Bundessozialgericht, Urteil vom 06.08.2014, Az. B 11 AL 5/14 R

11. Senat | REWIS RS 2014, 3579

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

Schwerbehindertenrecht - Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen - Erlangung eines konkreten Arbeitsplatzes - Innehaben eines geeigneten Arbeitsplatzes - Zugang zum Beamtenverhältnis - Berufsfreiheit - Europarecht - Völkerrecht - Diskriminierungsverbot - Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben - sozialgerichtliches Verfahren - Verfahrensrüge - Aussetzung des Rechtsstreits wegen Vorgreiflichkeit - Darlegungsanforderungen


Leitsatz

Dem Anspruch auf Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen zur Erlangung eines Arbeitsplatzes steht nicht entgegen, dass ein Antragsteller einen geeigneten Arbeitsplatz innehat.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 30. Oktober 2013 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin auch die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Tatbestand

1

Streitig ist, ob die Klägerin gemäß § 2 Abs 3 [X.] ([X.]) mit einem schwerbehinderten Menschen gleichzustellen ist.

2

Die 1982 geborene Klägerin ist seit September 2002 als Angestellte bei der [X.] ([X.]) im mittleren Dienst vollzeitbeschäftigt. Bei ihr ist wegen einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung (Colitis ulcerosa) seit [X.] ein Grad der Behinderung (GdB) von 30 festgestellt.

3

Am 24.9.2010 beantragte die Klägerin bei der beklagten [X.] ([X.]) die Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen. Zwar sei ihr derzeitiges Beschäftigungsverhältnis unbefristet und ungekündigt. Auch könne sie ihre bisherige Tätigkeit ohne Einschränkung ausüben. Sie benötige die Gleichstellung aber, um ihre [X.] für ein neues Arbeitsverhältnis bzw einen neuen Ausbildungsplatz zu verbessern. Im Juli 2009 bewarb sich die Klägerin bei der [X.] für eine Ausbildung zur Diplom-Finanzwirtin (gehobener Dienst). Nach erfolgreichem Vorstellungsgespräch bot ihr die [X.] zum 1.10.2009 die Einstellung unter dem Vorbehalt an, dass der personalärztliche Dienst diese befürworte. Später lehnte die [X.] die Einstellung ab (Bescheid vom [X.]). Sie verwies auf ein Gutachten des ärztlichen Dienstes, wonach die Klägerin nicht über die für die Einstellung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf erforderliche gesundheitliche Eignung verfüge. Die Rechtsmittel der Klägerin gegen den Ablehnungsbescheid der [X.] sind ohne Erfolg geblieben (Widerspruchsbescheid der [X.] vom [X.]; Urteil des Verwaltungsgerichts [X.] vom [X.]). Das Berufungsverfahren beim Oberverwaltungsgericht ([X.]) [X.] (1 Bf 32/13) ist noch anhängig.

4

Die Beklagte lehnte den Gleichstellungsantrag der Klägerin ab (Bescheid vom 18.10.2010) und wies den dagegen erhobenen Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 11.2.2011).

5

Die Klägerin hat Klage zum Sozialgericht ([X.]) [X.] erhoben und darauf verwiesen, Art 27 Abs 1 Lit e) und g) des [X.] über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vom 13.12.2006 ([X.], [X.]; UN-Behindertenrechtskonvention, im Folgenden: [X.]) sei zu beachten. Danach habe sie als behinderter Mensch hinsichtlich ihres Berufs ein weitgehendes Wahlrecht; auch berufliche Aufstiegschancen seien zu berücksichtigen. Die Beklagte hat entgegnet, der berufliche Aufstieg könne nicht durch eine Gleichstellung gefördert werden. Das [X.] hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 10.9.2012). Der Wunsch nach beruflichem Aufstieg falle nicht unter das "[X.]" eines geeigneten Arbeitsplatzes iS des § 2 Abs 3 [X.].

