Bundesgerichtshof, Urteil vom 10.01.2024, Az. 6 StR 324/23

6. Strafsenat | REWIS RS 2024, 1334

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Freiwilligkeit beim Rücktritt vom beendeten Versuch


Leitsatz

Zur Freiwilligkeit beim Rücktritt vom beendeten Versuch (§ 24 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 StGB).

Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 29. März 2023 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels sowie die notwendigen Auslagen der Nebenklägerin zu tragen.

- Von Rechts wegen -

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten ist unbegründet.

2

1. Das [X.] hat – soweit hier von Belang – folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

3

a) Der sozial weitgehend isoliert lebende und intelligenzgeminderte Angeklagte entwickelte jedenfalls zum Ende des Jahres 2021 eine Vorliebe für Pornographie mit Gewaltbezug sowie mit nekrophilen Inhalten. Er konsumierte fortan ausschließlich Pornofilme, in denen Frauen zunächst erschlagen oder erschossen wurden und deren Leichname sodann sexuell missbraucht wurden. Den Angeklagten stimulierte das Gefühl von Macht und Kontrolle. Er empfand dieses als Genugtuung und Ausgleich für die von ihm seit Jahren gefühlte Zurückweisung durch Frauen. Seine sich ständig steigernden Gewaltphantasien spitzten sich in der Folge weiter zu. Die Umsetzung seines Lebensplans, eine Familie bis zum 35. Lebensjahr zu gründen, sah er als endgültig gescheitert an.

4

Am Tattag, seinem 28. Geburtstag, war ihm und einem Kollegen von seinem Arbeitgeber der Austausch eines Fensters in der Wohnung der 27-jährigen Nebenklägerin aufgetragen worden. Nachdem der Angeklagte seinen Kollegen gegen 10 Uhr aufgefordert hatte, Werkzeug aus dem [X.] zu holen, wurde ihm spontan bewusst, dass er mit der Nebenklägerin allein in der Wohnung war. Ihn überkamen rasch immer stärker werdende sexuelle Gewaltphantasien. Er entschloss sich, die Nebenklägerin mit einem [X.] zu töten, um anschließend an ihr den Geschlechtsverkehr zu vollziehen. Auf seine Frage, ob es noch weitere beschädigte Fenster in der Wohnung gebe, zeigte die Nebenklägerin ihm das Badezimmerfenster. Beim Verlassen dieses Raumes ließ er ihr den Vortritt und schlug ihr von hinten einmal wuchtig mit der stumpfen Schlagseite des [X.]s auf den Kopf. Die hiervon überraschte Nebenklägerin stürzte verletzt zu Boden und versuchte zu entkommen. Dies unterband der Angeklagte, indem er sie festhielt und ihr noch elf weitere wuchtige [X.]schläge gegen den Kopf versetzte. Seine durch die Schläge aufgetretene Erektion ließ angesichts des für ihn unerwartet massiven Verletzungsbildes nach, und er ließ von der Nebenklägerin ab, ohne sexuelle Handlungen vorzunehmen. Dabei ging er davon aus, dass die Nebenklägerin ohne sofortige Hilfe an ihren schweren Verletzungen versterben werde.

5

Der Angeklagte begab sich sodann in das Badezimmer und reinigte seine Hände sowie den [X.]. Hier wurden ihm die Ausweglosigkeit seiner Lage und die ihm – als bislang Unbestraftem – drohenden [X.], beruflichen und strafrechtlichen Konsequenzen bewusst. Er geriet in einen Schockzustand, verließ die Wohnung und zog die Wohnungstür ins Schloss.

6

Vor dem Wohnhaus lief er ziellos auf und ab. Er war aus Sorge um seine Zukunft nicht mehr in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen und suchte verzweifelt nach einem Ausweg. Spontan kam ihm die Idee, den Tatverdacht auf einen vermeintlichen Einbrecher zu lenken und dessen Verfolgung vorzutäuschen. Er warf den [X.] in ein Gebüsch und rief, um seine Geschichte glaubhaft zu machen, laut: „Wo ist der Wichser“. Sodann forderte er – weiterhin aus panischer Angst um seine Zukunft – zwei Zeuginnen auf, für eine von einem Einbrecher verletzte Frau Hilfe zu holen; diese benötige einen Krankenwagen. Eine Zeugin setzte um 10:12 Uhr einen Notruf ab. Dabei handelte er indes nicht aus „freien Stücken“, sondern in einem Schockzustand, wobei ihm der gefühlte „innere seelische Druck keine andere Handlungsalternative ließ“.

7

Anschließend sprach er eine weitere Zeugin an, um die Fortsetzung seiner Suche vorzutäuschen, und unterrichtete seinen Kollegen und seinen Arbeitgeber telefonisch davon, dass jemand mit einem [X.] auf die Nebenklägerin eingeschlagen hätte und er jemanden verfolge. Wenige Minuten später nahm er wahr, dass Zeugen die Nebenklägerin aus dem Gebäude führten und auf einer Bank versorgten. Auf seine Frage, ob diese Zeugen bereits einen Notruf abgesetzt hätten, setzte eine Zeugin einen weiteren Notruf ab. Der Angeklagte begab sich sodann in den Einfahrtsbereich des Grundstücks und wies die auf den Notruf hin eintreffenden Polizei- und Rettungskräfte vor Ort ein.

8

Die Nebenklägerin konnte trotz mehrfacher offener Schädel-Hirn-Traumata und Kopfplatzwunden durch die eingeleitete intensivmedizinische Behandlung gerettet werden.

