Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20.04.2023, Az. 1 StR 83/20

1. Strafsenat | REWIS RS 2023, 2389

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Gegenstand

Steuerhinterziehung wegen unberechtigter Geltendmachung von Vorsteuern


Tenor

1. Auf die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 18. Juli 2019 wird die Strafverfolgung gemäß § 154a Abs. 2 StPO auf den Vorwurf der Steuerhinterziehung beschränkt, soweit er sich auf die für die [X.] angemeldete Vorsteuer bezieht.

2. Die weitergehende Revision der Angeklagten wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass sechs weitere Monate der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe als vollstreckt gelten.

3. Die Beschwerdeführerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

1

Das [X.] hat die Angeklagte wegen Steuerhinterziehung in 17 Fällen, davon in drei Fällen wegen Versuchs, und wegen Insolvenzverschleppung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt, von der es sechs Monate aufgrund einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung für vollstreckt erklärt hat. Gegen ihre Verurteilung wendet sich die Beschwerdeführerin mit ihrer auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel führt zu einer Beschränkung der Strafverfolgung; im Übrigen ist es aus den Gründen der Antragsschrift des [X.] unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

2

1. Aus prozessökonomischen Gründen beschränkt der Senat mit Zustimmung des [X.] die Strafverfolgung gemäß § 154a Abs. 2, 1 Satz 1 Nr. 1 StPO auf den Vorwurf der Steuerhinterziehung, soweit er sich auf die von der Angeklagten für die [X.] ([X.]) erklärte Vorsteuer bezieht.

3

Hinsichtlich des von der Verfolgung ausgenommenen Vorwurfs der Hinterziehung von Umsatzsteuer in den Fällen 1 sowie 4 bis 10 der Urteilsgründe bestehen durchgreifende Bedenken, ob der Verkauf von Fahrzeugen durch die [X.]. und [X.]. an Dritte zu einer Steuerschuld der [X.] führte. Zwar erfüllten diese im Rahmen der betrügerischen Umsatzsteuerkette von der Angeklagten auf einer vorgelagerten Stufe der Lieferkette als [X.] eingesetzten Gesellschaften nur eine Strohmannfunktion, während tatsächlich die [X.] hinter den Verkäufen stand; jedoch traf die Angeklagte als Geschäftsführerin der [X.] insoweit keine Erklärungspflicht, weil es sich bei den [X.] nicht um lediglich zum Schein (vgl. § 41 Abs. 2 UStG) geschlossene „vorgeschobene“ [X.] handelte (vgl. [X.], Urteil vom 27. Oktober 2015 - 1 [X.], [X.]St 61, 28 Rn. 18 mwN). Die [X.] gingen davon aus, dass die Rechtswirkungen der Geschäfte zwischen ihnen und den verkaufenden Gesellschaften eintreten, so dass leistender Unternehmer im Sinne des Umsatzsteuergesetzes nicht die [X.], sondern der jeweilige [X.] war (vgl. nur [X.], Beschlüsse vom 23. August 2017 - 1 StR 33/17 Rn. 11 und vom 8. Juli 2014 - 1 StR 29/14 Rn. 10 f.); Steuerhinterziehungen zugunsten der [X.] waren nicht Gegenstand der Anklage.

4

Der Schuldspruch bleibt von der Verfolgungsbeschränkung unberührt, weil die Angeklagte in allen von der Beschränkung betroffenen Fällen für die [X.] unberechtigt Vorsteuern geltend machte.

