Bundesfinanzhof, Urteil vom 20.06.2023, Az. VII R 22/19

7. Senat | REWIS RS 2023, 7127

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Gegenstand

(Zu den Voraussetzungen einer Anfechtung nach § 133 InsO)


Leitsatz

Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum bargeschäftsähnlichen Leistungsaustausch und ihre Folgen für die Vermutung nach § 133 Abs. 1 Satz 2 der Insolvenzordnung (InsO) können nicht auf ein steuerrechtliches Drei-Personen-Verhältnis übertragen werden, in dem das Finanzamt als Dritter Anfechtungsgegner ist. Ob der Schuldner im Sinne von § 133 InsO mit Gläubigerbenachteiligungsvorsatz gehandelt und das Finanzamt diesen gekannt hat, ist daher im Einzelfall zu prüfen.

Tenor

Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 25.01.2018 - 6 K 1013/15 aufgehoben.

Die Sache wird an das [X.] zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens übertragen.

Tatbestand

I.

1

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Insolvenzverwalter des Nachlasses des [X.] verstorbenen E (Schuldner).

2

Der Schuldner war Geschäftsführer und Gesellschafter der [X.] (GmbH), deren Geschäftsbetrieb nach den Angaben des Schuldners seit 2005 ruhte. Fortan war er als [X.] … tätig.

3

Seit dem [X.] gab der Schuldner für sein Einzelgewerbe keine Steuererklärungen mehr ab. Die Besteuerungsgrundlagen wurden seitdem gemäß § 162 der Abgabenordnung ([X.]) geschätzt. In der letzten Bilanz des Einzelunternehmens von 2008 ist ein nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag in Höhe von … € ausgewiesen. Zur Aufrechterhaltung des Betriebs stellte die Ehefrau des Schuldners diesem aus ihrem Privatvermögen erhebliche Mittel zur Verfügung.

4

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (Finanzamt --[X.]--) setzte aufgrund einer [X.] 2007 durchgeführten [X.] erhebliche Nachforderungen gegenüber der GmbH und dem Schuldner fest. Eine von der [X.] durchgeführte Betriebsprüfung ergab ebenfalls eine Nachforderung gegen den Schuldner.

5

Mit Beschluss vom 15.10.2007, zuletzt geändert durch Beschluss vom [X.], arrestierte das [X.] auf Antrag der Staatsanwaltschaft [X.] des Schuldners gegen das [X.] in Höhe von (zuletzt) … €. Im Zeitraum von Oktober 2007 bis Juli 2011 wurden die bei der Staatsanwaltschaft vom [X.] und den Sozialversicherungsträgern angemeldeten Forderungen mit den arrestierten [X.]n verrechnet.

6

[[X.] beantragte der Schuldner selbst beim Amtsgericht - Insolvenzgericht - U die Eröffnung des Insolvenzverfahrens (Aktenzeichen …). Dieses wurde [[X.]] 2012 eröffnet und der Kläger (nach Versterben des ursprünglichen Insolvenzverwalters …) zum Insolvenzverwalter bestellt. Nachdem der Schuldner [[X.]] 2017 verstorben war, leitete das Amtsgericht - Insolvenzgericht - U mit Beschluss vom … das Insolvenzverfahren über den Nachlass des Schuldners ein.

7

Das [X.] hatte im Zeitraum von April 2009 bis Oktober 2011 auf mehrfache Bitte des Schuldners Aufrechnungen von fälligen Umsatzsteuererstattungsbeträgen mit [X.] vorgenommen. In der Folge kam es zu Aufrechnungen in Höhe eines noch streitigen Betrags von … €.

8

Ab Mai 2013 machte der Kläger verschiedene Anfechtungsansprüche gegenüber dem [X.] geltend und wies darauf hin, dass die Aufrechnungen nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 der Insolvenzordnung ([X.]) unwirksam seien, weil das [X.] die Möglichkeit der Aufrechnung der [X.] unter anderem für den Zeitraum April 2009 bis Oktober 2011 mit seinen [X.] gegen den Schuldner in nach § 133 [X.] anfechtbarer Weise erlangt habe.

9

Das [X.] erließ am 19.08.2014 einen Abrechnungsbescheid nach § 218 Abs. 2 [X.], in dem es feststellte, dass die [X.] mit den [X.] von März 2009 bis Dezember 2011 wirksam aufgerechnet worden und deshalb erloschen seien.

Dem hiergegen eingelegten Einspruch half das [X.] in Bezug auf die [X.] für November 2011 und für Dezember 2011 ab und wies den Einspruch im Übrigen zurück (vergleiche Einspruchsentscheidung vom 27.02.2015).

Das Finanzgericht ([X.]) urteilte, die Aufrechnungen durch das [X.] seien wirksam und der Abrechnungsbescheid daher rechtmäßig. Im Zeitpunkt der Aufrechnungserklärungen durch das [X.] habe eine Aufrechnungslage bestanden. Die erklärten Aufrechnungen seien nicht nach § 96 Abs. 1 Nr. 3, § 133 [X.] unzulässig. Die anfechtbaren Rechtshandlungen seien vorliegend in der Inanspruchnahme von umsatzsteuerpflichtigen (Dienst-)Leistungen zu sehen, die beim Schuldner zu den [X.]n geführt hätten. Infolge dieser Rechtshandlungen sei eine (jedenfalls mittelbare) objektive Gläubigerbenachteiligung im Sinne von § 129 Abs. 1 [X.] eingetreten. Das [X.] habe durch die [X.] und die daraus folgenden Ansprüche auf Anrechnung von Vorsteuern die Möglichkeit zur Aufrechnung erhalten, sodass die [X.] nicht dem Schuldner zugutegekommen seien und sich die Befriedigungsmöglichkeiten der Gläubiger schlechter gestaltet hätten.

