Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14.11.2012, Az. XII ZB 344/12

12. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 1435

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Betreuungsverfahren: Bestimmung der Überprüfungsfrist für eine angeordnete Betreuung


Leitsatz

Die gutachterliche Stellungnahme des Sachverständigen über die voraussichtliche Dauer der Maßnahme (§ 280 Abs. 3 Nr. 5 FamFG) ist wesentlicher Anhaltspunkt für die Bestimmung der Überprüfungsfrist für die angeordnete Betreuung (§ 286 Abs. 3 FamFG). Weicht der Tatrichter von der gutachterlichen Stellungnahme ab, indem er die Überprüfungsfrist zum Nachteil des Betroffenen über die vom Sachverständigen als erforderlich bezeichnete Dauer der Maßnahme hinaus ausdehnt, muss er die hierfür tragenden Gründe in dem Beschluss darlegen.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 4. Zivilkammer des [X.] vom 18. Mai 2012 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das [X.] zurückverwiesen.

Verfahrenswert: 3.000 €

Gründe

I.

1

Der 74 Jahre alte Betroffene leidet an einer langjährig bestehenden schizoaffektiven Störung, wegen derer das Amtsgericht eine rechtliche Betreuung eingerichtet hat. Mit Beschluss vom 7. September 2011 hat das Amtsgericht den bisherigen Betreuer entlassen, unter Erweiterung der [X.] und Anordnung eines [X.] einen neuen Betreuer bestellt und die erneute Überprüfung der Notwendigkeit der Betreuung spätestens bis zum 7. September 2018 angeordnet.

2

Der Betroffene hat dagegen Beschwerde eingelegt. Das Beschwerdegericht hat den Aufgabenkreis der Aufenthaltsbestimmung sowie die Anordnung des [X.] für den Aufgabenkreis der Vermögenssorge entfallen lassen und die weitergehende Beschwerde zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen.

II.

3

Die nach § 70 Abs. 3 Nr. 1 FamFG statthafte und auch sonst zulässige Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.].

4

1. Soweit es um die Aufrechterhaltung der angeordneten Betreuung in den vom [X.] bestätigten [X.]n geht, ist die angefochtene Entscheidung nicht zu beanstanden und hält den Angriffen der Rechtsbeschwerde stand. Der [X.] hat auch die gerügten Verfahrensmängel geprüft, die [X.] aber nicht für durchgreifend erachtet (§ 74 Abs. 3 Satz 4 FamFG i.V.m. § 564 ZPO). Von einer weiteren Begründung wird insoweit abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).

5

2. Die angefochtene Entscheidung des [X.]s hält den Angriffen der Rechtsbeschwerde jedoch nicht stand, soweit mit ihr die vom Amtsgericht weiter getroffene Anordnung bestätigt wird, dass eine erneute Überprüfung der Notwendigkeit der Betreuung erst zum 7. September 2018 vorzunehmen sei.

6

a) Gemäß § 286 Abs. 3 FamFG ist der Zeitpunkt, bis zu dem das Gericht über die Aufhebung oder Verlängerung einer Maßnahme nach Absatz 1 oder Absatz 2 zu entscheiden hat, in der [X.] zu bezeichnen.

7

aa) Durch die Bezeichnung der Frist wird festgelegt, wann eine erneute Überprüfung der Notwendigkeit von Amts wegen erfolgt. Dies begründet einen Anspruch des Betroffenen, mit Ablauf der Frist über die Aufhebung oder Verlängerung der Betreuung von Amts wegen unter erneuter Durchführung tatsächlicher Ermittlungen (§ 26 FamFG) zu entscheiden.

8

bb) Die Anordnung einer zu lang bemessenen Überprüfungsfrist beeinträchtigt den Betroffenen in seinen Rechten.

9

Zwar steht es dem Betroffenen frei, jederzeit vor Ablauf der Überprüfungsfrist eine Aufhebung der Betreuung zu beantragen (§ 1908 d Abs. 1 BGB). Für die Durchführung tatsächlicher Ermittlungen in einem solchen Aufhebungsverfahren bedarf es jedoch greifbarer Anhaltspunkte für eine Veränderung der der Betreuerbestellung zugrunde liegenden tatsächlichen Umstände, die - wenn sie dem Gericht nicht bereits auf anderem Wege bekannt gemacht worden sind - namentlich vom Betroffenen vorzubringen sind ([X.]sbeschluss vom 2. Februar 2011 - [X.] 467/10 - FamRZ 2011, 556). Daher vermittelt die Möglichkeit, einen Aufhebungsantrag nach § 1908 d Abs. 1 BGB zu stellen, keine Rechtsposition, die mit der von Amts wegen nach Fristablauf vorzunehmenden Überprüfung gleichwertig wäre.

