Bundesgerichtshof, Urteil vom 02.12.2010, Az. III ZR 251/09

3. Zivilsenat | REWIS RS 2010, 820

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Gegenstand

Amtshaftungsklage wegen rechtswidriger Versagung der Baugenehmigungen für Windkraftanlagen: Berücksichtigung von Darstellungen in einem in Aufstellung befindlichen Flächennutzungsplan


Leitsatz

Zur Berücksichtigung von Darstellungen in einem in Aufstellung befindlichen Flächennutzungsplan als einem privilegierten Außenbereichsvorhaben (hier: Errichtung von Windkraftanlagen) entgegenstehender öffentlicher Belang .

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des 18. Zivilsenats des [X.] vom 26. August 2009 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des [X.] hat die Beklagte zu tragen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger macht gegen die beklagte [X.] aus abgetretenem Recht Amtshaftungsansprüche wegen rechtswidriger Versagung einer Baugenehmigung für zwei Windkraftanlagen geltend.

2

Am 13. Februar 2002 beantragte die Firma [X.] die Genehmigung zur Errichtung von zwei Windkraftanlagen auf im Außenbereich der Beklagten gelegenen Grundstücken. Diese standen im Eigentum eines Dritten, der mit der antragstellenden Firma einen Nutzungsvertrag abgeschlossen hatte. Das betreffende Gebiet war im damals gültigen Flächennutzungsplan als Fläche für die Landwirtschaft dargestellt. Am 31. Mai 2002 erteilte die [X.] die luftrechtliche Zustimmung zum Bau der Anlagen bis zu einer Höhe von 138,5 m über Grund. Die Genehmigung ging bei der beklagten [X.] am 6. Juni 2002 ein.

3

[X.]gleich betrieb die Beklagte die 51. Änderung des Flächennutzungsplans. Am 14. März 2002 beschloss sie die frühzeitige Bürgerbeteiligung gemäß § 3 Abs. 1 BauGB. Am 11. April 2002 fand eine Bürgerversammlung statt. Am 15. Mai 2002 wurde die Durchführung der öffentlichen Planauslegung gemäß § 3 Abs. 2 BauGB für die [X.] vom 24. Mai 2002 bis zum 26. Juni 2002 beschlossen. In der Ratssitzung vom 27. Juni 2002 beriet der [X.]rat der Beklagten über die im Rahmen der Offenlegung vorgebrachten Anregungen und beschloss gleichzeitig die 51. Änderung des Flächennutzungsplans. Dieser trat nach Genehmigung durch die Bezirksregierung und Bekanntmachung am 25. September 2002 in [X.]. In diesem Flächennutzungsplan war nunmehr im nordöstlichen [X.]gebiet erstmals eine [X.] für Windkraftanlagen vorgesehen. Die vom Bauherrn im hiesigen Verfahren beantragte Baugenehmigung sah jedoch einen anderen Standort für die Windkraftanlagen außerhalb der [X.] vor.

4

Die ursprüngliche Bauantragstellerin übertrug mit Vereinbarung vom 12. Juli 2002 ihre Rechte aus der Nutzungsvereinbarung mit dem Grundstückseigentümer an die [X.] GmbH, deren Geschäftsführer der Kläger bis Ende März 2006 war. Die [X.] GmbH trat im Weiteren ihre Ansprüche aus der Versagung der Baugenehmigung an den Kläger ab.

5

Mit Bescheid vom 30. Juli 2002 lehnte die Beklagte die Baugenehmigung ab. Der gegen die Versagung der Baugenehmigung gerichtete Widerspruch blieb erfolglos. Die hiergegen erhobene Verpflichtungsklage auf Erteilung der Baugenehmigung, hilfsweise auf Feststellung, dass die Beklagte bis zum Inkrafttreten der Änderung des Flächennutzungsplans zur Erteilung der Baugenehmigung verpflichtet war, wurde vom [X.] durch rechtskräftiges Urteil vom 24. Mai 2004 abgewiesen. Der Genehmigung der beantragten Anlage stehe mit der nunmehr verbundenen Ausweisung der [X.]n für Windkraftanlagen durch die wirksame 51. Änderung des Flächennutzungsplans die [X.] des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB entgegen. Bezüglich des [X.] verneinte das Verwaltungsgericht das erforderliche Feststellungsinteresse.

6

Das [X.] hat den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf Schadensersatz wegen Versagung der beantragten Baugenehmigung für die zwei Windkraftanlagen in Höhe von 1.762.824 € dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Die hiergegen eingelegte Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben.