Es könne dahinstehen, ob der Schuldner diese Rechtshandlungen mit dem Vorsatz vorgenommen habe, seine Gläubiger zu benachteiligen. Es spreche jedoch viel dafür, dass der Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners ausgeschlossen sei, weil die Voraussetzungen einer bargeschäftsähnlichen Lage im Sinne der Rechtsprechung des [X.] ([X.]) angenommen werden müssten. Aufgrund verschiedener Anhaltspunkte, zum Beispiel bestehender Aufträge, könne jedenfalls nicht ausgeschlossen werden, dass der Schuldner im hier zu beurteilenden Zeitraum noch die berechtigte Erwartung gehabt habe, durch die Fortsetzung des Betriebs die eigene Insolvenz abzuwenden, die vorhandenen Liquiditätslücken schließen oder einen anderen Nutzen für die Gläubiger erzielen zu können.

Jedenfalls habe das [X.] keine Kenntnis vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners gehabt. Im Fall des bargeschäftsähnlichen Leistungsaustauschs sei der Schluss von einer erkannten drohenden oder eingetretenen Zahlungsunfähigkeit des Schuldners auf eine durch die angefochtene Rechtshandlung bewirkte Gläubigerbehandlung nach der Rechtsprechung des [X.] nicht gerechtfertigt. Dem [X.] könne in diesem Fall wegen des gleichwertigen Leistungsaustauschs trotz Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners die gläubigerbenachteiligende Wirkung der Rechtshandlung nicht bewusst geworden sein. Das [X.] habe zwar von der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners gewusst, aufgrund anderer Anhaltspunkte habe es jedoch davon ausgehen dürfen, dass die übrigen Gläubiger nicht benachteiligt würden.

Seine Revision begründet der Kläger folgendermaßen: Die Fortsetzung des Geschäftsbetriebs sei unmittelbare Voraussetzung für das Entstehen der [X.] und stelle eine Rechtshandlung im Sinne von § 133 [X.] dar. Das [X.] habe von der eingetretenen Zahlungsunfähigkeit und von den bereits gestellten Anträgen anderer Gläubiger gewusst. Es verstoße dann aber gegen Denkgesetze anzunehmen, dass das [X.] keine Kenntnis von einer defizitären Fortsetzung des Betriebs gehabt habe. Der Kläger habe vor dem [X.] umfassend zum defizitären Geschäftsbetrieb des Schuldners spätestens seit April 2009 vorgetragen. Aufgrund der Rechtsanwendung des [X.] würden die vom [X.] aufgestellten Voraussetzungen für das Vorliegen einer bargeschäftsähnlichen Lage in unzulässiger Weise ausgehöhlt. Nach der Auffassung des [X.] käme es lediglich darauf an, dass eine kongruente Leistung, die zur Fortführung des Unternehmens des Insolvenzschuldners erforderlich sei, erbracht werde. Das Erfordernis einer Leistung Zug um Zug sowie die Voraussetzung eines allgemeinen Nutzens für die übrigen Gläubiger würden jedoch wegfallen und der bargeschäftsähnliche Leistungsaustausch zur Regel in Fällen der kongruenten Deckung. Jedenfalls sei die Rechtsprechung des [X.] zur bargeschäftsähnlichen Situation auf den Streitfall nicht übertragbar, weil sich diese nur auf ein Zwei-Personen-Verhältnis beziehe. Voraussetzung für einen bargeschäftsähnlichen Leistungsaustausch sei stets die Unmittelbarkeit von Leistung und Gegenleistung. Die Verpflichtung, die Umsatzsteuer, die mit Rechnungstellung fällig werde, abzuführen, und die Möglichkeit, Vorsteuer anzumelden, hätten keinen Aussagegehalt im Hinblick auf die tatsächliche Zahlung durch den Schuldner an seinen Vertragspartner.

Der Kläger beantragt,
das [X.] unter Aufhebung der Vorentscheidung zu verurteilen, den Abrechnungsbescheid vom 19.08.2014 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27.02.2015 dahin zu ändern, dass ein Erstattungsanspruch in Höhe von … € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem …2012 festgestellt wird.

Das [X.] beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Es liege bereits keine Rechtshandlung des Schuldners im Sinne von § 133 [X.] vor. Anders als im Rahmen der Deckungsanfechtung nach §§ 130, 131 [X.] müsse die Rechtshandlung im Sinne von § 133 [X.] vom Schuldner vorgenommen worden sein. Hieran fehle es, wenn sich der Schuldner darauf beschränke, die berechtigte Vollstreckung eines Gläubigers hinzunehmen, und sich angesichts einer bevorstehenden oder bereits eingeleiteten Vollstreckungsmaßnahme nicht anders verhalte, als er dies ohne die Vollstreckungsmaßnahme getan hätte.

