VG Augsburg, Urteil vom 01.12.2015, Az. Au 3 K 15.198

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Gegenstand

Kosten für die Inanspruchnahme eines Online-Schriftdolmetschers durch einen hörbehinderten Schüler


Entscheidungsgründe

Bayerisches Verwaltungsgericht Augsburg

Aktenzeichen: Au 3 K 15.198

Im Namen des Volkes

Urteil

1. Dezember 2015

3. Kammer

Sachgebiets-Nr. 1610

.. als stellvertretende Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

Hauptpunkte: Eingliederungshilfe; Gehörloser Schüler; Inklusion; Erstattungs- bzw. Ersatzanspruch des Sozialhilfeträgers (verneint);

Rechtsquellen:

In der Verwaltungsstreitsache

...

- Kläger -

gegen

...

- Beklagter -

wegen Sozialhilfe - Kostenerstattung

erlässt das Bayerische Verwaltungsgericht Augsburg, 3. Kammer, durch den Richter am Verwaltungsgericht ... als Vorsitzenden, die Richterin am Verwaltungsgericht ... den Richter am Verwaltungsgericht ... den ehrenamtlichen Richter ...den ehrenamtlichen Richter ... aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 1. Dezember 2015 am 1. Dezember 2015. folgendes

Urteil:

I.

Die Klage wird abgewiesen.

II.

Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.

III.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Tragung der Kosten, die der Kläger als überörtlicher Träger der Sozialhilfe einem hörbehinderten Schüler (nachfolgend: Schüler) für die Inanspruchnahme eines Online-Schriftdolmetschers (Distanzdolmetscher) im schulischen Unterricht gewährt.

1. Der 2001 geborene Schüler ist aufgrund einer im ersten Lebensjahr erlittenen Meningitiserkrankung beidseitig (nahezu) gehörlos und seit dem Jahr 2002 beidseitig mit Cochlea-Implantaten (elektronische Hörprothesen) versorgt. Bis Anfang April 2014 besuchte er die private Internationale Schule ... mit einer Klassenstärke von 15 Schülern. Die Kosten des Schulbesuchs (Schulgeld, Fahrtkosten) hatten zunächst die Eltern des Schülers und zuletzt der Kläger getragen. Der Schüler wechselte dann im Einvernehmen mit dem Beklagten, der (seinerzeit) nicht bereit war, die Kosten des Besuchs der privaten Schule zu übernehmen, in die 6. Klasse des ...-Gymnasiums in ..., Landkreis .... Dabei handelt es sich um eine öffentliche staatliche Schule, die jedoch nicht das Schulprofil „Inklusion“ aufweist bzw. entwickelt hat. Der Aufnahme in das Gymnasium hatte der Landkreis ... als Sachaufwandsträger ebenfalls zugestimmt und „bauliche Änderungen im Hinblick auf Schallreduzierung“ in Aussicht gestellt mit dem Vorbehalt, dass sich „die baulichen Änderungen auf ein Klassenzimmer beschränken lassen“.

Die Eltern des Schülers bemühten sich bereits ab dem Schulwechsel um die Einrichtung einer kleineren Klasse mit höchstens zehn Schülern, da eine größere Klassenstärke für ihren Sohn, der für eine gymnasiale Beschulung geeignet ist, wegen der Hintergrundgeräusche sehr belastend war („Hörstress“) und der Schüler dem Unterricht nur schwer folgen konnte; diese Belastungen führten zu erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen (starke Migräneanfälle). Dem Wunsch der Eltern nach Reduzierung der Klassenstärke auf maximal 10 Schüler wurde seitens des Beklagten jedoch nicht Rechnung getragen.

Im Schuljahr 2014/2015 besuchte der Schüler (mit Erfolg) die 7. Jahrgangsstufe des Gymnasiums in einer Klasse mit insgesamt 23 Schülern.

