Bundesgerichtshof, Beschluss vom 29.11.2018, Az. StB 34/18

3. Strafsenat | REWIS RS 2018, 1071

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Gegenstand

Offenbaren von Staatsgeheimnissen: Begriff der Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland


Leitsatz

Zum Begriff der Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland.

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde des [X.] wird der Beschluss des [X.] vom 2. Juli 2018 aufgehoben, soweit

a) die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt,

b) den Angeklagten eine Entschädigung für die erlittene Untersuchungshaft gewährt und

c) eine Kosten- und Auslagenentscheidung getroffen

worden ist.

2. Die Anklage des [X.] vom 30. Mai 2018 wird unter Eröffnung des Hauptverfahrens zur Hauptverhandlung vor einem anderen Strafsenat des [X.] zugelassen.

3. Die Beschwerde des [X.] gegen die Aufhebung der Haftbefehle gegen die Angeklagten M.    und [X.].   wird auf Kosten der Staatskasse verworfen.

Gründe

1

Der [X.] hat den Angeklagten M.    und [X.].   mit der zum [X.] erhobenen Anklage vorgeworfen, jeweils ein [X.]aatsgeheimnis, das von einer amtlichen [X.]elle oder auf deren Veranlassung geheimgehalten wird, an einen Unbefugten gelangen lassen und dadurch die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der [X.] herbeigeführt zu haben. Der Angeklagte [X.]soll sich ein solches [X.]aatsgeheimnis verschafft haben, um es zu offenbaren.

2

Das [X.] hat mit Beschluss vom 2. Juli 2018 die Eröffnung des Hauptverfahrens aus Rechtsgründen (§ 204 Abs. 1 [X.]PO) abgelehnt, die Haftbefehle gegen die Angeklagten M.    und [X.].   aufgehoben, eine Kosten- und Auslagenentscheidung getroffen sowie ausgesprochen, dass die Angeklagten M.    und [X.].   für die erlittene Untersuchungshaft zu entschädigen seien. Mit seiner sofortigen Beschwerde wendet sich der [X.] gegen die Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens; die Aufhebung der Haftbefehle greift er mit der Beschwerde an.

3

Die sofortige Beschwerde dringt durch; der Beschwerde bleibt der Erfolg versagt.

I.

4

1. Mit der Anklageschrift ist den Angeklagten Folgendes zur Last gelegt worden:

5

a) Der Angeklagte [X.].   verfügte als Leiter der strategischen Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Firma [X.], eines Herstellers von Explosivstoffen, über Kontakte zu Mitarbeitern des [X.] und des [X.] ([X.]). Mit dem Angeklagten M.    - dem Leiter einer Niederlassung des geheimschutzbetreuten [X.] (E.  ), das unter anderem in verschiedenen [X.] tätig ist - war er befreundet. Der Angeklagte [X.]war bei der [X.]als "Projektmanager Helikopterumfeld" mit der Auftragsanbahnung im [X.] eines bei der [X.] eingesetzten Hubschraubers befasst und erhielt im November 2016 eine Verschlusssachenermächtigung bis zum Grad "Geheim".

6

Anfang September 2016 übergab der Angeklagte [X.].   dem Angeklagten M.    , der zuvor in einem Telefonat daran Interesse gezeigt hatte, auf einem Parkplatz im [X.] die Ablichtung eines 51 Seiten umfassenden "Entwurf[s] der [X.] zum Einzelplan 14 - Geschäftsbereich des [X.]", der mit der [X.] "[X.] - amtlich geheimgehalten" versehen war. Das Dokument gibt detailliert Auskunft zu militär- und außenpolitisch wichtigen Haushaltsplanungen des [X.] und vermittelt die Kenntnis, welche Projekte mit welchen Beträgen vorgesehen sind; dadurch erlaubt es Rückschlüsse auf die materielle Schlagkraft der [X.] und der [X.] und ermöglicht eine Einschätzung der sicherheits- und verteidigungspolitischen Absichten [X.]. Es wäre mit schweren Nachteilen für die äußere Sicherheit der [X.] zu rechnen, wenn es in die Hände einer fremden Macht fiele, da diese anhand der möglichen Schlussfolgerungen aus dem Dokument in einer Krise realistisch einschätzen könnte, ob [X.] im Ernstfall in der Lage oder willens wäre, nötigenfalls auch mit militärischen Mitteln zu handeln.