Der Schuldner habe dem [X.] gegenüber auch nicht mit Gläubigerbenachteiligungsvorsatz gehandelt. In der Fortführung der normalen Arbeitstätigkeit könne keine vorsätzliche Gläubigerbenachteiligung begründet liegen. Die Rechtsprechung des [X.] zum bargeschäftsähnlichen Leistungsaustausch sei auf den vorliegenden Sachverhalt übertragbar. Liege ein bargeschäftsähnlicher Leistungsaustausch entweder objektiv vor oder sei ein solcher zumindest aus Sicht des [X.]s anzunehmen, fehle es in jedem Fall an einer Kenntnis der Gläubigerbenachteiligungsabsicht. Das [X.] habe für den [X.] ([X.]) bindend festgestellt, dass die ausgewiesenen Leistungen gleichwertig und jeweils Zug um Zug in einem zeitlichen Zusammenhang von Leistung und Gegenleistung erbracht worden seien und daher unmittelbare [X.] vorlägen. Es werde auch bestritten, dass es --das [X.]-- Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung des Schuldners gehabt habe. Es habe vielmehr seit 2005 keinen Überblick über die gesamte finanzielle Situation des Schuldners gehabt.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet und die Vorentscheidung daher aufzuheben. Die Vorentscheidung verletzt Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Die Sache ist zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 [X.]O), weil der erkennende Senat nicht abschließend in der Sache entscheiden kann. Das [X.] hat bislang keine ausreichenden Feststellungen zu einem eventuellen [X.] des Schuldners und einer Kenntnis des [X.] hiervon getroffen.

1. Bezüglich der Aufrechnung der [X.] gegen die [X.] hat das [X.] zu Recht die allgemeinen Voraussetzungen der Aufrechnung bejaht. Es ist allerdings zu Unrecht zu dem Ergebnis gekommen, dass die Rechtsprechung des [X.] zur bargeschäftsähnlichen Lage auf den Streitfall übertragen werden kann und der Aufrechnung demnach kein [X.] entgegenstand.

a) Gemäß § 218 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 [X.] ergeht unter anderem dann ein Abrechnungsbescheid, wenn die Verwirklichung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 [X.]) und ihr Erlöschen (§ 47 [X.]) durch Aufrechnung (§ 226 Abs. 1 [X.] i.V.m. §§ 387 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuchs --[X.]--) streitig sind (vgl. z.B. Senatsurteil vom 18.02.2020 - VII R 39/18, [X.], 391, [X.] 2023, 224, Rz 22, m.w.[X.]).

Im Streitfall hat das [X.] zu Recht einen Abrechnungsbescheid erlassen, weil (vorliegend noch) streitig ist, ob die [X.] des [X.] betreffend den [X.]raum März 2009 bis Oktober 2011 in Höhe von … € wirksam gegen [X.] gemäß § 226 [X.] i.V.m. §§ 387 ff. [X.] aufgerechnet wurden und damit gemäß § 47 [X.] erloschen sind.

b) Die allgemeinen Voraussetzungen für eine Aufrechnung gemäß § 226 [X.] i.V.m. § 387 ff. [X.] waren erfüllt.

[X.]) Die sich gegenüberstehenden Forderungen waren gleichartig, weil es sich sowohl bei den [X.] als auch bei den [X.]n um Geldforderungen handelte.

bb) Es handelte sich um gegenseitige Forderungen, weil sie im Verhältnis zwischen dem Schuldner und dem [X.] jeweils gegen den anderen gerichtet waren.

[X.]) Die [X.] waren gemäß § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) am zehnten Tag nach Ablauf des jeweiligen [X.] --vorliegend der Kalendermonat nach § 41a Abs. 2 Satz 1 EStG-- fällig.

dd) Die [X.] waren erfüllbar, weil das [X.] diesen gemäß § 168 [X.] zugestimmt hatte. Die Umsatzsteuer entsteht nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a des Umsatzsteuergesetzes (UStG) mit Ablauf des [X.], in dem die Leistungen ausgeführt wurden.

c) Das [X.] hat jedoch zu Unrecht die Voraussetzungen einer bargeschäftsähnlichen Lage bejaht und unter Anwendung dieser Grundsätze angenommen, dass der Aufrechnung das [X.] gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 3 [X.] nicht entgegenstand.

[X.]) Nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 [X.] ist die Aufrechnung unzulässig, wenn ein Insolvenzgläubiger die Möglichkeit der Aufrechnung durch eine anfechtbare Rechtshandlung erlangt hat. Die Vorschrift verfolgt das Ziel, den [X.] der Insolvenzordnung (§§ 129 ff. [X.]) im Hinblick auf eine von einem Insolvenzgläubiger erklärte Aufrechnung in dem Sinne Geltung zu verschaffen, dass einer etwaigen Aufrechnungserklärung die Rechtswirkung genommen und dadurch eine anderenfalls etwa notwendige Anfechtung der betreffenden [X.] seitens des Insolvenzverwalters überflüssig wird (vgl. Windel in Jaeger, Insolvenzordnung, § 96 Rz 45 f.; [X.]/[X.], Insolvenzordnung, 16. Aufl., § 96 Rz 46). Sie ist dahin zu verstehen, dass der Erwerb der Möglichkeit der Aufrechnung zugunsten eines späteren Insolvenzgläubigers erfolgt sein muss, dieser also nicht etwa bereits beim Erwerb dieser Möglichkeit Insolvenzgläubiger, mithin das Insolvenzverfahren beim Erwerb noch nicht anhängig gewesen sein muss. Vielmehr schränkt § 96 Abs. 1 Nr. 3 [X.] gerade § 94 [X.] ein, der grundsätzlich eine vor Verfahrenseröffnung eingetretene Aufrechnungslage während des Insolvenzverfahrens fortbestehen lässt und die Abgabe einer Aufrechnungserklärung während desselben zulässt ([X.]/[X.], [X.], 20. Aufl., § 96 Rz 12; Senatsurteil vom 02.11.2010 - VII R 6/10, [X.], 488, [X.], 374, Rz 19, m.w.[X.]).

