Ausländerbehörde der Stadt K zum Antrag auf Erteilung eines Visums zwecks Familienzusammenführung reiste der Kläger am 14.2.2010 nach [X.] ein und wohnte im streitgegenständlichen [X.]raum bei [X.] Am [X.] erteilte die Ausländerbehörde dem Kläger eine Fiktionsbescheinigung mit der Nebenbestimmung "Erwerbstätigkeit gestattet". Unter dem [X.] erhielt der Kläger eine Aufenthaltserlaubnis mit den Zusätzen "Erwerbstätigkeit ist erlaubt" und "Verpflichtung zur Teilnahme an einem Integrationskurs". Zum [X.] nahm der Kläger eine Erwerbstätigkeit bei dem Unternehmen [X.] auf. Das aus dieser Tätigkeit für den Monat Mai 2010 erzielte Arbeitsentgelt wurde dem Konto des [X.] am 20.6.2010 gutgeschrieben.

3

Mit Bescheid vom 1.2.2010 gewährte der Beklagte [X.] und ihrer am 4.2.2003 geborenen Tochter Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem [X.] in Höhe von 990,09 Euro für den Monat Februar 2010 und in Höhe von 981,09 Euro für die Monate März bis einschließlich Juli 2010 unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für Alleinerziehende sowie Kosten der Unterkunft in Höhe von 492,09 Euro monatlich. [X.] wurde Kindergeld in Höhe von 184 Euro monatlich.

4

Den Leistungsantrag des [X.] vom 14.2.2010 lehnte der Beklagte ab (Bescheid vom [X.]). Der hiergegen am [X.] erhobene Widerspruch hatte keinen Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 29.7.2010). Gemäß § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 [X.] sei der Kläger für die ersten drei Monate seines Aufenthalts von Leistungen nach dem [X.] ausgeschlossen, da er weder Arbeitnehmer noch Selbstständiger noch aufgrund des § 2 Abs 3 [X.]/[X.] freizügigkeitsberechtigt sei. Ein Aufenthaltsrecht aus völkerrechtlichen Gründen entsprechend Kapitel 2 Abschnitt 5 des [X.] habe nicht vorgelegen. Eingriffe in Grundrechte könnten nicht berücksichtigt werden, da die Entscheidung über den Leistungsausschluss nicht im Ermessen des Beklagten stehe.

5

Mit Änderungsbescheid vom [X.] bewilligte der Beklagte [X.] und ihrer Tochter Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die [X.] vom 1.2.2010 bis zum [X.] in Höhe von 425,08 Euro, für die [X.] vom 14.2.2010 bis zum [X.] in Höhe von 407,28 Euro, für den Monat März in Höhe von 718,06 Euro, für April 2010 in Höhe von 755,74 Euro, für die [X.] vom [X.] bis 1[X.] in Höhe von 352,67 Euro. Ab dem 15.5.2010 bis zum 3[X.] gewährte der Beklagte der Bedarfsgemeinschaft - nun unter Einschluss des [X.] - Leistungen in Höhe von 683,63 Euro, für die [X.] vom [X.] bis [X.] in Höhe von 336,42 Euro, für die [X.] vom [X.] bis [X.] in Höhe von 554,22 Euro und für den Monat Juli 2010 in Höhe von 755,74 Euro. Den hiergegen am 18.5.2010 erhobenen Widerspruch wies der Beklagte mit der gleichen Begründung zurück wie den Widerspruch gegen den Bescheid vom [X.] (Widerspruchsbescheid vom 30.7.2010).

