Bundesfinanzhof, Urteil vom 17.03.2010, Az. II R 46/08

2. Senat | REWIS RS 2010, 8355

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Gegenstand

Maßgebende Steuerklassen bei ehemaligem Adoptionsverhältnis


Leitsatz

Die Steuerklassen I und II Nr. 1 bis 3 gelten nicht, wenn die Verwandtschaft eines Adoptivkindes zum Erblasser bereits vor dem Erbfall durch Aufhebung des Annahmeverhältnisses erloschen ist .

Tatbestand

1

I. Der 1938 geborene Kläger und Revisionskläger (Kläger) wurde durch notariell beurkundeten [X.] vom 31. Oktober 1950 von seinem Onkel und dessen Ehefrau [X.] an Kindes statt angenommen. Der Kindesannahmevertrag wurde mit notariell beurkundetem und vormundschaftsgerichtlich genehmigtem Vertrag vom 18. September 1959 wieder aufgehoben.

2

In einem 1995 errichteten gemeinschaftlichen Testament setzten sich die Eheleute gegenseitig zum Erben ein und bestimmten, dass der Kläger Erbe des zuletzt [X.] werden sollte. [X.], die ihren Ehemann überlebt hatte, verstarb am 16. Februar 2004.

3

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --[X.]--) setzte mit [X.] vom 4. Juli 2005 gegenüber dem Kläger Erbschaftsteuer in Höhe von 43.171 € fest, wobei davon ausgegangen wurde, dass der Kläger zur [X.]I gehört.

4

Der Einspruch, mit dem der Kläger als ehemaliger Adoptivsohn die Zuordnung zur Steuerklasse I, hilfsweise zur [X.] begehrte, hatte nur hinsichtlich des [X.] Erfolg. Die Erbschaftsteuer wurde im geänderten [X.] vom 23. August 2005 auf 31.042 € herabgesetzt.

5

Die Klage wurde abgewiesen. Zur Begründung führte das Finanzgericht ([X.]) in dem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2008, 1647 veröffentlichten Urteil aus, der Kläger sei zum Zeitpunkt des Erbfalls nicht mehr Adoptivsohn der Erblasserin und damit kein Kind i.S. von § 15 Abs. 1 des [X.] in der für den Streitfall maßgebenden Fassung ([X.]) gewesen. § 15 Abs. 1a [X.] gelte nicht für ehemalige Adoptionsverhältnisse.

6

Mit der Revision rügt der Kläger die fehlerhafte Anwendung des § 15 Abs. 1a [X.]. Nach dem Wortlaut und dem Sinnzusammenhang des Gesetzes sei die Vorschrift dahin zu verstehen, dass ein ehemaliges Adoptivkind die Steuerklasse I beanspruchen könne, obwohl nach Aufhebung der Adoption zivilrechtlich eine Verwandtschaft zu den Adoptiveltern nicht mehr bestehe.

7

Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und den Erbschaftsteuerbescheid vom 23. August 2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29. März 2006 dahin zu ändern, dass ein Freibetrag von 205.000 € berücksichtigt und die Erbschaftsteuer auf 0 € festgesetzt wird.

8

Das [X.] beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

9

I[X.] Die Revision ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Die Entscheidung des [X.], dem Kläger als ehemaligem Adoptivkind nicht den für Kinder maßgeblichen Freibetrag zu gewähren, ist rechtmäßig. § 15 Abs. 1a [X.] gilt nicht für ein Adoptivkind, dessen Verwandtschaft zum Erblasser bereits vor dem Erbfall durch Aufhebung des [X.] erloschen ist.

1. Nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 [X.] bleibt in den Fällen des § 2 Abs. 1 Nr. 1 [X.] der Erwerb der Kinder im Sinne der Steuerklasse I Nr. 2 in Höhe von 205.000 € steuerfrei. Zu dieser Steuerklasse gehören die Kinder und Stiefkinder (§ 15 Abs. 1 Nr. 2 [X.]). Die Steuerklassen I und [X.] bis 3 gelten auch dann, wenn die Verwandtschaft durch Annahme als Kind bürgerlich-rechtlich erloschen ist (§ 15 Abs. 1a [X.]).

