Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 26.04.2018, Az. 4 StR 624/17

4. Strafsenat | REWIS RS 2018, 9970

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[X.]:[X.]:[X.]:2018:260418B4STR624.17.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 624/17

vom
26. April
2018
in der Strafsache
gegen

wegen Brandstiftung

-
2
-
Der 4.
Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des [X.] und des Beschwerdeführers am 26.
April 2018
gemäß §
349 Abs.
4 StPO beschlossen:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 8.
September 2017 mit den zugehörigen Fest-stellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte verurteilt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu
neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher Brandstiftung zu der Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt und seine Unterbringung in
einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Vom Vorwurf einer weiteren vorsätzlichen Brandstiftung hat es ihn aus tatsächlichen Gründen freigespro-chen. Gegen seine Verurteilung richtet sich die auf die Verletzung
formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Die nicht ausgeführ-te
Verfahrensbeanstandung ist unzulässig (§
344 Abs.
2 Satz
2 StPO). Das
Rechtsmittel hat aber mit der Sachrüge Erfolg.
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3
-
I.
Das [X.] hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
1.
Der Angeklagte leidet seit frühester Kindheit an einer [X.]. Von 1987 bis 1993 war er wegen verschiedener Gewalttaten erstmals im Maßregelvollzug untergebracht. Kurz nach seiner Entlassung legte der Ange-klagte bei drei Gelegenheiten Ende 1993 Brände, weil er sich nach [X.] mit seinem Arbeitgeber und seiner Mutter unter Druck gesetzt und frustriert
fühlte und sich durch Feuer abreagieren wollte. Bei einer dieser Gelegenheiten
zündete er im
Waschkeller
des Wohnhauses seines [X.] Wäsche an; das Feuer konnte
nach kurzer
Zeit
gelöscht werden. Durch die Rauchentwicklung entstand
ein Schaden von rund
4.000
DM. Aus Anlass
dieser Taten wurde der Angeklagte im März 1995 zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt und seine erneute Unterbringung in einem psychiatrischen Kran-kenhaus angeordnet. In der Klinik
geriet der Angeklagte bereits bei [X.] erheblich unter Druck, auf den er infolge seiner [X.] ausgeprägten Impulskontrolle mit heftigen Auseinandersetzungen mit Mit-patienten und
mehrfachen Entweichungen aus der Klinik reagierte. Nach seiner Flucht im September 2003 bestritt der Angeklagte seinen Unterhalt, indem er

sammelte. Als er in einem Mehr-familienhaus mehrfach schroff zurückgewiesen
wurde, steckte er einen im Hausflur aufgestellten Schuhschrank in Brand. Das Feuer griff auf die angren-zende
Wohnungstür über, die selbständig brannte. Die alarmierte Feuerwehr löschte den Brand, ehe
Menschen verletzt wurden. Anfang Januar 2004 wurde der Angeklagte aufgegriffen, in den Maßregelvollzug zurückgebracht
und we-gen schwerer Brandstiftung zu einer weiteren Freiheitsstrafe von einem Jahr und sieben Monaten verurteilt. Nachdem der Angeklagte
mehr als elf Jahre und 2
3
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4
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sechs Monate im Maßregelvollzug
untergebracht war, wurde die Maßregel mit Wirkung vom 31.
August 2015 trotz fortbestehenden
Therapiebedarfs
für erle-digt erklärt
und
die Vollstreckung der beiden Reststrafen
zur Bewährung ausge-setzt.
2.
Nach seiner Entlassung aus dem Maßregelvollzug bezog der Ange-klagte eine Dachgeschosswohnung in einem E.

