Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 16.02.2005, Az. 5 StR 566/04

5. Strafsenat | REWIS RS 2005, 4982

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5 StR 566/04
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS vom 16. Februar 2005 in der Strafsache gegen

wegen Totschlags

- 2 - Der 5. Strafsenat des [X.] hat am 16. Februar 2005 beschlossen:

Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Land-gerichts [X.] vom 13. Juli 2004 nach § 349 Abs. 4 StPO im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen auf-gehoben.

Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-tels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Straf-kammer des [X.] zurückverwiesen.

G r ü n d e

Das [X.] hat die Angeklagte wegen Totschlags zu einer Frei-heitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Die Revision der Angeklagten ist aus den Gründen der Antragsschrift des [X.] unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO, soweit das Rechtsmittel sich gegen den Schuldspruch richtet. Jedoch hat der Strafausspruch keinen Bestand.

Nach den vom [X.] getroffenen Feststellungen lebte die Ange-klagte zur Tatzeit mit ihrem Partner und ihren drei Kindern, die 13 Jahre, vier Jahre sowie ein Jahr alt waren, in einer halbwegs stabilen Familiensitua-tion. Ihr Partner, der Vater des dritten Kindes und des hiesigen Tatopfers ist, hatte mehrfach und nachdrücklich, auch als er die Angeklagte im Frühjahr 2003 mindestens zweimal auf eine etwaige Schwangerschaft ansprach, da-- 3 - mit gedroht, die Angeklagte [X.] und damit die Familie [X.] im Fall einer erneuten Schwangerschaft zu verlassen. Die Angeklagte nahm diese Drohung —wegen der ohnehin schwierigen finanziellen Lage und des problematischen Verhält-nissesfi ernst und entschloß sich, die Schwangerschaft planmäßig zu verdek-ken. Die Angeklagte gebar am 4. August 2003 nachts [X.] von ihrer Familie un-bemerkt [X.] ein lebendes Kind und ertränkte es unmittelbar danach in einem nahegelegenen See.

Das [X.] hat, dem Gutachten der psychiatrischen Sachver-ständigen folgend, das Vorliegen der Voraussetzungen des § 21 StGB ver-neint. Dazu hat das [X.] zunächst ausgeführt, daß die Angeklagte [X.] unabhängig von der Geburtssituation [X.] auf dem Boden einer charakterneu-rotischen Persönlichkeit phasenweise unter neurotischer Symptomatik in Form von depressiven Verstimmungen bis hin zu Suizidalität und funktionel-len körperlichen Störungen (nächtlichem Einnässen) gelitten habe. Ihre Per-sönlichkeitsstruktur sei durch selbstunsicher-abhängige, unreife, histrionische und depressive Züge gekennzeichnet. Die Angeklagte habe sich nach einem Familienumzug und der Aufnahme einer Berufstätigkeit angesichts der finan-ziellen Situation nach der Geburt des dritten Kindes, der fortdauernden Kon-flikte mit dem Partner und der ungewollten neuen Schwangerschaft in einer —Überforderungssituationfi befunden. Dies alles begründe lediglich eine An-passungsstörung mit Angst und depressiver Reaktion ([X.] 10, [X.]). Die diagnostischen Kriterien einer Persönlichkeitsstörung lägen nicht vor. Eine Erwägung, ob etwa eine sogenannte —abhängige Persönlichkeitsstörungfi ([X.] 10, F 60.7, womit eine Persönlichkeitsstörung infolge einer Abhängig-keit von einer anderen Person gemeint ist) vorliegt, ist nicht angestellt [X.]. Das [X.] hat alsdann verneint, daß —die besondere Streßsituati-on nach der Geburt in Verbindung mit der [X.] eine erhebli-che Verminderung der Steuerungs- oder Unrechtseinsichtsfähigkeit im Sinne des § 21 StGB begründe. Dies hat es darauf gestützt, daß die Angeklagte bei der Fahrt zum See einen PKW führen und nach der Tat —Sicherungshandlun-genfi vornehmen konnte, wie die Beseitigung eines Handtuchs, in das das - 4 - Kind zunächst gewickelt war, und der beim Ertränken des Kindes durchnäß-ten Kleidung der Angeklagten. Zudem sei die Angeklagte von dem Gedanken geleitet gewesen, schnellstmöglich wieder zurück zur Wohnung zu gelangen, um eine Entdeckung der Tat durch ihren Partner oder ihre Kinder zu [X.]. Schließlich sei die Angeklagte weder während der Schwangerschaft noch nach dem Tatgeschehen in ihrer gewohnten Lebensführung beeinträch-tigt gewesen, vielmehr habe sie die —aufgebaute Fassade aufrechterhaltenfi.

Die Verneinung der Voraussetzungen des § 21 StGB hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Zwar hat das [X.] nicht verkannt, daß in Fällen der vorliegenden Art eine Gesamtwürdigung geboten ist, in die namentlich die besondere psychische Situation der Mutter unmittelbar nach der Geburt einzubeziehen ist (vgl. [X.], Beschluß vom 14. Dezember 1999 [X.] 5 StR 534/99). Jedoch hat das [X.] mit seinen Ausführungen zu dem letztgenannten Gesichtspunkt allein auf das Verhalten der Angeklagten vor der Tat, die Fähigkeit zur Führung eines Kraftfahrzeugs und das [X.] abgestellt. [X.] der naheliegenden psychischen Beeinträchti-gung der Angeklagten, nämlich die aus der Geburtssituation resultierende besondere Einschränkung ihrer auch psychischen Leistungsfähigkeit in und sogleich nach der Geburt, hat das [X.] damit nicht hinreichend erfaßt.

Dieser Rechtsfehler berührt den Schuldspruch nicht, weil eine gänzli-che Aufhebung der Steuerungsfähigkeit nach § 20 StGB ausgeschlossen werden kann. Indes liegt es nahe, daß das [X.], das einen sonstigen minder schweren Fall nach § 213 Alt. 2 StGB angenommen hat, bei [X.] einer erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit der Angeklagten zu einer Herabsetzung des Strafrahmens des § 213 StGB nach den §§ 21, 49 StGB gefunden hätte.

Für die neue Verhandlung weist der Senat auf folgendes hin: - 5 -
Bei der erneuten psychiatrischen Begutachtung wird insbesondere zu prüfen sein, ob etwa eine Persönlichkeitsstörung der in [X.] 10, F 60.7 ge-nannten Art vorliegt.

Es werden strafschärfende Erwägungen (vgl. [X.] f.) zu vermei-den sein, die daran anknüpfen, daß die Angeklagte nicht von der Möglichkeit eines straflosen Schwangerschaftsabbruchs nach § 218a StGB Gebrauch gemacht hat.

Es wäre zulässig, in erweiternder Anwendung des Rechtsgedankens des § 46 Abs. 1 Satz 2 StGB auch diejenigen Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Strafe für das künftige Leben der drei Kinder der Angeklagten zu erwarten sind.

[X.] Raum [X.]

Meta

5 StR 566/04

16.02.2005

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 16.02.2005, Az. 5 StR 566/04 (REWIS RS 2005, 4982)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2005, 4982

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