Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 22.05.2012, Az. 9 AZR 618/10

9. Senat | REWIS RS 2012, 6261

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Verfall tariflichen Mehrurlaubs bei Arbeitsunfähigkeit - § 26 Abs 2 Buchst a TV-L


Leitsatz

1. Die Tarifvertragsparteien des TV-L haben mit § 26 Abs 2 Buchst a TV-L ein eigenständiges, von dem des Bundesurlaubsgesetzes abweichendes Fristenregime geschaffen, nach dem der tarifliche Mehrurlaub auch bei fortbestehender Arbeitsunfähigkeit am Ende des zweiten Übertragungszeitraums am 31. Mai des Folgejahres verfällt.

2. Die Abgeltung tariflicher Mehrurlaubsansprüche bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist nicht davon abhängig, dass die Arbeitsfähigkeit wiedererlangt wird. Insofern haben die Tarifvertragsparteien des TV-L keine eigenständige Regelung getroffen, sondern lediglich auf die Bestimmungen zum gesetzlichen Mindesturlaub Bezug genommen.

Tenor

1. Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 29. Juli 2010 - 3 [X.]/10 - unter Zurückweisung der Revision im Übrigen teilweise aufgehoben und der Tenor wie folgt neu gefasst:

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.762,67 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 6.677,81 Euro für die [X.] vom 1. April 2009 bis zum 30. Juli 2009, aus 1.909,04 Euro für die [X.] vom 31. Juli 2009 bis zum 26. November 2009 und aus 1.762,67 Euro seit dem 27. November 2009 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Berufung des Klägers zurückgewiesen.

2. Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens hat der Beklagte zu 83 % und der Kläger zu 17 % zu tragen. Die Kosten der Berufung und der Revision hat der Beklagte zu 57 % und der Kläger zu 43 % zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Abgeltung tariflichen Mehrurlaubs.

2

Der Kläger war vom 1. Januar 1976 bis zum 31. März 2009 beim [X.]n an der [X.] beschäftigt. Im Arbeitsvertrag war vereinbart, dass sich das Arbeitsverhältnis nach den [X.] vom 23. Februar 1961 ([X.]), den zur Ergänzung sowie Änderung abgeschlossenen bzw. künftig abzuschließenden Tarifverträgen und der Sonderregelung zum [X.] richtet. Seit dem 1. November 2006 wandten die Parteien den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder vom 12. Oktober 2006 ([X.]) auf das Arbeitsverhältnis an. In diesem Tarifvertrag idF des [X.] Nr. 2 vom 1. März 2009 heißt es zum Erholungsurlaub ua.:

        

„§ 26 

        

Erholungsurlaub

        

(1)     

Beschäftigte haben in jedem Kalenderjahr Anspruch auf Erholungsurlaub unter Fortzahlung des Entgelts (§ 21). Bei Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit auf fünf Tage in der [X.] beträgt der Urlaubsanspruch in jedem Kalenderjahr

                          

...     

                 
                          

nach dem vollendeten 40. Lebensjahr

30 Arbeitstage.

        
                 

… Verbleibt bei der Berechnung des Urlaubs ein Bruchteil, der mindestens einen halben Urlaubstag ergibt, wird er auf einen vollen Urlaubstag aufgerundet; Bruchteile von weniger als einem halben Urlaubstag bleiben unberücksichtigt. Der Erholungsurlaub muss im laufenden Kalenderjahr gewährt werden; er kann auch in Teilen genommen werden.

                 

...     

        

(2)     

Im Übrigen gilt das [X.] mit folgenden Maßgaben:

                 

a)    

Im Falle der Übertragung muss der Erholungsurlaub in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahres angetreten werden. Kann der Erholungsurlaub wegen Arbeitsunfähigkeit oder aus betrieblichen/dienstlichen Gründen nicht bis zum 31. März angetreten werden, ist er bis zum 31. Mai anzutreten.

                 

b)    

Beginnt oder endet das Arbeitsverhältnis im Laufe eines Jahres, steht als Erholungsurlaub für jeden vollen Monat des Arbeitsverhältnisses ein Zwölftel des Urlaubsanspruchs nach Absatz 1 zu; § 5 [X.] bleibt unberührt.

