Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 08.12.2020, Az. 3 AZN 849/20

3. Senat | REWIS RS 2020, 487

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Betriebliche Altersversorgung - Nichtzulassungsbeschwerde - Verwirkung - Rügefrist


Tenor

Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des [X.] vom 6. August 2020 - 2 [X.]/20 - wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Der Streitwert wird auf 190,44 [X.] festgesetzt.

Gründe

1

I. Die ausschließlich auf die grundsätzliche Bedeutung einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage gestützte Nichtzulassungsbeschwerde hat keinen Erfolg. Sie betrifft schon keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung.

2

1. Nach § 72a Abs. 3 Satz 2 Nr. 1, § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG kann eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt werden, dass eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat. Dies ist der Fall, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits von einer klärungsfähigen und klärungsbedürftigen Rechtsfrage abhängt und die Klärung entweder von allgemeiner Bedeutung für die Rechtsordnung ist oder wegen ihrer tatsächlichen Auswirkungen die Interessen zumindest eines größeren Teils der Allgemeinheit berührt ([X.] 14. April 2005 - 1 [X.] 840/04 - zu 2 c aa der Gründe, [X.]E 114, 200). Eine Rechtsfrage ist eine Frage, die die Wirksamkeit, den Geltungsbereich, die Anwendbarkeit oder den Inhalt einer Norm zum Gegenstand hat ([X.] 23. Juni 2020 - 3 [X.] 442/20 - Rn. 2).

3

2. Die von der [X.] konkret formulierte Frage:

        

„Kann eine Entscheidung hinsichtlich einer vertraglich zugesagten Anpassung, die eine Ermessensentscheidung des Versorgungsschuldners enthält, zeitlich im gesamten Rahmen der nach § 18a S. 1 [X.] geltenden 30jährigen Verjährungsfrist des [X.] und damit zeitlich länger als eine Entscheidung zur gesetzlichen Anpassung nach § 16 [X.] angegriffen werden?“,

enthält auch bei rechtsschutzfreundlicher Auslegung keine Rechtsfrage. Sie hat keinen die Wirksamkeit, den Geltungsbereich, die Anwendbarkeit oder den Inhalt einer Norm betreffenden Gegenstand. Soweit sich die Beschwerde auf die Regelungen in §§ 16, 18a [X.] bezieht, betrifft sie weder die Wirksamkeit noch den Geltungsbereich, die Anwendbarkeit oder den Inhalt dieser Normen. Die Beklagte möchte in ihrer Frage ausdrücklich nur deren Wertungen oder ihr Gegenteil für eine allgemeine Verwirkung des Anpassungsrechts heranziehen. Die Anwendung des § 18a Satz 1 [X.] wie des § 16 [X.] scheidet damit nach ihrer eigenen Begründung aus. Selbst eine sinngemäße Anwendung von § 16 [X.] entspräche nicht dem Vorgehen der [X.], die die vom Kläger begehrte Anpassung seiner betrieblichen Versorgungsleistungen zum 1. Juli 2015 auch mit Wirkung für die Zukunft dauerhaft ausschließen möchte.

4

3. Die Beklagte möchte eigentlich geklärt wissen, ob eine Verwirkung des Rechts, eine Anpassung der betrieblichen Versorgungsleistungen geltend zu machen, aus § 242 BGB abgeleitet werden kann.

5

Macht die Beklagte daher eine Verwirkung eines Rechts zur Anpassung der betrieblichen Versorgungsleistungen geltend, geht es ihr um die Anwendung - also nicht um die Auslegung - des § 242 BGB in seiner Ausprägung der Verwirkung eines Rechts. Die Verwirkung hängt allerdings von den Umständen des Einzelfalls ab und erfordert sowohl ein Zeit- als auch ein Umstandsmoment. Zu dem erforderlichen Zeitablauf müssen besondere, auf dem Verhalten des Berechtigten beruhende Umstände hinzutreten, die das Vertrauen des Verpflichteten rechtfertigen, der Berechtigte werde sein Recht nicht mehr geltend machen. Ob eine Verwirkung vorliegt, richtet sich letztlich nach den vom Tatrichter festzustellenden und zu würdigenden Umständen des Einzelfalles, ohne dass insofern auf Vermutungen zurückgegriffen werden kann. Die Bewertung des Tatrichters kann in der Revisionsinstanz nur - und nur nach erfolgter Zulassung der Revision - daraufhin überprüft werden, ob sie auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht, alle erheblichen Gesichtspunkte berücksichtigt und nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt oder von einem falschen Wertungsmaßstab ausgeht ([X.] 23. Januar 2018 - [X.] - Rn. 9). Hieraus lässt sich keine Rechtsfrage ableiten.

6

Zu erwägen wäre allenfalls, die Ausgestaltung der Leitlinien des Zeit- und [X.] der Verwirkung eines vertraglichen Anpassungsrechts als „Rechtsfrage“ iRd. § 242 BGB anzuerkennen (vgl. [X.] 23. Januar 2018 - [X.] - Rn. 15 ff.). In diese Richtung sieht auch das [X.] zum Begriff der Verwirkung eine Nichtzulassungsbeschwerde als zulässig an, wenn ein über die allgemeinen Rechtssätze hinausgehender, weiterer grundsätzlicher Klärungsbedarf zum [X.] besteht (BVerwG 19. Dezember 2008 - 9 [X.] - Rn. 13; vgl. auch [X.] 18. Februar 2009 - IX [X.]/08 -).