6

Das [X.] (L[X.]) hat auf die Berufung der Klägerin die angefochtenen Bescheide und das Urteil des [X.] aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, die Klägerin einem schwerbehinderten Menschen gleichzustellen (Urteil vom 30.10.2013). Es müsse dem behinderten Menschen mittels Gleichstellung ermöglicht werden, einen Arbeitsplatz zu erlangen, der seinen beruflichen Entwicklungs- und Aufstiegsmöglichkeiten entspreche. Die Freiheit, als Beamter ein neues Tätigkeitsfeld zu suchen, dürfe nicht dadurch eingeschränkt werden, dass ein Beamter gegenüber anderen behinderten Menschen bei der Gleichstellung schlechtergestellt werde.

7

Die Beklagte rügt mit der vom L[X.] zugelassenen Revision das Vorliegen eines Verfahrensfehlers. Das L[X.] habe den Rechtsstreit bis zur Entscheidung des [X.] [X.] (1 Bf 32/13) wegen Übernahme in das Beamtenverhältnis aussetzen müssen. Die Entscheidung des [X.] sei für die hier zu treffende Entscheidung präjudiziell. Zwar liege eine Aussetzung grundsätzlich im Ermessen des Gerichts. Zur Vermeidung einander widersprechender Entscheidungen habe hier aber die Pflicht bestanden, den Rechtsstreit auszusetzen. Die Aussetzung sei auch geboten, weil das L[X.] die Beweise dahingehend gewürdigt habe, dass die Klägerin - jedenfalls nach Gleichstellung - gesundheitlich für eine Berufung in das Beamtenverhältnis geeignet sei. Die Beklagte rügt auch die Verletzung des § 2 Abs 3 [X.]. Dessen Voraussetzungen seien nicht gegeben. Die Klägerin sei unbefristet auf einem geeigneten Arbeitsplatz beschäftigt. Sie begehre die Gleichstellung zum Zwecke der Förderung des beruflichen Aufstiegs. Die Gleichstellung könne nicht begehrt werden, um Diskriminierungen zu beseitigen, die durch die Anforderungen an die gesundheitliche Eignung bei der Bewerbung um die Übernahme in ein (anderes) Beamtenverhältnis entstehen. Insofern sei bei öffentlichen Arbeitgebern ein besonderes Verständnis für Menschen mit Behinderung vorauszusetzen. Ein Anspruch auf Gleichstellung ergebe sich auch nicht aus der [X.].

8

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des [X.]s [X.] vom 30. Oktober 2013 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts [X.] vom 10. September 2012 zurückzuweisen.

9

Die Klägerin beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Das L[X.] sei nicht zur Aussetzung des Rechtsstreits verpflichtet gewesen. Die Klägerin habe Anspruch auf Gleichstellung nach § 2 Abs 3 [X.]. Durch die Gleichstellung komme sie bei der Prüfung der Übernahme in das Anwärterverhältnis in den Genuss des [X.], der für schwerbehinderte Beamtenanwärter gelte. Diese Einstellungsvoraussetzungen könne sie erfüllen. Ohne Gleichstellung könne sie den für sie geeigneten Arbeitsplatz nicht erlangen.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Entscheidungsgründe

Die Revision der [X.]eklagten, über die der Senat nach erklärtem Einverständnis der [X.]eteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden hat (§ 124 Abs 2, § 153 Abs 1, § 165 Sozialgerichtsgesetz <[X.]>), ist als unbegründet zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 S 1 [X.]).

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der [X.]escheid der [X.]eklagten vom [X.] in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.2.2011, gegen den sich die Klägerin mit der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 S 1, § 56 [X.]) wehrt (zur Klageart: [X.] vom 1.3.2011 - [X.] 7 [X.] 6/10 R - [X.], 4 = [X.]-3250 § 2 [X.], Rd[X.] 9; zum maßgeblichen Zeitpunkt für die [X.]eurteilung dieser Klage vgl Senatsurteil vom 6.8.2014 - [X.] [X.] 16/13 R).

1. Die [X.]eklagte ist verpflichtet, die Klägerin durch feststellenden Verwaltungsakt einem behinderten Menschen gleichzustellen.