                 

...“   

        

3

Der Kläger war vom 23. Oktober 2007 bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 31. März 2009 durchgehend arbeitsunfähig erkrankt. Mit seiner dem [X.]n am 21. Juli 2009 zugestellten Klage hat er die Abgeltung von 59 Urlaubstagen verlangt. Der [X.] hat ihm zur Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubs und des Zusatzurlaubs für schwerbehinderte Menschen am 31. Juli 2009 4.768,75 Euro brutto und am 27. November 2009 weitere 146,44 Euro brutto gezahlt. Die Parteien haben daraufhin den Rechtsstreit in der Hauptsache teilweise für erledigt erklärt.

4

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, der [X.] habe auch den tariflichen Mehrurlaub im Umfang von jeweils zehn Tagen für die Jahre 2007 und 2008 sowie im Umfang von drei Tagen für das [X.] abzugelten. Aufgrund seiner Arbeitsunfähigkeit sei er gehindert gewesen, den tariflichen Mehrurlaub vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu nehmen.

5

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

        

den [X.]n zu verurteilen, an ihn 3.118,52 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 8.033,71 Euro für die [X.] vom 1. April 2009 bis zum 30. Juli 2009, aus 3.264,94 Euro für die [X.] vom 31. Juli 2009 bis zum 26. November 2009 und aus 3.118,52 Euro seit dem 27. November 2009 zu zahlen.

6

Der [X.] hat zu seinem Klageabweisungsantrag die Auffassung vertreten, der tarifliche Mehrurlaub sei verfallen. § 26 [X.] regele den Erholungsurlaub eigenständig und in erheblicher Weise abweichend vom gesetzlichen Urlaubsregime.

7

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das [X.] hat auf die Berufung des [X.] das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und der Klage stattgegeben. Mit der vom [X.] zugelassenen Revision begehrt der [X.] die Wiederherstellung der Entscheidung des Arbeitsgerichts.

Entscheidungsgründe

8

Die zulässige Revision des Beklagten hat teilweise Erfolg.

9

I. Die Revision ist begründet, soweit das [X.] den Beklagten zur Abgeltung von zehn Tagen tariflichen [X.] aus dem [X.] verurteilt hat. Der tarifliche [X.]anspruch des [X.] aus diesem Jahr ist gemäß § 26 Abs. 2 Buchst. a Satz 2 [X.] am 31. Mai 2008 verfallen und war damit bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 31. März 2009 nicht gemäß § 7 Abs. 4 [X.] abzugelten.

1. Nach § 26 Abs. 2 Buchst. a Satz 1 [X.] muss der Erholungsurlaub im Falle der Übertragung in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahres angetreten werden. Kann der Erholungsurlaub wegen Arbeitsunfähigkeit oder aus betrieblichen/dienstlichen Gründen nicht bis zum 31. März angetreten werden, ist er gemäß § 26 Abs. 2 Buchst. a Satz 2 [X.] bis zum 31. Mai anzutreten. Da der Kläger wegen Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit den tariflichen [X.] aus dem Kalenderjahr 2007 weder in diesem Jahr noch bis zum Ablauf des [X.] am 31. Mai 2008 antreten konnte, ist dieser Urlaub verfallen.