7

Allerdings würde diese Annahme im vorliegenden Verfahren auch nicht zu einer klärungsbedürftigen Rechtsfrage führen. Es besteht kein über die allgemeinen Rechtssätze hinausgehender grundsätzlicher Klärungsbedarf zum [X.]. Der [X.] geht es um die konkrete Verwirkung des Rechts, eine unzutreffende Anpassungsentscheidung im Einzelfall zu rügen. Zudem stellt sich in unterschiedlichen Versorgungswerken - selbst bei mit den dem Beschwerdeverfahren ähnlichen vertraglichen [X.] - die Frage der Verwirkung stets neu und - anders etwa als bei der Verwirkung gesetzlich vorgesehener Rechte (etwa des Widerrufsrechts) - nicht in gleichförmiger Weise. Folglich ließen sich allenfalls für ein Versorgungswerk Leitlinien aufstellen, die sich in anderen Versorgungswerken erneut - aber anders - stellen könnten. Hierbei handelt es sich allerdings nicht um eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung (vgl. zu diesem Merkmal [X.] 28. Juni 2011 - 3 [X.] 146/11 - Rn. 11 f., [X.]E 138, 180).

8

4. Im Übrigen bedarf es keiner höchstrichterlichen Entscheidung zu einer vom Revisionsgericht noch nicht entschiedenen Rechtsfrage, wenn die Rechtslage eindeutig ist ([X.] 22. April 1987 - 4 [X.] 114/87 - [X.]. 2 mwN) bzw. sich die streitige Rechtsfrage ohne Weiteres aus dem Gesetz beantworten lässt ([X.] 25. Oktober 1989 - 2 [X.] 401/89 - zu I 2 c der Gründe mwN). Nach dem Zweck des Revisionsverfahrens, die Einheitlichkeit der Rechtsprechung zu fördern, liegt dieser Ausnahmefall vor, wenn divergierende Entscheidungen der Instanzgerichte zu der nämlichen Rechtsfrage nicht zu erwarten sind ([X.] 25. Oktober 1989 - 2 [X.] 401/89 - zu I 2 c der Gründe).

9

Unterstellt, es handele sich bei der gestellten Frage um eine Rechtsfrage iSd. § 72a ArbGG, so ist deren Beantwortung eindeutig. Auf eine vertraglich zugesagte Anpassung in einem Versorgungswerk ist die Systematik des § 16 [X.] und das hierzu vom Senat entwickelte [X.] (vgl. [X.] 25. April 2006 3 [X.]  - Rn. 15 , [X.]E 118, 51 ) nur dann anwendbar, wenn sich das maßgebliche Versorgungswerk und seine Ausführungsbestimmungen nach Wortlaut und Inhalt an § 16 Abs. 1 und Abs. 2 [X.] anlehnt und zur Anpassung entsprechende ausdrückliche Regelungen enthält, sodass die für die gesetzliche Anpassungspflicht geltenden Grundsätze insgesamt auf die Anpassungen der Ruhegelder anwendbar sind (vgl. [X.] 10. Februar 2009 - 3 [X.] - Rn. 31 zu § 20 Leistungsordnung 1985 [X.] Verband; 14. Mai 2019 - 3 [X.] - [X.]E 166, 323 zu § 9 Leistungsordnung [X.] Verband). [X.] Entscheidungen der Instanzgerichte zu der nämlichen Rechtsfrage sind demnach nicht zu erwarten. Das vom Senat aus § 16 [X.] abgeleitete [X.] berücksichtigt - anders als das von der [X.] angedachte System -, dass der infolge einer unterlassenen Rüge nicht mehr im Wege der nachträglichen Anpassung auszugleichende Kaufkraftverlust lediglich vorübergehend entfällt. Im Rahmen von § 16 [X.] ist zu jedem neuen [X.] der Kaufkraftverlust jeweils vom Rentenbeginn bis zum [X.] auszugleichen ([X.] 19. Juni 2012 - 3 [X.] - [X.]E 142, 116), sofern die Anpassung nicht nach § 16 Abs. 4 [X.] zu Recht unterblieben war. Dies hat zur Folge, dass es durch das § 16 [X.] entnommene [X.] nur zu vorübergehenden Nachteilen für die Betriebsrentner kommt, nicht jedoch zu einer dauerhaften Entwertung der laufenden Leistungen.

II. [X.] folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 GKG. Dabei wurde der 36-fache Wert der im [X.] noch streitigen künftigen Leistungen iHv. 5,29 Euro nach § 42 Abs. 1 GKG angesetzt.

        

    Zwanziger    

        

    Spinner    

        

    Roloff    

        

        

        

    Metzner    

        

    Schüßler    

                 

Meta

3 AZN 849/20

08.12.2020

Bundesarbeitsgericht 3. Senat

Beschluss

Sachgebiet: AZN

vorgehend ArbG München, 28. November 2019, Az: 12 Ca 6893/19, Urteil

§ 72a ArbGG, § 16 BetrAVG, § 242 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 08.12.2020, Az. 3 AZN 849/20 (REWIS RS 2020, 487)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 487

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

3 AZR 112/18 (Bundesarbeitsgericht)

Betriebliche Altersversorgung - Anpassung - Rügepflicht


3 AZN 952/12 (Bundesarbeitsgericht)

Betriebsrentenerhöhung - reallohnbezogene Obergrenze


3 AZR 246/20 (Bundesarbeitsgericht)

Betriebliche Altersversorgung - Ablösung - Verwirkung - Anpassung


3 AZR 460/12 (Bundesarbeitsgericht)

Betriebliche Altersversorgung - Anpassung - Ausgleich des Kaufkraftverlustes - reallohnbezogene Obergrenze


3 AZR 627/12 (Bundesarbeitsgericht)


Referenzen
Wird zitiert von

4 Sa 658/22

10 Sa 265/20

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.