Gemäß § 2 Abs 3 [X.] sollen behinderte Menschen mit einem Gd[X.] von weniger als 50, aber wenigstens 30, bei denen die übrigen Voraussetzungen des § 2 Abs 2 [X.] vorliegen, schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden, wenn sie infolge ihrer [X.]ehinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz iS des § 73 [X.] nicht erlangen oder nicht behalten können (zum Verfahren vgl § 68 Abs 2 S 1, § 69 [X.]). Zu den Voraussetzungen einer Gleichstellung nach Maßgabe des § 2 Abs 3 [X.] im Einzelnen wird auf die Parallelentscheidung des Senats vom 6.8.2014 ([X.] [X.] 16/13 R) verwiesen.

Die Klägerin erstrebt die Gleichstellung, weil sie ohne diese den konkret angestrebten und für sie geeigneten Arbeitsplatz nicht erlangen kann ([X.] 1). Dagegen macht sie nicht geltend, den von ihr besetzten Arbeitsplatz behalten zu wollen ([X.] 2), sodass hier nur [X.] 1 der Vorschrift zu prüfen ist.

2. a) Die Gleichstellung nach Maßgabe des Erlangungstatbestands (§ 2 Abs 3 [X.] 1 [X.]) setzt voraus, dass der behinderte Mensch einen konkreten Arbeitsplatz erlangen will.

Die Klägerin möchte einen Arbeitsplatz iS des § 73 Abs 1 [X.] erlangen. Arbeitsplätze im Sinne der Vorschrift sind auch Stellen, auf denen [X.]eamte und [X.]eamtinnen sowie die zu ihrer beruflichen [X.]ildung [X.] beschäftigt werden. Der angestrebte Arbeitsplatz als [X.]eamtin auf Widerruf im gehobenen Dienst der Steuerverwaltung erfüllt diese Voraussetzungen.

Der Erlangungs-Tatbestand ([X.] 1) setzt weiter voraus, dass der behinderte Mensch einen konkreten Arbeitsplatz anstrebt. Dies ergibt sich aus dem Gesamtzusammenhang der Regelung. Nach der zweiten [X.]ernative des [X.] ("behalten können") hat eine Gleichstellung zu erfolgen, um dem behinderten Menschen das [X.]ehalten seines Arbeitsplatzes zu ermöglichen. Ziel dieser Regelung ist es, dass der behinderte Mensch den konkret von ihm besetzten und für ihn geeigneten Arbeitsplatz behalten kann. Auch für den Erlangungs-Tatbestand ([X.] 1) ist zu verlangen, dass der behinderte Mensch einen konkreten Arbeitsplatz erlangen will. Dies ist schon geboten, um den Anwendungsbereich des § 2 Abs 3 [X.] nicht zu überdehnen. Würde es genügen, dass es - abstrakt betrachtet - (irgendwelche) Arbeitsplätze gibt, für die der behinderte Mensch, der Gleichstellung bedürfte, um sie zu erlangen, wäre fast jeder behinderte Mensch mit Gd[X.] 30 oder 40 gleichzustellen. Denn der behinderte Mensch müsste nur Arbeitsplätze benennen, die er ohne Gleichstellung nicht erlangen kann.

Auch im Wortlaut des § 2 Abs 3 iVm § 73 [X.] ist eine Konkretisierung angelegt, wenn dort zur Voraussetzung erhoben wird, dass der behinderte Mensch kausal durch die [X.]ehinderung "einen" für ihn geeigneten Arbeitsplatz nicht erlangen kann. Weder die Frage der Kausalität noch die Frage der Eignung des Arbeitsplatzes kann abstrakt und allgemein für alle denkbaren Arbeitsplätze geprüft werden.