2. Am 15. September 2014 beantragten die Eltern des Schülers beim Kläger als überörtlichem Träger der Sozialhilfe die Gewährung von ambulanter Eingliederungshilfe für Behinderte in Form der Übernahme der Kosten eines Online-Schriftdolmetschers der Firma „Verbavoice“ während des schulischen Unterrichts. Mit Hilfe eines solchen „Distanzschriftdolmetschers“ ist es möglich, dass das von der Lehrkraft Gesprochene „in Echtzeit“ auch visuell, in Schriftform übertragen auf einem Display z. B. eines Notebooks oder eines Tablet-PCs, verfolgt werden kann. Dabei spricht die Lehrkraft in ein Mikrofon. Das Gesprochene wird per lnternet an einen Dolmetscher übertragen, welcher dann den gesprochenen Text digital aufschreibt und an den Computer des Schülers sendet, so dass er das Gesprochene lesen kann.

Auf Anfrage des Klägers teilte das Bayerische Staatsministerium für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst (nachfolgend: Staatsministerium) u. a. mit, dass sich der Beklagte nicht an den Kosten des beantragten Online-Schriftdolmetschers beteiligen werde. Es handle sich dabei nicht um eine (in den Aufgabenbereich der Schule fallende) pädagogische Leistung, sondern lediglich um eine Kommunikationsunterstützung zur Vermittlung von Inhalten an den Schüler. Hilfen zur Verständigung mit der Umwelt beträfen alle Lebensbereiche und könnten nicht nur auf den temporär beschränkten schulischen Kontext bezogen werden. Es sei daher davon auszugehen, dass es sich bei dem Schriftdolmetscher um eine Unterstützung handle, die in den Bereich des Sozialrechts falle, bzw. für die innerhalb des Sozialrechts die Eingliederungshilfe zuständig sei. Eine Kostenbeteiligung des Staatsministeriums als Träger des Personalaufwands sei daher nicht möglich.

Mit Bescheid vom 21. November 2014 gewährte der Kläger dem Schüler „ab sofort bis zunächst zum Ende des ersten Schulhalbjahrs 2014/15 (15.02.2015)“ die Übernahme der „Kosten für die individuelle Schulbegleitung durch einen Distanzschriftdolmetscher im Umfang von bis zu 11 Schulstunden wöchentlich“. Diesen Bescheid übermittelte der Kläger in Abdruck u. a. auch dem Staatsministerium zur Kenntnisnahme und teilte mit, dass weiterhin die Auffassung vertreten werde, dass der „schulische Bedarf (des Schülers) auch durch andere geeignete Maßnahmen als durch die Gewährung von Eingliederungshilfe durch Bereitstellung eines Schriftdolmetschers wie z. B. durch Einrichtung einer kleineren Klasse erfüllt werden kann“. Der Beklagte werde deshalb um Mitteilung gebeten, ob er in seine Zuständigkeit fallende Maßnahmen ergreifen oder sich an den Kosten beteiligen werde.

Mit Schreiben vom 22. Dezember 2014 wies das Staatsministerium auf die bereits beklagtenseits ergriffenen Maßnahmen hin und erklärte, dass eine Kostenbeteiligung wegen der sozialrechtlichen Zuständigkeit des Klägers nicht in Frage kommen könne.

Mit weiterem Bescheid vom 4. Februar 2015 wurde die Hilfegewährung in einem Umfang von 12 Schulstunden wöchentlich bis zum Ende des Schuljahres 2014/2015 verlängert. Soweit ersichtlich, übernimmt der Kläger die Kosten des Schriftdolmetschers auch im laufenden Schuljahr 2015/2016.

3.Am 17. Februar 2015 erhob der Kläger zum Verwaltungsgericht Augsburg Klage mit dem Antrag,

den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger einen Betrag in Höhe von gesamt 5.597,76 € für die Monate Dezember 2014 und Januar 2015 zuzüglich Zinsen von 4% gemäß § 108 SGB X zu erstatten.