7

Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision ist unbegründet.

I.

9

Das Berufungsgericht hat die Voraussetzungen einer Haftung der Beklagten dem Grunde nach festgestellt. Es hat - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - ausgeführt, dass die Voraussetzungen für die Erteilung der Genehmigung mit dem Eingang der letzten Stellungnahme von den Trägern öffentlicher Belange am 6. Juni 2002 vorgelegen hätten und die Beklagte die Genehmigung umgehend hätte erteilen müssen. Der Flächennutzungsplan nach seiner 51. Änderung könne vor seinem Inkrafttreten nicht als öffentlicher Belang der Genehmigungsfähigkeit der beantragten Windkraftanlagen nach § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und Satz 3 [X.] entgegengehalten werden. Die in der Kommentarliteratur angesprochenen Fälle, in denen ein weit fortgeschrittener Planungsstand bei der Aufstellung von [X.] einen öffentlichen Belang im Sinne des § 35 Abs. 1 [X.] darstellen könne, seien mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar. Es gehe nämlich um die [X.] einer Standortfestlegung für Windenergieanlagen nach § 35 Abs. 3 Satz 3 [X.]. Diese [X.] komme nur wirksamen [X.] zu, nicht aber Entwürfen eines Flächennutzungsplans, auch wenn diese bereits planreif seien.

II.

Das Berufungsurteil hält den Angriffen der Revision jedenfalls im Ergebnis stand. Zu Recht hat das Berufungsgericht die Voraussetzungen eines Amtshaftungsanspruchs dem Grunde nach bejaht.

1. Mit zutreffenden rechtlichen Erwägungen und von der Revision unbeanstandet hat das Berufungsgericht die von der Beklagten zur Ablehnung des Baugesuchs gegebene Begründung (Verstoß gegen eine auf der Grundlage des § 86 Bau [X.] erlassene Bauhöhenbegrenzungssatzung) für nicht tragfähig erachtet.

2. Im Ergebnis nicht zu beanstanden ist weiter die Auffassung des Berufungsgerichts, die Beklagte könne auch nicht unter Berufung auf die Grundsätze des rechtmäßigen Alternativverhaltens geltend machen, der Erteilung der beantragten Genehmigung habe jedenfalls die beabsichtigte (51.) Änderung des Flächennutzungsplans entgegengestanden.

a) Das Berufungsgericht hat in tatrichterlicher Würdigung aller Umstände festgestellt, dass die Beklagte bei rechtmäßigem Verhalten umgehend nach dem 6. Juni 2002 - und damit vor dem 27. Juni 2002, dem Tag der Beschlussfassung über die Änderung des Flächennutzungsplans - die Baugenehmigung hätte erteilen müssen. Dieser Würdigung, die Rechtsfehler nicht erkennen lässt, setzt die Revision - zudem auch erst in dem nach Ablauf der [X.] eingegangenen Schriftsatz vom 27. April 2010 - lediglich ihre abweichende tatsächliche Bewertung entgegen.

b) Zum Zeitpunkt der Entscheidungsreife über den Bauantrag stand dem nach § 35 Abs. 1 Nr. 5 [X.] privilegierten Vorhaben kein öffentlicher Belang entgegen.

aa) Nach § 35 Abs. 3 Satz 3 [X.] stehen einem Vorhaben wie dem hier beantragten in der Regel öffentliche Belange (unter anderem) auch dann entgegen, soweit hierfür durch Darstellungen im Flächennutzungsplan eine Ausweisung an anderer Stelle erfolgt ist. Nach der Rechtsprechung des [X.], der sich der Senat anschließt, setzt eine [X.] nach § 35 Abs. 3 Satz 3 [X.] jedoch voraus, dass der Flächennutzungsplan mit der dem Bauvorhaben entgegenstehenden Darstellung wirksam ist ([X.] 2010, 675, 676 f; [X.] 2003, 1172, 1174; vgl. auch [X.], 364, 367 zum regionalen [X.]). Hiergegen erhebt die Revision auch keine Einwendungen. Zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Baugesuchs war die 51. Änderung des Flächennutzungsplanes noch nicht wirksam geworden.

bb) Dem beantragten Bauvorhaben stand auch kein öffentlicher Belang im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 [X.] entgegen.

