Bundesfinanzhof, Beschluss vom 18.07.2019, Az. VII R 9/19 (VII R 4/09), VII R 9/19, VII R 4/09

7. Senat | REWIS RS 2019, 5319

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Gegenstand

Kostenentscheidung bei übereinstimmenden Erledigungserklärungen nach Entscheidung des BVerfG


Leitsatz

Hat das BVerfG entschieden, dass eine Steuerrechtsnorm mit Bestimmungen des GG unvereinbar ist und die Fortgeltung der Vorschrift bis zur Neuregelung durch den Gesetzgeber angeordnet, und wird deshalb ein Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt, entspricht es billigem Ermessen, der Finanzbehörde die Verfahrenskosten aufzuerlegen .

Tenor

Nach Erledigung der Hauptsache werden die Kosten des gesamten Verfahrens nach § 143 Abs. 1 i.V.m. § 138 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung dem Beklagten auferlegt.

Das Urteil des [X.] vom 25.11.2008 - 2 K 2284/04 ist gegenstandslos.

Tatbestand

I.

1

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betreibt eine Privatbrauerei, deren Gesamtjahreserzeugung im Jahr 2004 bei [X.] lag. Auf die in der Steuererklärung nach § 8 Abs. 1 des Biersteuergesetzes ([X.]) 1993 für den Monat Januar 2004 von ihr angegebenen Biermengen wandte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Hauptzollamt --[X.]--) die ermäßigten Steuersätze gemäß § 2 Abs. 2 [X.] 1993 i.d.[X.]. 15 des Haushaltsbegleitgesetzes ([X.]) 2004 vom 29. Dezember 2003 ([X.], 3076) an. Den hiergegen eingelegten Einspruch wies das [X.] zurück. Auch die Klage blieb erfolglos. Mit der vom Finanzgericht zugelassenen Revision, mit der geltend gemacht wurde, § 2 Abs. 2 [X.] 1993 i.d.F. des Art. 15 [X.] 2004 verstoße gegen formelles und materielles Verfassungsrecht, verfolgte die Klägerin ihr Begehren zunächst weiter. Unter Annahme der Verfassungswidrigkeit des § 2 Abs. 2 [X.] 1993 in der von der Klägerin beanstandeten Fassung und unter Bezugnahme auf den Beschluss des [X.] ([X.]) vom 8. Dezember 2009 - 2 BvR 758/07 ([X.], 68, [X.], 308) hat der [X.] ([X.]) das Revisionsverfahren gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes über das [X.] mit Beschluss vom 15. Februar 2011 - VII R 4/09 ([X.]/NV 2011, 1114) ausgesetzt und eine Entscheidung des [X.] eingeholt.

2

Mit Beschluss vom 11. Dezember 2018 - 2 BvL 4/11, 2 BvL 5/11, 2 BvL 4/13 ([X.], 194, [X.], 313) hat das [X.] entschieden, dass § 2 Abs. 2 Sätze 1 und 4 [X.] 1993 i.d.F. des Art. 15 [X.] 2004 mit Art. 20 Abs. 2, Art. 38 Abs. 1 Satz 2, Art. 42 Abs. 1 Satz 1 und Art. 76 Abs. 1 GG unvereinbar sind. Zugleich hat es angeordnet, dass die Vorschrift bis zum Inkrafttreten von § 2 Abs. 2 Sätze 1 und 4 [X.] i.d.F. des Art. 4 des [X.] zur Änderung von Verbrauchsteuergesetzen vom 15. Juli 2009 ([X.], 1870) zum 1. April 2010 anwendbar ist.

3

Daraufhin hat der [X.] das ausgesetzte Verfahren wieder aufgenommen und den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Mit [X.] vom 10. April 2019 hat die Klägerin den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt. Mit [X.] vom 30. April 2019 hat das [X.] der Erledigung zunächst widersprochen und sodann mit [X.] vom 13. Mai 2019 mitgeteilt, dass es nun der Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache zustimme.

Entscheidungsgründe

II.

4

Nachdem beide Beteiligte übereinstimmend den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, ist das erstinstanzliche Urteil gegenstandslos. Gemäß § 143 Abs. 1 i.V.m. § 138 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) war nur noch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Da die Klägerin nach der Entscheidung des [X.] einen verfassungswidrigen Rechtszustand für die Vergangenheit hinnehmen muss und ihr insoweit ein Sonderopfer auferlegt wird, entspricht es billigem Ermessen, dem [X.] die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

5

Nach der Rechtsprechung des [X.] muss sich die nach billigem Ermessen zu treffende Kostenentscheidung nicht ausschließlich am Gedanken des materiellen Kostenrechts orientieren, also daran, wer bei einer Entscheidung über die Hauptsache die Kosten zu tragen hätte. Dem Gericht ist vielmehr ein weiter Spielraum eingeräumt, innerhalb dessen eine Ausrichtung am allgemeinen Gerechtigkeitsempfinden maßgebend ist ([X.]-Beschluss vom 10. November 1971 - I B 14/70, [X.]E 104, 39, BStBl II 1972, 222), wobei auch der Frage Bedeutung zukommt, welcher der Beteiligten Veranlassung zum gerichtlichen Verfahren gegeben hat. Im Streitfall steht fest, dass der Klägerin dadurch ein Sonderopfer auferlegt worden ist, dass der Gesetzgeber vom [X.] verpflichtet wurde, nur für die Zukunft einen verfassungskonformen Rechtszustand herzustellen. Es würde jedoch dem allgemeinen Gerechtigkeitsempfinden widersprechen, von der Klägerin zu verlangen, einen verfassungswidrigen Biersteuerbetrag zu entrichten, und sie auch noch mit den Kosten des Gerichtsverfahrens zu belasten, obwohl dieses bestätigt hat, dass die verfassungsrechtlichen Zweifel der Klägerin berechtigt waren, sie somit mit ihrer Klage Erfolg gehabt hätte, wenn das [X.] die Unvereinbarkeit der angegriffenen Vorschrift des [X.] 1993 mit der Verfassung nicht nur für die Zukunft ausgesprochen hätte. Unter diesen Umständen entspricht es billigem Ermessen, dem [X.] die Kosten des gesamten Verfahrens aufzuerlegen ([X.]-Beschlüsse vom 18. August 2005 - VI R 123/94, [X.]E 210, 214, [X.], 39, und vom 8. September 2005 - VI R 14/99, [X.]/NV 2006, 100).

Meta

VII R 9/19 (VII R 4/09), VII R 9/19, VII R 4/09

18.07.2019

Bundesfinanzhof 7. Senat

Beschluss

vorgehend Finanzgericht des Saarlandes, 25. November 2008, Az: 2 K 2284/04, Urteil

§ 143 Abs 1 FGO, § 138 Abs 1 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 18.07.2019, Az. VII R 9/19 (VII R 4/09), VII R 9/19, VII R 4/09 (REWIS RS 2019, 5319)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 5319

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