bb) Im Streitfall liegen die in § 129 [X.] geregelten allgemeinen Voraussetzungen der Insolvenzanfechtung vor.

(1) Das [X.] ist Insolvenzgläubiger der [X.], weil diese vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens [[X.] (Aktenzeichen …) begründet worden waren und noch nicht beglichen worden sind (§ 38 [X.]).

(2) Im Streitfall liegen anfechtbare Rechtshandlungen vor.

(a) Der Begriff der Rechtshandlung im Sinne der §§ 129 ff. [X.] ist weit auszulegen. Als Rechtshandlung kommt jede Handlung in Betracht, die zum Erwerb einer Gläubiger- oder Schuldnerstellung führt, das heißt ein von einem Willen getragenes Handeln, das rechtliche Wirkungen auslöst und das Vermögen des Schuldners zum Nachteil der Insolvenzgläubiger verändern kann ([X.]-Urteil vom [X.] - IX ZR 147/06, [X.] --HFR-- 2010, 413, unter [X.] [X.], m.w.[X.]; vgl. auch [X.]-Urteil vom 20.04.2017 - IX ZR 252/16, [X.]Z 214, 350, Rz 28, m.w.[X.]). Erfasst werden nicht nur Rechtsgeschäfte, sondern auch rechtsgeschäftsähnliche Handlungen und Realakte, denen das Gesetz Rechtswirkungen beimisst ([X.]-Urteile vom [X.] - IX ZR 147/06, [X.], 413, unter [X.] [X.]; vom 14.12.2006 - IX ZR 102/03, [X.]Z 170, 196, unter [X.], zum Einbringen einer Sache, das zu einem Vermieterpfandrecht führt und vom 09.07.2009 - IX ZR 86/08, [X.]schrift für Wirtschaftsrecht --ZIP-- 2009, 1674, unter [X.], m.w.[X.], zum Brauen von Bier, welches die Biersteuer und die [X.] des Bieres entstehen lässt). Dass die Rechtswirkungen (unabhängig vom Willen der Beteiligten) kraft Gesetzes eintreten, ist dabei unbeachtlich (vgl. Senatsurteil vom 02.11.2010 - VII R 62/10, [X.], 290, [X.], 439, Rz 20 f., unter Aufgabe der früheren Rechtsprechung im Senatsurteil vom 16.11.2004 - VII R 75/03, [X.], 296, [X.], 193).

Unter anderem hat der erkennende Senat in Übereinstimmung mit dem [X.] und der allgemein vertretenen Auffassung die Leistungserbringung im Umsatzsteuerrecht als eine Rechtshandlung im Sinne des § 129 [X.] angesehen (vgl. Senatsurteile vom 02.11.2010 - VII R 62/10, [X.], 290, [X.], 439, Rz 20 f. und vom 02.11.2010 - VII R 6/10, [X.], 488, [X.], 374, Rz 25; [X.] in [X.]/Metzenmacher, Umsatzsteuergesetz, [X.] Rz 190; [X.] in [X.] (Stand 22.02.2023), § 251 [X.], Rz 57; [X.] in [X.]/[X.]/[X.] --[X.]--, § 251 [X.] Rz 266). Die Umsatzsteuer entsteht zwar von Gesetzes wegen, das Entstehen von Umsatzsteuer beziehungsweise Vorsteuer setzt jedoch voraus, dass eine Leistung erbracht wird (Senatsurteil vom 02.11.2010 - VII R 62/10, [X.], 290, [X.], 439, Rz 20). Auch der [X.]. Senat hat entschieden, dass Handlungen des Schuldners oder Dritter, die zum Entstehen einer Umsatzsteuerschuld führen, eine Rechtshandlung darstellen, durch die das Schuldnervermögen belastet wird ([X.]-Urteil vom 03.08.2022 - [X.] R 44/20, [X.], 46, Rz 27). Nach dem erkennenden Senat ist diese Rechtsprechung auch auf die Lohnsteuer anzuwenden (Senatsurteil vom 18.04.2023 - VII R 35/19, zur [X.] bestimmt); auf den Umstand, dass die Lohnsteuer kraft Gesetzes durch Erfüllung der gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen, nämlich nach § 38 Abs. 2 Satz 2 EStG mit Zahlung des Arbeitslohns entsteht und nicht durch die Rechtshandlung selbst, kommt es nicht an.