7

Am 19. September 2016 übergab der Angeklagte M.    dem Leiter der [X.] der [X.][X.]an deren Hauptsitz in [X.]           sowie dem in derselben Abteilung tätigen Angeklagten [X.]jeweils eine Ablichtung des [X.] bzw. ließ es zu, dass diese sich selbst eine Kopie davon fertigten oder anfertigen ließen.

8

Der Angeklagte [X.]nahm die Ablichtung des Dokuments an sich, um es nach firmeninterner Absprache im beruflichen Umfeld zu nutzen und weiteren unbefugten Personen dessen Inhalt zu offenbaren. Er bewahrte es in einem unverschlossenen Rollcontainer in seinem Büro auf, wo es am 22. November 2016 bei einer firmenüblichen Kontrolle aufgefunden wurde.

9

Allen Angeklagten war bekannt, dass das Dokument nur einem beschränkten Personenkreis zugänglich und geheimhaltungsbedürftig war und dass weder sie selbst noch der jeweilige Empfänger zu dessen Besitz berechtigt waren. Ihnen war außerdem bewusst, dass im Falle des Bekanntwerdens des Dokuments die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der [X.] eintreten würde. Weder die Angeklagten noch der Bereichsleiter [X.]waren befugt, das Dokument zu besitzen; sie alle benötigten es nicht für die Erfüllung ihrer beruflichen Aufgaben.

b) Die Anklageschrift des [X.]s würdigt diesen Sachverhalt rechtlich für die Angeklagten [X.].   und M.    als Offenbaren von [X.]aatsgeheimnissen gemäß § 95 Abs. 1 [X.]GB, für den Angeklagten [X.]als Auskundschaften von [X.]aatsgeheimnissen gemäß § 96 Abs. 2 [X.]GB.

2. Das [X.] hat zur Begründung seiner die Eröffnung des Hauptverfahrens ablehnenden Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:

Eine [X.]rafbarkeit der Angeklagten [X.].   und M.    setze gemäß § 95 [X.]GB unter anderem voraus, dass durch die [X.] eine konkrete Gefahr für die äußere Sicherheit der [X.] entstanden sei; eine solche Gefahr liege selbst bei Erweislichkeit der in der Anklage zugrunde gelegten Tatsachen nicht vor. Es bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass das [X.]aatsgeheimnis einer fremden Macht zugetragen worden sei; auch seien keine konkreten Umstände ersichtlich, die Rückschlüsse auf die Gefahr einer weiteren Verbreitung des [X.]aatsgeheimnisses außerhalb der [X.]zuließen. Bei normalem Ablauf der Geschehnisse sei nicht mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten gewesen, dass "eine fremde Regierung" von dem [X.]aatsgeheimnis Kenntnis erlangen werde.

Hinsichtlich des Angeklagten [X.]sei der nach dem Tatbestand des § 96 Abs. 2 [X.]GB erforderliche - zumindest bedingte - Vorsatz hinsichtlich des Entstehens einer konkreten Gefahr für die äußere Sicherheit der [X.] zu verneinen. Es bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass er sich vorgestellt habe, das [X.]aatsgeheimnis werde durch sein Handeln einer Person außerhalb des [X.] Unternehmens [X.]bekannt; damit umfasse seine Vorstellung keine konkrete Gefahr für die äußere Sicherheit der [X.].

3. Die gemäß § 210 Abs. 2, § 304 Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 [X.]PO statthafte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde des [X.]s führt zur Eröffnung des Hauptverfahrens unter Zulassung der Anklage zur Hauptverhandlung vor einem anderen [X.]rafsenat des [X.]s Düsseldorf und zur Aufhebung der mit der Nichteröffnung einhergehenden Entschädigungs- und Kostenentscheidungen. Der nach § 304 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 [X.]PO statthaften Beschwerde gegen die Aufhebung der Haftbefehle bleibt der Erfolg versagt.

II.