Zur Begründung wird ausgeführt, dass im Monat Dezember 2014 1.049,58 € und im Monat Januar 2015 4.548,18 € an Kosten für die Inanspruchnahme von Verbavoice durch den Schüler angefallen seien, die (zunächst) vom Kläger als nachrangig zuständigem überörtlichen Träger der Sozialhilfe als Eingliederungshilfe für Behinderte übernommen worden seien. Diese Kosten verlange der Kläger vom Beklagten aufgrund (öffentlichrechtlicher) Geschäftsführung ohne Auftrag (§ 683 BGB analog) bzw. nach § 93 SGB XII erstattet.

Der Schüler habe einen vorrangigen Anspruch gegen den Beklagten auf Gewährleistung einer inklusiven Beschulung an dem von den Sorgeberechtigten unter Beteiligung des Beklagten ausgewählten Bildungsort (...-Gymnasium). Durch eine einfach durchzuführende Maßnahme - die Reduzierung der Klassenstärke - sei es dem Beklagten möglich, den Bedarf des Schülers an adäquater Beschulung - entsprechend seinen Fähigkeiten und seiner Eignung - zu erfüllen. Die Beschulung in einer kleinen Klasse sei auch von verschiedenen Fachstellen (u. a. Cochlea Implant Centrum Hannover, Krankenhaus Martha Maria, Akademisches Lehrkrankenhaus der Ludwigs-Maximilians-Universität München) als im Interesse des Schülers wirksamste Maßnahme befürwortet worden. Dies habe auch die zuvor durchgeführte Beschulung des Schülers in der privaten Internationalen Schule ... gezeigt, wo aufgrund der geringen Klassenstärke eine „Dolmetschung“ durch einen Schriftdolmetscher nicht erforderlich gewesen sei. Allerdings habe sich der Beklagte seinerzeit geweigert, die Kosten der weiteren Beschulung in der privaten Schule zu übernehmen. Allein durch die mangelhaften Leistungen des Beklagten als Schulkostenträger sei ein Bedarf für die Inanspruchnahme von Verbavoice - letztendlich zulasten des Klägers als Sozialhilfeträger - entstanden. Nach der Rechtsprechung der Landessozialgerichte und des Bundessozialgerichts sei für die Gewährung einer Hilfe, die dem Kernbereich pädagogischer Arbeit zuzurechnen sei, jedenfalls nicht der Sozialhilfeträger zuständig. Vielmehr liege die Zuständigkeit beim Schulkostenträger. Dies sei vorliegend insbesondere auch im Hinblick auf die Verpflichtung zur inklusiven Beschulung, die das BayEUG vorschreibe, der Fall.

Insoweit verweise der Kläger auch auf das Rechtsgutachten von Kepert/Pattar, zu „Erstattungsansprüchen von Trägern der Sozialhilfe und der öffentlichen Jugendhilfe gegen das Land Baden-Württemberg wegen der Erbringung von Sozial- und Jugendhilfeleistungen in Form von Schulbegleiterinnen und Schulbegleitern für Schülerinnen und Schüler mit Behinderung an Regelschulen in Baden-Württemberg“ sowie auf den Aufsatz „Schulbegleiter an bayerischen Schulen - Schulische Inklusion als Aufgabe der Jugend- und Sozialhilfe?“ von Kepert/Ehrhard (BayVBl 2015, 366 ff.).

Der Kläger behalte sich vor, die Erstattung weiterer Aufwendungen für die Folgezeit geltend zu machen.

Sollte nach Auffassung des Gerichts ein vorrangiger Anspruch gegen den Träger des Schulaufwands bestehen, werde angeregt, den Landkreis ... zum Verfahren beizuladen.

Auf die weiteren Ausführungen des Klägers zur Begründung seiner Klage wird verwiesen.

4. Der Beklagte tritt der Klage entgegen und beantragt,

die Klage abzuweisen.