Darüber hinaus hat der erkennende Senat auch die Herstellung einer Aufrechnungslage durch Rechtshandlungen als eigenständige Rechtshandlung angesehen und ihre selbständige Anfechtbarkeit bejaht (vgl. Senatsurteil vom 18.02.2020 - VII R 39/18, [X.], 391, [X.] 2023, 224, Rz 37; vgl. auch [X.]-Urteil vom [X.] - IX ZR 147/06, [X.], 413). Die Herstellung einer Aufrechnungslage durch Rechtshandlungen wirkt grundsätzlich gläubigerbenachteiligend im Sinne des § 129 Abs. 1 [X.], da sich die Befriedigungsmöglichkeiten der übrigen Insolvenzgläubiger durch eine wirksame Aufrechnung eines Insolvenzgläubigers verschlechtern (vgl. [X.]-Urteil vom [X.] - IX ZR 147/06, [X.], 413, unter [X.]; Senatsurteil vom 02.11.2010 - VII R 62/10, [X.], 290, [X.], 439, Rz 22 ff.).

Dass die Rechtshandlung unmittelbar und unabhängig vom Hinzutreten etwaiger weiterer Umstände (zum Beispiel Abgabe einer Steueranmeldung) eine Aufrechnungslage zum Entstehen bringen müsste, setzt § 96 Abs. 1 Nr. 3 [X.] nicht voraus. Er verlangt lediglich, dass die Rechtshandlung vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden ist, sie irgendeine Voraussetzung für die Aufrechnungsmöglichkeit des Insolvenzschuldners geschaffen hat und die Insolvenzgläubiger benachteiligt (Senatsurteile vom 02.11.2010 - VII R 62/10, [X.], 290, [X.], 439, Rz 21 und vom 02.11.2010 - VII R 6/10, [X.], 488, [X.], 374, Rz 26, m.w.[X.]).

(b) Im Streitfall hat der Schuldner drei Rechtshandlungen vorgenommen.

([X.]) Zunächst hat der Schuldner von seinen Lieferanten Lieferungen und Leistungen gegen Entgelt bezogen. Infolgedessen ist gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a UStG mit Ablauf des jeweiligen [X.] Umsatzsteuer entstanden.

(bb) Eine weitere Rechtshandlung liegt in der Zahlung der Arbeitslöhne, wodurch gemäß § 38 Abs. 2 Satz 2 EStG im [X.]punkt des Zuflusses des jeweiligen Arbeitslohns Lohnsteuer entstanden ist.

([X.]) Schließlich ist auch die Herstellung einer Aufrechnungslage als Rechtshandlung anzusehen (siehe oben).

(c) Zumindest die Überweisung der Löhne und die Herstellung einer Aufrechnungslage haben zu einer objektiven Gläubigerbenachteiligung geführt. Denn durch die Überweisung der Löhne ist beim Schuldner insofern eine Verschlechterung der Vermögenssituation eingetreten, als er infolgedessen für die Entrichtung der Lohnsteuer einzustehen hatte. Wie bereits aufgezeigt, entsteht die Lohnsteuer gemäß § 38 Abs. 2 Satz 2 EStG in dem [X.]punkt, in dem der Arbeitslohn dem Arbeitnehmer zufließt. Zwar ist gemäß § 38 Abs. 2 Satz 1 EStG der Arbeitnehmer Schuldner der Lohnsteuer. Der Arbeitgeber haftet jedoch gemäß § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG für die Lohnsteuer, die er einzubehalten und abzuführen hat. Der Haftungsanspruch entsteht (§ 38 [X.]), sobald die einzubehaltende Lohnsteuer zum Fälligkeitszeitpunkt nicht an das [X.] abgeführt wird ([X.]/[X.], EStG, 42. Aufl., § 42d Rz 10). Dadurch besteht --zumindest mittelbar-- die Möglichkeit, dass das Vermögen des Schuldners beeinträchtigt wird.

Ob auch die Beziehung von Lieferungen und Leistungen zu einer objektiven Gläubigerbenachteiligung geführt hat, ist zumindest insofern zweifelhaft, als der Schuldner dadurch [X.] erworben hat.

[X.]) Das [X.] hat zu Unrecht die Voraussetzungen des § 133 Abs. 1 [X.] verneint.

Nach § 133 Abs. 1 [X.] ist eine Rechtshandlung anfechtbar, die der Schuldner in den letzten zehn Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag mit dem Vorsatz, seine Gläubiger zu benachteiligen, vorgenommen hat, wenn der andere Teil zur [X.] der Handlung den Vorsatz des Schuldners kannte. Diese Kenntnis wird vermutet, wenn der andere Teil wusste, dass die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners drohte und dass die Handlung die Gläubiger benachteiligte.

(a) Die oben genannten Rechtshandlungen wurden innerhalb von zehn Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen. Dieser Antrag ist [[X.] beim Amtsgericht - Insolvenzgericht - U eingegangen.

(b) Weiterhin muss der Schuldner die Rechtshandlung mit dem Vorsatz vorgenommen haben, seine Gläubiger zu benachteiligen.

