Bundesgerichtshof, Beschluss vom 18.05.2017, Az. 2 StR 83/17

2. Strafsenat | REWIS RS 2017, 10677

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Versuchter Totschlag: Anforderungen an einen bedingten Tötungsvorsatz


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 19. Dezember 2016 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte im Fall II.4 der Urteilsgründe verurteilt worden ist, sowie im Gesamtstrafenausspruch.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit Beleidigung sowie wegen versuchter Nötigung, Bedrohung in Tateinheit mit Beleidigung und Sachbeschädigung sowie Bedrohung in Tateinheit mit Beleidigung unter Einbeziehung weiterer Strafen aus einer anderen Entscheidung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten führt in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang zum Erfolg; im Übrigen ist sie offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

I.

2

1. Nach den Feststellungen des [X.]s war der Angeklagte am 8. Juli 2015 im [X.] an eine Auseinandersetzung mit einer anderen Person auf den Zeugen [X.]getroffen und war ihm mit seinem Motorroller gefolgt, hatte ihn beleidigt und bedroht, bevor er vor dem Hof des Zeugen stürzte. Anschließend drohte er erneut an, ihn „abzustechen“, und floh schließlich ohne seinen Roller, dessen Schlüssel [X.]abgezogen hatte ([X.] 2 der Urteilsgründe). [X.] später kehrte der Angeklagte zurück, wiederholte seine Drohung und kündigte dem Zeugen an, ihn „abzustechen“, wenn er die Polizei rufe. Mit vorgehaltenen Besenstielen gelang es dem Zeugen [X.] und dem hinzugeeilten Nachbarn [X.], den mit einem Messer Stichbewegungen in Richtung des [X.]ausführenden Angeklagten auf Distanz zu halten. Schließlich kam der dem Angeklagten körperlich überlegene Zeuge    [X.]hinzu, schlug ihm das Messer aus der Hand und nahm ihn mit ([X.] der Urteilsgründe).

3

Aufgrund der Alkoholisierung, seines akuten Schlafmangels und noch immer aufgebracht und wütend auf den Zeugen [X.]entschloss sich der Angeklagte nun, diesen zu töten. Er bewaffnete sich mit einer Grabgabel mit vier vorne spitz zulaufenden [X.] aus Metall mit einer Länge von 26 cm, wobei der Stiel der Gabel etwa 20 cm oberhalb der [X.] abgebrochen war. Damit machte er sich auf den Weg zum Hof des Zeugen [X.], der von einem Nachbarn vor dem Erscheinen des Angeklagten telefonisch gewarnt worden war. [X.] seinerseits bewaffnete sich zu seiner Verteidigung mit einer Schaufel, der Zeuge [X.]hielt noch immer den Besenstiel in seiner Hand. Als der Angeklagte die beiden wieder erreicht hatte, stürzte er auf den Zeugen [X.]zu und führte mit der [X.] in Richtung des Zeugen aus. Als der Angeklagte noch etwa fünf Meter entfernt war, warnte ihn [X.], er werde mit der Schaufel zuschlagen, falls er sich weiter nähere. Der Angeklagte ließ sich davon nicht abhalten, näherte sich bis auf eineinhalb Meter und stach mit der Grabgabel, die er mit beiden Händen vor sich hielt, gezielt in Richtung des Oberkörpers des Zeugen wuchtig zu. Obwohl dieser vor dem Stich des Angeklagten zurückwich, gelangten die Spitzen bis auf eine Entfernung von 50 Zentimeter an seinen Bauch heran. Dabei erkannte der Angeklagte, dass er [X.] am Oberkörper treffen und ihm dadurch im Bereich lebenswichtiger Organe Verletzungen zufügen würde. Dennoch stach er immer wieder in dessen Richtung, wobei er erneut drohte, ihn abzustechen. Nunmehr schlug [X.]mit der Schaufel nach dem Angeklagten und traf ihn am Arm. Die Grabgabel fiel zu Boden, der Angeklagte hob sie wieder auf und ging erneut auf den Zeugen [X.]los. Diesem gelang es jedoch zusammen mit dem Zeugen [X.], den Angeklagten weiter auf Distanz zu halten. Schließlich kam erneut   [X.]hinzu, dem es mit erheblichem Kraftaufwand gelang, den Angeklagten von dem Zeugen [X.]wegzuziehen. Beide verließen sodann den Ort des Geschehens ([X.] 4 der Urteilsgründe).