Seitens der Aufwandsträger seien für den Schüler verschiedene Fördermaßnahmen u. a. durch Erhöhung bzw. Zuweisung von (zusätzlichen) Budgetstunden durchgeführt worden (Teilung der Klasse in Deutsch, eine Stunde individuelle Förderung Englisch, 4 Stunden Hausunterricht für Latein bzw. Einrichtung einer kleinen Lerngruppe von nur 9 Schülern, Ausstattung eines Klassenzimmers speziell für Schüler mit Hörproblemen [FM-Anlage, akustische Dämmung]).

Der Beklagte sei nicht verpflichtet, eine den Wünschen der Eltern bzw. den Bedürfnissen des Schülers entsprechende Klasse mit einer (optimalen) Klassenstärke von nicht mehr als 10 Schülern einzurichten. Etwas anderes ergebe sich weder aus der Behindertenrechtskonvention noch aus dem BayEUG.

Schließlich könne der Einsatz von Verbavoice jedenfalls nicht als dem Kernbereich pädagogischer Arbeiten zugerechnet werden. deshalb sei ausschließlich der jeweilige Sozialhilfeträger zuständig.

Wegen der weiteren Ausführungen zur Klageerwiderung wird auf die eingereichten Schriftsätze der Beklagtenseite verwiesen.

5. Am 9. Juli 2015 ließ der Schüler u. a. unter Vorlage mehrerer fachärztlicher Stellungnahmen und einer Stellungnahme des Mobilen Sonderpädagogischen Dienstes des Förderzentrums ... Förderschwerpunkt Hören, in denen aus fachlicher Sicht durchgehend die Reduzierung der Klassenstärke befürwortet wurde, beim Verwaltungsgericht Augsburg beantragen, den Beklagten im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, eine Schulklasse der 8. Jahrgangsstufe mit maximal 10 Schülerinnen und Schülern unter Übernahme der hierfür notwendigen Schul- und Personalaufwendungen einzurichten. Diesen Antrag lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 10. August 2015 (Az. Au 3 E 15.1046) ab, da der Schüler keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht habe. Ein allgemeiner Anspruch von Schülern und Eltern auf eine bestimmte Klassenbildung bestehe nicht. Ein spezifischer, mit der Hörbehinderung zusammenhängender Rechtsanspruch des Schülers könne darüber hinaus auch den die schulische Inklusion betreffenden Vorschriften des BayEUG und auch der Behindertenrechtskonvention nicht entnommen werden.

Die gegen diesen Beschluss erhobene Beschwerde des Schülers wies der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 4. September 2015 (Az. 7 CE 15.1791) zurück.

6. Mit Schreiben vom 1. Oktober 2015 teilte das Staatsministerium der Mutter des Klägers mit, dass der Beklagte nun doch bereit sei, die Kosten für die Beschulung des Schülers in der Internationalen Schule ... zu übernehmen. Ein erneuter Schulwechsel vom ...-Gymnasium (zurück) an die private Schule wurde von den Eltern des Schülers jedoch abgelehnt.

7. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die beigezogenen Verwaltungsakten des Klägers und des Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die als allgemeine Leistungsklage statthafte und auch im Übrigen zulässige Klage hat keinen Erfolg. Der Kläger hat keinen Anspruch gegen den Beklagten auf Erstattung der für den Einsatz von Verbavoice entstandenen Aufwendungen.

1. Zunächst weist die Kammer darauf hin, dass eine Beiladung des Landkreises ... als Schulaufwandsträger (Art. 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 des Bayerischen Schulfinanzierungsgesetzes - BaySchFG) weder notwendig noch sonst veranlasst ist. Ein Fall der notwendigen Beiladung i. S. d. § 65 Abs. 2 VwGO liegt nicht vor, da nicht erkennbar ist, inwieweit sich die Entscheidung, ob der Beklagte als Personalaufwandsträger i. S. d. Art. 6 BaySchFG dem Kläger als (überörtlichem) Träger der Sozialhilfe (§ 3 Abs. 3 SGB I, Art. 81 Abs. 1 AGSG) zum Ersatz bzw. zur Erstattung der geltend gemachten Aufwendungen der Eingliederungshilfe für Behinderte nach §§ 53, 54 SGB XII verpflichtet ist oder nicht, den Landkreis als Schulaufwandsträger in irgendeiner Art und Weise binden bzw. verpflichten könnte, so dass nur eine einheitliche Entscheidung i. S. d. § 65 Abs. 2 VwGO ergehen könnte.