Schließlich spricht der Zweck der Regelung, die Sicherung oder Herstellung von Teilhabe am Arbeitsleben, für diese Auslegung. Die Vorschrift will - wie das [X.] zutreffend herausgearbeitet hat - damit auch die Freiheit der [X.]erufswahl des behinderten Menschen schützen. Das Grundrecht aus Art 12 Abs 1 Grundgesetz (GG) will diese Freiheit ua objektivrechtlich gewährleisten (vgl [X.] in [X.]/[X.], GG 12. Aufl 2012, Vorb vor Art 1 Rd[X.] 3 mwN). Auch Art 27 Abs 1 S 2 Lit a und [X.] und Art 21, 26 der [X.] geben ([X.]) Hinweise zur Auslegung des § 2 Abs 3 [X.], denn nach diesen völkerrechtlichen und supranationalen Normen ist ein diskriminierungsfreier Zustand anzustreben. Dieser ist nicht bereits dadurch hergestellt, dass ein behinderter Mensch in irgendeiner Weise eine Tätigkeit ausüben kann, vielmehr muss auch der Zugang zu anderen bzw der Wechsel von [X.]erufsfeldern diskriminierungsfrei ermöglicht werden (vgl [X.] Niedersachsen Urteil vom [X.] - 5 [X.]/09 - Juris; [X.] vom 1.3.2011 - [X.] 7 [X.] 6/10 R - [X.], 4 = [X.]-3250 § 2 [X.]).

Andererseits knüpfen die Voraussetzungen der Gleichstellung nicht an einer abstrakten Teilhabe des behinderten Menschen am Arbeitsleben an, sondern schützen das [X.] von bestimmten Arbeitsplätzen (zu [X.] 2 [X.] [X.] Urteil vom 15.2.2001 - L 9 [X.] 381/99 - Juris Rd[X.] 22; [X.] [X.] Urteil vom 18.12.2013 - L 10 [X.] 104/11; [X.] in jurisPK-[X.], § 2 [X.] Rd[X.] 100 f). § 2 Abs 3 [X.] versteht die angestrebte Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben also konkret.

Die Tatsache, dass die Klägerin einen geeigneten Arbeitsplatz inne hat, steht dem Anspruch auf Gleichstellung zur Erlangung eines (anderen) Arbeitsplatzes nicht entgegen. Zwar bedarf die Klägerin keiner Gleichstellung, um ihren bisherigen Arbeitsplatz behalten zu können. Das [X.]ehalten des Arbeitsplatzes will sie mit diesem Rechtsstreit auch nicht erreichen. Sie möchte vielmehr (nur) einen neuen Arbeitsplatz erlangen. Hierauf hat sie ihr [X.]egehren in zulässiger Weise beschränkt ([X.] vom 1.3.2011 - [X.] 7 [X.] 6/10 R - [X.], 4 = [X.]-3250 § 2 [X.]). Die [X.]ernative 1 des § 2 Abs 3 [X.] setzt aber schon seinem Wortlaut nach nur voraus, dass der behinderte Mensch ohne Gleichstellung einen Arbeitsplatz nicht erlangen kann. Die Vorschrift hat nicht zur weiteren Voraussetzung, dass ein Antragsteller ohne Gleichstellung keinen geeigneten Arbeitsplatz innehat.

Das Recht auf Gleichstellung zur Erlangung eines Arbeitsplatzes haben nicht nur arbeitslose behinderte Menschen, sondern auch behinderte Menschen, die sich beruflich verändern wollen. Denn ein diskriminierungsfreier Zustand ist nach Art 21 und Art 26 [X.] nicht bereits dann hergestellt, wenn ein behinderter Mensch in irgendeiner Weise eine Tätigkeit ausüben kann, die regelmäßig im [X.]eamtenverhältnis ausgeübt wird; vielmehr müssen Gesetzgeber und Dienstherr die Voraussetzungen zum Zugang zum [X.]eamtenverhältnis in der Weise modifizieren, dass ein diskriminierungsfreier Zugang zur Ausübung der entsprechenden Tätigkeit gerade im [X.]eamtenverhältnis ermöglicht wird (vgl [X.] Niedersachsen Urteil vom [X.] - 5 [X.]/09 - Juris; Hessisches [X.] Urteil vom 19.6.2013 - L 6 [X.] 116/12 - Juris).

b) Die Klägerin erfüllt die genannten Voraussetzungen.