4

2. Die [X.] ist davon ausgegangen, dass sich der Angeklagte durch das Zustechen in Richtung des Oberkörpers des Zeugen [X.] wegen versuchten Totschlags strafbar gemacht hat. Der Angeklagte habe unmittelbar zur Tat angesetzt und auch den Entschluss gefasst, diesen zu töten. Er habe gewusst, dass er mit einem Stich in Richtung des Oberkörpers lebenswichtige Organe treffen und verletzen könne. Aufgrund des dynamischen Geschehens und des Umstandes, dass er den Zeugen mit vier Spitzen gleich an vier Stellen des Körpers treffen würde, habe er auch nicht darauf vertraut, dass er beim Zustechen lebenswichtige Organe verfehlen würde. Zudem habe er seiner Absicht, den Zeugen zu töten, dadurch Ausdruck verliehen, dass er mehrfach lautstark ankündigte, [X.]zu töten. Schließlich habe sich der Angeklagte dem Zeugen so weit genähert, dass er ihn ohne dessen Zurückweichen getroffen hätte.

II.

5

Die Revision des Angeklagten hat Erfolg, soweit er im [X.] 4 der Urteilsgründe unter anderem wegen versuchten Totschlags verurteilt worden ist. Das [X.] hat die Annahme des Tötungsvorsatzes nicht tragfähig begründet.

6

1. Es ist den Urteilsgründen schon nicht eindeutig zu entnehmen, von welcher Vorsatzform das [X.] ausgegangen ist. Soweit davon die Rede ist, der Angeklagte habe den Entschluss gefasst, den Zeugen [X.]zu töten, zudem habe er die Absicht, ihn zu töten, mehrfach lautstark angekündigt, deutet dies darauf hin, dass die [X.] als Vorsatzform angenommen hat. Soweit sie sich damit auseinander setzt, der Angeklagte habe nicht darauf vertraut, dass er beim Zustechen in Richtung des Oberkörpers lebenswichtige Organe verfehlen würde, könnte diese im Zusammenhang mit dem voluntativen Vorsatzelement beim bedingten Vorsatz anzustellende Erwägung dafür sprechen, das [X.] sei von lediglich bedingtem Tötungsvorsatz ausgegangen.

7

Es kann dahinstehen, ob diese Unklarheit schon für sich genommen einen den Angeklagten [X.] Rechtsfehler darstellt. Denn jedenfalls fehlt es der landgerichtlichen Entscheidung für jede der beiden möglichen Vorsatzalternativen an hinreichend tragfähigen Erwägungen.

8

a) Soweit das [X.] bei nicht zu beanstandender Annahme des Wissenselements des Vorsatzes die Tötungsabsicht auf die mehrfachen Ausrufe des Angeklagten, er wolle ihn abstechen, und auf die ausgeführten Stichbewegungen stützt, greift diese Würdigung zu kurz. Zwar erlauben die von dem Angeklagten bei der eigentlichen Tatbegehung gemachten Äußerungen durchaus einen Rückschluss auf die mit seiner Tat verfolgten Ziele. Allerdings hätte das [X.] insoweit in den Blick nehmen müssen, dass der Angeklagte während des gesamten Geschehens und kurz zuvor auch noch gegenüber einer anderen Person nahezu stereotyp angedroht hatte, den jeweils Betroffenen umzubringen bzw. abzustechen. Vor allem auch mit Blick auf den Zustand des Angeklagten, der alkoholisiert war, unter Drogeneinfluss stand und an erheblichem Schlafmangel litt, hätte es näherer Erörterung bedurft, ob die ausgestoßenen Bedrohungen insgesamt ernsthafter Natur waren und damit indiziell das Vorliegen von Tötungsabsicht stützen konnten oder eher auf den durch die Umstände bedingten enthemmten Zustand des Angeklagten zurückzuführen waren.