er Mehrfamilienhaus. Am
Vormittag des 14.
September 2016 wurde seine Wohnung wegen des von
einem Arbeitskollegen gegen ihn erhobenen Vorwurfs durchsucht, kinderporno-grafisches Material
zu besitzen; sein Laptop wurde beschlagnahmt. Aus Frus-tration
über die morgendliche Durchsuchung legte er gegen 22.15
Uhr in der im [X.] eingerichteten Waschküche Feuer, indem er auf einem Wäschetrockner abgelegte Sitzauflagen und
Kissen eines Nachbarn anzündete, die vollständig verbrannten. Während des mindestens 30-minütigen [X.] bildeten sich in der Waschküche Ruß und ein heißes Gas-Luft-Gemisch. Verkleidungen elektrischer
Kabel und Leitungen schmorten durch. [X.] und Trockner mussten ebenso ausgetauscht werden wie Hängeschränke, elektrische Leitungen, Wasserhähne und
[X.] an Wänden und Decken. Als der Angeklagte gegen 23.00
Uhr zu seiner Dachgeschosswohnung hinaufzie-henden Rauch bemerkte,
alarmierte er die Mitbewohner des Hauses und die Feuerwehr. Dieser gelang es, letzte Brandgefahren zu beseitigen. Gegen [X.] konnten die Bewohner in ihre Wohnungen zurückkehren.
3.
a)
Das [X.] hat angenommen, der Angeklagte habe den [X.] einer Brandstiftung gemäß §
306 Abs.
1 Nr.
1 StGB verwirklicht, indem er ein fremdes Gebäude durch Brandlegung teilweise zerstörte. Vom Versuch einer schweren Brandstiftung gemäß §
306a Abs.
1 Nr.
3 StGB sei er strafbe-freiend zurückgetreten.
4
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5
-
b)
Bei Begehung der Tat sei der Angeklagte aufgrund einer hirnorgani-schen Persönlichkeitsstörung vermindert schuldfähig im Sinne des §
21 StGB gewesen, aber nicht schuldunfähig. Die infolge der Hirnschädigung [X.] kognitiven und affektiven Defizite hätten
seine
Impulskontrolle einge-schränkt. Trotz seiner rationalen Einsicht habe sich der Angeklagte nicht mehr vollständig steuern
können.
II.
Das Urteil hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
1.
Der Schuldspruch begegnet sowohl bezüglich der Annahme einer (vollendeten) Brandstiftung als auch bezüglich der Ablehnung der Schuldunfä-higkeit des Angeklagten durchgreifenden Bedenken.
a)
Die Urteilsgründe belegen nicht, dass der Angeklagte ein fremdes Ge-bäude durch
eine Brandlegung teilweise zerstörte (§
306 Abs.
1 Nr.
1 StGB).
aa)
Ein Gebäude ist teilweise zerstört, wenn es für eine nicht [X.] Zeit wenigstens für einzelne seiner Zweckbestimmungen unbrauchbar gemacht wird, wenn ein für die ganze Sache zwecknötiger Teil unbrauchbar wird oder wenn einzelne Bestandteile der Sache, die für einen selbständigen Gebrauch bestimmt oder eingerichtet sind, gänzlich vernichtet werden ([X.], Urteil vom 12.
September 2002

4
StR
165/02, [X.]St 48, 14, 20; Beschlüsse vom 20.
Oktober 2011

4
StR
344/11, [X.]St 57, 50, 51
f.; vom 16.
August 2017

4
StR
320/17, [X.], 474; vom 5.
September 2017

3
StR 362/17, Rn.
24; LK/[X.], StGB, 12.
Aufl., §
306 Rn.
13; MüKo-StGB/[X.], 6
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9
10
-
6
-
2.
Aufl., §
306 Rn.
56). Dafür genügen brandbedingte Schäden in [X.]räumen eines Wohnhauses, wenn diese wegen der Beeinträchtigungen für einen ge-wissen Zeitraum nicht ihrer sonstigen Bestimmung entsprechend verwendet werden können (vgl. [X.], Urteil vom 17.
November 2010

2
StR
399/10, [X.]St 56, 94, 97; Beschluss vom 6.
März 2013

1
StR
578/12, [X.], 647, 650). Ob ein Zerstörungserfolg vorliegt, muss der Tatrichter nach den Um-ständen des Einzelfalls unter Berücksichtigung der konkreten [X.] beurteilen ([X.], Beschlüsse
vom 20.
Oktober 2011

