Bundesgerichtshof, Beschluss vom 30.09.2015, Az. 1 StR 445/15

1. Strafsenat | REWIS RS 2015, 4641

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Gegenstand

Beweiswürdigung im Strafverfahren: Entlastungsvorbringen und "Vorwegverteidigung" als Indizien für Täterwissen


Tenor

Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 23. April 2015 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat die Angeklagte der schweren Brandstiftung für schuldig erachtet und gegen sie unter Einbeziehung anderweitig rechtskräftig gewordener Freiheitsstrafen eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verhängt. Gegen dieses Urteil wendet sich die Angeklagte mit ihrer auf die Sachrüge gestützten Revision, die in vollem Umfang Erfolg hat.

I.

2

1. Das [X.] hat die folgenden Feststellungen getroffen:

3

Die Angeklagte war Mieterin in einem Mehrparteienwohnhaus. Nachdem im [X.] 2013 das Ehepaar [X.]      dort einzog, kam es zwischen diesen und der Angeklagten zu Spannungen, die zu zahlreichen Polizeieinsätzen führten. Zudem kam es zu drei Kellerbränden in dem Wohnobjekt, wobei im dritten Fall gegen die Angeklagte ermittelt wurde. Im April und Mai 2014 versandte die Angeklagte anonyme Drohbriefe an die Eheleute [X.]     , aber auch an andere Mieter des Hauses. Zwei bis drei Wochen vor dem 11. Juni 2014 traf die Angeklagte auf den ihr bekannten     S.      , ein Mitglied der örtlichen Feuerwehr. Mit ihm unterhielt sie sich über die Brände in ihrem Wohnhaus und erklärte, von den anderen Bewohnern zu Unrecht der Brandlegung bezichtigt worden zu sein. Weiter äußerte sie, dass wohl demnächst der Dachstuhl brennen werde.

4

Am späten Nachmittag des 11. Juni 2014 öffnete die Angeklagte mit ihrem Schlüssel die [X.] des Wohnhauses. Um den Eheleuten [X.]     zu schaden, zündete sie in deren Dachbodenabteil gelagerte Kleider und Altpapier an. Dabei nahm sie billigend in Kauf, dass der Brand sich ausbreiten und der Dachstuhl in Brand geraten könnte. Anschließend ging die Angeklagte in ihre Wohnung zurück und schloss dabei die [X.] wieder hinter sich ab. Tatsächlich breitete sich der Brand aus, so dass der Dachboden, darunter der [X.], selbständig brannte.

5

Kurz nach 19 Uhr bemerkten Zeugen, dass es aus dem Dach qualmte, und verständigten die Feuerwehr. Die Bewohner wurden alarmiert und verließen das Haus, die Angeklagte beobachtete die Löscharbeiten am Dachstuhl aus der unmittelbaren Nähe. Dort wurde sie von einem Polizeibeamten angesprochen, der gegen sie in der vorhergehenden Kellerbrandsache ermittelt hatte. Dieser wies sie darauf hin, dass der Brand wohl auf dem Dachboden ausgebrochen sei. Die Angeklagte erklärte, dass der Dachboden verschlossen sei und sie keinen Schlüssel hierfür besitze. Nach der daraufhin erfolgten Festnahme wurde die Angeklagte etwa eine Woche später befragt, ob sie mit einer Durchsuchung ihrer Wohnung einverstanden sei. Dabei äußerte sie, dass sich der Schlüssel im Bereich des [X.] befinde. Tatsächlich fand sich dort der Schlüssel zum Dachboden.

6

2. Das [X.] führt aus, sich von der Täterschaft der Angeklagten überzeugt zu haben, da keine anderen Täter in Betracht kämen, die Angeklagte kein Alibi, dafür ein Motiv habe und in dem Gespräch mit dem Polizeibeamten am [X.] „[X.] offenbart" habe.

II.

7

Die der Verurteilung der Angeklagten zu Grunde liegende Beweiswürdigung hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

8

1. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts. Ihm allein obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Die revisionsgerichtliche Prüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, namentlich wesentliche Feststellungen nicht erörtert, oder gegen die Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. [X.], Urteil vom 22. Mai 2007 - 1 [X.]; Urteil vom 14. Dezember 2011 - 1 [X.], [X.], 148, 149; Beschluss vom 23. August 2012 - 4 [X.], [X.], 383, 384).

9

2. Diesen Anforderungen genügt die landgerichtliche Beweiswürdigung nicht.

a) Das [X.] hat maßgeblich auf die Offenbarung von [X.] durch die Angeklagte abgestellt. Der Schluss auf das [X.] weist aber Widersprüche und Lücken auf.

aa) Zwar führt das [X.] im Rahmen der Beweiswürdigung aus, die Angeklagte habe sich ohne die Erwähnung des Dachbodens zu diesem als Brandort verhalten. Das steht allerdings in einem nicht aufgelösten Widerspruch zu den Feststellungen, wonach der Polizeibeamte die Angeklagte darauf hingewiesen habe, dass der Brand auf dem Dachboden ausgebrochen sei. Würde dies zutreffen, könnte in der Benennung des Dachbodens kein [X.] gesehen werden. Angesichts des Umstands, dass die Angeklagte bei dieser Äußerung die am qualmenden Dachstuhl stattfindenden [X.] beobachtete, wäre es ohnehin auch ohne diesen Vorhalt bedenklich, die diesbezügliche Äußerung als [X.] über den genauen Tatablauf anzusehen.

bb) Soweit das [X.] hingegen in der „[X.]“ - der Dachboden sei verschlossen und sie habe den Schlüssel verloren - [X.] gesehen hat, ist dies ebenfalls nicht tragfähig begründet. Hierzu fehlt die erforderliche Auseinandersetzung mit insoweit relevanten Feststellungen, die andere [X.] für die Äußerung der Angeklagten bieten.