Soweit der Beklagte anregt, den Landkreis dann beizuladen, wenn dieser nach Auffassung des Gerichts als Erstattungspflichtiger - entweder allein oder zusammen mit dem Beklagten - in Betracht kommt, kann auch darin kein Anlass für eine Beiladung gesehen werden. Gegenüber einem Beigeladenen kann im Verwaltungsprozess (anders als bei bestimmten Konstellationen im sozialgerichtlichen Verfahren, vgl. § 75 Abs. 5 SGG) kein Verpflichtungsausspruch erfolgen.

2. Für den vom Kläger gegenüber dem Beklagten geltend gemachten Zahlungsanspruch ist eine Anspruchsgrundlage nicht erkennbar.

2.1 Der Kläger kann einen Anspruch nicht auf (sozialrechtliche) Erstattungs- oder Ersatzregelungen stützen.

Ein Erstattungsanspruch auf der Grundlage der §§ 102 ff. SGB X scheidet (ungeachtet der Frage nach dem zulässigen Rechtsweg [§ 114 SGB X]) schon deshalb aus, weil der Beklagte als Personalaufwandsträger kein Leistungsträger i. S. d. § 12 SGB I ist. Die Sicherstellung und Finanzierung der Personalausstattung öffentlicher Schulen in Bayern stellt keine Sozialleistung i. S. d. §§ 11, 28 ff. SGB I dar.

Ebenso kommt ein auf den Kläger kraft Gesetzes übergegangener Anspruch nach § 115 oder § 116 SGB X nicht in Betracht; der Beklagte ist weder Arbeitgeber des Schülers noch besteht „ein auf anderen gesetzlichen Vorschriften beruhender Anspruch (des Schülers gegen den Beklagten) auf Ersatz eines Schadens“.

Schließlich helfen dem Kläger auch die speziellen sozialhilferechtlichen Kostenersatz- und Kostenerstattungsregelungen nach den §§ 102 ff. bzw. 106 ff. SGB XII offensichtlich nicht weiter. Der Beklagte ist weder Empfänger von vom Kläger erbrachter Sozialhilfeleistungen, noch Erbe eines solchen Empfängers und auch kein Sozialhilfeträger.

2.2 Der Kläger kann weiter auch keinen auf ihn nach § 93 Abs. 1 und 2 SGB XII übergegangenen Anspruch des Schülers gegen den Beklagten geltend machen.

Zwar hat der Kläger als überörtlicher Träger der Sozialhilfe die Gewährung von Eingliederungshilfeleistungen (in Form der Übernahme der Kosten von Verbavoice) an den Schüler für den im Streit stehenden Zeitraum Dezember 2014 und Januar 2015 dem Beklagten durch Übermittlung eines Abdrucks des Bescheids vom 21. November 2014 mitgeteilt und damit i. S. d. § 93 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 SGB XII schriftlich angezeigt, doch wirkte diese Anzeige nicht „anspruchsbegründend“, sondern „anspruchsüberleitend“. Denn nur ein bestehender Anspruch des Empfängers der Sozialhilfe gegen einen Dritten kann nach § 93 Abs. 1 SGB XII übergeleitet werden. Das bedeutet, dass der klägerische Zahlungsanspruch letztendlich nur dann bestünde, wenn der Schüler in den Monaten Dezember 2014 und Januar 2015 einen unmittelbaren Anspruch gegen den Beklagten auf Übernahme der Kosten eines Distanzschriftdolmetschers (i. S. eines subjektiven Rechts) hatte. Das trifft jedoch nicht zu.