Die Voraussetzungen für die Eröffnung des Hauptverfahrens liegen vor. Das [X.] hat insbesondere die Wahrscheinlichkeit des Nachweises des Tatbestandsmerkmals einer Gefahr für die äußere Sicherheit der [X.] zu Unrecht verneint. Im Einzelnen gilt Folgendes:

1. Gemäß § 203 [X.]PO beschließt das Gericht die Eröffnung des Hauptverfahrens, wenn nach den Ergebnissen des vorbereitenden Verfahrens der Angeschuldigte einer [X.]raftat hinreichend verdächtig ist. Ein hinreichender Tatverdacht ist zu bejahen, wenn bei vorläufiger Tatbewertung auf Grundlage des Ermittlungsergebnisses die Verurteilung in einer Hauptverhandlung mit vollgültigen Beweismitteln wahrscheinlich ist (vgl. [X.], Beschluss vom 22. April 2003 - [X.]B 3/03, [X.]R [X.]PO § 210 Abs. 2 Prüfungsmaßstab 2 mwN). Der hinreichende Tatverdacht setzt eine gewisse Wahrscheinlichkeit der Verurteilung voraus; damit wird ein geringerer Grad der Wahrscheinlichkeit vorausgesetzt, als dies beim dringenden Tatverdacht im Sinne des § 112 Abs. 1 Satz 1 oder § 126a [X.]PO der Fall ist (vgl. [X.] aaO). Erst recht ist zur Eröffnung des Hauptverfahrens nicht die für eine Verurteilung notwendige volle richterliche Überzeugung erforderlich. Der [X.] hat als Beschwerdegericht das Wahrscheinlichkeitsurteil des [X.]s und dessen rechtliche Bewertung in vollem Umfang nachzuprüfen und die Voraussetzungen der Eröffnung selbstständig zu würdigen ([X.], Beschlüsse vom 26. März 2009 - [X.]B 20/08, [X.][X.] 53, 238, 243 f.; vom 15. Oktober 2013 - [X.]B 16/13, juris Rn. 16).

2. Die nach diesen Vorgaben vorzunehmende Bewertung ergibt, dass die Angeklagten der vorgeworfenen [X.]raftaten hinreichend verdächtig sind; denn das Ermittlungsergebnis rechtfertigt bei vorläufiger Tatbewertung die Annahme einer ausreichenden Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Angeklagten [X.].   und M.    sich des Offenbarens eines [X.]aatsgeheimnisses (§ 95 Abs. 1 [X.]GB) und der Angeklagte [X.]sich des Auskundschaftens eines [X.]aatsgeheimnisses (§ 96 Abs. 2 [X.]GB) strafbar gemacht haben und deswegen verurteilt werden.

a) Nach der Legaldefinition des § 93 [X.]GB umfasst der Begriff des [X.]aatsgeheimnisses solche Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse, die nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich und geheimhaltungsbedürftig sind, um die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der [X.] - insbesondere der Beeinträchtigung ihrer Fähigkeit, sich gegen Angriffe und [X.]örungen von außen, auch durch nachrichtendienstliche Aufklärung im militärischen Bereich, zur Wehr zu setzen - abzuwenden; erfasst sind damit unter anderem alle Angelegenheiten der Landesverteidigung im weitesten Sinne, die vor einer fremden Macht geheim gehalten werden müssen; dabei muss die objektive [X.] zur Zeit der Tat gegeben sein (vgl. [X.], Urteil vom 22. Januar 1971 - 3 [X.]R 3/70, [X.][X.] 24, 72, 74; BayObLG, Urteil vom 15. November 1991 - 3 [X.] 1/91, BayObLG[X.] 1991, 127 ff.; [X.], [X.]GB, 66. Aufl., § 93 Rn. 2 ff.; LK/[X.], [X.]GB, 12. Aufl., § 93 Rn. 14; S/S-[X.]ernberg-Lieben, [X.]GB, 30. Aufl., § 93 Rn. 20; [X.] [X.]GB/Ellbogen, § 93 Rn. 20; jeweils mwN). Zudem muss der Aussagegehalt des [X.]aatsgeheimnisses wahr sein; dies ergibt sich aus § 100a [X.]GB, der den Verrat fingierter Geheimnisse gesondert pönalisiert. Schließlich darf es sich nicht um ein sog. illegales Geheimnis im Sinne des [X.] nach § 93 Abs. 2 [X.]GB handeln.