Die Klägerin erfüllt die Voraussetzungen für eine Gleichstellung, denn sie hat sowohl ihren Wohnsitz als auch ihren Arbeitsplatz im Inland. [X.]ei ihr ist ein Gd[X.] von 30 festgestellt. Sie möchte einen konkreten Arbeitsplatz iS des § 73 Abs 1 [X.] erlangen, nämlich den einer [X.]eamtin auf Widerruf bei der Finanzbehörde [X.] für die Ausbildung zur Diplom-Finanzwirtin.

Der angestrebte Arbeitsplatz ist für die Klägerin geeignet. Das [X.] hat die Geeignetheit des angestrebten Arbeitsplatzes festgestellt, ohne dass die [X.]eteiligten insoweit Verfahrensrügen erhoben hätten. Nachdem die Klägerin schon bisher die Anforderungen einer Vollzeittätigkeit auf einem [X.]üroarbeitsplatz erfüllte, bestehen auch keine Zweifel, dass die angestrebte Tätigkeit für sie geeignet ist, sie also gesundheitlich auf Dauer nicht überfordert.

Sie bedarf kausal wegen ihrer [X.]ehinderung der Gleichstellung, um den konkreten Arbeitsplatz erlangen zu können. Ohne die behinderungsbedingten Einschränkungen wäre sie für den angestrebten Arbeitsplatz eingestellt worden. Es spricht auch viel dafür, dass sie nach erfolgter Gleichstellung die gesundheitlichen Anforderungen für die Einstellung von [X.]eamtinnen auf Widerruf erfüllen wird.

Die Anforderungen an die gesundheitliche Eignung von [X.]ewerbern für das [X.]eamtenverhältnis hat das [X.] ([X.]) jüngst konkretisiert. Danach erfüllt ein [X.]eamtenbewerber die Voraussetzung der gesundheitlichen Eignung für die Übernahme in das [X.]eamtenverhältnis nicht, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass vor Erreichen der gesetzlichen [X.]ersgrenze Dienstunfähigkeit eintritt ([X.] Urteil vom [X.] - 2 C 12/11 - [X.]E 147, 244). Das [X.] hat damit die zuvor geltenden Anforderungen zwar gelockert, es hält aber weitere Modifikationen der Eignungsanforderungen für [X.]ewerber, die weder schwerbehindert noch schwerbehinderten Menschen gleichgestellt sind, verfassungsrechtlich nicht für geboten ([X.] aaO - Juris Rd[X.] 34 f).

Erfüllen [X.]ewerber diese gesundheitlichen Anforderungen nicht, können sie in der [X.] einen Arbeitsplatz im [X.]eamtenverhältnis nur erlangen, wenn sie schwerbehindert sind oder schwerbehinderten Menschen gleichgestellt sind. Denn für diese Personengruppen bestimmt das hier einschlägige und vom [X.] festgestellte Landesrecht (§ 9 Abs 5 S 3 der Verordnung über die Laufbahnen der [X.] und [X.]eamten vom 22.12.2009; HmbGV[X.]l 2009, 511), dass von gleichgestellten Personen nur ein geringeres Maß körperlicher Eignung verlangt werden darf. Danach erfüllen schwerbehinderte oder ihnen gleichgestellte Personen die gesundheitlichen Anforderungen für die Übernahme in das [X.]eamtenverhältnis, wenn für etwa zehn Jahre eine höhere Wahrscheinlichkeit als 50 vH dafür spricht, dass der [X.]eamte dienstfähig bleibt und in diesem Zeitraum keine krankheitsbedingten Fehlzeiten von mehr als etwa zwei Monaten pro Jahr auftreten werden. Die Wahrscheinlichkeit einer einmaligen, längeren Ausfallzeit steht einer positiven Prognose nicht entgegen (vgl auch [X.] Urteil vom 26.9.2008 - 1 [X.]f 19/08, bestätigt durch [X.] [X.]eschluss vom 23.4.2009 - 2 [X.] 79/08 - veröffentlicht bei Juris).