Ein solcher Anspruch des Schülers, der keine Förderschule, sondern ein allgemeines Gymnasium besucht, gegen den Beklagten als schulrechtlichen (Personal-) Aufwandsträger kann weder aus verfassungsrechtlichen Bestimmungen noch aus den Vorschriften des Bayerischen Erziehungs- und Unterrichtsgesetzes (BayEUG) entnommen werden. Dies gilt auch in Bezug auf diejenigen Vorschriften, die speziell die inklusive Beschulung behinderter Schülerinnen und Schüler an allgemeinen Schulen zum Gegenstand haben (Art. 2, 30a, 30b, 41 BayEUG) und zwar auch i. V. m. den Regelungen des Übereinkommens der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (VN BRK) (vgl. VG Augsburg, B.v. 10.8.2015 - Au 3 E 15.1046 - zur Veröffentlichung in juris vorgesehen, bestätigt durch BayVGH, B.v. 4.9.2015 - 7 CE 15.1791 - juris; so auch Kepert/Pattar, Rechtsgutachten „Erstattungsansprüchen von Trägern der Sozialhilfe und der öffentlichen Jugendhilfe gegen das Land Baden-Württemberg wegen der Erbringung von Sozial- und Jugendhilfeleistungen in Form von Schulbegleiterinnen und Schulbegleitern für Schülerinnen und Schüler mit Behinderung an Regelschulen in Baden-Württemberg“, Diskussionspapiere der Hochschule für öffentliche Verwaltung Kehl Nr. 2014-03, S. 50, auf das sich auch der Kläger beruft).

2.3 Dem Kläger steht auch kein Aufwendungsersatz- oder Herausgabeanspruch wegen (öffentlichrechtlicher) Geschäftsführung ohne Auftrag nach §§ 683, 684 BGB analog zu (zur entsprechenden Anwendung der Geschäftsführung ohne Auftrag im öffentlichen Recht vgl. z. B. BVerwG, U. v. 6.9.1988 - 4 C 5/86 - juris; Palandt, BGB Kommentar, 75. Auflage 2016, Einf. vor § 677 Rn. 13 ff.).

Ein solcher Anspruch würde zunächst voraussetzen, dass der Kläger mit der Übernahme der Verbavoice-Kosten ein Geschäft des Beklagten besorgt hätte, d. h. der Beklagte hierfür zuständig gewesen wäre. Das trifft vorliegend jedoch nicht zu. Vielmehr war für die Kostenübernahme ausschließlich der Kläger als überörtlicher Träger der Sozialhilfe und nicht der Beklagte zuständig.

Nach Auffassung der Kammer kann zur Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen Kläger einerseits und Beklagtem andererseits auch hier die Rechtsprechung zu Schulbegleitern herangezogen werden. Dies gilt umso mehr, als auch der Kläger im für den Zeitraum Dezember 2014 und Januar 2015 maßgeblichen Bescheid vom 21. November 2014 ausdrücklich von „Kosten für die individuelle Schulbegleitung durch einen Distanzschriftdolmetscher“ spricht.

Die (soweit ersichtlich im Wesentlichen sozialgerichtliche) Rechtsprechung differenziert hinsichtlich der Zuständigkeiten der Sozialhilfeträger (oder auch der Jugendhilfeträger) einerseits und „der Schule“ anderseits danach, ob die Schulbegleitung in ihrer konkreten Ausgestaltung ganz oder teilweise dem „Kernbereich der pädagogischen Arbeit der Schule“ (z. B. der Wissensvermittlung) zuzurechnen ist oder zumindest die „pädagogische Arbeit“ unterstützt (z. B. durch Wiederholen des Lernstoffes oder wiederkehrendes Anhalten des Schülers, dem Unterricht zu folgen) oder sich außerhalb dieser Aufgabenbereiche, etwa im Bereich bloßer alltäglicher Verrichtungen bewegt. Lediglich im letztgenannten Fall sei ausschließlich der Sozialhilfeträger zuständig (vgl. z. B. BSG, U.v. 22.3.2012 - B 8 SO 30/10 R -, U.v. 15.11.2012 - B 8 SO 10/11 R; BVerwG, U.v. 18.10.2012 - 5 C 21.11 -; sämtliche juris).

