Bundesfinanzhof, Beschluss vom 15.01.2015, Az. X B 104/14

10. Senat | REWIS RS 2015, 17085

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Gegenstand

Inhaltliche Bestimmtheit und Auslegung einer Einspruchsentscheidung


Leitsatz

1. NV: Auch der Inhalt des Rubrums einer Einspruchsentscheidung ist nach den allgemein für Verwaltungsakte geltenden Regeln auslegungsfähig.

2. NV: Jedenfalls die Vorschrift des § 119 Abs. 1 AO, wonach Verwaltungsakte inhaltlich hinreichend bestimmt sein müssen, wird durch § 366 AO nicht verdrängt.

3. NV: Soweit in der Rechtsprechung gelegentlich die Aussage zu finden ist, bei der Auslegung behördlicher Erklärungen sei im Zweifel das den Betroffenen weniger belastende Ergebnis vorzuziehen, kann dies nur gelten, wenn überhaupt mehrere Auslegungsmöglichkeiten in Betracht kommen. Ist hingegen nur ein einziges --wenn auch vom buchstäblichen Ausdruck (§ 133 BGB) abweichendes-- Auslegungsergebnis denkbar, ist dies auch dann zugrunde zu legen, wenn es dem Erklärungsempfänger nachteilig ist.

Tatbestand

1

I. Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) zu 1. und 2. sind Eheleute, die im Streitjahr 2008 zur Einkommensteuer [X.] wurden. Sie sind Gesellschafter und Geschäftsführer der Klägerin und Beschwerdeführerin zu 3., einer Steuerberatungs-GmbH (im Folgenden auch als GmbH bezeichnet).

2

Weil die Kläger zu 1. und 2. ihre Einkommensteuererklärung für 2008 zunächst nicht abgaben, schätzte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --[X.]--) die Besteuerungsgrundlagen und setzte die Einkommensteuer 2008 mit [X.] vom 3. September 2009 auf 29.680 € fest. Im Einspruchsverfahren, in dem die GmbH für die Kläger zu 1. und 2. auftrat, reichten diese ihre Steuererklärung nach. Daraufhin setzte das [X.] die Einkommensteuer am 5. November 2009 zunächst auf 28.616 € und mit weiterem Teilabhilfebescheid vom 23. Januar 2012 auf 28.376 € herab. Im An- und Abrechnungsteil des zuletzt genannten [X.]s war nach Anrechnung der [X.] eine verbleibende Einkommensteuer von 8.145 € ausgewiesen.

3

Am 21. November 2013 gab das [X.] eine an die GmbH adressierte [X.] zur Post, die als "Teil-Einspruchsbescheid" bezeichnet war und den Vermerk "Durchschrift" enthielt. Auf der ersten Seite der [X.] ist die Steuernummer der Kläger zu 1. und 2. angegeben; das für die Angabe des [X.]en vorgesehene Feld enthält allerdings keine Eintragung. Der Tenor lautet: "Auf den Einspruch hin wird, soweit hierdurch über ihn entschieden wird, die Einkommensteuer 2008 von 8.145 € auf 6.844 € festgesetzt. Im Übrigen wird der Einspruch als unbegründet zurückgewiesen." Diese Beträge waren auch im Einleitungssatz der Entscheidungsgründe der Einspruchsentscheidung genannt. Demgegenüber war in einer der Einspruchsentscheidung beigefügten Anlage (Steuerberechnung), auf die in den Gründen der Einspruchsentscheidung verwiesen wurde, die festgesetzte Einkommensteuer mit 27.095 € angegeben. Der im Tenor der Einspruchsentscheidung genannte Betrag von 6.844 € entsprach ausweislich der Steuerberechnung der nach Anrechnung der [X.] verbleibenden Einkommensteuer. In dieser Anlage zur Einspruchsentscheidung sind die Kläger zu 1. und 2. namentlich genannt ("Anlage zur Einspruchsentscheidung für 2008 über Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag für Herrn und Frau ... "). In den Gründen der Einspruchsentscheidung wird dargestellt, in welchen Punkten das Einspruchsbegehren Erfolg bzw. keinen Erfolg hatte und über welchen Punkt das [X.] noch nicht entschieden hat.

