Bundesgerichtshof, Urteil vom 30.04.2013, Az. VI ZR 151/12

6. Zivilsenat | REWIS RS 2013, 6149

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Gegenstand

Prozessvoraussetzung der obligatorischen Streitschlichtung in Baden-Württemberg: Schlichtungsversuch nach Verweisung einer Sache wegen fehlender sachlicher Zuständigkeit vom Landgericht an das Amtsgericht


Leitsatz

Die Bestimmung des § 1 Abs. 1 Satz 1 SchlG BW kann nicht erweiternd dahingehend ausgelegt werden, dass sie generell auch die Fälle erfasst, in denen die Klage aufgrund einer unzutreffenden Ermittlung des Streitwerts zunächst vor dem Landgericht erhoben wird und dieses den Rechtsstreit wegen fehlender sachlicher Zuständigkeit gemäß § 281 Abs. 1 ZPO an das Amtsgericht verweist.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil der 3. Zivilkammer des [X.] vom 7. März 2012 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Parteien sind geschiedene Eheleute. Mit der beim [X.] erhobenen Klage nimmt die Klägerin den Beklagten auf Unterlassung der Behauptung in Anspruch, sie habe ihm 40.000 € gestohlen oder unterschlagen. Den Streitwert hat sie in der Klage mit 10.000 € angegeben. Das [X.] hat den Streitwert auf 2.000 € festgesetzt. Die dagegen gerichtete Beschwerde der Klägerin hat das [X.] als unzulässig verworfen. Auf den Verweisungsantrag der Klägerin hat das [X.] den Rechtsstreit an das Amtsgericht verwiesen. Das Amtsgericht hat die Klage als unzulässig abgewiesen, weil die Klägerin das gemäß § 15a EGZPO [X.]. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 [X.] BW erforderliche Schlichtungsverfahren vor der Klageerhebung nicht durchgeführt habe. Das [X.] hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der vom [X.] zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Klagantrag weiter.

Entscheidungsgründe

I.

2

Nach Auffassung des Berufungsgerichts ist die Klage unzulässig, weil entgegen § 15a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EGZPO [X.]. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 [X.] BW vor der Klageerhebung kein Schlichtungsverfahren stattgefunden habe. Von § 1 [X.] BW würden Klagen erfasst, die vor dem Amtsgericht erhoben würden. Der Anwendungsbereich der Bestimmung erstrecke sich aber auch auf solche Klagen, die richtigerweise vor dem Amtsgericht hätten erhoben werden müssen und nur aufgrund einer Höherbewertung des Streitwerts durch den Kläger vor dem [X.] erhoben worden seien. Das mit § 15a EGZPO verfolgte Ziel werde nur erreicht, wenn die Bestimmung konsequent derart ausgelegt werde, dass die Rechtsuchenden und die Anwaltschaft in den durch Landesgesetz vorgegebenen Fällen vor Anrufung der Gerichte auch tatsächlich den Weg zur Schlichtungsstelle beschreiten müssten. Die vorliegende Sachverhaltskonstellation entspreche den Fällen einer subjektiven bzw. objektiven Klagehäufung, in denen der [X.] die Durchführung eines Schlichtungsverfahrens für erforderlich gehalten habe. In jedem Einzelfall zu prüfen, ob missbräuchlich ein zu hoher Streitwert angenommen worden sei, um die Klage vor dem [X.] erheben zu können, entspreche nicht dem Wortlaut und der Zielrichtung der gesetzlichen Regelung und würde zu einer nicht wünschenswerten prozessualen Rechtsunklarheit führen.

II.

3

Diese Erwägungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts fällt das vorliegende Verfahren nicht in den Anwendungsbereich des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 [X.] BW.

4

1. Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 [X.] BW ist die Erhebung der Klage vor den Amtsgerichten in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten über Ansprüche wegen Verletzungen der persönlichen Ehre, die nicht in Presse oder Rundfunk begangen worden sind, erst zulässig, nachdem versucht worden ist, die Streitigkeit in einem Schlichtungsverfahren einvernehmlich beizulegen. Die Bestimmung enthält eine von Amts wegen zu prüfende, besondere Prozessvoraussetzung, die bereits im Zeitpunkt der Klageerhebung vorliegen muss (vgl. Senatsurteile vom 23. November 2004 - [X.], [X.], 145, 147 ff.; vom 8. Juli 2008 - [X.], [X.], 1288 Rn. 10; vom 13. Juli 2010 - [X.], [X.], 1444 Rn. 9, 11, jeweils mwN).

