Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 07.09.2011, Az. 2 StR 600/10

2. Strafsenat | REWIS RS 2011, 3571

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
2 StR 600/10
vom
7.
September 2011
in der Strafsache
gegen

1.

2.

wegen Untreue

-
2
-
Der 2.
Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 7.
September 2011, an der teilgenommen haben:
[X.] am [X.]
Prof. Dr. Fischer,

und die [X.] am [X.]
Prof. Dr. [X.],
Dr.
Berger,
Prof. Dr. [X.],
Dr.
Eschelbach,

Oberstaatsanwalt beim [X.]

als Vertreter der [X.],

der Angeklagte
[X.]

in Person,

Rechtsanwalt

als Verteidiger des Angeklagten [X.]

,

Rechtsanwalt

als Verteidiger
des Angeklagten B.

,

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

1.
Auf die Revision des Angeklagten [X.]

wird das Urteil
des [X.] vom 24.
Februar 2010 dahin ergänzt, dass von der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von drei [X.] und sechs Monaten ein Monat Freiheitsstrafe als Entschä-digung für die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung als vollstreckt gilt.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
2.
Die Revision des Angeklagten B.

gegen das Urteil des [X.] vom 24.
Februar 2010 wird verworfen.
3.
Die Beschwerdeführer haben die Kosten ihrer Rechtsmittel
zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:
Das [X.] hat die Angeklagten wegen Untreue in drei Fällen schuldig gesprochen. Gegen den Angeklagten [X.]

hat es eine Gesamt-freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten, gegen den Angeklagten B.

eine Gesamtfreiheitstrafe von zwei Jahren verhängt, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten B.

bleibt ohne Erfolg. Die Revision des Angeklagten [X.]

ist im Wesentlichen 1
-
4
-
erfolglos; das Urteil ist lediglich um eine Kompensation für einen Konventions-verstoß zu ergänzen.

I.
Nach den Feststellungen des [X.] waren die Angeklagten ge-schäftsführende Gesellschafter der S.

OHG, die zunächst mit der Vermittlung von Versicherungen für den [X.], ab Januar 2006 auch mit dem [X.] für die A.

Krankenversicherung AG beschäftigt war.
Im Juni 2006 kam es
zu einer vertraglichen Vereinbarung mit der ameri-kanischen Versicherungsgesellschaft [X.]

, für diese gegen Entgelt als [X.] zu vertreiben und die [X.] sowie die Schadensbearbeitung zu übernehmen. Die S.

OHG hatte monatlich die [X.] Versicherungsprämien an die [X.]

weiterzuleiten. Hiervon in Abzug zu bringen waren die Schadensbearbeitungskosten, d.h. die an die [X.] gezahlten Entschädigungsleistungen sowie die hiermit in [X.] stehenden Aufwendungen (Kosten für Gutachten etc.) mit Ausnahme der allgemeinen Verwaltungskosten (z.B. Personalkosten, Büromieten), die von der S.

OHG zu tragen waren. Zur Schadensbearbeitung war die S.

OHG be-rechtigt, vereinnahmte Prämien bis zur Höhe von eineh-nung als "[X.]"
zurückzuhalten. Das Entgelt für die von der
S.

OHG zu erbringenden Leistungen bestand in einem Prämienaufschlag gegenüber den Versicherungsnehmern. Dieser reichte jedoch nicht aus, um den hohen Kostenaufwand der S.

OHG zu decken, weshalb diese von [X.] an monatliche Verluste von mehreren 100.000

Nachverhandlungen der S.

OHG mit der [X.]

über eine zusätzliche [X.] scheiterten. Infolge dessen wurden ab [X.] 2006 vorrangig besonders 2
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5
-
bedürftige Kunden und solche, die sich mehrfach beschwert hatten, entschä-digt, während die anderen "hingehalten"
wurden. Die S.

OHG erstellte unter dem 22.
Dezember 2006, 31.
Januar 2007 und 8.
Februar 2007 Abrechnungen, in die sie die
Prämieneinnahmen zutreffend einstellte. Entgegen der vertragli-chen Vereinbarung brachte sie jedoch -
was die Angeklagten wussten
-
nicht nur die tatsächlich gezahlten Entschädigungen, sondern auch die lediglich [X.], noch nicht regulierten Schäden
in Abzug. Aufgrund der Höhe die-ser vermeintlichen Entschädigungsleistungen und unter Berücksichtigung des von der S.

OHG berechtigterweise unterhaltenen [X.] von einer .

ab. Die vorenthaltenen Prämien in Höhe von etwa 4.303.040

Angeklagten zur Deckung ihrer Kosten und zum Aufbau der S.