Angesichts der Feststellung, dass die Tür zum Dachboden sowohl vor als auch nach dem Brand verschlossen war, und der Erörterung der von der Hausverwaltung für erforderlich erachteten Verteilung von [X.] an alle Bewohner, drängt sich der Schluss auf, dass das Verschlossen sein des Dachbodens kein ungewöhnlicher Umstand war und daher dessen Erwähnung auch nicht auf die Kenntnis des genauen Tatablaufs schließen lässt. Das [X.] hat sich jedoch hiermit nicht auseinander gesetzt und damit offen gelassen, ob in der Äußerung der Angeklagten allein ein entlastender Hinweis auf ihre fehlende Möglichkeit, überhaupt auf den Dachboden zu gelangen, liegen könnte.

b) Sollte das [X.] in dem Umstand der „[X.]“ ein die Angeklagte belastendes Indiz erblickt haben, so bleiben auch die dem zugrunde liegenden Erörterungen lückenhaft. Soweit das [X.] die [X.] dieser Äußerung daran festmacht, dass noch kein Tatverdacht gegen die Angeklagte geäußert worden sei, fehlt eine Auseinandersetzung mit dem Umstand, dass die Äußerung gegenüber demjenigen Polizeibeamten fiel, der bereits gegen die Angeklagte in der früheren [X.] ermittelt hatte, auch am [X.] nach seinen eigenen Angaben bereits einen „vagen Verdacht“ gegen die Angeklagte hegte und ihre Äußerung nicht spontan, sondern auf entsprechende Ansprache des Beamten fiel. Damit ist aber nicht ausgeschlossen, dass die als „[X.]“ angesehene Äußerung der Ausräumung eines zwar nicht ausgesprochenen, aber im Raum stehenden Verdachts diente.

Die Widerlegung bewusst wahrheitswidrigen [X.] liefert jedoch in der Regel kein zuverlässiges Indiz für die Täterschaft der Angeklagten. Soll eine Lüge als [X.] dienen, setzt dies vielmehr voraus, dass mit [X.] Begründung dargetan wird, warum im zu entscheidenden Fall eine andere Erklärung nicht in Betracht kommt oder - wiewohl denkbar - nach den Umständen so fernliegt, dass sie ausscheidet (vgl. [X.], Urteil vom 5. Juli 1995 - 2 [X.], [X.]St 41, 153, 155 f.; Beschluss vom 16. Dezember 2010 - 4 StR 508/10, NStZ-RR 2011, 118; [X.] in Löwe/[X.], [X.], 26. Aufl., § 261 Rn. 74).

c) Zudem begegnet es unter dem Gesichtspunkt der Zirkelschlüssigkeit Bedenken, wie das [X.] den Tatzeitpunkt bestimmt und anhand dessen andere als Täter ausgeschlossen hat. So ist hierzu ausgeführt, es liege nahe, dass der Täter einer vorsätzlichen Brandstiftung mit Schädigungsabsicht nach mehreren Stunden ohne sichtbaren Erfolg den Brandausgangsort nochmals aufsuche. Da die Angeklagte weder angegeben habe noch Anhaltspunkte dafür bestünden, dass sie den Brandort nochmals aufgesucht habe, könne der Brand nicht vor dem späten Nachmittag gelegt worden sein. Dieser Schluss setzt bereits die Annahme voraus, dass die Angeklagte den Brand gelegt hat und ist daher für den Nachweis ihrer Täterschaft ungeeignet.

3. Da das Tatgericht seine Überzeugungsbildung maßgeblich auf die beanstandeten Schlussfolgerungen gestützt hat, ist trotz gewichtiger Aspekte, die für die Täterschaft der Angeklagten sprechen, ein Beruhen des Urteils auf den aufgezeigten Mängeln nicht auszuschließen.

Der Senat hebt das Urteil mit den zugrunde liegenden Feststellungen auf, um dem neuen Tatgericht eine umfassende Neubewertung der Tatumstände zu ermöglichen.

Ri[X.] Rothfuß ist wegen
Eintritts in den Ruhestand
gehindert zu unterschreiben.

Jäger     

Cirener

Jäger

     Radtke     

Fischer     

Meta

1 StR 445/15

30.09.2015

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Ansbach, 23. April 2015, Az: KLs 1052 Js 5384/14

§ 306 StGB, § 306a Abs 1 Nr 1 StGB, § 261 StPO, § 267 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 30.09.2015, Az. 1 StR 445/15 (REWIS RS 2015, 4641)

Papier­fundstellen: NJW 2016, 262 REWIS RS 2015, 4641

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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