5

2. Wie das [X.] zutreffend gesehen hat, sind die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 [X.] BW an sich nicht erfüllt. Denn die Klägerin hat die Klage nicht vor dem Amtsgericht, sondern - unter Zugrundelegung eines Streitwerts von 10.000 € - vor dem [X.] erhoben. Dort hat sie ihre Klageschrift eingereicht; von dort ist die Klage dem Beklagten zugestellt worden (vgl. § 253 Abs. 1, § 271 Abs. 1 ZPO).

6

3. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann die Bestimmung des § 1 Abs. 1 Satz 1 [X.] BW nicht erweiternd dahingehend ausgelegt werden, dass sie generell auch die Fälle erfasst, in denen die Klage aufgrund einer unzutreffenden Ermittlung des Streitwerts zunächst vor dem [X.] erhoben wird und dieses den Rechtsstreit wegen fehlender sachlicher Zuständigkeit gemäß § 281 Abs. 1 ZPO an das Amtsgericht verweist. Ein derartiges Verständnis der Norm ist mit ihrem Wortlaut nicht vereinbar, berücksichtigt den Sinn und Zweck des § 281 ZPO nicht hinreichend und führt zu unerwünschten prozessualen Unklarheiten.

7

a) Durch die Schaffung des § 1 Abs. 1 Satz 1 [X.] BW hat der Landesgesetzgeber von der ihm in § 15a EGZPO eingeräumten Kompetenz Gebrauch gemacht, die Zulässigkeit der Klageerhebung in bestimmten bürgerlich-rechtlichen Streitigkeiten von der Durchführung eines Schlichtungsverfahrens abhängig zu machen. Ausweislich des klaren Wortlauts des § 1 Abs. 1 Satz 1 [X.] BW und der Gesetzesbegründung hat er hierbei die Ermächtigung nicht voll ausgeschöpft, sondern sich ausdrücklich darauf beschränkt, eine - den allgemeinen Justizgewährungsanspruch der Rechtsuchenden einschränkende - zusätzliche Sachurteilsvoraussetzung in Form der obligatorischen Schlichtung nur für die Klagen anzuordnen, die vor den Amtsgerichten erhoben werden (vgl. [X.]. 12/5033 [X.], 17 f.; zur Beeinträchtigung des allgemeinen Justizgewährungsanspruchs durch Regelungen über die obligatorische Schlichtung: [X.], 275). Die Möglichkeit, ein obligatorisches Schlichtungsverfahren auch für landgerichtliche Verfahren vorzusehen, hat der Landesgesetzgeber bewusst nicht wahrgenommen ([X.]. 12/5033 [X.]8).