4
StR
344/11,
[X.]St 57, 50, 52; vom 14.
Januar 2014

1
StR
628/13, NJW 2014, 1123, 1124). Er hat e-werten, ob die Zeitspanne der Nutzungseinschränkung oder -aufhebung für
eine teilweise Zerstörung durch Brandlegung ausreicht. Der Zeitraum muss [X.] sein; wenige Stunden oder ein Tag reichen nicht ([X.], Urteil vom 12.
September 2002

4
StR
165/02, [X.]St 48, 14, 20; Beschlüsse vom 6.
Mai 2008

4
StR
20/08, [X.], 519; vom 14.
Januar 2014

1
StR
628/13, NJW 2014, 1123, 1124).
[X.])
Gemessen hieran belegen die Urteilsgründe eine Zerstörung der Waschküche nicht. Nach den Feststellungen mussten als Folge des Brandes elektrische Leitungen, Wasserhähne und [X.] an den Wänden und Decken

ebenso wie die nicht zum Gebäude gehörenden Geräte

ausgetauscht wer-den. Zwar teilen die Urteilsgründe mit, die erforderlichen Renovierungsarbeiten
und
12.300
Euro. Diesen Ausführungen
kann der Senat jedoch auch im Gesamtzusammenhang des Urteils (vgl. [X.], Urteil vom 17.
November 2010

2
StR
399/10, insofern nicht abgedruckt in [X.]St 56, 94) nicht entnehmen, ob und wie lange der Waschkeller während der Renovierungsarbeiten nicht benutzt werden konnte.
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7
-
b)

Die Erwägungen, mit denen das
[X.] eine vollständige Aufhe-bung der Schuldfähigkeit des Angeklagten im Sinne des §
20 StGB abgelehnt hat, sind widersprüchlich.
Das [X.]
hat, gestützt auf das Gutachten des Sachverständigen,
angenommen, dem Angeklagten fehle aufgrund einer hirnorganischen Persön-lichkeitsstörung die Impulskontrolle; trotz rationaler Einsicht habe er sich zum Tatzeitpunkt nicht mehr vollständig steuern können. Demgegenüber enthält das Urteil an mehreren Stellen Ausführungen, die für eine vollständige Aufhebung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten sprechen. Die von ihm geteilte Einschätzung des Sachverständigen hat das [X.] damit
wieder-gegeben, der Angeklagte nicht in der Lage

gewesen, entsprechend seiner rationalen
Einsicht zu handeln. Zur
Gefährlichkeitsprognose hat es ausgeführt, obwohl der Angeklagte die rationale Einsicht habe, dem Impuls widerstehen zu müssen, und auch erkenne, dass er sich schnell frustrieren lasse, könne er die Handlung doch nicht verhindern.
Bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung hat das [X.] festgehalten,
es gelinge dem Angeklagten nicht (immer), entspre-

2.
Der Wegfall der [X.] einer (vollendeten)
Brandstiftung entzieht der am Maßstab des §
63 Satz
1 StGB ausgerichteten Maßregelanordnung
die Grundlage. Eine versuchte Brandstiftung liegt wegen des festgestellten [X.] nicht vor. Einer Heranziehung der jedenfalls verwirklichten Sachbeschädi-gung (§
303 StGB) als [X.] steht entgegen, dass weder ein Strafantrag gestellt noch das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung bejaht worden ist (§
303c StGB).
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8
-
III.
Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
Sollte sich der neue Tatrichter

entsprechend den insofern unbedenklich getroffenen Feststellungen

zwar davon, dass der Angeklagte den Brand in der Waschküche legte, nicht aber von einer teilweisen Zerstörung des Gebäudes überzeugen können, wird bei Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses an der Verfolgung einer Sachbeschädigung eine am Maßstab des §
63 Satz
2 StGB ausgerichtete Maßregelanordnung zu prüfen sein. Für die Begutachtung der Schuldfähigkeit und der Gefährlichkeit des Angeklagten wird der neue Tatrichter die Hinzuziehung eines anderen Sachverständigen zu erwägen ha-ben.
Franke
Roggenbuck
Cierniak

Quentin
Feilcke
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16

Meta

4 StR 624/17

26.04.2018

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 26.04.2018, Az. 4 StR 624/17 (REWIS RS 2018, 9970)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 9970

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