(1) Nach der [X.]-Rechtsprechung handelt ein Schuldner, der zahlungsunfähig ist und seine Zahlungsunfähigkeit kennt, in der Regel mit Benachteiligungsvorsatz. In diesem Fall weiß er, dass sein Vermögen nicht ausreicht, um sämtliche Gläubiger zu befriedigen ([X.]-Urteile vom 12.02.2015 - IX ZR 180/12, [X.]/[X.]schrift für Wirtschafts- und Bankrecht --WM-- 2015, 591, Rz 16 und vom 17.11.2016 - IX ZR 65/15, Der Betrieb --DB-- 2016, 2958, Rz 13, jeweils m.w.[X.]). In Fällen kongruenter Leistungen hat der [X.] allerdings anerkannt, dass der Schuldner trotz der Indizwirkung einer erkannten Zahlungsunfähigkeit ausnahmsweise nicht mit [X.] handelt, wenn er seine Leistung Zug um Zug gegen eine zur Fortführung seines Unternehmens unentbehrliche Gegenleistung erbracht hat, die den Gläubigern im Allgemeinen nutzt. Der subjektive Tatbestand kann hiernach entfallen, wenn im unmittelbaren Zusammenhang mit der potentiell anfechtbaren Rechtshandlung eine gleichwertige Gegenleistung in das Vermögen des Schuldners gelangt, also ein Leistungsaustausch ähnlich einem Bargeschäft stattfindet. Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass dem Schuldner in diesem Fall infolge des gleichwertigen Leistungsaustauschs die dadurch eingetretene mittelbare Gläubigerbenachteiligung nicht bewusst geworden sein kann ([X.]-Urteile vom 12.02.2015 - IX ZR 180/12, [X.], 591, Rz 22; vom 17.12.2015 - IX ZR 61/14, [X.], 172, Rz 36 und vom 17.11.2016 - IX ZR 65/15, [X.], 51, Rz 31, jeweils m.w.[X.]). Für das Vorliegen einer bargeschäftsähnlichen Lage hat der [X.] den unmittelbaren Austausch zwischen Leistung und Gegenleistung als wesentlich angesehen ([X.]-Urteil vom 12.02.2015 - IX ZR 180/12, [X.], 591, Rz 24, m.w.[X.]). Auch im Falle eines bargeschäftsähnlichen Leistungsaustauschs wird sich der Schuldner der eintretenden mittelbaren Gläubigerbenachteiligung allerdings dann bewusst werden, wenn er weiß, dass er trotz Belieferung zu marktgerechten Preisen fortlaufend unrentabel arbeitet und deshalb bei der Fortführung seines Geschäfts mittels der durch bargeschäftsähnliche Handlungen erworbenen Gegenstände weitere Verluste anhäuft, die die [X.] der Gläubiger weiter mindern, ohne dass auf längere Sicht Aussicht auf Ausgleich besteht ([X.]-Urteil vom 04.05.2017 - IX ZR 285/16, [X.], 1378, Rz 7, m.w.[X.]).

(2) Ob der Schuldner die Rechtshandlungen mit dem Vorsatz vorgenommen hat, seine Gläubiger zu benachteiligen, hat das [X.] ausdrücklich offengelassen.

Die Würdigung der wesentlichen Umstände des Einzelfalls obliegt dem [X.] (vgl. z.B. [X.] vom 21.06.2022 - VI R 20/20, [X.], 338, [X.] 2023, 87, Rz 14, m.w.[X.]), weshalb eine abschließende Entscheidung des erkennenden Senats nicht möglich ist.

(c) Schließlich setzt eine Anfechtbarkeit im Sinne von § 133 [X.] voraus, dass der andere Teil zur [X.] der Handlung den [X.] des Schuldners kannte.

(1) Die nach § 133 Abs. 1 Satz 1 [X.] erforderliche Kenntnis des [X.]s vom Benachteiligungsvorsatz des Schuldners muss sich, da Gegenstand dieses Vorsatzes die vom Schuldner veranlasste gläubigerbenachteiligende Rechtshandlung ist, auch darauf erstrecken, dass die Gläubigerbenachteiligung durch eine vom Schuldner ausgehende Rechtshandlung verursacht worden ist. Die Voraussetzungen einer solchen Kenntnis dürfen nicht überspannt werden. Der [X.] muss nicht alle Einzelheiten kennen, aus denen sich das Vorliegen einer Schuldnerhandlung ergibt. Es genügt, dass er einen solchen Sachverhalt im Allgemeinen erkannt hat. Dies ist der Fall, wenn er sich der Kenntnis nicht verschließen konnte, dass sein Vermögenserwerb auf einer die Gläubigergesamtheit benachteiligenden Rechtshandlung des Schuldners beruhte ([X.]-Urteil vom 01.06.2017 - IX ZR 48/15, [X.], 1281, Rz 25, m.w.[X.]).