-Gruppe.
Das [X.] hat das Handeln der Angeklagten jeweils als Untreue in drei Fällen -
entsprechend den erfolgten drei Abrechnungen
-
gewertet. Diese hätten ihre gegenüber der [X.]

als Treugeberin bestehende Vermögensbe-treuungspflicht verletzt, indem sie es unterlassen hätten, entsprechend ihrer vertraglichen Verpflichtung monatlich die [X.] abzuführen. Den der [X.]

entstandenen Schaden hat das [X.] aufgrund der [X.] vom 22.
Dezember 2006 (Abrechnungszeitraum Juni bis November 2006) auf 1.434.419,51

Januar 2007 ([X.] Dezember 2006) auf 382.057,36

Februar 2007 (Abrechnungszeitraum Januar 2007) auf 431.135,74

hat es von den eingenommenen Prämien einen Betrag von einer Mio.

[X.], die von der [X.]

zu tragenden Aufwendungen zur Scha-densbearbeitung und die tatsächlich erbrachten Schadenszahlungen in Abzug gebracht und zudem einen Sicherheitsabschlag von 20 % vorgenommen.

4
-
6
-
[X.]
Die Verfahrensrügen haben -
mit Ausnahme des von dem Angeklagten [X.]

geltend gemachten Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK (siehe dazu unten [X.] 2)
-
aus den Gründen der Antragsschrift des [X.] keinen Erfolg. Auch die
Sachrüge ist unbegründet.
1. a) Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des [X.] tragen die Schuldsprüche wegen Untreue in drei Fällen. Die Tathandlung be-steht jeweils in einem Unterlassen i.[X.]. §
13 StGB, dem Nichtabführen der [X.] zum monatlichen Abrechnungszeitpunkt. Für die Abgren-zung von [X.] und Unterlassen kommt es auf den Schwerpunkt des [X.] an, über das in wertender Würdigung zu entscheiden ist (BGHSt 6, 46, 59; NStZ 1999, 607). Hier liegt -
schon mit Blick darauf, dass ins Einzelne ge-hende Feststellungen zur vertragswidrigen Verwendung der Gelder nicht getrof-fen sind
-
der Schwerpunkt des treuwidrigen Verhaltens in der unterbliebenen Weiterleitung der zum Abrechnungszeitpunkt an die [X.]

zu zahlenden
Prä-miengelder. Demgegenüber tritt die als positives [X.] zu betrachtende Erstel-lung falscher Abrechnungen bei wertender Betrachtung als bloße Vorbereitung der den eigentlichen Schaden herbeiführenden Nichtabführung zu zahlender Prämien zurück. Soweit das [X.] die treuwidrige Handlung i.[X.]. §
266 StGB nicht zum jeweiligen vertraglich vorgesehenen monatlichen [X.]sstichtag, sondern zum Zeitpunkt der drei Prämienabrechnungen ange-nommen hat, belastet dies die Angeklagten
nicht, die sich ansonsten wegen acht Untreuestraftaten zu verantworten gehabt hätten.
b) Das [X.] hat auch den eingetretenen Vermögensnachteil zu-treffend berechnet.
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-
7
-
Ein Nachteil i.[X.]. §
266 StGB liegt vor, wenn die treuwidrige Handlung unmittelbar zu einer nicht durch
Zuwachs ausgeglichenen Minderung des wirt-schaftlichen [X.] des Vermögens des Treugebers führt (Prinzip der Gesamtsaldierung, BGHSt 15, 342, 343 f.; 47, 295, 301 f.; [X.], 205, 206; 2010, 330, 331). Maßgeblich ist der Zeitpunkt der pflichtwidrigen Tat-handlung, also der Vergleich des Vermögenswerts unmittelbar vor und nach dieser Handlung.
Nach den Feststellungen des [X.] nahmen
die Angeklagten
zu den jeweiligen Abrechnungszeitpunkten eine Abrechnung vor, die die abzufüh-renden [X.], den von der [X.]

zu tragenden Aufwendungen zur Schadensbe-arbeitung sowie den tatsächlich von der S.

OHG erbrachten Entschädi-gungszahlungen sowie den lediglich angemeldeten, aber noch nicht regulierten Schadensbeträgen für den jeweiligen Zeitraum verbindlich und abschließend darstellte. Sie reduzierten
damit den auszuzahlenden Betrag an eingenomme-nen Prämien zu Unrecht um Beträge für lediglich angemeldete Schadenspos-ten. Die Angeklagten beabsichtigten
nach ihren Vorstellungen nicht, die vorent-haltenen Prämien jemals auszuzahlen; sie wollten
vielmehr die vertragswidrig einbehaltenen Geldbeträge durch eine bewusst falsche Abrechnungsweise als berechtigt einbehalten ausweisen und diese zur Aufrechterhaltung des Ge-schäftsbetriebs nach und nach vertragswidrig für eigene Zwecke verwenden. Damit war zum jeweiligen Abrechnungszeitpunkt ein endgültiger Schaden ein-getreten. Der Umstand, dass die S.