2. § 15 Abs. 1a [X.] begünstigt Erwerber in den Fällen, in denen die Annahme als Kind bürgerlich-rechtlich zum Erlöschen der Verwandtschaft geführt hat, die Annahme als Kind also den Erlöschensgrund darstellt. Dafür spricht neben dem Wortlaut vor allem die Entstehungsgeschichte der Regelung.

a) § 15 Abs. 1a [X.] wurde durch das Gesetz zur Änderung und Vereinfachung des Einkommensteuergesetzes und anderer Gesetze vom 18. August 1980 ([X.], 1537) eingefügt. Nach der Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung war die Änderung eine Folge des neuen Adoptionsrechts (BTDrucks 8/3688, S. 23).

Im Adoptionsgesetz ([X.]) vom 2. Juli 1976 ([X.] 1976, 1749) wurden die §§ 1741 bis 1772 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) mit Wirkung ab 1. Januar 1977 völlig neu gefasst. Bis zu dieser Neuregelung erlangte ein Kind durch die Annahme an Kindes statt zwar die rechtliche Stellung eines ehelichen Kindes des Annehmenden (§ 1757 Abs. 1 BGB in der vor dem 1. Januar 1977 geltenden Fassung [X.]), wobei sich die Wirkungen der Annahme nicht auf die Verwandten des Annehmenden erstreckten (§ 1763 Satz 1 BGB a.F.); als Adoptivkind gehörte es nach § 15 Abs. 1 I Nr. 2 Buchst. b [X.] a.F. zur Steuerklasse [X.] Nach § 1764 BGB a.F. blieben aber die Rechte und Pflichten, die sich aus dem Verwandtschaftsverhältnis zwischen dem Kinde und seinen Verwandten ergaben, durch eine Annahme an Kindes statt grundsätzlich unberührt. Das Verwandtschaftsverhältnis des Kindes zu seinen leiblichen Eltern und den bisherigen Verwandten blieb weiterhin bestehen und war demzufolge auch erbschaftsteuerrechtlich nach § 15 Abs. 1 [X.] für die Steuerklasse zu berücksichtigen.

Dagegen erlöschen nach Inkrafttreten der Neuregelungen im [X.] bei der Annahme Minderjähriger gemäß § 1755 Abs. 1 Satz 1 BGB das Verwandtschaftsverhältnis des Kindes und seiner Abkömmlinge zu den bisherigen Verwandten und die sich daraus ergebenden Rechte und Pflichten. Um zu verhindern, dass sich das Erlöschen des [X.]n [X.] in erbschaftsteuerrechtlicher Hinsicht nachteilig auswirkt, bestimmt § 15 Abs. 1a [X.], dass die Steuerklassen I und [X.] bis 3 auch hier gelten (vgl. [X.]/[X.], § 15 [X.], Rz 30, 30.1; [X.] in Fischer/Jüptner/[X.], [X.], 1. Aufl., § 15 Rz 45, 46; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, [X.], 3. Aufl., § 15 [X.] Rz 39; [X.], Erbschaftsteuer- und  Schenkungsteuergesetz, Kommentar, 15. Aufl., § 15 Rz 17, 18; [X.] in Troll/[X.]/[X.], [X.], § 15 Rz 49; [X.]/ [X.] in [X.]/[X.], [X.], § 15 Rz 82; [X.]/Wälzholz in [X.], [X.], 2009, § 15 Rz 16; [X.] in [X.]/ [X.], [X.] und [X.], § 15 [X.] Rz 34). Bereits vor dem Inkrafttreten des § 15 Abs. 1a [X.] war aufgrund von Verwaltungsanweisungen entsprechend verfahren worden (vgl. [X.], Erlass vom 13. Dezember 1979 - S 3820 - 10 R - 34, Der Betrieb 1980, 139).