Diese Voraussetzungen liegen im Sinne eines hinreichenden Tatverdachts vor. Es wäre mit schweren Nachteilen für die äußere Sicherheit der [X.] zu rechnen, wenn das nur einem begrenzten Personenkreis zugängliche Dokument in die Hände einer fremden Macht fiele, die anhand der möglichen Schlussfolgerungen aus dem Dokument die militärische Handlungswilligkeit und -fähigkeit [X.] im Ernstfall realistisch einschätzen könnte und damit gestärkt würde. Es ist hinreichend wahrscheinlich, dass auch die im Rüstungsbereich erfahrenen Angeklagten den Bedeutungsgehalt dieses Tatbestandsmerkmals erfassten und das Dokument als [X.]aatsgeheimnis einschätzten. Dies war aufgrund der jede Ausfertigung individualisierenden [X.]empelung "[X.] - amtlich geheimgehalten" offensichtlich.

b) § 95 Abs. 1 [X.]GB und § 96 Abs. 2 Satz 1 [X.]GB setzen als Bezugsobjekt ein [X.]aatsgeheimnis voraus, das von einer amtlichen [X.]elle oder auf deren Veranlassung (faktisch) geheimgehalten wird. In Betracht kommt jede staatliche Dienststelle, gleichgültig ob sie gesetzgebenden Organen, der Rechtsprechung oder der vollziehenden Gewalt angehört. Auch daran bestehen nach den bisherigen Ergebnissen der Ermittlungen keine Zweifel; angesichts der Sekretur war zudem für jedermann ersichtlich, dass das [X.] als staatliche Dienststelle das Dokument tatsächlich unter [X.] gestellt hatte.

c) Hinsichtlich der Angeklagten [X.].   und M.    werden auch die weiteren Voraussetzungen des § 95 Abs. 1 [X.]GB in einer Hauptverhandlung wahrscheinlich festgestellt werden können.

aa) Diese Vorschrift stellt einen Auffangtatbestand für die Fälle dar, in denen der Täter [X.]aatsgeheimnisse offenbart, ohne in unmittelbarer Beziehung zu einer fremden Macht gestanden (§ 94 Abs. 1 Nr. 1 [X.]GB) und ohne eine besondere Benachteiligungs- oder Begünstigungsabsicht gehandelt (§ 94 Abs. 1 Nr. 2 [X.]GB) zu haben; sie soll zugleich minder schwere Fälle aus dem Bereich des Landesverrats im engeren Sinne ausgrenzen (S/S-[X.]ernberg-Lieben, [X.]GB, 30. Aufl., § 95 Rn. 1 mwN).

bb) Für die hier allein in Betracht kommende Tathandlung des [X.] an einen Unbefugten genügt [X.] oder Unterlassen, durch das ein Unbefugter Kenntnis von dem [X.]aatsgeheimnis oder Gewahrsam an diesem erlangt; schon die Besitzergreifung ohne Kenntnisnahme vom Inhalt reicht aus ([X.], Urteil vom 16. Januar 1959 - 8 [X.]E 3/58, bei [X.] 1961, 141 Nr. 7; S/S-[X.]ernberg-Lieben, [X.]GB, 30. Aufl., § 94 Rn. 9 mwN). Unbefugter ist jeder, dem gegenüber der Täter nicht offenbarungspflichtig oder -berechtigt ist.

cc) Die Tathandlung muss zur Folge haben, dass die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der [X.] herbeigeführt wird. Anders als für die Begründung der [X.] bei § 93 [X.]GB genügt eine bloß abstrakte Gefahr nicht; vielmehr muss ein Zustand eingetreten sein, in dem der Eintritt eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der [X.] nicht mehr fernliegt (vgl. S/S-[X.]ernberg-Lieben, [X.]GB, 30. Aufl., § 94 Rn. 13). Nach einhelliger Ansicht in Rechtsprechung und Literatur muss das [X.]adium einer konkreten Gefährdung erreicht sein (BayObLG, Urteil vom 9. Mai 1957 - 3 [X.] 18/57, NJW 1957, 1327, 1328; S/S-[X.]ernberg-Lieben, [X.]GB, 30. Aufl., § 94 Rn. 13; MüKo[X.]GB/[X.]/[X.], 3. Aufl., § 95 Rn. 13 und § 94 Rn. 14).