OHG in Einzelfällen Entschädigungszah-lungen, die sie in ihrer Abrechnung zunächst nur zum Schein als bereits [X.] verbucht hat, im Nachhinein bei besonders drängenden oder bedürftigen Versicherungsnehmern tatsächlich noch erbracht hat, steht dem nicht entge-gen. Das [X.] von durch spätere Geschäfte erzielten "Vermögensvorteilen"
(Befreiung von einer Verbindlichkeit gegenüber den Versicherten) durch die 8
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-
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-
Treugeberin konnte den bereits eingetretenen Schaden nicht mehr beseitigen, sondern stellte
eine bloße Schadenswiedergutmachung dar (vgl. BGHSt 55, 266, 284).
Der der [X.]

entstandene Vermögensnachteil beläuft sich daher -
es ist zu keinerlei Auszahlungen an sie gekommen
-
auf die Summe der einge-nommenen Prämienzahlungen [X.], die
von der [X.]

zu tragenden Aufwendungen zur Scha-densbearbeitung und die
tatsächlich von der S.

OHG erbrachten Entschädi-gungszahlungen. Der hypothetische Umstand, dass jedenfalls ein
Teil der [X.] und noch nicht regulierten Schäden, die die S.

OHG in ihren Ab-rechnungen als bereits ausgezahlte Schadensersatzleistungen auswies, von der S.

OHG hätte erstattet werden müssen und von dieser dann hätte einbe-halten werden dürfen, hat bei der Schadensberechnung unberücksichtigt zu bleiben. Eine Kompensation durch Zugrundelegung hypothetischer Sachverhal-te findet bei der Schadensberechnung nicht statt (für den Bereich des Sozial-versicherungsrechts [X.], 85, 86; [X.], 313, 315).
2. Schließlich begegnet die von der [X.] vorgenommene Straf-zumessung hinsichtlich des Angeklagten [X.]

keinen rechtlichen Beden-ken. Entgegen der Auffassung der Revision hat das [X.] dem Postulat des [X.], dass gegen Mittäter verhängte Strafen in einem ge-rechten Verhältnis zueinander stehen sollen (vgl. zuletzt [X.], 2597 mwN), Rechnung getragen. Es hat bei dem Angeklagten [X.]

eingestellt, dass dieser -
im Gegensatz zu dem Angeklagten B.

, der keine Vorstrafe aufweist, den [X.] weitgehend eingeräumt hat und u.a. angesichts einer eingetragenen Zwangshypothek von 800.000

niert ist
-
einschlägig hinsichtlich einer in allen Einzelheiten vergleichbaren Tat vorbestraft ist und sich beim Ermittlungsrichter lediglich teilweise geständig eingelassen 10
11
-
9
-
hat. Angesichts beschränkter revisionsgerichtlicher
Kontrolle ist daher das un-terschiedliche Strafmaß nicht zu beanstanden.
3. Zu Recht beanstandet die Revision des Angeklagten [X.]

mit der Verfahrensrüge nach Art.
6 Abs.
1 Satz
1 MRK allerdings, dass nach der [X.] eine der Justiz anzulastende, erhebliche Verfahrensverzöge-rung eingetreten ist. Dem Angeklagten [X.]

wurde das am 24.
Februar 2010 verkündete Urteil am 21.
Mai 2010 zugestellt. Diese Urteilszustellung war unwirksam, da das [X.] vom 8.
Februar 2010 von dem Protokollführer nicht unterschrieben und das Protokoll daher nicht fertiggestellt war. Fertig gestellt i.[X.]. §
271 Abs.
1 Satz
2 StPO ist das Protokoll erst mit der letzten Unterschrift der Urkundsperson (BGHSt 23, 115, 117; [X.] 54. Aufl. §
271 Rn.
19). Fehlt es hieran, ist eine vorangegangene Urteils-zustellung unwirksam (BGHSt 27, 80, 81). Die deshalb erforderliche erneute Urteilszustellung erfolgte am 10.
Dezember 2010. Infolge dessen ist eine unan-gemessene Verfahrensverzögerung von mehr als sechs Monaten eingetreten. Über die angemessene Kompensation kann der Senat in entsprechender An-wendung von §
354 Abs.
1 a Satz 2 StPO selbst entscheiden (vgl. [X.], 208, 209). Auf der Grundlage der [X.] ([X.], 860) stellt der Senat fest, dass von der verhängten Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten ein Monat Freiheitsstrafe als Entschädigung für die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung als vollstreckt gilt.
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-
10
-

4. Die gegen die Verurteilung insgesamt gerichtete Revision des Ange-klagten [X.]

hat nur einen geringen Teilerfolg, so dass es nicht unbillig ist, diesen mit den gesamten Kosten und Auslagen seines Rechtsmittels zu [X.] (§
473 Abs.
1 und 4 StPO).

Fischer

[X.]

Herr RiBGH Dr. Berger

ist wegen Urlaubs an

der Unterschriftsleistung

gehindert.

Fischer

[X.]

Eschelbach

13

Meta

2 StR 600/10

07.09.2011

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 07.09.2011, Az. 2 StR 600/10 (REWIS RS 2011, 3571)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 3571

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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