Ob die Klägerin ohne Anerkennung einer Gleichstellung die Einstellungsanforderungen für Arbeitsplätze von [X.]eamten im gehobenen Dienst erfüllt, wie sie das [X.] formuliert hat ([X.] Urteil vom [X.] - 2 C 12/11 - [X.]E 147, 244), erscheint fraglich. Die Entscheidung hierüber obliegt nicht dem Senat, sondern ist von den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit in deren Zuständigkeit zu treffen. [X.]islang hat die Klägerin eine positive Entscheidung über ihre Einstellung jedenfalls nicht erlangt.

Nach aktuellem Sachstand hat die Klägerin infolge der [X.]ehinderung einen Wettbewerbsnachteil; denn sie kann aufgrund ihrer [X.]ehinderung den angestrebten Arbeitsplatz nicht erlangen. Dieser Nachteil kann durch die Gleichstellung ausgeglichen werden; denn das [X.] hat festgestellt, dass die Klägerin einen geeigneten Arbeitsplatz erlangen möchte und diesen (bisher) "infolge" ihrer [X.]ehinderung nicht erlangen kann. Dies genügt, um einen Anspruch auf Gleichstellung zu bejahen.

Die Sorge der [X.]eklagten, dass eine Gleichstellung in Fällen der vorliegenden Art zu einer Konturlosigkeit und Ausuferung der Gleichstellung führen würde, vermag der Senat nur bedingt zu teilen. Einerseits hat der Gleichstellungsanspruch nach § 2 Abs 3 [X.] 1 [X.] eine Reihe von Voraussetzungen, die insbesondere im Parallelverfahren erläutert wurden ([X.] vom 6.8.2014 - [X.] [X.] 16/13 R). Wenn die [X.]eklagte trotz dieser Anforderungen künftig eine größere Zahl an [X.] vornehmen müsste, als dies bisher der Fall war, ist dies eine Folge der im [X.]undesrecht, aber auch im supranationalen Recht und Völkerrecht angelegten und ins [X.]undesrecht übernommenen Förderung der Teilhabe und [X.]eseitigung der Diskriminierung von behinderten Menschen (vgl § 1 [X.]).

c) Ein Anspruch auf Gleichstellung scheitert schließlich nicht daran, dass die [X.]eklagte über die Gleichstellung grundsätzlich nach ihrem pflichtgemäßen Ermessen zu entscheiden hat. Mit der Formulierung "soll" in § 2 Abs 3 [X.] hat der Gesetzgeber - wie in anderen vergleichbaren Fällen - der [X.] ein gebundenes Ermessen zugestanden. Die [X.] gibt ihr nur dann die Möglichkeit, zu einer anderen Entscheidung als der Gleichstellung zu gelangen, wenn außergewöhnliche Umstände dies rechtfertigen (atypischer Fall). Sofern ein solcher - wie hier - nicht vorliegt, ist die [X.] zur Gleichstellung verpflichtet ([X.] vom [X.] - [X.] 7 [X.] 46/99 R; [X.] vom 1.3.2011 - [X.] 7 [X.] 6/10 R - [X.], 4 = [X.]-3250 § 2 [X.]).

3. Die Verfahrensrüge der [X.]eklagten ist unzulässig, weil die ihr zugrunde liegenden Tatsachen nicht in der nach § 164 Abs 2 S 3 [X.] gebotenen Weise aufzeigt wurden.

Eine ordnungsgemäße Verfahrensrüge setzt die [X.]ezeichnung der Tatsachen voraus, die den behaupteten Mangel ergeben (§ 164 Abs 2 S 3 [X.]) und aus denen die Möglichkeit folgt, dass das Gericht ohne die geltend gemachte Verfahrensverletzung anders entschieden hätte. Das Revisionsgericht muss in die Lage versetzt werden, sich allein anhand der Revisionsbegründung ein Urteil darüber zu bilden, ob die angegriffene Entscheidung auf einem Verfahrensmangel beruhen kann ([X.] vom 29.11.2011 - [X.] U 10/11 R - [X.]-2700 § 8 [X.]2 Rd[X.] 19 mwN). Daran fehlt es hier.