Für den vergleichbaren Fall eines gehörlosen Schülers, der im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht zur inklusiven Beschulung außerhalb einer Förderschule eines „Integrationshelfers in Form eines Gebärdendolmetschers“ bedurfte, hat das Hessische Landessozialgericht entschieden, dass insoweit keine Zuständigkeit des Schulträgers, sondern eine ausschließliche Zuständigkeit des Sozialhilfeträgers bestehe (B.v. 17.6.2013 - L 4 SO 60/13 B E; juris). Der Gebärdendolmetscher übersetze den Unterrichtsinhalt simultan und ermögliche dem behinderten Schüler somit die Wahrnehmung des Unterrichtsinhalts. Er sei in der Funktion somit eher mit einem Hörgerät bei einer geringergradig hörbehinderten Person vergleichbar, als einem Pädagogen. Die pädagogische Leistung als solche, die im Wesentlichen in einer differenzierten, für den Schüler geeigneten Unterrichtsgestaltung, d. h. der Unterrichtsinhalte und -materialien, Inhalt und Gestaltung von Leistungsnachweisen, Vermittlung von Lehrinhalten im engeren Sinne und der Inklusion in den Klassenverband bestehe, werde von den Lehrern des Schülers selbst geleistet. Der Sozialhilfeträger könne daher nicht auf eine Zuständigkeit der Schule verweisen. Dem schließt sich die erkennende Kammer auch für den vorliegenden Fall an.

Der Kläger hat auch nicht etwa deshalb ein Geschäft des Beklagten besorgt, weil die Erforderlichkeit der Inanspruchnahme von Verbavoice entfallen wäre, wenn der Beklagte durch Zuweisung von weiteren Lehrkräften die Voraussetzung für die Bildung einer kleineren Klasse geschaffen hätte. Es kann zwar kein durchgreifender Zweifel daran bestehen, dass der Schüler bei Reduzierung der Klassenstärke auf ein bestimmtes Maß in der Lage gewesen wäre, dem Unterricht ohne den Einsatz von Verbavoice zu folgen. Zutreffend ist weiter auch, dass eine Verringerung der Schülerzahl in der Klasse nur durch den Einsatz weiterer (bislang an der Schule nicht vorhandener) Lehrkräfte - somit durch im Aufgabenbereich des Beklagten liegende Maßnahmen - hätte erreicht werden können. Nach Auffassung der Kammer könnte aber allenfalls dann von der Besorgung eines Geschäfts des Beklagten durch den Kläger ausgegangen werden, wenn der Beklagte zur Zuweisung weiteren Lehrpersonals verpflichtet gewesen wäre. Letzteres trifft jedoch nicht zu. Die Kammer hat in dem bereits genannten (vom Schüler beantragten) einstweiligen Rechtsschutzverfahren Au 3 E 15.1046 eine Pflicht des Beklagten zur Einrichtung einer kleineren Klasse verneint. Diese Entscheidung hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof im Beschwerdeverfahren 7 CE 15.1791 bestätigt. Insoweit wird auf die Darlegungen in den Gründen des Beschlusses der Kammer vom 10. August 2015 sowie des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 4. September 2015 verwiesen. Den Beteiligten sind die beiden Beschlüsse bekannt. Die Kammer macht sich die Erwägungen in den Gründen der genannten Beschlüsse auch im vorliegenden Verfahren zu eigen.

Da somit der Kläger durch die Übernahme der Verbavoice-Kosten im Wege der Eingliederungshilfe kein fremdes „Geschäft“ besorgte, sondern ausschließlich eine eigene Aufgabe wahrnahm, kann ein Anspruch aus öffentlichrechtlicher Geschäftsführung ohne Auftrag nicht bestehen.