Auch der [X.] geht im Urteil vom 14. Mai 1986 II R 37/84 ([X.], 471, [X.] 1986, 613) davon aus, dass die Neuregelung des § 15 Abs. 1a [X.] Sachverhalte betrifft, in denen die [X.] Verwandtschaft mit den leiblichen Eltern erloschen ist.

b) § 15 Abs. 1 und Abs. 1a [X.] haben zur Folge, dass bei der Adoption Minderjähriger die Steuerklassen I und [X.] bis 3 sowohl bei Erwerben im bisherigen [X.] als auch bei Erwerben in dem durch die Annahme als Kind neu begründeten [X.] Anwendung finden, also eine Doppelbegünstigung eintritt. Dies lässt sich nach dem Gesetzeszweck damit rechtfertigen, dass erbschaftsteuerrechtlich das durch die Annahme als Kind erloschene Verhältnis zu den leiblichen Verwandten dem kraft Gesetzes entstandenen Verwandtschaftsverhältnis zu dem Annehmenden und dessen Verwandten für die Zuordnung des Erwerbers zu einer Steuerklasse gleichzustellen ist.

c) Ein ehemaliges [X.] fällt entgegen der Auffassung des [X.] nicht in den Anwendungsbereich des § 15 Abs. 1a [X.] (vgl. [X.]/[X.], § 15 [X.], Rz 30.1; [X.], a.a.[X.], § 15 Rz 47).

Zwar wäre es nach dem Wortlaut der Vorschrift möglich, sie dahin zu verstehen, dass die Steuerklassen I und [X.] bis 3 auch dann gelten sollen, wenn eine Verwandtschaft, die durch Annahme als Kind begründet worden ist, bürgerlich-rechtlich erloschen ist. Das Tatbestandsmerkmal "Annahme als Kind" würde in diesem Fall nicht --wie bei dem durch die Annahme als Kind bedingten Erlöschen des [X.] zur leiblichen Verwandtschaft-- den Grund für das Erlöschen der Verwandtschaft bezeichnen, sondern den Grund für das Entstehen der Verwandtschaft. Dies würde aber dazu führen, das Tatbestandsmerkmal "Annahme als Kind" innerhalb der Vorschrift in unterschiedlicher Weise zu verstehen, was dem gesetzgeberischen Willen nicht entspricht. Der Gesetzgeber hat die Vorschrift als Folge des neuen Adoptionsrechts geschaffen und damit dessen nachteilige Auswirkungen auf die Steuerklassen im Erbschaftsteuerrecht ändern wollen. Für eine in diesem Zusammenhang beabsichtigte Begünstigung ehemaliger [X.]se sind keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich.

Die Anwendung der Steuerklassen I und [X.] bis 3 auf einen Erwerber, dessen Verwandtschaftsverhältnis zum Erblasser durch eine Annahme als Kind begründet und noch vor Eintritt des Erbfalls durch Aufhebung des [X.] wieder erloschen ist, ist auch nicht aus erbschaftsteuerrechtlicher Sicht zwingend geboten. Es gibt keinen sachlichen Grund dafür, die durch Aufhebung der Adoption erloschenen Verwandtschaftsverhältnisse hinsichtlich der Steuerklasse ebenso zu behandeln wie Verwandtschaftsbeziehungen zu den leiblichen Verwandten, die seit der Neuregelung des Adoptionsrechts gemäß § 1755 Abs. 1 BGB durch die Annahme als Kind erlöschen. Allein ein möglicherweise weiter bestehendes persönliches Verhältnis des ehemaligen Adoptivkindes zu seinen früheren Adoptiveltern reicht hierfür nicht aus.

Meta

II R 46/08

17.03.2010

Bundesfinanzhof 2. Senat

Urteil

vorgehend Schleswig-Holsteinisches Finanzgericht, 4. Juli 2008, Az: 3 K 114/06, Urteil

§ 15 Abs 1a ErbStG 1997, § 16 Abs 1 Nr 2 ErbStG 1997, § 1755 Abs 1 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 17.03.2010, Az. II R 46/08 (REWIS RS 2010, 8355)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 8355

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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