2. Entgegen der Ansicht des [X.] folgt aus dem Umstand, dass er auch über den 31. Mai 2008 hinaus arbeitsunfähig war, nichts anderes. Zwar hat der Senat nach der „Schultz-Hoff“-Entscheidung des [X.] vom 20. Januar 2009 (- [X.]/06 und [X.]/06 - Rn. 42 ff., Slg. 2009, [X.]) aufgrund der unionsrechtlichen Vorgaben angenommen, der gesetzliche [X.]anspruch sei im Falle fortdauernder Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers entgegen der Regelung in § 7 Abs. 3 Satz 3 [X.] nicht bis zum 31. März des Folgejahres befristet (vgl. [X.] 24. März 2009 - 9 [X.] - Rn. 47 ff., [X.]E 130, 119; zur erforderlichen Mindestlänge des Übertragungszeitraums: vgl. [X.] 22. November 2011 - [X.]/10 - [[X.]] Rn. 38, [X.] Richtlinie 2003/88/[X.] Nr. 6 = EzA [X.]-Vertrag 1999 Richtlinie 2003/88 Nr. 7). Die unionsrechtlichen Vorgaben betreffen jedoch ausschließlich den [X.]anspruch von vier Wochen. Den Mitgliedstaaten steht es frei, Arbeitnehmern über diesen hinaus Urlaubsansprüche einzuräumen und die Bedingungen für die Inanspruchnahme und Gewährung des [X.] nach nationalem Recht festzulegen ([X.] 3. Mai 2012 -  [X.]/10  - [[X.]] Rn. 34 ff. [X.], [X.], 688). Ebenso können Tarifvertragsparteien Urlaubsansprüche, die den von Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/[X.] des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl. [X.] 299 vom 18. November 2003 S. 9; im Folgenden: Arbeitszeitrichtlinie) gewährleisteten und von §§ 1, 3 Abs. 1 [X.] begründeten Anspruch auf [X.] von vier Wochen übersteigen, frei regeln (vgl. [X.] 3. Mai 2012 - [X.]/10 - [[X.]] aaO [X.]; [X.] 12. April 2011 - 9 [X.] - Rn. 21, EzA [X.] § 7 Nr. 123; 4. Mai 2010 - 9 [X.]/09 - Rn. 23 [X.], [X.]E 134, 196; 23. März 2010 - 9 [X.] - Rn. 19, 26 ff., [X.]E 134, 1). Diese Befugnis schließt die Befristung des [X.] ein. Einem von Tarifvertragsparteien angeordneten Verfall tariflichen [X.] steht [X.] damit nicht entgegen. Da nicht der durch die Arbeitszeitrichtlinie gewährleistete [X.] von vier Wochen betroffen ist, besteht keine Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV (vgl. [X.] 23. März 2010 - 9 [X.] - Rn. 20 ff., aaO).

a) Die Tarifvertragsparteien haben in § 26 Abs. 2 [X.] hinsichtlich der Befristung und Übertragung und damit mittelbar auch zugleich bezüglich des Verfalls des Urlaubs von § 7 Abs. 3 [X.] abweichende, eigenständige Regelungen getroffen.

aa) Für einen Regelungswillen der Tarifvertragsparteien, den [X.] einem eigenen, von dem des [X.] abweichenden Fristenregime zu unterstellen, müssen deutliche Anhaltspunkte vorliegen (vgl. [X.] 23. März 2010 - 9 [X.] - Rn. 37 ff., [X.]E 134, 1; 24. März 2009 - 9 [X.] - Rn. 84, [X.]E 130, 119 ). Fehlen solche, ist von einem „Gleichlauf“ des gesetzlichen Urlaubsanspruchs und des Anspruchs auf tariflichen [X.] auszugehen. Ein „Gleichlauf“ ist nicht gewollt, wenn die Tarifvertragsparteien entweder bei der Befristung und Übertragung bzw. beim Verfall des Urlaubs zwischen gesetzlichem Mindesturlaub und tarifvertraglichem [X.] unterschieden oder sich vom gesetzlichen Fristenregime gelöst und eigenständige, vom [X.] abweichende Regelungen zur Befristung und Übertragung bzw. zum Verfall des Urlaubsanspruchs getroffen haben (vgl. [X.] 12. April 2011 - 9 [X.] - Rn. 22, EzA [X.] § 7 Nr. 123 ).

bb) § 26 [X.] differenziert hinsichtlich der Befristung und der Übertragung des Urlaubs zwar nicht ausdrücklich zwischen gesetzlichem Mindest- und tariflichem [X.]. Die Tarifvertragsparteien des [X.] haben sich jedoch vom gesetzlichen Fristenregime gelöst, indem sie die Befristung und Übertragung und damit auch den Verfall des Urlaubsanspruchs abweichend vom [X.] eigenständig geregelt haben.

(1) Während nach § 7 Abs. 3 Satz 3 [X.] der Urlaub im Fall der Übertragung in den ersten drei Monaten des Folgejahres gewährt und genommen werden muss (vgl. [X.] 7. Dezember 1993 - 9 [X.] - zu I 3 der Gründe, [X.]E 75, 171; [X.]/[X.] Urlaubsrecht 2. Aufl. § 7 [X.] Rn. 126), reicht es gemäß § 26 Abs. 2 Buchst. a Satz 1 [X.] aus, dass der Urlaub in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahres angetreten wird. Die tarifliche Regelung, nach der der bloße Urlaubsantritt genügt, weicht damit erheblich von der gesetzlichen Regelung ab.