6

Der gegen den Bescheid vom [X.] in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29.7.2010 erhobenen Klage, mit welcher der Kläger den neben dem Regelbedarf geltend gemachten Anspruch auf Übernahme von Kosten der Unterkunft und Heizung auf die [X.] ab dem [X.] beschränkte, gab das [X.] statt (Urteil vom 4.2.2011). Im Berufungsverfahren haben die Beteiligten den Gegenstand des Verfahrens auf die Leistungen für die [X.] vom 14.2.2010 bis [X.] beschränkt. Das L[X.] hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom [X.]). Zur Begründung hat es ausgeführt, dass dem Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts auch für die [X.] vom 14.2.2010 bis einschließlich [X.] zustünden. Der Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 [X.] erfasse nicht die Situation, dass ein Ausländer als Ehegatte eines [X.]n Staatsangehörigen diesem nach [X.] nachziehe. Bereits der Wortlaut des § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 [X.] ergebe keinen generellen Ausschluss von Ausländern unabhängig von der Herleitung des Aufenthaltsrechts. Hätte der Gesetzgeber dieses gewollt, hätte es keiner Differenzierung zwischen Ausländern und ihren Familienangehörigen bedurft. Gegen einen Leistungsausschluss sprächen zudem systematische wie teleologische Gründe. Denn ein Leistungsausschluss würde unter Außerachtlassung der Wertentscheidung des Art 6 Abs 1 GG unberücksichtigt lassen, dass die wirtschaftliche Grundlage des [X.]n Ehepartners gefährdet würde. Die freie Entscheidung der Ehepartner, gemeinsam in [X.] zu leben, verdiene besonderen staatlichen Schutz, falls einer der Ehepartner [X.]r Staatsangehöriger sei. Dies rechtfertige auch eine Einbeziehung in das Leistungssystem des [X.]. Auch die Gesetzesbegründung spreche dafür, Fälle wie den vorliegenden nicht als vom Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 [X.] umfasst anzusehen.

7

Mit seiner Revision rügt der Beklagte die Verletzung von Bundesrecht. Der Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 [X.] greife unabhängig davon, ob man den Wortlaut der Norm dahingehend auslege, dass der Kläger "Ausländer" oder "Familienangehöriger" im Sinne der Norm sei. Die Vorschrift gelte auch für Familienangehörige eines [X.]. Dies ergebe sich aus der Gesetzesbegründung, wonach der Leistungsausschluss "vor allem" für Unionsbürger gelte. Drittstaatsangehörige seien hiervon nicht ausgenommen. Würden den [X.] besonders geschützten Unionsbürgern während der ersten drei Monate ihres Aufenthalts keine Leistungen gewährt, müsse dies auch für Drittstaatsangehörige gelten. Das [X.] normiere zudem keinen Anspruch aller Familienangehörigen auf Gewährung familieneinheitlicher existenzsichernder Leistungen. Vielmehr nehme das Gesetz unterschiedlich geartete Existenzsicherungsansprüche innerhalb einer Familie bewusst in Kauf. Das Drittstaatsangehörigen erteilte Visum zur Familienzusammenführung sei ebenso wenig von einem Nachweis der Lebensunterhaltssicherung abhängig wie das Aufenthaltsrecht von Unionsbürgern während der ersten drei Monate ihres Aufenthalts. Darüber hinaus seien die gesetzlichen Voraussetzungen eines Nachzugs zu [X.]n Familienangehörigen im [X.] massiv verschärft worden. Insoweit sei der Leistungsausschluss in § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 [X.] eine konsequente Umsetzung der Zugangsregulierung zum Sicherungssystem des [X.]. Die in § 7 Abs 1 S 3 [X.] normierte Rückausnahme greife nicht zugunsten des [X.], da es sich bei dem Aufenthaltsrecht zwecks Familienzusammenführung nicht um einen Aufenthaltstitel gemäß Kapitel 2 Abschnitt 5 des [X.] handele. Der Wortlaut des § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 [X.] sei insoweit eindeutig. Die Personengruppe der Familienangehörigen von [X.] sei mit der Gruppe aller sonstigen Ausländer ohne humanitäre Aufenthaltsberechtigung gleichzustellen. Aus Art 6 Abs 1 GG folge kein gegenteiliges Ergebnis, weil aus diesem Grundrecht kein uneingeschränkter Anspruch auf Leistungen nach dem [X.] hergeleitet werden könne.

8

Der Beklagte beantragt,
das Urteil des [X.] vom 12. Januar 2012 und das Urteil des [X.] vom 4. Februar 2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

9

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Er ist der Auffassung, dass sich der Wortlaut des § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 [X.] nicht auf Familienangehörige [X.]r Staatsangehöriger beziehe.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision des Beklagten ist unbegründet.

1. Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid des Beklagten vom [X.] in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom [X.], denn allein diesen hat der Kläger zum Gegenstand des erstinstanzlichen Klageverfahrens gemacht. Nicht Gegenstand des Verfahrens geworden ist dagegen der Bescheid des Beklagten vom [X.] in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30.7.2010. Diesem Bescheid kommt hinsichtlich der vom Kläger für den Zeitraum vom 14.2.2010 bis zum [X.] geltend gemachten Ansprüche keine eigene Regelungswirkung zu, denn er wiederholt insoweit lediglich den ablehnenden Bescheid des Beklagten vom [X.].

2. Dem Kläger stehen auch im Zeitraum vom 14.2.2010 bis zum [X.] Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem [X.] zu. Der Leistungsausschluss gemäß § 7 Abs 1 S 2 [X.] [X.] kommt nicht zum Tragen. Auch andere Leistungsausschlüsse sind nicht erkennbar.

a) Der Kläger erfüllte im streitigen Zeitraum sämtliche Anspruchsvoraussetzungen nach § 7 Abs 1 S 1 [X.] (idF des [X.] an die demografische Entwicklung und zur Stärkung der Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung vom 20.4.2007, [X.]). Er hatte das 15. Lebensjahr vollendet und noch nicht die Altersgrenze gemäß § 7a [X.] erreicht (§ 7 Abs 1 S 1 [X.] [X.]). Nach den bindenden Feststellungen des [X.] war der Kläger zudem hilfebedürftig iS des § 7 Abs 1 S 1 [X.] 3 [X.]. Erwerbsfähigkeit nach § 7 Abs 1 S 1 [X.] [X.] iVm § 8 Abs 2 [X.] lag ebenso vor, denn der Kläger war im Besitz eines Aufenthaltstitels zwecks Familienzusammenführung. Ein solcher berechtigt gemäß § 28 Abs 5 [X.] zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit. Einem derartigen Aufenthaltstitel kommt im Rahmen der Prüfung der Erwerbsfähigkeit [X.] zu, sodass eine Prüfung der Voraussetzungen des Titels unterbleibt. Schließlich hatte der Kläger nach der Einreise seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der [X.] (§ 7 Abs 1 S 1 [X.] [X.]). Das Gesetz knüpft insoweit an die Bestimmung des § 30 Abs 3 [X.]B I an, wonach jemand seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort hat, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt (zu dieser Voraussetzung auch [X.] vom [X.] [X.]/11 R, [X.] 4-4200 § 36a [X.]). Der Kläger erfüllt im streitgegenständlichen Zeitraum diese Voraussetzungen, da er nach den objektiv erkennbaren Umständen aus [X.] zu seiner Ehefrau nach [X.] gezogen ist und sich dort angemeldet hat, um dort in ehelicher Gemeinschaft zu leben und sich eine Arbeit zu suchen. Es kann hier weiter offen bleiben, ob an den Begriff des "gewöhnlichen Aufenthalts" iS des § 7 Abs 1 S 1 [X.] [X.] zusätzliche aufenthaltsrechtliche Anforderungen zu stellen sind (vgl aber Urteil des Senats vom [X.] [X.]/12 R; offen gelassen in [X.] vom [X.] [X.]/11 R - [X.] 4-4200 § 7 [X.]8 Rd[X.]7; [X.] vom 19.10.2010 - [X.] AS 23/10 R - [X.], 66 = [X.] 4-4200 § 7 [X.]1 Rd[X.]3; anders noch [X.] vom [X.] 11b [X.] - [X.], 243 = [X.] 4-4200 § 12 [X.] zur vorherigen Fassung des § 7 Abs 1 S 2 [X.]). Denn der Kläger verfügte im streitigen Zeitraum über einen gültigen Aufenthaltstitel nach § 28 [X.].

b) Der Kläger war im streitigen Zeitraum vom 14.2.2010 bis zum [X.] auch nicht nach § 7 Abs 1 S 2 [X.] (idF des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der [X.] vom [X.], [X.] 1970) von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem [X.] ausgeschlossen.

aa) Ein Leistungsausschluss folgt nicht aus § 7 Abs 1 S 2 [X.] [X.]. Danach sind vom Leistungsbezug nach dem [X.] ausgenommen Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der [X.] Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbstständige noch aufgrund des § 2 Abs 3 [X.]/[X.] freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts.