(1) Hinsichtlich der Frage, unter welchen Voraussetzungen eine konkrete Gefahr im Sinne der Geheimschutzvorschriften anzunehmen ist, hält der Senat an der bisherigen Rechtsprechung des [X.]s fest. Danach gilt:

Ob im Einzelfall ein schwerer Nachteil droht, ist in erster Linie eine Frage tatsächlicher, nicht rechtlicher Natur ([X.], Urteil vom 22. Januar 1971 - 3 [X.]R 3/70, [X.][X.] 24, 72, 75). Die Abgrenzung zwischen lediglich abstrakter Möglichkeit und einer solchen Wahrscheinlichkeit, mit der aus gegebener Sachlage nach menschlicher Erfahrung und den Gesetzen der Verursachungslehre ein schädigender Erfolg zu erwarten ist, ist dabei im Einzelfall aufgrund tatrichterlicher Würdigung vorzunehmen, wobei die maßgeblichen Umstände für die Besorgnis des Schadenseintritts unterschiedliches Gewicht haben können ([X.], Beschluss vom 15. Februar 1963 - 4 [X.]R 404/62, [X.][X.] 18, 271 ff.; Urteil vom 8. November 1965 - 8 [X.]E 1/65, [X.][X.] 20, 342, 348; vgl. auch BayObLG, Urteil vom 9. Mai 1957 - 3 [X.] 18/57, NJW 1957, 1327 f.; LK/[X.], [X.]GB, 12. Aufl., § 94 Rn. 8).

Dabei ist zu bedenken, dass die Feststellung der Gefährdung bereits bei [X.] oder technischen Abläufen wie etwa im [X.]raßenverkehr regelmäßig Schwierigkeiten bereiten kann. Erst recht ist im [X.] bei dem hier in Rede stehenden, ein Rechtsgut der Allgemeinheit schützenden und sprachlich weit gefassten Tatbestandsmerkmal die Feststellung der konkreten Rechtsgutgefährdung besonders schwierig und von sicherheitspolitischen Einschätzungen und Bewertungen abhängig. Mit dem Gelangenlassen eines [X.]aatsgeheimnisses an einen Unbefugten wird zwar nach aller Erfahrung häufig eine mögliche Gefährdung des [X.]aatswohls verbunden sein; diese Feststellung allein genügt jedoch nicht.

Vielmehr erfordert die Annahme einer konkreten Gefährdung die auf Tatsachen beruhende Wahrscheinlichkeit, das [X.]aatsgeheimnis werde dadurch unmittelbar oder mittelbar einer fremden Macht zugänglich werden, vor der es zum Wohle der [X.] geheim gehalten werden muss. Solche Tatsachen müssen positiv festgestellt werden; sie können schon in der Person des Unbefugten, aber auch außerhalb seines Persönlichkeitsbereichs liegen. Es reicht auch aus, dass sonstige Umstände vorliegen, die bei normalem Ablauf der Geschehnisse mit Wahrscheinlichkeit erwarten lassen, dass eine fremde Regierung von dem [X.]aatsgeheimnis Kenntnis erlangen werde ([X.], Urteile vom 20. Dezember 1962 - 7 [X.]E 3/62, juris Rn. 36; vom 8. November 1965 - 8 [X.]E 1/65, [X.][X.] 20, 342, 348). Nicht erforderlich ist die Prüfung, ob die fremde Macht zur Zeit des Offenbarens feindselige Aktivitäten plante und die Nutzung des durch den Verrat erlangten Vorteils unmittelbar bevorstand; vielmehr genügt die Feststellung der verbesserten Möglichkeiten der fremden Macht (vgl. auch MüKo[X.]GB/[X.]/[X.], 3. Aufl., § 94 Rn. 14).

Der Gefahreintritt kann in der Gesamtschau der Umstände insbesondere dann zu verneinen sein, wenn der unbefugte Empfänger im Einzelfall die volle Gewähr dafür bietet, dass er von dem Geheimnis keinen die äußere Sicherheit beeinträchtigenden Gebrauch machen werde; eine solche Gewähr kommt etwa bei besonderer beruflicher Verschwiegenheitspflicht und persönlicher Zuverlässigkeit in Betracht ([X.], Urteil vom 8. November 1965 - 8 [X.]E 1/65, [X.][X.] 20, 342, 349, 364 für einen Rechtsanwalt oder Bundestagsabgeordneten). Daraus kann jedoch nicht umgekehrt der Schluss gezogen werden, dass bereits immer dann, wenn eine solche Gewähr nicht festgestellt werden kann, eine konkrete Gefährdung anzunehmen sei (so aber LK/[X.], [X.]GB, 12. Aufl., § 94 Rn. 8).