2.4 Schließlich kann der Kläger vom Beklagten die Zahlung des Betrags von 5.597,76 € auch nicht aufgrund eines allgemeinen öffentlichrechtlichen Erstattungsanspruchs verlangen.

Der richterrechtlich entwickelte allgemeine öffentlichrechtliche Erstattungsanspruch (vgl. z. B. bereits BVerwG, U.v. 19.12.1956 - V C 118.55 - BVerwGE 4, 215; BSG, U.v. 30.1.1962 - 2 RU 219/59 - DVBl 1962, 490) dient der Rückabwicklung von Vermögensverschiebungen, wenn im Rahmen eines öffentlichrechtlichen Rechtsverhältnisses Leistungen ohne rechtlichen Grund erbracht oder sonstige rechtsgrundlose Vermögensverschiebungen vorgenommen worden sind; er ist auf einen billigen Ausgleich ungerechtfertigter Vermögensverhältnisse gerichtet In der Ausformung eines sog. Abwälzungsanspruchs ist für ihn kennzeichnend, dass ein nicht oder „schwächer“ verpflichteter Sozialleistungsträger anstelle des eigentlich verpflichteten oder „stärker“ verpflichteten Nicht-Sozialleistungsträgers einem leistungsberechtigten Dritten, der die Leistung aber nur einmal fordern kann, Leistungen erbracht hat und hierfür kein Rechtsgrund bestand (vgl. Kepert/Patar, a. a. O., S. 65).

Da ein öffentlichrechtlicher Erstattungsanspruch (Abwälzungsanspruch) des Klägers gegenüber dem Beklagten eine Verpflichtung des Beklagten zur „Leistungserbringung“ - entweder durch Übernahme der Kosten von Verbavoice oder durch Aufstockung des Lehrpersonals zur Schaffung einer kleineren Klasse - voraussetzen würde, eine solche nach den obigen Darlegungen unter 2.3 jedoch nicht bestand, kann der Anspruch hierauf ebenfalls nicht gestützt werden.

2.5 Weitere potentielle Anspruchsgrundlagen, auf die der geltend gemachte Zahlungsanspruch gestützt werden könnte, sind nicht erkennbar.

3. Nach alledem ist die Klage mit der Kostenfolge nach § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.

Vorläufige Vollstreckbarkeit § 167 VwGO, §§ 708 ff. ZPO.

4. Die Berufung wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 124a Abs. 1, § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu. Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg, Hausanschrift: Kornhausgasse 4, 86152 Augsburg, oder Postfachanschrift: Postfach 11 23 43, 86048 Augsburg, schriftlich einzulegen; sie muss das angefochtene Urteil bezeichnen.

Die Berufung ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt, beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof, Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder Postfachanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München, Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach, einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag vom Vorsitzenden des Senats verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung unzulässig.

Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Bevollmächtigte sind die in § 67 Absatz 2 Satz 1 und Absatz 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen zugelassen. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch die in § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO genannten Personen vertreten lassen.

Beschluss:

Der Streitwert wird auf 5.597,76 € festgesetzt (§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz - GKG).

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200,- EUR übersteigt oder die Beschwerde zugelassen worden ist.

Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg, Hausanschrift: Kornhausgasse 4, 86152 Augsburg, oder Postfachanschrift: Postfach 11 23 43, 86048 Augsburg, schriftlich einzureichen oder zu Protokoll der Geschäftsstelle einzulegen; § 129a der Zivilprozessordnung gilt entsprechend. Der Mitwirkung eines Bevollmächtigten bedarf es hierzu nicht.

Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.

Datenquelle d. amtl. Textes: Bayern.Recht

Meta

Au 3 K 15.198

01.12.2015

VG Augsburg

Urteil

Sachgebiet: K

Zitier­vorschlag: VG Augsburg, Urteil vom 01.12.2015, Az. Au 3 K 15.198 (REWIS RS 2015, 1436)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 1436

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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