Der Kläger ist Ausländer im Sinne dieser Vorschrift. Ausländer ist gemäß § 2 Abs 1 [X.] jeder, der nicht [X.] iS des Art 116 Abs 1 GG ist. Dies trifft ohne Weiteres auf den Kläger zu, da er im streitgegenständlichen Zeitraum nicht die [X.] Staats- oder Volkszugehörigkeit besaß, sondern die [X.]s.

Die hier entscheidungserhebliche Frage, ob Personen, welche nicht die [X.] Staatsangehörigkeit, sondern die eines [X.] besitzen und zu einem [X.]n Familienangehörigen - hier: einem Ehegatten - nachziehen, vom Leistungsausschluss erfasst werden, wird in Rechtsprechung und Literatur unterschiedlich beantwortet (gegen Anwendung des § 7 Abs 1 S 2 [X.] [X.] zB [X.] Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 7.12.2009 - L 19 [X.]/09 AS; [X.] Niedersachsen-Bremen Urteil vom 15.3.2012 - L 6 AS 748/10; Bayerisches [X.] Urteil vom [X.] AS 449/11; Hessisches [X.] Beschluss vom 19.9.2012 - L 7 [X.]/12 [X.]; [X.] Urteil vom 26.8.2009 - [X.] [X.]; [X.] in jurisPK-[X.], 3. Aufl 2012, § 7 Rd[X.] 34; Spellbrink in Eicher/Spellbrink, [X.], 2. Aufl 2008, § 7 Rd[X.]6; ähnlich [X.] in [X.]/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 2. Aufl 2011, § 7 [X.] Rd[X.] 7; für Anwendung des Leistungsausschlusstatbestandes hingegen [X.] Baden-Württemberg Beschluss vom 27.4.2011 - L 3 AS 1411/11 [X.]; [X.] Beschluss vom 19.11.2009 - [X.] AS 414/09 ER; [X.] in [X.], GK-[X.], § 7 Rd[X.]4 ; [X.], Sozialrecht für Zuwanderer, 2008, Rd[X.]71).

Es kann hier offen bleiben, ob der Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 S 2 [X.] [X.] bereits deswegen nicht zum Tragen kommt, weil der Kläger als Staatsangehöriger [X.]s einen Anspruch auf Gleichbehandlung mit [X.]n Staatsangehörigen gemäß Art 68 Abs 1 [X.] 1 des Europa-Mittelmeer-Abkommens zwischen der [X.] und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Demokratischen Volksrepublik [X.] andererseits ([X.] [X.] vom 10.10.2005 [X.], 2) hat. Die Nichtanwendbarkeit des [X.] gemäß § 7 Abs 1 S 2 [X.] [X.] folgt unmittelbar aus der Auslegung innerstaatlichen Rechts.

Zwar ist der Wortlaut des § 7 Abs 1 S 2 [X.] [X.] insoweit nicht eindeutig. Als "Familienangehöriger" ist der Kläger jedenfalls nicht vom [X.] erfasst. Zwar ist als Familienangehöriger im Sinne dieser Vorschrift - zur Auslegung ist § 3 [X.]/[X.] heranzuziehen - auch ein Ehegatte anzusehen. Der Wortlaut des § 7 Abs 1 S 2 [X.] [X.] bezieht sich indes - worauf auch der Kläger zu Recht hinweist - lediglich auf Familienangehörige der in diesem [X.] zuvor genannten Personengruppe der Ausländerinnen und Ausländer, die sich nicht als Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer, Selbstständige oder nach § 2 Abs 3 [X.]/[X.] im [X.] aufhalten, worauf das Possessivpronomen "ihre" hinweist (so im Ergebnis zB auch [X.]/[X.] in [X.], [X.], 4. Aufl 2012, § 7 Rd[X.]4; [X.] in [X.]/[X.], [X.], § 7 Rd[X.]0b ). Dies trifft auf den Kläger nicht zu, da er Familienangehöriger einer [X.]n Staatsangehörigen ist.