cc) Die konkrete Bemessung der Überprüfungsfrist wird von der Erforderlichkeit der Maßnahme (§ 1896 Abs. 2 BGB) nach den Umständen des Einzelfalls bestimmt ([X.]/[X.] FamFG 17. Aufl. § 286 Rn. 8). Diese Umstände hat der Tatrichter von Amts wegen zu ermitteln (§ 26 FamFG). Gemäß § 280 Abs. 3 Nr. 5 FamFG hat sich das über die Notwendigkeit der Betreuung einzuholende Gutachten auch auf die voraussichtliche Dauer der Maßnahme zu erstrecken. Die gutachterliche Stellungnahme über die voraussichtliche Dauer der Maßnahme ist wesentlicher Anhaltspunkt für die Bestimmung der Überprüfungsfrist ([X.]/Weinreich/Rausch FamFG 3. Aufl. § 286 Rn. 8; [X.]/Prütting/[X.] FamFG 2. Aufl. § 286 Rn. 19). [X.] der Tatrichter von der gutachterlichen Stellungnahme abweichen, indem er die nach § 286 Abs. 3 FamFG festzusetzende Überprüfungsfrist zum Nachteil des Betroffenen über die vom Sachverständigen als erforderlich bezeichnete Dauer der Maßnahme hinaus ausdehnt, muss er die hierfür tragenden Gründe in dem Beschluss darlegen.

b) Diesen Anforderungen wird die angegriffene Entscheidung nicht gerecht. Das Beschwerdegericht verhält sich zu den Voraussetzungen, unter denen es die vom Amtsgericht angeordnete siebenjährige Überprüfungsfrist bestätigt hat, nicht.

Zwar hatte der Sachverständige in seinem ersten, vom Amtsgericht eingeholten Gutachten eine Verlängerung der Betreuung für den längst möglichen Zeitraum empfohlen. Darauf fußend hat das Amtsgericht die gesetzliche Höchstdauer der Überprüfungsfrist ausgeschöpft. Mit seinem weiteren, im Beschwerdeverfahren eingeholten Gutachten vom 29. März 2012 hat der Sachverständige jedoch eine Besserung sowohl des körperlichen als auch des psychischen Zustands des Betroffenen attestiert und - in Abweichung von seiner früheren Stellungnahme - eine Fortführung der Betreuung nunmehr für einen Zeitraum von zunächst zwei Jahren für erforderlich gehalten. Mit dieser Neubewertung der erforderlichen Dauer der Maßnahme durch den Sachverständigen waren die tatsächlichen Grundlagen, auf die das Amtsgericht seine Anordnung der siebenjährigen Überprüfungsfrist gestützt hat, überholt oder wenigstens in Frage gestellt. Das [X.] hätte deshalb die vom Amtsgericht angeordnete siebenjährige Überprüfungsfrist nicht bestätigen dürfen, ohne sich mit der veränderten Einschätzung des Sachverständigen über die erforderliche Dauer der Maßnahme in den Entscheidungsgründen auseinanderzusetzen.

Die angefochtene Entscheidung kann daher keinen Bestand haben. Die Sache ist an das [X.] zurückzuverweisen, da der [X.] die tatrichterliche Ermessensentscheidung über die anzuordnende Überprüfungsfrist nicht ersetzen kann.

Dose                                                      Vézina                                             Schilling

                         Nedden-Boeger                                         Botur

Meta

XII ZB 344/12

14.11.2012

Bundesgerichtshof 12. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Bonn, 18. Mai 2012, Az: 4 T 9/12

§ 26 FamFG, § 280 Abs 3 Nr 5 FamFG, § 286 Abs 3 FamFG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14.11.2012, Az. XII ZB 344/12 (REWIS RS 2012, 1435)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 1435

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

XII ZB 344/12 (Bundesgerichtshof)


XII ZB 39/18 (Bundesgerichtshof)

Betreuungsverfahren: Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde gegen eine einheitliche Beschwerdeentscheidung über einen beantragten Betreuerwechsel und einen Einwilligungsvorbehalt; …


XII ZB 208/19 (Bundesgerichtshof)

Bestellung eines Verfahrenspflegers in Betreuungssachen


XII ZB 135/19 (Bundesgerichtshof)

Betreuungssache: Auswirkungen des Ablaufs der festgesetzten Überprüfungsfrist auf die Fortgeltung der Betreuung; Überschreitung der vom …


XII ZB 256/10 (Bundesgerichtshof)

Betreuungsverfahren: Anforderungen an den Inhalt eines Sachverständigengutachtens


Referenzen
Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.