Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 16.01.2013, Az. 4 StR 520/12

4. Strafsenat | REWIS RS 2013, 8993

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 520/12

vom
16. Januar
2013
in dem Sicherungsverfahren
gegen

-
2
-
Der 4.
Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und des Beschwerdeführers am 16.
Januar
2013
gemäß §
349 Abs.
2
und 4 StPO beschlossen:

1.
Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des [X.] vom 12.
Juli 2012 mit den [X.] aufgehoben, soweit die Unterbringung des [X.] in einem [X.]chiatrischen Krankenhaus angeordnet [X.] ist; jedoch bleiben die Feststellungen zu den rechtswid-rigen Taten aufrechterhalten.
2.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-tels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurück-verwiesen.
3.
Die weiter gehende Revision des Beschuldigten wird verwor-fen.

Gründe:
Das [X.] hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem [X.]-chiatrischen Krankenhaus angeordnet und Maßregeln nach den §§
69, 69a StGB getroffen. Mit seiner Revision rügt der Beschuldigte die Verletzung mate-riellen Rechts. Sein Rechtsmittel hat in dem aus der Beschlussformel ersicht-1
-
3
-
lichen Umfang Erfolg. Im Übrigen ist es offensichtlich unbegründet im Sinne des §
349 Abs.
2 StPO.
I.
Nach den Feststellungen beleidigte der allein im Haus seiner verstorbe-

II.

II.
2 der Urteilsgründe) bezeichnete. Einen Tag nach dem letztgenannten Vorfall rannte er vor seinem Wohnanwesen brüllend auf den Postzusteller H.

zu, als dieser ihm die
Post bringen wollte. Dabei war der Beschuldigte mit einem Brotmesser (Klin-genlänge 10

.

ergriff aus Angst vor Verlet-
zungen die Flucht. Als der Beschuldigte zu seinem Haus zurückging, blieb der Zeuge H.

stehen und wartete einen Augenblick. Daraufhin setzte der

H.

zu. Dieser eilte
nun endgültig davon und sah von einer Postzustel-
lung bei dem Beschuldigten ab (Fall
II.
3 der Urteilsgründe). Etwa 90
Minuten
ahrzeugs. Anschließend verfolgte er die mit ihrem Fahrrad vorbeifahrende 15-jährige Schülerin C.

K.

.

K.

hatte deshalb Angst um ihr Leben und
beschleunigte ihre Fahrt. Als der Beschuldigte seinerseits von einem eingrei-fenden Nachbarn angeschrien wurde, ließ er von C.

K.

ab. C.

K.