9

b) Im Hinblick auf die mögliche Annahme lediglich bedingten Tötungsvorsatzes fehlt es hinsichtlich des voluntativen Vorsatzelements an der erforderlichen Gesamtwürdigung aller maßgeblichen Umstände. Die Annahme oder Ablehnung bedingten Tötungsvorsatzes können nur im Rahmen einer Gesamtbetrachtung aller objektiven und subjektiven Umstände erfolgen ([X.], Urteil vom 23. Februar 2012 - 4 StR 608/11, [X.], 443, 444). Dabei ist die auf der Grundlage der dem Täter bekannten Umstände zu bestimmende objektive Gefährlichkeit der Tathandlung ein wesentlicher Indikator (vgl. [X.], Urteil vom 25. März 1999 - 1 StR 26/99, NJW 1999, 2533, 2534). Bei der Würdigung des Willenselements ist neben der konkreten Angriffsweise jedoch regelmäßig auch die Persönlichkeit des [X.], sein psychischer Zustand zum Tatzeitpunkt und seine Motivation mit in die erforderliche Gesamtbetrachtung einzubeziehen (vgl. Senat, Beschluss vom 1. Juni 2007 - 2 [X.], [X.], 267, 268; Beschluss vom 9. Juni 2015 - 2 [X.], [X.], 695).

Daran gemessen hätte sich das [X.] mit einigen nach Sachlage in Betracht kommenden Umständen auseinander setzen müssen, die den Vorsatz insoweit in Frage zu stellen geeignet wären (vgl. [X.] NStZ-RR 2004, 204; NStZ-RR 2005, 304). Zum einen wären die Alkoholisierung des Angeklagten, sein Schlafmangel und seine Wut zu berücksichtigen gewesen. Zum anderen hätte die [X.] die besondere Kampfsituation in den Blick nehmen müssen, die davon geprägt war, dass dem Angeklagten zwei bewaffnete Kontrahenten gegenüber standen. Mit Blick auf die Vorgeschichte und das [X.], das sich eigendynamisch, aber ohne wirkliches Motiv zur Tat hin entwickelt hat, hätte sich eine Auseinandersetzung mit der Frage aufgedrängt, ob der Angeklagte den [X.] tatsächlich billigend in Kauf genommen hat.

Dieser Darlegungsmangel führt zur Aufhebung der Verurteilung wegen versuchten Totschlags. Sie erfasst ohne Weiteres auch die tateinheitlich angenommene Beleidigung, die sich im Übrigen den Feststellungen für die Tat II. 4 der Urteilsgründe nicht entnehmen lässt.

2. Der Wegfall des Schuldspruchs im [X.] 4 der Urteilsgründe entzieht dem [X.] die Grundlage. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass die Strafe aus dem Urteil des [X.] vom 13. April 2016 gesamtstrafenfähig und damit bei der Bildung einer neuen Gesamtstrafe einzustellen ist.

Appl     

       

Krehl     

       

Bartel

       

Grube     

       

Schmidt     

       

Meta

2 StR 83/17

18.05.2017

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Gießen, 19. Dezember 2016, Az: 401 Js 26926/15 - 5 Ks

§ 22 StGB, § 23 StGB, § 212 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 18.05.2017, Az. 2 StR 83/17 (REWIS RS 2017, 10677)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 10677

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

2 StR 83/17 (Bundesgerichtshof)


3 StR 158/12 (Bundesgerichtshof)

Versuchter Totschlag: Feststellung des bedingten Tötungsvorsatzes bei einer Vielzahl von Messerstichen


2 StR 213/15 (Bundesgerichtshof)

Strafverfahren wegen versuchten Totschlags: Strafbefreiender Rücktritt im Rahmen eines mehraktigen Tötungsgeschehens


5 StR 466/19 (Bundesgerichtshof)

Mord: Ausnutzungsbewusstsein bei Heimtücke und niedriger Beweggrund bei Tötung aus harmlosem Anlass


4 StR 394/19 (Bundesgerichtshof)

Versuchter Totschlag: Anforderungen an einen fehlgeschlagenen Versuch


Referenzen
Wird zitiert von

2 StR 83/17

Zitiert

4 StR 608/11

2 StR 504/14

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.