(2) Die abweichenden Lösungsansätze im Schrifttum überzeugen nicht. Während vereinzelt als Voraussetzung für die Annahme einer konkreten Gefahr die Prognose einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit des Gefahreintritts gefordert wird (vgl. NK-[X.]GB-Paeffgen, 5. Aufl., § 94 Rn. 10; in diese Richtung auch der angefochtene Beschluss: "große Wahrscheinlichkeit"), soll nach anderer Ansicht je nach Sachlage eine solche Gefahr bereits dann anzunehmen sein, wenn das [X.]aatsgeheimnis in die Hände eines unkontrollierbaren [X.] gerate ([X.], [X.]GB, 66. Aufl., § 94 Rn. 6) oder der unbefugte Empfänger nicht die volle Gewähr dafür biete, dass er von dem Geheimnis keinen die äußere Sicherheit beeinträchtigenden Gebrauch machen werde (LK/[X.], [X.]GB, 12. Aufl., § 94 Rn. 8). Die erstgenannte einschränkende Auslegung ist weder nach dem Wortlaut der Vorschrift noch nach Sinn und Zweck des Gesetzes geboten; sie würde hinreichende Feststellungen regelmäßig unmöglich machen und einem effektiven Rechtsgüterschutz widersprechen, da jenseits des publizistischen Offenbarens durch öffentliches Bekanntmachen der [X.]rafvorschrift kaum noch ein Anwendungsbereich zukäme. Die extensiven Auslegungen werden der Ausgestaltung der Vorschrift als konkretes Gefährdungsdelikt nicht gerecht, da sie ohne Weiteres regelmäßig zur Bejahung der konkreten Gefährdung führen und damit die Trennlinie zwischen abstrakter und konkreter Gefahr verwischen würden; hinzu kommt, dass diesem [X.]rkmal kaum noch ein eigenständiger sachlicher Gehalt verbliebe.

(3) Nach den aufgezeigten Maßstäben liegt angesichts der Ermittlungsergebnisse der hinreichende Verdacht des Eintritts einer konkreten Gefahr für die Sicherheit der [X.] vor. Soweit das [X.] entscheidend darauf abgestellt hat, dass keine konkreten Umstände ersichtlich seien, die Rückschlüsse auf die Gefahr einer weiteren Verbreitung des [X.]aatsgeheimnisses "außerhalb der E.  " zuließen, hat es bei seiner Bewertung außer Acht gelassen, dass der militärische Bereich und ihn beliefernde Unternehmen nach allgemeiner Erfahrung besonders im Fokus nachrichtendienstlicher Ausspähung durch fremde Mächte stehen und damit die Gefahr, dass ein [X.]aatsgeheimnis an eine solche gelangt, gerade in diesem Bereich besonders hoch erscheint, zumal wenn es - wie hier - einer unbestimmten Zahl von Personen "für firmeninterne Zwecke" offenbart werden soll. Hinzu kommt, dass sowohl die [X.] - ein Tochterunternehmen des [X.] Konzerns R.    - als auch die E.  , die Tochtergesellschaften im Ausland, unter anderem in [X.] und der [X.], unterhält, international verflochten sind. Eine der Annahme der Gefährdung entgegenstehende persönliche Zuverlässigkeit aller Mitarbeiter, die als [X.]sempfänger im Bereich der [X.]in Betracht kommen, ist nach dem Ermittlungsergebnis nicht anzunehmen. Bereits eine "firmeninterne Verwendung" des [X.]aatsgeheimnisses macht es daher in der gebotenen Gesamtschau im Sinne eines hinreichenden Tatverdachts wahrscheinlich, dass es nur noch vom Zufall abhing, ob das Geheimnis einer fremden Macht zugetragen und wann dadurch ein Nachteil für die [X.] entstehen würde. Im vorliegenden Fall existierten allein aufgrund des Vorgehens der Angeklagten bereits drei Ablichtungen des Dokuments, die sich in den Händen von Unbefugten befanden. Nach der Einlassung des Angeklagten M.    bestand zudem zwischen ihm und dem Angeklagten [X.].   die Übung, entsprechende Dokumente und Informationen untereinander und mit [X.] - wie im Bereich der [X.] nicht unüblich - auf Gegenseitigkeit zur Kontaktpflege im beruflichen Bereich auszutauschen.