(2) Eine weitere wesentliche Abweichung vom gesetzlichen Fristenregime beinhaltet § 26 Abs. 2 Buchst. a Satz 2 [X.]. Nach dieser Vorschrift ist der Erholungsurlaub bis zum 31. Mai anzutreten, wenn er wegen Arbeitsunfähigkeit oder aus betrieblichen/dienstlichen Gründen nicht bis zum 31. März des folgenden Kalenderjahres angetreten werden kann. Die Tarifvertragsparteien haben damit anders als der Gesetzgeber im [X.] einen zweiten Übertragungszeitraum festgelegt und auf diese Weise ein eigenständiges, vom [X.] abweichendes Fristenregime geschaffen.

(3) Entgegen der Rechtsansicht des [X.] ist es für die Frage des Vorliegens einer eigenständigen tariflichen Regelung unerheblich, dass § 26 [X.] - anders als § 47 Abs. 7 [X.] - bei Fristablauf nicht ausdrücklich den Verfall des Urlaubsanspruchs vorsieht. Auch das [X.] ordnet die Rechtsfolge des Verfalls nicht ausdrücklich an ( vgl. [X.] 24. März 2009 - 9 [X.] - Rn. 62, [X.]E 130, 119). Einer solchen ausdrücklichen Anordnung des Untergangs des Anspruchs bedarf es nicht. Mit Fristende entfällt die Erfüllbarkeit des [X.] (vgl. [X.] 28. November 1990 - 8 [X.] - zu II 2 der Gründe [X.], [X.]E 66, 288; [X.]/[X.] 3. Aufl. Bd. 1 § 78 Rn. 12; [X.]/[X.] ArbR-Hdb. 14. Aufl. § 104 Rn. 103). Dies gilt auch für den tariflichen [X.]. Dementsprechend hat der Senat für den umgekehrten Fall, dass ein Tarifvertrag ausdrücklich den Verfall des Urlaubs anordnet, entschieden, dass dies allein nicht genügt, um einen eigenständigen Regelungswillen der Tarifvertragsparteien anzunehmen (vgl. [X.] 12. April 2011 - 9 [X.] - Rn. 33, EzA [X.] § 7 Nr. 123).

b) Ohne Bedeutung ist, dass im Hinblick auf die dargestellte Rechtsprechung des [X.] zu Art. 7 Abs. 1 der Arbeitszeitrichtlinie und des Senats zu § 7 Abs. 3 [X.] ein Verfall des [X.]anspruchs bei fortdauernder Erkrankung nach einem Übertragungszeitraum von nur fünf Monaten unionsrechtlich nicht zulässig ist. Entscheidend ist, dass für den vom Mindesturlaub abtrennbaren Teil der einheitlich geregelten Gesamturlaubsdauer, den tariflichen [X.], die tarifliche Regelung wirksam bleibt (vgl. [X.] 12. April 2011 - 9 [X.] - Rn. 27, EzA [X.] § 7 Nr. 123).

II. Die Revision des Beklagten ist unbegründet, soweit das [X.] ihn verurteilt hat, den tariflichen [X.] des [X.] für die [X.] und 2009 iHv. insgesamt 13 Urlaubstagen mit 1.762,67 Euro brutto abzugelten.

1. Der Anspruch des [X.] folgt aus § 7 Abs. 4 [X.] iVm. § 26 Abs. 2 Einleitungssatz [X.]. Über die Anzahl der dem Kläger für das [X.] und die Monate Januar bis März 2009 zustehenden tariflichen [X.]tage und die Höhe des vom Kläger für jeden Urlaubstag beanspruchten Abgeltungsbetrags von 135,59 Euro brutto besteht kein Streit. Gemäß § 26 Abs. 2 Buchst. a Satz 2 [X.] ist der Urlaub bis zum 31. Mai des folgenden Kalenderjahres anzutreten, wenn er wegen Arbeitsunfähigkeit oder aus betrieblichen/dienst-lichen Gründen nicht bis zum 31. März angetreten werden konnte. Der tarifliche [X.] von zehn Arbeitstagen für das [X.] war damit bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 31. März 2009 aufgrund der Arbeitsunfähigkeit des [X.] noch nicht verfallen. Dies gilt auch für den anteiligen tariflichen [X.] von drei Tagen für die Monate Januar bis März 2009.