war aufgrund dieses Vorfalls fünf Tage krankge-
schrieben und litt noch zwei Wochen unter Schlafstörungen. Sie hat auch wei-terhin mit Alpträumen zu kämpfen und befindet sich deshalb in [X.]chologischer Behandlung (Fall
II.
4 der Urteilsgründe). Etwa vier Wochen später befuhr der 2
-
4
-
Beschuldigte mit seinem Pkw der Marke [X.] die rechte Fahrspur der Bundesautobahn A
8. Als er einen vor ihm fahrenden Lkw unter Benutzung der Standspur rechts überholen wollte und dazu bereits auf die Standspur ausge-schert war, erkannte er ein hinter ihm fahrendes Polizeifahrzeug und ordnete sich wieder auf der rechten Fahrspur ein. Die Polizeibeamten wollten den [X.] daraufhin einer Kontrolle unterziehen. Sie setzten sich deshalb mit ihrem Dienstfahrzeug vor den Pkw des Beschuldigten und forderten ihn mit dem Anhaltestab zum Anhalten auf. Dieser Aufforderung kam der Beschuldigte [X.] nicht nach und fuhr stattdessen über die mittlere auf die linke Fahrspur. Die Polizeibeamten setzten ihr Dienstfahrzeug nun erneut vor den Pkw des [X.] und blendeten auf der Signalanlage d
auf der Standspur an. Nachdem die Polizeibeamten ihr Dienstfahrzeug etwa 100
Meter vor dem Pkw des Beschuldigten zum Stehen gebracht hatten, setz-ten sie auf der Standspur zurück. Währenddessen fuhr der Beschuldigte un-vermittelt los und scherte von der Standspur auf die rechte Fahrspur ein, ohne auf den herannahenden Verkehr zu achten. Dabei ging es ihm allein darum, sich der Kontrolle durch die Polizeibeamten zu entziehen. Der Fahrer eines auf der rechten Fahrspur herannahenden Sattelzuges konnte einen Unfall nur noch durch ein ruckartiges Ausweichmanöver auf die mittlere Fahrspur vermeiden, auf der sich zu diesem Zeitpunkt kein Fahrzeug befand. Anschließend fuhr der Beschuldigte mit 60 bis 70
km/h zur nächsten Tankstelle. Bei der dort durchge-führten Kontrolle musste er von den Polizeibeamten gefesselt werden, weil er aggressiv wurde und eine bedrohliche Haltung einnahm (Fall
II.
5 der Urteils-gründe).
Das [X.] hat das Verhalten des Beschuldigten als Beleidigung in zwei Fällen (§
185 StGB), Nötigung (§
240 StGB), Beleidigung in Tateinheit mit 3
-
5
-
Bedrohung (§§
185, 241
StGB) und vorsätzliche Gefährdung des [X.] (§
315c Abs.
1 Nr.
2a StGB)
gewertet. Bei der Beurteilung der Schuld-fähigkeit und der Einschätzung der Gefährlichkeitsprognose hat sich das Land-gericht dem angehörten Sachverständigen Dr.

M.

angeschlossen.
Danach leide der Beschuldigte an einer schizoaffektiven Störung mit manischen Zügen. Er sei nicht in der Lage, Situationen richtig einzuschätzen und sich [X.]. Der Beschuldigte zeige einen gesteigerten Antrieb, sei umtriebig und leicht reizbar. Die paranoide Komponente seiner Erkrankung sei stets hand-lungsleitend. Bei ihm bestehe ein ausgeprägtes Misstrauen gegenüber sämt-lichen Behörden und seiner Umgebungswelt. Nach seiner eigenen Wahrneh-mung drangsaliere nicht er seine Nachbarschaft, sondern diese ihn. Es sei be-absichtigt,
ihn aus seinem Haus zu vertreiben.
Die Polizei ermittle stets zu sei-nem Nachteil. Die Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten sei deshalb zur [X.] sicher erheblich eingeschränkt und möglicherweise sogar vollständig auf-gehoben gewesen (UA
11). Da dem Beschuldigten die Krankheitseinsicht fehle, müsse damit gerechnet werden, dass er nach seiner Entlassung aus dem [X.]--wahrscheinlich, dass der Beschuldigte aufgrund seiner Erkrankung auch in Zu-kunft den [X.] ähnliche Taten begehen werde. Es bestehe daher die Gefahr der Fremdgefährdung, was nicht zuletzt im Fall der vorsätzlichen Stra-ßenverkehrsgefährdung (Fall
II.
5 der Urteilsgründe) ersichtlich
geworden sei. Sowohl diese, als auch die mit einem Brotmesser zum Nachteil des Postzustel-lers begangene Tat (Fall
II.
3 der Urteilsgründe) seien als erheblich einzustufen. Für die Gefährlichkeitsprognose spreche weiter, dass die überraschenden [X.] des Beschuldigten neben den angeführten Fällen auch im Fall der Fahr-radfahrerin C.

K.