dd) Hinsichtlich der subjektiven Tatseite reicht für § 95 Abs. 1 [X.]GB bedingter Vorsatz, der sich auch auf die faktische Geheimhaltung erstrecken muss (vgl. S/S-[X.]ernberg-Lieben, [X.]GB, 30. Aufl., § 95 Rn. 12; MüKo[X.]GB/[X.]/[X.], 3. Aufl., § 95 Rn. 14); dabei genügt für deren Erkennbarkeit regelmäßig der Geheimhaltungsvermerk auf einem Dokument (vgl. LK/[X.], [X.]GB, 12. Aufl., § 95 Rn. 8).

d) Das dem Angeklagten [X.]vorgeworfene "Auskundschaften" (§ 96 Abs. 2 [X.]GB) setzt zunächst voraus, dass sich der Täter ein von einer amtlichen [X.]elle oder auf deren Veranlassung (faktisch) geheimgehaltenes [X.]aatsgeheimnis verschafft. Dies ist der Fall, wenn er es in irgendeiner Form aufnimmt; nicht erforderlich ist, dass er das Geheimnis inhaltlich zur Kenntnis nimmt und den Sachverhalt versteht (LK/[X.], [X.]GB, 12. Aufl., § 96 Rn. 3 mwN). Das dem Angeklagten vorgeworfene Ansichnehmen der Fotokopie als [X.] mit Empfangswillen reicht dafür aus.

Hinsichtlich der subjektiven Tatseite genügt bedingter Vorsatz, soweit es um die Voraussetzungen des [X.]aatsgeheimnisses und die Folgen des Verrats für die Sicherheit der [X.] geht. Hinzukommen muss, dass der Täter sich das [X.]aatsgeheimnis in der Absicht verschafft, es zu offenbaren. Es muss ihm - schon bei dieser Tathandlung - darauf ankommen, das Geheimnis an einen Unbefugten gelangen zu lassen oder zu veröffentlichen, ohne dass er dabei Vorsatz nach § 94 Abs. 1 Nr. 1 [X.]GB oder Absicht nach § 94 Abs. 1 Nr. 2 [X.]GB hat. Die Verrats- oder [X.] braucht nicht das alleinige Motiv des [X.] zu sein; er kann auch von anderen Gründen - etwa einem persönlichen Vorteil oder bloßer Neugier - bestimmt sein (LK/[X.], [X.]GB, 12. Aufl., § 96 Rn. 4). Auf die Gefahr des Nachteils für die [X.] braucht sich die Absicht hingegen nicht zu beziehen; insoweit genügt bedingter Vorsatz.

aa) Diesbezüglich ist das [X.] im Ansatz zutreffend und insoweit im Einklang mit der Anklage davon ausgegangen, der Angeklagte [X.]habe in [X.] gehandelt. Denn es genügt, wenn sich diese lediglich auf das Gelangenlassen an (irgend-)einen Unbefugten bezieht (vgl. LK/[X.], [X.]GB, 12. Aufl., § 96 Rn. 4). Anhaltspunkte dafür, dass er das [X.]aatsgeheimnis zielgerichtet etwa nur an einzelne Personen weitergeben wollte, die die sichere Gewähr dafür boten, dass das Geheimnis nicht an eine fremde Macht gelangte, ergeben sich aus den Ermittlungen nicht. Schon der Umstand, dass er das Dokument in seinem Arbeitsumfeld verwenden wollte und es unverschlossen in einem Rollcontainer aufbewahrte, spricht dagegen und macht es wahrscheinlich, dass er es billigte, einem unkontrollierbaren Personenkreis möglichen Zugriff darauf zu verschaffen.