2. Der Anspruch des [X.] auf Abgeltung des tariflichen [X.] für das [X.] und die Monate Januar bis März 2009 hängt nicht davon ab, ob und gegebenenfalls wann der Kläger nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses seine Arbeitsfähigkeit wiedererlangt hat.

a) Allerdings sind Tarifvertragsparteien bei der Regelung der Abgeltung tariflichen [X.] durch europarechtliche Vorgaben nicht gehindert, den [X.] an die Erfüllbarkeit des Urlaubsanspruchs zu binden. Sie können regeln, dass der den [X.] von vier Wochen übersteigende tarifliche [X.] bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht oder nur dann abzugelten ist, wenn der Arbeitnehmer arbeitsfähig ist, und insofern die früher von der Rechtsprechung bei dauerhaft erkrankten Arbeitnehmern angewandte Surrogatstheorie (vgl. zur Entwicklung: [X.] 4. Mai 2010 - 9 [X.]/09 - Rn. 14 ff., [X.]E 134, 196) für sich vereinnahmen ([X.]/[X.] 2. Aufl. Bd. 2 § 7 [X.] Rn. 137; [X.]/[X.] 5. Aufl. § 7 [X.] Rn. 120).

(1) Für die Annahme einer solchen tariflichen Regelung bedarf es freilich eindeutiger, über das Regelungsziel des § 7 Abs. 4 [X.] hinausgehender Bestimmungen im Tarifvertrag ([X.]/[X.] § 7 [X.] Rn. 138; vgl. zur Annahme einer voraussetzungslosen Abfindung unter der Geltung der Surrogatstheorie [X.] 20. Januar 1998 - 9 [X.] - zu I 2 b der Gründe; 9. August 1994 - 9 [X.] - zu I 2 c der Gründe, [X.]E 77, 291 unter Aufgabe der vertretenen Auffassung im Urteil vom 22. Juni 1989 - 8 [X.] - [X.] [X.] § 7 Abgeltung Nr. 50 = EzA [X.] § 7 Nr. 69). Auch bei Tarifverträgen, die vor der Verkündung der „Schultz-Hoff“-Entscheidung am 20. Januar 2009 geschlossen wurden, müssen für einen Regelungswillen der Tarifvertragsparteien, der zwischen Ansprüchen auf Abgeltung von Mindest- und [X.] unterscheidet, deutliche Anhaltspunkte bestehen ([X.] 23. März 2010 - 9 [X.] - Rn. 47, [X.]E 134, 1).

(2) Für die Beantwortung der Frage, ob Tarifvertragsparteien die Abgeltung des tariflichen [X.] abweichend von der gesetzlichen Bestimmung in § 7 Abs. 4 [X.] geregelt haben, bedarf es einer eigenständigen Prüfung. Diese hat unabhängig von der Beurteilung zu erfolgen, ob die Tarifvertragsparteien hinsichtlich der Befristung, der Übertragung und des Verfalls des tariflichen [X.] Sonderregelungen getroffen haben. Beinhaltet ein Tarifvertrag eigenständige Fristen für die Übertragung und den Verfall des Urlaubs, schließt dies nicht aus, dass die Tarifvertragsparteien die gesetzliche Urlaubsabgeltungsregelung für angemessen gehalten und deshalb insoweit auf eine Sonderreglung für den tariflichen [X.] verzichtet haben. Umgekehrt ist denkbar, dass Tarifvertragsparteien auch für den tariflichen [X.] am gesetzlichen Fristenregime festhalten wollten, allerdings bei der Abgeltung des tariflichen [X.], zB im Falle andauernder Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers, von der Übernahme der gesetzlichen Regelung abgesehen und besondere Regelungen getroffen haben. Soweit der Senat zunächst ohne weitergehende Differenzierung geprüft hat, ob sich Tarifvertragsparteien in weiten Teilen vom gesetzlichen Urlaubsregime gelöst und eigene Regeln aufgestellt haben (vgl. [X.] 23. März 2010 - 9 [X.] - Rn. 50, [X.]E 134, 1), hat er dies bereits in der Entscheidung vom 12. April 2011 ( - 9 [X.] - Rn. 28 ff., EzA [X.] § 7 Nr. 123) präzisiert und angenommen, dass ein dem Gleichlauf von Mindest- und [X.] bezüglich des [X.] entgegenstehender Regelungswille der Tarifvertragsparteien nicht bereits dann vorliegt, wenn in einem Tarifvertrag - wie in § 26 Abs. 2 Buchst. b [X.] - von der Zwölftelungsregelung des § 5 [X.] abgewichen wird. Vielmehr seien die einschlägigen tariflichen Bestimmungen zu den jeweiligen Regelungsgegenständen (Fristenregime, [X.]) zu untersuchen. Im Hinblick auf das Bestehen eines [X.]s bezüglich des tariflichen [X.] im Falle der Arbeitsunfähigkeit bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses bedarf es mithin der Untersuchung der tariflichen Regelungen zur Urlaubsabgeltung.