Allenfalls als "Ausländer" könnte er bei Betrachtung allein seiner Person von der Norm erfasst sein. Der Wortlaut der Bestimmung schließt unterschiedslos alle Ausländerinnen und Ausländer von Leistungen nach dem [X.] aus, die nicht Arbeitnehmer, Selbstständige oder nach § 2 Abs 3 [X.]/[X.] Freizügigkeitsberechtigte sind, unabhängig davon, ob es sich um Unionsbürger oder um [X.]angehörige handelt. Andererseits lässt der Wortlaut der Norm eine abweichende Auslegung zu, weil lediglich "Ausländerinnen und Ausländer … und ihre Familienangehörigen" von der Norm erfasst werden, sodass offenbleibt, ob die Familienangehörigen von [X.] in den Regelungsgehalt der Norm einbezogen werden. Dass dem Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu gewähren sind, ergibt sich jedoch aus dem der Entstehungsgeschichte herzuleitenden Zweck und systematischen Erwägungen.

Mit Inkrafttreten des § 2 Abs 5 [X.]/[X.] zum 28.8.2007 ist Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen das Recht eingeräumt worden, sich drei Monate ohne besonderes Aufenthaltsrecht in der [X.] aufzuhalten. Diese Unionsbürger waren von der vormaligen vom [X.] bis zum 27.8.2007 geltenden Fassung des § 7 Abs 1 S 2 [X.] nicht erfasst. Um diese Personengruppe ebenfalls zu erfassen, ist die Vorschrift durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der [X.] vom [X.] ([X.] 1970) neu gefasst worden. Ausweislich der Gesetzesmaterialien (BT-Drucks 16/5065 [X.]) soll der Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 S 2 [X.] [X.] "vor allem Unionsbürger" betreffen. Dem Beklagten ist zuzugeben, dass dieser Hinweis in den Gesetzesmaterialien den Schluss zu tragen scheint, dass [X.]angehörige, die einem [X.]n Staatsangehörigen zwecks Familienzusammenführung nachziehen, vom Leistungsausschluss erfasst sein könnten. Die Gesetzesänderung war indes dem Umstand geschuldet, dass mit der Änderung im [X.] die Richtlinie 2004/38/[X.] und des Rates vom [X.] über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (sog "[X.]", [X.] [X.] [X.] L 158, berichtigt [X.] [X.] [X.] L 229, 35) umgesetzt und von der Option des Art 24 Abs 2 [X.] 2004/38/[X.] Gebrauch gemacht werden sollte. In den Gesetzesmaterialien wird explizit ausgeführt, dass der Leistungsausschluss dann nicht Platz greifen soll, falls Unionsbürger einem [X.]n Familienangehörigen nachziehen (BT-Drucks 16/688 S 13). Auf die Personengruppe der [X.]angehörigen und insbesondere die Situation des Familiennachzugs eines [X.]angehörigen zu einem [X.]n Staatsangehörigen gehen die Gesetzesmaterialien nicht ein. Zweck der Gesetzesänderung war es vielmehr, einen denkbaren Leistungsanspruch von Unionsbürgern auszuschließen, die sich drei Monate lang voraussetzungslos im [X.] aufhalten dürfen (vgl BT-Drucks 16/5065 [X.]). Hieran zeigt sich, dass der Gesetzgeber lediglich auf die Neuordnung des Aufenthaltsrechts der Unionsbürger reagieren wollte und nicht zugleich die Leistungsberechtigung anderer Ausländer über die bisherige Regelung hinaus einschränken wollte.