(Fall
II.
4 der Urteilsgründe) gegen Zu-
fallsopfer gerichtet gewesen seien (UA
13). Auch hätten Zeugen in der Haupt--
6
-
verhandlung über weitere

nie zur Anzeige gebrachte

Vorfälle mit erheb-lichem Gefahrenpotential (Werfen eines unbekannten Gegenstandes gegen einen Pkw, Werfen einer Flasche in Richtung
einer Nachbarin) berichtet (UA
14). Eine Aussetzung der Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung
sei aufgrund der fehlenden Krankheitseinsicht des Beschuldigten und seiner [X.] Situation nicht möglich (UA
14
f).
II.
Die Voraussetzungen des §
63 StGB werden durch die [X.] nicht belegt.
1.
Die Unterbringung in einem [X.]chiatrischen Krankenhaus nach §
63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der [X.] bei der Begehung der [X.] aufgrund eines [X.]chischen Defektes schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht (vgl. [X.], Beschluss vom 11.
März 2009

2
StR
42/09,
[X.], 198;
Beschluss vom 8.
April 2003

3
StR
79/03, [X.], 232). Dieser Zustand muss, um eine Gefährlichkeitsprognose tragen zu können, von längerer Dauer sein ([X.], Beschluss
vom 29.
August 2012

4
StR
205/12, [X.], 367; Urteil vom 6.
März 1986

4
StR
40/86, [X.]St 34, 22, 27).
Das landgerichtliche Urteil enthält hierzu keine ausreichenden Feststel-lungen. Soweit das [X.] im Anschluss an den Sachverständigen davon ausgeht, dass der Beschuldigte
an einer schizoaffektiven Störung mit mani-schen Zügen leide, werden die diese Bewertung tragenden Anknüpfungs-
und Befundtatsachen nicht in ausreichendem Umfang wiedergegeben (vgl. [X.], 4
5
6
-
7
-
Beschluss vom 26.
September 2012

4
StR
348/12, Rn.
8; Beschluss vom 29.
Mai 2012

2
StR
139/12, [X.], 306, 307; Beschluss vom 14.
September 2010

5
StR
229/10, Rn.
8). Die Urteilsgründe beschränken sich auf eine Mitteilung der Diagnose und knappe

allgemein gehaltene

Aus-führungen über bei dem Beschuldigten beobachtete Auffälligkeiten. Dass es sich hierbei um zeitstabile Beeinträchtigungen seines [X.]chischen Zustandes handelt, wird nicht aufgezeigt. Die mitgeteilte stationäre Unterbringung des Be-

Au

3) ist insoweit ohne Aussagekraft, weil sich nach den bisher getroffenen Feststellungen ein Bezug zu der diagnostizierten schizoaffektiven Störung nicht herstellen lässt.
2.
Auch die Gefährlichkeitsprognose begegnet durchgreifenden recht-lichen Bedenken.
Eine Unterbringung nach §
63 StGB kommt nur in Betracht, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht, dass der Täter infolge seines Zustands in Zukunft Taten begehen wird, die eine schwere Störung des Rechts-friedens zur Folge haben ([X.], Urteil vom 2.
März 2011

2
StR
550/10,
[X.], 240, 241; Beschluss vom 22.
Februar 2011

4
StR
635/10, [X.], 202). Ob eine zu erwartende Straftat zu einer schweren
Störung des Rechtsfriedens führt, muss anhand der konkreten Umstände
des Einzelfalls entschieden werden ([X.], Beschluss vom 22.
Februar 2011

4
StR
635/10, [X.], 202;
Beschluss vom 26.
April
2001

4
StR
538/00, [X.], 477
f.). Sind die zu erwartenden Delikte nicht
wenigstens dem
Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen, ist die Annahme einer schweren Störung des Rechtsfriedens nur in Ausnahmefällen begründbar ([X.], Urteil vom 2.
März 2011

2
StR
550/10, [X.], 240, 241;
Beschluss vom 18.
März 2008

4
StR
6/08; Beschluss vom 18.
Februar 1992
7
8
-
8
-

4
StR
27/92, [X.]R StGB §
63
Gefährlichkeit
16; Beschluss vom 28.
Juni 2005

4
StR
223/05, [X.], 303, 304). Die erforderliche Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des [X.], seines [X.] und der von ihm begangenen [X.] zu entwickeln ([X.], Beschluss vom 26.
September 2012