8

b) Eine danach beim [X.] ohne vorherige Durchführung eines Schlichtungsverfahrens zulässig erhobene Klage wird nicht nachträglich dadurch unzulässig, dass der Rechtsstreit vom [X.] wegen fehlender sachlicher Zuständigkeit gemäß § 281 Abs. 1 ZPO an das Amtsgericht verwiesen wird (vgl. [X.]/[X.], ZPO, 29. Aufl., § 281 Rn. 15a; [X.]/[X.], aaO, § 15a EGZPO Rn. 18; [X.], Außergerichtliche Streitschlichtung, 2003, Rn. 179; [X.], [X.], 633, 636 f.; Bitter, NJW 2005, 1235, 1239; Schilken, [X.], 2001, S. 471, 473 in [X.]. 15 zur Verweisung durch ein Gericht in einem Land ohne obligatorisches Schlichtungsverfahren in ein Land mit obligatorischem Schlichtungsverfahren; Hk-ZPO/[X.], 5. Aufl., § 15a EGZPO Rn. 2; [X.]/[X.], [X.] BW, 2001, § 1 Rn. 5; a.[X.]/[X.], 3. Aufl., § 15a EGZPO Rn. 5; [X.], ZPO, 22. Aufl., § 15a EGZPO Rn. 12; [X.], [X.] 2001, 355, 357). Denn die Verweisung gemäß § 281 ZPO erhält die Rechtshängigkeit des Rechtsstreits; frühere Prozesshandlungen wirken wegen des Grundsatzes der Einheit des Verfahrens fort (vgl. [X.]/[X.], aaO § 15a EGZPO Rn. 18; [X.], [X.], 633, 636; [X.]/[X.], aaO). Eine andere Beurteilung führte dazu, dass die Bestimmung des § 281 ZPO in diesen Fällen ihres Sinns beraubt würde. Zweck dieser Regelung ist es, im Interesse der Prozessökonomie einer Verzögerung und Verteuerung der Verfahren durch Zuständigkeitsstreitigkeiten vorzubeugen und die Vorteile der Rechtshängigkeit zu sichern (vgl. [X.], Beschluss vom 23. März 1988 - [X.], [X.], 943; [X.]Prütting, 4. Aufl., § 281 Rn. 1; [X.] in [X.] ZPO, § 281 Rn. 1, Stand: 15. Januar 2013; [X.]/[X.], aaO, § 281 Rn. 1). Dieser Zweck würde verfehlt, wenn sich der Anwendungsbereich des § 1 Abs. 1 Satz 1 [X.] BW auf die Fälle erstreckte, in denen der Rechtsstreit vom [X.] gemäß § 281 Abs. 1 ZPO an das Amtsgericht verwiesen wird. Denn da das Schlichtungsverfahren der Klageerhebung vorausgehen muss und nicht nachgeholt werden kann (Senatsurteile vom 23. November 2004 - [X.], aaO; vom 13. Juli 2010 - [X.], aaO, Rn. 9, jeweils mwN), müsste die Klage in diesen Fällen ausnahmslos als unzulässig abgewiesen werden.

9

c) Hinzu kommt, dass der Rechtsuchende gerade in den in § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 [X.] BW geregelten Streitigkeiten im Vorfeld nicht immer klar erkennen kann, ob die Klage "richtigerweise beim Amtsgericht erhoben werden" muss. Denn in diesen Streitigkeiten ist das Klagebegehren häufig nicht auf Zahlung einer bestimmten Geldsumme, sondern auf Duldung, Unterlassung oder Beseitigung gerichtet, so dass die Bewertung des für den Zuständigkeitsstreitwert gemäß § 3 ZPO maßgeblichen Interesses des Klägers (vgl. [X.], Beschlüsse vom 8. März 2012 - [X.], Grundeigentum 2012, 683; vom 6. Dezember 2012 - [X.], Grundeigentum 2013, 347) durch die [X.] bzw. ihren Anwalt einerseits und das Gericht andererseits unterschiedlich ausfallen kann. Erfasste § 1 Abs. 1 Satz 1 [X.] BW auch vom [X.] gemäß § 281 Abs. 1 ZPO an das Amtsgericht verwiesene Verfahren, so müsste der Rechtsuchende, um eine Abweisung seiner Klage als unzulässig sicher zu vermeiden, in allen Streitigkeiten im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 3 [X.] BW vor der Klageerhebung einen Einigungsversuch unternehmen, auch wenn aus seiner Sicht die sachliche Zuständigkeit des [X.]s gegeben ist. Eine derart umfassende Schlichtungspflicht war mit der Einführung des § 1 [X.] BW aber gerade nicht beabsichtigt (vgl. [X.]. 12/5033 [X.], 17 f.).

4. Ob ausnahmsweise etwas anderes gilt, wenn die Klage rechtsmissbräuchlich vor einem sachlich unzuständigen Gericht erhoben wurde (vgl. Bitter, NJW 2005, 1235, 1239), bedarf keiner Entscheidung. Für eine solche Annahme sind Anhaltspunkte weder ersichtlich noch dargetan.

Galke     

        

Richter am [X.]
[X.] ist wegen Urlaubs verhindert
zu unterschreiben

        

Pauge 

                 

Galke 

                 
        

Stöhr     

        

     von [X.]     

        

Meta

VI ZR 151/12

30.04.2013

Bundesgerichtshof 6. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend LG Stuttgart, 7. März 2012, Az: 3 S 91/11, Urteil

§ 15a Abs 1 S 1 Nr 3 ZPOEG, § 281 Abs 1 ZPO, § 1 Abs 1 S 1 SchlichtG BW

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 30.04.2013, Az. VI ZR 151/12 (REWIS RS 2013, 6149)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 6149

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