Im Falle eines bargeschäftsähnlichen Leistungsaustauschs ist dieser Schluss von erkannter drohender oder eingetretener Zahlungsunfähigkeit des Schuldners auf eine durch die angefochtene Zahlung bewirkte Gläubigerbenachteiligung nicht gerechtfertigt. Insofern gilt für die Kenntnis des [X.]s nichts anderes als für den Benachteiligungsvorsatz des Schuldners. Dem Gläubiger kann in diesem Fall wegen des gleichwertigen Leistungsaustauschs ebenso wie dem Schuldner trotz Kenntnis von dessen Zahlungsunfähigkeit die gläubigerbenachteiligende Wirkung der an ihn bewirkten Leistung nicht bewusst geworden sein. Die gesetzliche Vermutung des § 133 Abs. 1 Satz 2 [X.] greift dann nicht ein. Der zweite Teil des [X.] ist nicht erfüllt. Anders liegt es nur, wenn der [X.] weiß, dass der Schuldner unrentabel arbeitet und bei der Fortführung seines Geschäfts weitere Verluste erwirtschaftet. Dann weiß er auch, dass der bargeschäftsähnliche Leistungsaustausch den übrigen Gläubigern des Schuldners keinen Nutzen, sondern infolge der an den [X.] fließenden Zahlungen Nachteile bringt (vgl. [X.]-Urteil vom 04.05.2017 - IX ZR 285/16, [X.], 1378, Rz 9).

(2) Die Rechtsprechung des [X.] zum bargeschäftsähnlichen Leistungsaustausch ist allerdings nicht auf ein [X.] --wie im Streitfall-- übertragbar.

Wie bereits erwähnt, ist das wesentliche Kriterium für ein Bargeschäft die Verknüpfung von Leistung und Gegenleistung ("do ut des"). Da dieses Merkmal nur zwischen den konkreten Vertragsparteien bestehen kann, kann die Rechtsprechung zum bargeschäftsähnlichen Leistungsaustausch denknotwendig nicht gegenüber Dritten gelten.

Das [X.] ist im Streitfall jedoch Dritter. Denn im Zusammenhang mit den [X.] des [X.] besteht ein vertragliches Verhältnis nur zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber mit der Verpflichtung des Arbeitnehmers zur Erbringung der Arbeitsleistung und der Verpflichtung des Arbeitgebers zur Zahlung des Lohns (§ 611 [X.]).

Auch wenn der Arbeitnehmer gemäß § 38 Abs. 2 Satz 1 EStG Schuldner der Lohnsteuer ist, wird dadurch kein Gegenleistungsverhältnis zum [X.] begründet, weil dieses seinerseits keine Leistung gegenüber dem Arbeitnehmer zu erbringen hat. Auch ein Zurückbehaltungsrecht für den Fall der Nichtzahlung der Lohnsteuer steht dem [X.] nicht zu.

Es besteht ferner kein Verhältnis von Leistung und Gegenleistung zwischen dem Schuldner als Arbeitgeber und dem [X.]. Die Haftung des Arbeitgebers nach § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG für Lohnsteuer, die er einzubehalten und abzuführen hat, steht nicht unmittelbar im Zusammenhang mit der Erbringung der Arbeitsleistung. Vielmehr setzt die Haftung eine Steuerschuld des Arbeitnehmers voraus und ist damit akzessorisch ([X.]/[X.], EStG, 42. Aufl., § 42d Rz 2).

Auch in der Literatur wird die Übertragung der [X.]-Rechtsprechung zum bargeschäftsähnlichen Leistungsaustausch auf [X.]se beziehungsweise die Verpflichtung zur Abführung von Lohnsteuer abgelehnt (vgl. [X.], Betriebs-Berater 2006, 353 ff.; [X.] in [X.], § 69 [X.] Rz 32e ff.; vgl. auch [X.] in [X.], [X.] § 69 Rz 46).

Soweit der erkennende Senat mit Beschlüssen vom 21.12.1998 - VII B 175/98 ([X.] 1999, 745) und vom 11.08.2005 - VII B 244/04 ([X.], 410, [X.], 201) im Zusammenhang mit der Zahlung des laufend arbeitsvertraglich geschuldeten Lohns entschieden hat, dass die vom Arbeitgeber an das [X.] abzuführenden [X.] zum Arbeitslohn gehören und Entgelt für die von den Arbeitnehmern erbrachte Arbeitsleistung darstellen, wird daran nicht mehr festgehalten. Aufgrund dessen hatte der Senat die Gläubigerbenachteiligung verneint, sodass damit auch die Kenntnis des [X.] von der Gläubigerbenachteiligungsabsicht entfiele (offengelassen in Senatsbeschluss vom 09.12.2005 - VII B 124-125/05, [X.] 2006, 897, unter II.3.d [X.]).

Schließlich war das [X.] auch an der Beziehung des Schuldners zu seinen Lieferanten nicht beteiligt.

Das [X.] ist in der angefochtenen Vorentscheidung zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Rechtsprechung des [X.] zum bargeschäftsähnlichen Leistungsaustausch auch auf das vorliegende [X.] übertragen werden kann und aufgrund dessen eine Kenntnis des [X.] vom (eventuellen) [X.] des Schuldners im Sinne von § 133 Abs. 1 Satz 2 [X.] ausgeschlossen ist.

2. Im zweiten Rechtsgang wird das [X.] die Voraussetzungen der § 96 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 133 [X.] und insbesondere den [X.] unter Beachtung der Rechtsauffassung des erkennenden Senats erneut zu prüfen haben.

Außerdem wird das [X.] klären müssen, ob das [X.] einen eventuellen [X.] des Schuldners kannte. Dabei ist die Rechtsprechung des [X.] zum bargeschäftsähnlichen Leistungsaustausch außer [X.] zu lassen und sind die Umstände des vorliegenden Einzelfalls zu würdigen.