5

2. Die Nachprüfung des Urteils hat im verbleibenden Umfang weder zum Schuld- noch zum Strafausspruch einen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten aufgedeckt. Insbesondere ist es - entgegen der Auffassung der Revision - für die Strafbarkeit der Angeklagten ohne Belang, welche Lieferungen im Rahmen der innergemeinschaftlichen [X.] im Zeitraum von 2006 bis 2008, an denen die in [X.] ansässigen (unbeteiligten) Veräußerer, die [X.] und die [X.] bzw. von der Angeklagten zwischengeschaltete Buffer beteiligt waren, jeweils nach § 4 Nr. 1 Buchst. b UStG umsatzsteuerfrei waren (vgl. dazu etwa [X.], Urteile vom 11. März 2020 - [X.], [X.]E 268, 364 Rn. 26 ff. und vom 25. Februar 2015 - [X.], [X.]E 249, 343 Rn. 31 ff.). Denn aufgrund ihrer Beteiligung an den betrügerischen Handlungen durfte die Angeklagte Vorsteuer für die [X.] auch dann nicht geltend machen, wenn die Warenbewegung der ersten Lieferung zuzuordnen ist und die [X.] daher steuerpflichtige Lieferungen bezog (vgl. [X.], Urteile vom 6. Juli 2006 - [X.]/04 und [X.]/04 - Kittel und Recolta Recycling Rn. 53 ff.; vgl. auch [X.], Urteile vom 6. Dezember 2012 - [X.]/11 - [X.] Rn. 37 ff. und vom 21. Juni 2012 - [X.]/11 und [X.]/11 - [X.] und [X.] Rn. 42, 45).

6

Die von der Revision beantragte Vorlage an den [X.] gemäß Art. 267 AEUV ist nicht veranlasst, weil eine Klärungsbedürftigkeit der von der Revision formulierten [X.] nicht besteht. Der [X.] hat bereits entschieden, dass der Vorsteuerabzug selbst dann zu versagen ist, wenn der Steuerpflichtige - wie hier die Angeklagte - wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich mit seinem Erwerb an einem Umsatz beteiligte, der in eine Umsatzsteuerhinterziehung einbezogen war, und nationale Rechtsvorschriften diesen Versagungsgrund nicht ausdrücklich normiert haben (vgl. [X.], Urteil vom 18. Dezember 2014 - [X.]/13, [X.]/13 und [X.]/13 - Schoenimport „Italmoda“ Rn. 62; vgl. auch schon [X.], Urteil vom 15. Mai 2018 - 1 [X.] Rn. 192 f.). Auch die Frage, ob der Steuerpflichtige oder andere Beteiligte in der Liefer- bzw. Dienstleistungskette in dem hier vorliegenden Betrugsfall im Sinne des [X.] durch den fraglichen Umsatz einen Steuervorteil erlangt haben muss bzw. müssen, hat der [X.] schon (verneinend) beantwortet (vgl. [X.], Urteil vom 11. November 2021 - [X.]/20 Rn. 57); insoweit fehlte es im Übrigen aber auch an der Entscheidungserheblichkeit, weil sich aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ergibt, dass der erlangte Vorteil der [X.] darin bestand, dass sie Vorsteuer für Lieferungen zog, für die weder sie noch ein anderer an der Umsatzsteuerkette Beteiligter Umsatzsteuer angemeldet und gezahlt hatte.

7

3. Die Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten hat trotz der Beschränkung der Strafverfolgung Bestand. Der Senat schließt aus, dass das [X.] ohne die ausgeschiedenen Teile auf niedrigere Einzelstrafen oder eine niedrigere Gesamtfreiheitsstrafe erkannt hätte. Denn auf der [X.] sind der Angeklagten die von der [X.]. und [X.]. als [X.] nicht abgeführten [X.] aus dem Verkauf der Fahrzeuge an Dritte unter dem Gesichtspunkt der verschuldeten Auswirkungen der Tat (§ 46 Abs. 2 StGB) zuzurechnen (vgl. [X.], Beschluss vom 26. Januar 2023 - 1 [X.]/22).

8

4. Die lange Dauer des Revisionsverfahrens rechtfertigt, sechs weitere Monate der verhängten Freiheitsstrafe als vollstreckt zu bestimmen.

Jäger    

        

Bellay    

        

Wimmer

        

Allgayer    

        

Munk    

        

Meta

1 StR 83/20

20.04.2023

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend BGH, 20. April 2023, Az: 1 StR 83/20, Beschluss

§ 370 AO, § 4 Nr 1 Buchst b UStG, § 41 Abs 2 UStG, § 46 Abs 2 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20.04.2023, Az. 1 StR 83/20 (REWIS RS 2023, 2389)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 2389

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