9

b) Die [X.] hat das Geschehen rechtlich als mit Ermöglichungsabsicht begangenen Versuch des Mordes gewertet (§§ 211, 22 StGB) und zudem die Mordmerkmale der Heimtücke und der Tötung zur Befriedigung des [X.] sowie – idealkonkurrierend – eine gefährliche Körperverletzung angenommen (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5, § 52 StGB). Weiter hat sie – sachverständig beraten – wegen einer schweren anderen seelischen Störung eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit angenommen (§ 21 StGB). Einen strafbefreienden Rücktritt vom beendeten Versuch hat das [X.] abgelehnt (§ 24 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 StGB).

2. Der Revision des Angeklagten bleibt der Erfolg versagt. Schuld- und Rechtsfolgenausspruch halten revisionsgerichtlicher Prüfung stand. Insbesondere hat das [X.] – auf Grundlage einer tragfähigen Beweiswürdigung – einen Rücktritt des Angeklagten vom beendeten Mordversuch mit [X.] Erwägungen abgelehnt.

a) Für den unbeendeten Versuch im Sinne von § 24 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 StGB ist anerkannt, dass ein Rücktritt dann nicht strafbefreiend wirkt, wenn der Täter meint, den Erfolg theoretisch noch herbeiführen zu können, er sich jedoch infolge übermächtiger Angst, eines Schocks, einer psychischen Lähmung oder einer vergleichbaren seelischen Erschütterung praktisch außerstande sieht, eine weitere auf die Tatbestandsverwirklichung ausgerichtete Handlung vorzunehmen (vgl. [X.], Urteile vom 14. April 1955 – 4 StR 16/55, [X.]St 7, 296, 298; vom 28. Februar 1956 – 5 [X.], [X.]St 9, 48, 53; vom 10. Mai 1994 – 1 StR 19/94, [X.], 428; Beschlüsse vom 13. Januar 1988 – 2 [X.], [X.]St 35, 184, 186; vom 22. März 2012 – 4 StR 541/11, [X.], 239, 240; vom 14. Februar 2023 – 4 [X.], NStZ 2023, 599; vom 7. November 2023 – 2 StR 302/23). Dabei kommt es darauf an, ob sich der betreffende Umstand für den Täter als ein „zwingendes Hindernis" darstellt (vgl. [X.], Beschlüsse vom 27. August 1982 – 3 [X.], [X.] 1982, 969; vom 17. Oktober 1985 – 4 [X.]; [X.] 1986, 271; vom 13. Januar 1988 – 2 [X.], aaO; [X.] in Festschrift 50 Jahre [X.], Festgabe aus der Wissenschaft, [X.], [X.], 169 f.).

Für die Bewertung einer freiwilligen Vollendungsverhinderung beim beendeten Versuch (§ 24 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 StGB) sind grundsätzlich dieselben rechtlichen Maßstäbe anzulegen (vgl. [X.], Urteile vom 22. August 1985 – 4 [X.], [X.]St 33, 295, 301; vom 11. Juni 1987 – 4 StR 31/87, [X.]R StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Versuch, beendeter 5; SK/[X.], StGB, 9. Aufl., § 24 Rn. 98; [X.], 13. Aufl., § 24 Rn. 367; NK/[X.], StGB, 6. Aufl., § 24 Rn. 53). Entscheidend ist auch in diesen Fällen, ob der Täter „Herr seiner Entschlüsse“ bleibt und auf der Grundlage einer willensgesteuerten Entscheidung die Vollendung der Tat verhindert. Daran kann es im Ausnahmefall fehlen, wenn gerade die seelische Erschütterung des [X.] ein zwingender Grund für die Verhinderung des Erfolgseintritts war (vgl. zu § 46 Nr. 2 StGB aF [X.], Urteil vom 9. März 1967 – 5 StR 38/67, [X.]St 21, 216, 217).

b) So liegt es hier. [X.] hat die sachverständig beratene [X.] angenommen, dass der Angeklagte die Rettungskette erzwungenermaßen in Gang gesetzt und deshalb den Erfolg nicht freiwillig verhindert hat (§ 24 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 StGB). Bei der zum Zeitpunkt der Ansprache von Zeugen vorliegenden akuten Belastungsreaktion hatte sich eine so große panische Angst und ein großer innerer Druck aufgebaut, dass er zu selbstbestimmtem Handeln nicht mehr in der Lage war.

[X.]     

      

Wenske     

      

Fritsche

      

von [X.]     

      

Arnoldi     

      

Meta

6 StR 324/23

10.01.2024

Bundesgerichtshof 6. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Würzburg, 29. März 2023, Az: 1 Ks 801 Js 8306/22

§ 24 Abs 1 S 1 Alt 2 StGB, § 211 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 10.01.2024, Az. 6 StR 324/23 (REWIS RS 2024, 1334)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2024, 1334

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

4 StR 185/19 (Bundesgerichtshof)

Unbeendeter Versuch bei Sexualdelikten


4 StR 223/21 (Bundesgerichtshof)

Strafverfahren wegen Mordes: Voraussetzungen eines Rücktritts vom Versuch bei mehreren Beteiligten


2 StR 171/17 (Bundesgerichtshof)

Mordversuch: Abgrenzung zwischen beendetem und unbeendetem Versuch; Voraussetzungen eines strafbefreienden Rücktritts vom beendeten Versuch


1 StR 201/18 (Bundesgerichtshof)

Rücktritt vom Versuch durch Mitwirkung an der Erfolgsverhinderung


3 StR 120/22 (Bundesgerichtshof)

Rücktritt vom Mordversuch: Freiwilligkeit bei Ablassen von der "außertatbestandlichen Zielerreichung" zum Zwecke der Erreichung eines …


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

2 StR 302/23

4 StR 442/22

4 StR 541/11

Literatur & Presse BETA

Diese Funktion steht nur angemeldeten Nutzern zur Verfügung.

Anmelden
Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.