bb) Soweit das [X.] jedoch die Frage verneint hat, ob der Angeklagte [X.]mit dem erforderlichen bedingten Vorsatz hinsichtlich der im [X.]sfalle erwachsenden konkreten Gefahr für die äußere Sicherheit der [X.] handelte, hat es allein auf die Erwägung abgestellt, es lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Angeklagte [X.]in der Vorstellung handelte, das [X.]aatsgeheimnis werde durch sein Handeln einer Person außerhalb des [X.] Unternehmens [X.]bekannt; damit habe seine Vorstellung keine konkrete Gefahr für die äußere Sicherheit der [X.] umfasst. Demgegenüber ist es aufgrund der Ermittlungsergebnisse wahrscheinlich, dass es auch bei einer [X.] an einen unbestimmten, auf das Unternehmen [X.]beschränkten Personenkreis insbesondere wegen der internationalen Verflechtungen des Unternehmens nur noch vom Zufall abhängig war, ob das Geheimnis an eine fremde Macht weitergereicht werden würde. Der Schadenseintritt war damit vom Angeklagten [X.]- wie er nach den Ermittlungen erkannte - nicht mehr beherrschbar und lag nicht fern.

cc) Angesichts der beruflichen Kenntnisse des Angeklagten liegt auch die Schlussfolgerung nahe, dass er die sicherheitspolitische Bedeutung des Dokuments erfasste, dessen Nutzen für eine fremde Macht sowie die daraus resultierenden schweren Nachteile für die [X.] im Fall der [X.] erkannte und gleichwohl handelte. In der vorläufigen Gesamtschau nach Lage der Akten besteht daher entgegen der Auffassung des [X.]s ein hinreichender Verdacht auch hinsichtlich der subjektiven Tatseite.

III.

Die Zuständigkeit des [X.]s zur Durchführung des Hauptverfahrens folgt aus § 120 Abs. 1 Nr. 3 [X.]. Der Senat hat mit Blick auf die Wahrung der Unvoreingenommenheit des Tatgerichts von der Möglichkeit des § 210 Abs. 3 Satz 2 [X.]PO Gebrauch gemacht. Dem zuständigen [X.]rafsenat des [X.]s obliegt die nach § 122 Abs. 2 Satz 2 [X.] zu treffende Entscheidung über seine Besetzung in der Hauptverhandlung.

IV.

Mit der Eröffnung des Hauptverfahrens entfallen die vom [X.] in dem angefochtenen Beschluss getroffene Kosten- und Auslagenentscheidung (vgl. § 464 Abs. 1 [X.]PO) sowie der Ausspruch über die Entschädigung der Angeklagten M.    und [X.].   für die erlittene Untersuchungshaft (vgl. § 2 Abs. 1 [X.]rEG).

V.

Soweit sich der [X.] mit seiner Beschwerde gegen die Aufhebung der Haftbefehle des Ermittlungsrichters des [X.]s vom 16. Januar 2018 gegen den Angeklagten M.    (1 [X.] 27/18 - in der Fassung des Beschlusses vom 7. März 2018 - 1 [X.] 121/18) und vom 25. Januar 2018 gegen den Angeklagten [X.].   (1 [X.] 38/18 - in der Fassung des [X.] vom 26. Januar 2018 - 1 [X.] 49/18) wendet, bleibt dem Rechtsmittel der Erfolg versagt.

Es kann dahinstehen, ob der erforderliche dringende Tatverdacht (§ 112 Abs. 1 Satz 1 [X.]PO) gegeben ist, da jedenfalls die Haftgründe der Flucht- und Verdunkelungsgefahr nach derzeitigem Sachstand nicht mehr vorliegen. Es ist zu erwarten, dass sich die Angeklagten dem Verfahren stellen werden, nachdem sie sich bereits geraume Zeit auf freiem Fuß befinden und keine Anzeichen für Fluchtbestrebungen erkennbar sind. Hinweise auf Verdunkelungshandlungen sind weder in der Beschwerdebegründung vorgetragen noch sind sie sonst ersichtlich.

Schäfer     

        

Ri[X.] Gericke befindet sich im
Urlaub und ist deshalb gehindert
zu unterschreiben.

        

Berg   

                 

Schäfer

                 
        

Hoch     

        

     Leplow     

        

Meta

StB 34/18

29.11.2018

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: False

vorgehend OLG Düsseldorf, 2. Juli 2018, Az: XX

§ 95 Abs 1 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 29.11.2018, Az. StB 34/18 (REWIS RS 2018, 1071)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 1071

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