Es kann in diesem Verfahren dahinstehen, ob die von der Revision bekämpfte Rechtsauffassung des Berufungsgerichts - die auch zur Zulassung der Revision geführt hat - zutrifft, dass Darstellungen in noch in Aufstellung befindlichen [X.] nicht als öffentlicher Belang zu berücksichtigen seien. Das [X.] hat diese Frage bislang offen gelassen (vgl. [X.] 2010, 675, 682; [X.] 2003, 1172, 1174 f). Nach seiner Rechtsprechung, der sich der Senat anschließt, können Darstellungen in noch in Aufstellung befindlichen [X.] jedenfalls nur dann einem beabsichtigten Bauvorhaben als öffentlicher Belang entgegenstehen, wenn sie inhaltlich konkretisiert sind, so dass die hinreichend sichere Erwartung gerechtfertigt ist, dass der jeweilige Plan über das [X.] hinaus beschlossen und wirksam werden wird. Es würde dem Gewährleistungsgehalt des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG zuwider laufen, ein ansonsten zulässiges Vorhaben an Zielvorstellungen des Planungsträgers scheitern zu lassen, bei denen noch nicht absehbar ist, ob sie je ins Werk gesetzt werden. Die Planung muss deshalb ein genügendes Maß an Verlässlichkeit bieten, um auf der [X.] als Versagungsgrund zu dienen. Diesem Erfordernis ist erst dann genügt, wenn ein Planungsstand erreicht ist, der die Prognose nahe legt, dass die ins Auge gefasste planerische Aussage Eingang in die endgültige Planfassung finden wird (vgl. [X.], 364, 372 zu einem in Aufstellung befindlichen Ziel der Raumplanung). Nach diesen Maßstäben kann ein in Aufstellung befindlicher Flächennutzungsplan sich auf die Entscheidung über ein Baugesuch erst dann auswirken, wenn er den Anforderungen genügt, unter denen nach § 33 [X.] ein in der Aufstellung befindlicher Bebauungsplan Wirkung zu entfalten vermag; dies setzt nach § 33 Abs. 1 Nr. 1 [X.] („formelle Planreife“) insbesondere voraus, dass das Anregungsverfahren nach § 3 Abs. 2 [X.] durchgeführt worden ist (BVerwG [X.] 406.11 § 35 BBauG Nr. 129; vgl. BVerwG [X.] 2003,1172,1175). Dieses Verfahren ist aber nicht schon dann durchgeführt, wenn die Auslegungsfrist verstrichen ist, sondern erst, wenn die Gemeinde die vorgebrachten Anregungen geprüft hat (vgl. Stock in [X.]/[X.]/[X.], [X.] [März 2007] § 33 Rn. 31; [X.]/[X.], [X.], 7. Aufl., § 33 Rn. 6; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.], 11. Aufl., § 33 Rn. 7).

Im vorliegenden Fall beschloss der Rat der Beklagten am 27. Juni 2002 die 51. Änderung des Flächennutzungsplans und befand dabei auch über die im Anregungsverfahren vorgebrachten Änderungsvorschläge. Formelle Planreife kann damit erst ab dem 27. Juni 2002 angenommen werden. Somit kann die 51. Änderung des Flächennutzungsplans dem hier im Verfahren in Streit stehenden Bauvorhaben nicht als öffentlicher Belang entgegengehalten werden, da die Entscheidungsreife über den Bauantrag zeitlich vorher, nämlich unmittelbar nach dem 6. Juni 2002 eingetreten war. Auf die Frage, ob die Darstellungen in einem Flächennutzungsplan erst und nur dann als öffentlicher Belang im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 [X.] in Betracht zu ziehen sind, wenn dieser formell in [X.] getreten und wirksam ist, kommt es deshalb nicht an.

Schlick                                   Herrmann                                      Wöstmann

                     Seiters                                       [X.]

Meta

III ZR 251/09

02.12.2010

Bundesgerichtshof 3. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Düsseldorf, 26. August 2009, Az: I-18 U 73/08, Urteil

§ 33 Abs 1 Nr 1 BauGB, § 35 Abs 1 Nr 5 BauGB, § 35 Abs 3 S 1 BauGB, Art 34 GG, § 839 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 02.12.2010, Az. III ZR 251/09 (REWIS RS 2010, 820)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 820

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Antrag auf Erteilung eines immissionsschutzrechtlichen Vorbescheids zur Errichtung von Windenergieanlagen, Flächennutzungsplan, sachlicher Teilflächennutzungsplan, Ausschlusswirkung nach …


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Wird zitiert von

III ZR 251/09

RO 7 K 14.683

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