Es ist schon fraglich, ob die [X.]eklagte eine Pflicht zur Aussetzung des Rechtsstreits hinreichend aufgezeigt hat. Zwar kann das Ermessen des Gerichts, einen Rechtsstreit auszusetzen, auf diese Entscheidung hin reduziert sein (z[X.] [X.]SG [X.]eschluss vom 19.7.2006 - [X.]a [X.] 7/06 [X.]). Die [X.]eklagte hat aber nicht dargetan, dass die Voraussetzungen der Aussetzung nach § 114 Abs 2 S 1 [X.] vorlagen. Dies wäre nur der Fall, wenn die Entscheidung des [X.] von dem [X.]estehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhinge, das den Gegenstand eines anderen Rechtsstreits - hier desjenigen beim [X.] - bildete.

Zwar entscheidet das [X.] (irgendwann) über den Anspruch auf Übernahme in das [X.]eamtenverhältnis. Inwieweit die Entscheidung des [X.] über die Gleichstellung von dem Ausgang des Rechtsstreits beim [X.] abhängt, ist in der Revisionsbegründung nicht herausgearbeitet worden. Insoweit trifft zwar zu, dass sich der Rechtsstreit wegen Gleichstellung auf sonstige Weise hätte erledigen können, wenn die Klägerin dort die Einstellung auf den begehrten Arbeitsplatz erlangt hätte. Schon dies ist aber nicht zwingend. Würde das [X.] die Einstellung dagegen ablehnen oder die potentielle Arbeitgeberin zu einer neuen Entscheidung über die Einstellung verpflichten, wäre für diesen Rechtsstreit weder positiv noch negativ etwas entschieden.

Im Gegenteil könnte auch argumentiert werden, dass die Entscheidung dieses Rechtsstreits für denjenigen beim [X.] präjudiziell ist, weil die Prüfung der gesundheitlichen Eignung der [X.]ewerberin für die Stelle einer [X.]eamtin auf Widerruf sich nach anderen beamtenrechtlichen Maßstäben richtet, wenn die Klägerin einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt wäre (vgl [X.] [X.]eschluss vom 23.4.2009 - 2 [X.] 79/08 - veröffentlicht bei Juris; [X.] Urteil vom [X.] - 2 C 12/11 - [X.]E 147, 244).

Die [X.]eklagte hat auch nicht aufgezeigt, dass die Entscheidung des [X.] auf dem gerügten Verfahrensmangel beruhen kann (zu dieser Anforderung: [X.] in [X.]/ [X.]/[X.], [X.], 10. Aufl 2012, § 164 Rd[X.] 12c). Dabei muss deutlich werden, dass der Verfahrensfehler den Inhalt der Entscheidung beeinflusst hat ([X.]SG [X.]eschluss vom 7.7.2009 - [X.] [X.] 108/08 [X.]). Daran fehlt es, wenn die [X.]eklagte lediglich behauptet, das [X.] hätte den Rechtsstreit aussetzen müssen. Dass und inwieweit die unterlassene Aussetzung die Sachentscheidung beeinflusst haben könnte, wird nicht dargetan.

4. [X.] beruht auf den §§ 183, 193 Abs 1 [X.].

Meta

B 11 AL 5/14 R

06.08.2014

Bundessozialgericht 11. Senat

Urteil

Sachgebiet: AL

vorgehend SG Hamburg, 10. September 2012, Az: S 47 AL 110/11, Urteil

§ 2 Abs 3 Alt 1 SGB 9, § 68 Abs 2 S 1 SGB 9, § 69 SGB 9, § 73 Abs 1 SGB 9, § 114 Abs 1 S 2 SGG, § 164 Abs 2 S 3 SGG, § 9 Abs 5 S 3 LbV HA 2010, Art 12 Abs 1 GG, Art 27 Abs 1 S 2 Buchst a UNBehRÜbk, Art 27 Abs 1 S 2 Buchst e UNBehRÜbk, Art 21 EUGrdRCh, Art 26 EUGrdRCh

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 06.08.2014, Az. B 11 AL 5/14 R (REWIS RS 2014, 3579)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 3579

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