4
StR
348/12, Rn.
10; Urteil vom 17.
November 1999

2
StR
453/99, [X.]R StGB §
63
Gefährlichkeit
27). An die Darlegungen sind umso höhere Anforderungen zu stellen, je mehr es sich bei dem zu beurteilenden Sachverhalt unter Berücksichtigung des Verhält-nismäßigkeitsgrundsatzes (§
62 StGB) um einen Grenzfall handelt ([X.],
Beschluss vom 26.
September 2012

4
StR
348/12, Rn.
10; Beschluss vom 4.
Juli
2012

4
StR
224/12, Rn.
8;
Beschluss vom 8.
November
2006

2
StR
465/06, [X.], 73, 74).
Diesen Maßstäben werden die Erwägungen des [X.] nicht
gerecht. Eine die Biographie des Beschuldigten und seine Krankheitsgeschichte in den Blick nehmende Gesamtwürdigung wurde nicht erkennbar vorgenom-men. Dabei hätte Berücksichtigung finden
müssen, dass der inzwischen 42
Jahre alte Beschuldigte nur in den
Jahren
2002 und 2005 strafrechtlich in Erscheinung getreten ist. Eine zweijährige Bewährungszeit
vermochte er durch-zustehen und im Jahr 2007 einen [X.] zu erreichen (UA
4). Der länger währenden Straffreiheit des Beschuldigten käme jedenfalls dann eine progno-segünstige Bedeutung zu, wenn bei ihm in diesen Zeiträumen bereits die dia-gnostizierte
schizoaffektive Störung vorlag (vgl. [X.], Urteil vom 28.
August 2012

5
StR
295/12, [X.], 366, 367; Beschluss vom 11.
März 2009

2
StR
42/09, [X.], 198, 199). Ob dies der Fall gewesen ist, kann den Urteilsgründen nicht entnommen werden. Auch wäre das [X.] ge-halten gewesen, näher auf die Schwere und den bisherigen Verlauf der [X.] einzugehen. Derartige Erkrankungen ver-9
-
9
-
laufen phasenhaft, wobei es zu Zeiten vollständiger Remission kommen kann, in denen
keine [X.]chischen Beeinträchtigungen zu beobachten sind ([X.]/[X.] in: [X.]/[X.]/Leygraf/[X.], Handbuch der Forensischen Psychiatrie,
Bd.
2, S.
84
f.; [X.]/[X.], Forensische Psychiatrie,
4.
Aufl.,
S.
181
f.; [X.]-Isberner/[X.] in: [X.]/[X.], Psychiatrische Begutachtung,
5.
Aufl., S.
181
f.). Es hätte daher näherer Darlegung bedurft, mit welcher Häufigkeit es in der Vergangenheit bei dem Beschuldigten zu Krankheitsphasen gekommen ist und welche prognoserelevanten Schlüsse daraus zu ziehen sind.
III.
Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zu den [X.] und die Maßregel nach den §§
69, 69a StGB können bestehen bleiben. Sollte der neue Tatrichter

was nahe liegt

wieder zu der Annahme gelangen, dass der Beschuldigte bei der Begehung der [X.] aufgrund eines andauernden [X.]chischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Begehung dieser Taten auf dem angenommenen Defekt beruhte, wird bei der Prüfung der Gefährlichkeit auch die Todesdrohung (§
241 StGB) zum Nachteil der Zeugin
C.

K.

(Fall
II.
4
der Urteilsgründe) als erheb-
liche rechtswidrige Tat im Sinne des §
63 StGB gewertet werden können (vgl.
10
-
10
-
[X.], Beschluss vom 4.
Juli 2012

4
StR
224/12, [X.], 337, 338; Beschluss vom 22.
Februar 2011

4
StR
635/10, [X.], 271).
Roggenbuck
Cierniak
Franke

Bender
Quentin

Meta

4 StR 520/12

16.01.2013

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 16.01.2013, Az. 4 StR 520/12 (REWIS RS 2013, 8993)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 8993

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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