3. Sollte das [X.] im zweiten Rechtsgang zu dem Ergebnis gelangen, dass die Aufrechnung aufgrund eines [X.]s gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 3 [X.] unzulässig war und die [X.] daher nicht gemäß § 47 [X.] erloschen sind, wird das [X.] über eine Verzinsung des Erstattungsanspruchs zu entscheiden haben.

a) Zunächst wird das [X.] das Klagebegehren des [X.] ermitteln müssen. Dabei ist der Antrag des [X.] auszulegen. Möglicherweise macht der Kläger den insolvenzrechtlichen Zinsanspruch gemäß § 143 Abs. 1 Satz 2 [X.] i.V.m. § 818 Abs. 4, §§ 819, 291, 288 Abs. 1 [X.] geltend.

Nach § 96 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 [X.]O ist das Gericht an die Fassung des Klageantrags nicht gebunden, sondern hat im Wege der Auslegung den Willen der [X.] anhand der erkennbaren Umstände zu ermitteln ([X.]-Urteile vom 12.06.1997 - I R 70/96, [X.], 465, [X.] 1998, 38, unter [X.], m.w.[X.] und vom 27.01.2011 - III R 65/09, Rz 10). Hierbei ist zu berücksichtigen, dass im Zweifel das gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der recht verstandenen Interessenlage entspricht ([X.]-Urteil vom 29.04.2009 - X R 35/08, [X.] 2009, 1777, m.w.[X.]). Nur eine solche Auslegung trägt dem Grundsatz der Rechtsschutz gewährenden Auslegung nach Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes Rechnung ([X.]-Urteil vom 27.01.2011 - III R 65/09, Rz 10, m.w.[X.]; Senatsbeschluss vom 21.10.2020 - VII B 121/19, Rz 24).

Eine Auslegung findet ihre Grenze in dem erklärten Willen des [X.]. Ist der Klageantrag schon dem Wortlaut nach eindeutig gestellt und wird dieser Wortlaut durch die Ausführungen des [X.] im Übrigen gestützt, so ist für eine Auslegung durch das Gericht kein Raum mehr (Senatsurteil vom 13.12.1994 - VII R 18/93, [X.] 1995, 697, unter II.).

Allerdings unterscheidet § 96 Abs. 1 Satz 2 [X.]O zwischen dem Klagebegehren und der "Fassung der Anträge" und stellt dabei letztlich auf das Klagebegehren ab. Daraus folgt, dass, wenn das [X.] auf die wörtliche Fassung des Klageantrags abstellt, obwohl dieser dem erkennbaren Klageziel des [X.] nicht entspricht, dies einen Verstoß gegen § 96 Abs. 1 Satz 2 [X.]O begründet (vgl. [X.]-Urteile vom 14.09.2017 - IV R 34/15, Rz 16 und vom 04.09.2008 - IV R 1/07, [X.], 220, [X.] 2009, 335, unter [X.], m.w.[X.]; [X.] vom 27.06.2017 - X B 106/16, Rz 22 und vom 19.08.2015 - V B 26/15, Rz 18, jeweils m.w.[X.]).

Maßgeblich ist letztlich stets das materielle Ziel der Klage und nicht dessen Formalisierung durch einen Antrag (vgl. [X.] vom 27.06.2017 - X B 106/16, Rz 22 und vom 19.08.2015 - V B 26/15, Rz 18; vgl. auch Lange in [X.], § 96 [X.]O Rz 177; [X.] in Tipke/[X.], § 96 [X.]O Rz 97).

b) Die allgemeine Leistungsklage ist zulässig. Insbesondere ist die vorherige Durchführung eines außergerichtlichen Vorverfahrens nach § 44 [X.]O nicht erforderlich (vgl. auch [X.]-Urteile vom 14.04.2021 - X R 25/19, [X.], 319, Rz 23 und vom 19.04.2012 - III R 85/09, [X.], 145, [X.] 2013, 19, Rz 10, m.w.[X.]; Senatsurteil vom 18.04.2023 - VII R 35/19, zur [X.] bestimmt).

c) Der Zinssatz des insolvenzrechtlichen Zinsanspruchs beträgt gemäß § 288 Abs. 1 Satz 2 [X.] fünf Prozentpunkte über dem Basiszinssatz. Im Fall eines negativen Basiszinssatzes verringert sich der Zinssatz entsprechend und liegt unter fünf Prozent. Negativ kann ein Zins jedoch nicht werden (vgl. [X.]-Urteil vom 09.05.2023 - [X.] ZR 544/21, Rz 26).

Bislang hatte der Kläger vor dem [X.] einen Zinssatz von fünf Prozent und vor dem [X.] einen Zinssatz von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz beantragt. Auch insoweit hat das [X.] den Antrag des [X.] auszulegen beziehungsweise auf dessen Konkretisierung durch den Kläger hinzuwirken.

4. [X.] beruht auf § 143 Abs. 2 [X.]O.

Meta

VII R 22/19

20.06.2023

Bundesfinanzhof 7. Senat

Urteil

vorgehend FG Münster, 25. Januar 2018, Az: 6 K 1013/15, Urteil

§ 96 Abs 1 Nr 3 InsO, § 133 InsO, § 129 Abs 1 InsO, § 226 Abs 1 AO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 20.06.2023, Az. VII R 22/19 (REWIS RS 2023, 7127)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 7127

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