Im Unterschied zu den Unionsbürgern können [X.]angehörige regelmäßig nicht voraussetzungslos in das [X.] einreisen. Die Einreise ist vielmehr davon abhängig, dass eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Im Falle eines Familiennachzugs ist gemäß §§ 6, 28 [X.] Voraussetzung das Bestehen einer Ehe mit einem [X.]n Staatsangehörigen, dessen gewöhnlicher Aufenthalt im [X.] besteht. Während Unionsbürgern die Einreise ohne eine vorherige Prüfung der Fähigkeit, den eigenen Lebensunterhalt sichern zu können, ermöglicht ist, bedarf es bei der Erteilung eines Visums für [X.]angehörige - gemäß Art 1 iVm Anhang I VO ([X.]) [X.] vom [X.] ([X.] [X.] [X.] L 81, 1) auch für [X.] - der Prüfung, ob die nach dem Gesetz vorgesehenen Voraussetzungen vorliegen. Zwar gehört nach § 5 Abs 1 [X.] [X.] zu den allgemeinen Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels, dass der Lebensunterhalt des Einreisenden gesichert ist. Das zwecks Familienzusammenführung erteilte Visum soll jedoch bei Einreise eines Ehegatten eines [X.] gemäß § 28 Abs 1 S 3 [X.] abweichend hiervon erteilt werden. Dies hat zur Folge, dass es auf ausreichenden Wohnraum und Unterhaltssicherung bei den Angehörigen [X.] grundsätzlich nicht ankommt (vgl Dienelt in [X.], Ausländerrecht, 9. Aufl 2011, § 28 [X.] Rd[X.] 5). Nach den Gesetzesmaterialien (BT-Drucks 16/5065 [X.]) soll die Sicherung des Lebensunterhalts bei Ehegattennachzug zu [X.]n Staatsangehörigen nur bei Vorliegen besonderer Umstände zur Voraussetzung der Erteilung eines Aufenthaltstitels gemacht werden. Dies ist etwa dann der Fall, wenn die Begründung der ehelichen Lebensgemeinschaft im Ausland zumutbar ist, was insbesondere bei Personen mit doppelter Staatsangehörigkeit in Bezug auf das Land in Betracht kommt, dessen Staatsangehörigkeit neben der [X.]n besessen wird oder falls der [X.] Ehegatte geraume Zeit im Herkunftsland des Ehegatten gelebt und gearbeitet hat und die Sprache dieses [X.] spricht. Derartige Umstände hat das [X.] allerdings nicht festgestellt.

Die Regelung des § 28 Abs 1 S 3 [X.] entstammt - wie bereits ausgeführt - demselben Gesetz wie die Änderung des § 7 Abs 1 S 2 [X.]. Hieraus wird - wie das [X.] zutreffend erkannt hat - ersichtlich, dass der Gesetzgeber das fiskalische Interesse der [X.] im Rahmen der Erteilung eines Aufenthaltstitels berücksichtigen wollte und nicht durch die anlässlich der Umsetzung der [X.]-Richtlinien erfolgte Änderung des § 7 Abs 1 S 2 [X.] die Rechtsposition von [X.]angehörigen, die im Rahmen des Familiennachzugs nach [X.] einreisen, ändern wollte. Eine abweichende [X.] hätte der Gesetzgeber in den Gesetzesmaterialien zu erkennen gegeben. Tatsächlich ist dies aber nicht geschehen. Nicht ersichtlich ist, dass der Gesetzgeber diese Entscheidung im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende sich zu dieser aufenthaltsrechtlichen Entscheidung in Widerspruch setzen wollte.

bb) Ein Leistungsausschluss ergibt sich auch nicht aus § 7 Abs 1 S 2 [X.] [X.]. Gemäß dieser Vorschrift sind vom Leistungsbezug ausgenommen Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt (hierzu [X.] vom 19.10.2010 - [X.] AS 23/10 R - [X.], 66 = [X.] 4-4200 § 7 [X.]1; [X.] vom [X.] [X.]/11 R - [X.] 4-4200 § 7 [X.]8; Urteil des Senats vom [X.] [X.]/12 R - zur Veröffentlichung vorgesehen). Dies ist hier jedoch bereits deswegen nicht der Fall gewesen, da sich das Aufenthaltsrecht des [X.] aus dem Familiennachzug ergab und damit nicht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche.

cc) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts sind schließlich nicht gemäß § 7 Abs 1 S 2 [X.] 3 [X.] ausgeschlossen, denn Anspruch auf [X.] hatte der Kläger im streitigen Zeitraum nicht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 [X.]G.

Meta

B 4 AS 37/12 R

30.01.2013

Bundessozialgericht 4. Senat

Urteil

Sachgebiet: AS

vorgehend SG Köln, 4. Februar 2011, Az: S 20 AS 3306/10, Urteil

§ 7 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB 2 vom 19.08.2007, § 2 Abs 1 AufenthG 2004, § 5 Abs 1 Nr 1 AufenthG 2004, § 6 AufenthG 2004, § 28 Abs 1 S 1 Nr 1 AufenthG 2004, § 28 Abs 1 S 3 AufenthG 2004, § 2 Abs 5 FreizügG/EU 2004, § 3 Abs 2 Nr 1 FreizügG/EU 2004, Art 24 Abs 1 EGRL 38/2004, Art 24 Abs 2 EGRL 38/2004, Art 116 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 30.01.2013, Az. B 4 AS 37/12 R (REWIS RS 2013, 8577)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 8577

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