b) Die Frage der Arbeitsfähigkeit des [X.] wäre für seinen [X.] damit nur dann von Bedeutung, wenn die Tarifvertragsparteien des [X.] den Anspruch auf Abgeltung des tariflichen [X.] seiner Rechtsnatur nach als Surrogat des Urlaubsanspruchs im Sinne der Rechtsprechung des [X.] vor der „Schultz-Hoff“-Entscheidung des [X.] vom 20. Januar 2009 ausgestaltet und geregelt hätten, dass der Urlaubsabgeltungsanspruch während der Arbeitsunfähigkeit des Beschäftigten nicht erfüllbar ist (vgl. [X.] 7. September 2004 - 9 [X.] - zu I 2 a der Gründe, EzA [X.] § 7 Abgeltung Nr. 12). Dies ist jedoch nicht der Fall. § 26 Abs. 2 Einleitungssatz [X.] ordnet ausdrücklich die Geltung des [X.]es an, soweit der Tarifvertrag nicht andere Regelungen enthält. Die Urlaubsabgeltung ist im [X.] nicht geregelt. Damit richtet sich nicht nur die Abgeltung des gesetzlichen [X.], sondern auch die Abgeltung des tariflichen [X.] nach § 7 Abs. 4 [X.]. Nach dieser Vorschrift hat auch der arbeitsunfähige Arbeitnehmer einen Anspruch auf Urlaubsabgeltung (vgl. [X.] 4. Mai 2010 - 9 [X.]/09 - Rn. 21, [X.]E 134, 196).

3. Die [X.] folgen aus §§ 286, 288 Abs. 1 BGB.

III. [X.] beruht auf § 91a Abs. 1 Satz 1, § 92 Abs. 1 Satz 1, § 97 Abs. 1 ZPO.

        

    Brühler    

        

    Krasshöfer    

        

    Klose    

        

        

        

    Jungermann    

        

    Furche    

        

        

Meta

9 AZR 618/10

22.05.2012

Bundesarbeitsgericht 9. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG München, 11. Februar 2010, Az: 3 Ca 10454/09, Urteil

§ 26 Abs 2 Buchst a TV-L, § 7 Abs 3 S 3 BUrlG, § 7 Abs 4 BUrlG, § 1 BUrlG, § 3 Abs 1 BUrlG, Art 7 EGRL 88/2003

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 22.05.2012, Az. 9 AZR 618/10 (REWIS RS 2012, 6261)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 6261

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

9 AZR 575/10 (Bundesarbeitsgericht)

(Verfall tarifvertraglicher Urlaubsansprüche - § 26 TVöD)


9 AZR 914/11 (Bundesarbeitsgericht)

Tariflicher Mehrurlaub - Verfall und Abgeltung trotz fortbestehender Krankheit - Tilgungsbestimmung bei Zahlung der Urlaubsabgeltung


9 AZR 80/10 (Bundesarbeitsgericht)

Tariflicher Mehrurlaub - fortdauernde Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers - Verfall


9 AZR 214/19 (Bundesarbeitsgericht)

Tariflicher Mehrurlaub - Befristung- Übertragung - Verfall


3 Sa 497/22 (LArbG München)

Gesetzlicher Urlaub, Übertragung


Referenzen
Wird zitiert von

3 Sa 497/22

11 Sa 537/15

3 Sa 21/15

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.