4

Mit ihrer Klage begehrten die Kläger die Feststellung der Nichtigkeit der [X.]. Der [X.] sei weder angegeben noch durch Auslegung zu ermitteln. Das Finanzgericht ([X.]) wies die Klage der Kläger zu 1. und 2. als unbegründet ab. Es vertrat die Auffassung, die Einspruchsentscheidung sei ihnen gegenüber wirksam ergangen. Die gebotene Auslegung anhand der auf der ersten Seite der Einspruchsentscheidung angegebenen Steuernummer der Kläger zu 1. und 2. sowie der Bezeichnung ihrer Namen in der Anlage zur Einspruchsentscheidung führe eindeutig zu dem Ergebnis, dass sie die [X.]en seien. Die Klägerin zu 3. unterliege als GmbH nicht der Einkommensteuer und scheide daher als [X.]in eines Verwaltungsakts über Einkommensteuer offensichtlich aus. Auch die festgesetzte Steuer lasse sich der Steuerberechnung in der Anlage zur Einspruchsentscheidung eindeutig entnehmen.

5

Die Klage der Klägerin zu 3. verwarf das [X.] als unzulässig. Es fehle der GmbH an der erforderlichen Beschwer, weil sie nicht [X.]in der Einspruchsentscheidung sei.

6

Mit ihrer Beschwerde begehren die Kläger die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung und Divergenz.

7

Das [X.] hält die Beschwerde für unbegründet.

Entscheidungsgründe

8

II. 1. Die Beschwerde der Kläger zu 1. und 2. ist unbegründet.

9

Keiner der geltend gemachten Zulassungsgründe ist tatsächlich gegeben.

a) Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--) im Hinblick auf die von den Klägern formulierten Rechtsfragen zuzulassen.

aa) Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nach ständiger Rechtsprechung des [X.] ([X.]) zu, wenn die für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das (abstrakte) Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Außerdem muss die Rechtsfrage klärungsbedürftig und in einem künftigen Revisionsverfahren klärungsfähig sein (Senatsbeschluss vom 19. Januar 2011 [X.]43/10, [X.]/NV 2011, 636, unter II.1.).

[X.]) Die Rechtsfrage, ob das Rubrum einer Einspruchsentscheidung auslegungsfähig sei, ist nicht klärungsbedürftig. An der Klärungsbedürftigkeit fehlt es insbesondere, wenn die Rechtsfrage bereits durch den [X.] geklärt ist und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar sind, die eine erneute Prüfung und Entscheidung dieser Frage durch den [X.] geboten erscheinen lassen ([X.]-Beschluss vom 26. Oktober 2011 [X.]4/11, [X.]/NV 2012, 214, unter [X.], m.w.N.).

Nach dem Senatsurteil vom 29. Juli 1998 [X.] ([X.]E 186, 324, [X.] 1998, 742, unter [X.]) unterliegen auch [X.] den für Verwaltungsakte allgemein geltenden Auslegungsregeln. Diese Rechtsprechung wird durch die von den Klägern angeführten Literaturfundstellen nicht in Frage gestellt. Soweit es in einigen Kommentaren heißt, das Rubrum müsse die Beteiligten des [X.] aufführen (vgl. [X.] in [X.], [X.] § 366 Rz 15; [X.] in [X.]/[X.], Abgabenordnung, 2. Aufl., § 366 Rz 9), soll damit ersichtlich nicht die Auslegungsfähigkeit des [X.] ausgeschlossen werden. Vielmehr weisen dieselben Autoren --unter Anführung der einschlägigen höchstrichterlichen Rechtsprechung-- im jeweiligen Zusammenhang auch darauf hin, dass der Inhalt des [X.] unter Würdigung des gesamten Inhalts der Einspruchsentscheidung und der Gesamtumstände auszulegen ist (vgl. [X.] in [X.], [X.] § 366 Rz 14; [X.] in [X.]/[X.], a.a.[X.], § 366 Rz 3).

cc) Die weitere von den Klägern aufgeworfene Rechtsfrage, in welchem Umfang die Vorschriften des § 119 der Abgabenordnung ([X.]) auf eine Einspruchsentscheidung anwendbar sind, wäre teils in einem Revisionsverfahren im Streitfall nicht klärungsfähig, teils ist sie nicht klärungsbedürftig.

Nach § 119 Abs. 1 [X.] muss ein Verwaltungsakt inhaltlich hinreichend bestimmt sein. Gemäß Abs. 2 dieser Vorschrift kann ein Verwaltungsakt schriftlich, elektronisch, mündlich oder in anderer Weise erlassen werden. § 119 Abs. 3 [X.] enthält besondere Formvorschriften für schriftlich oder elektronisch erlassene Verwaltungsakte. Demgegenüber bestimmt § 366 [X.], dass die Einspruchsentscheidung schriftlich zu erteilen, zu begründen, mit einer Rechtsbehelfsbelehrung zu versehen und den Beteiligten bekannt zu geben ist.

Die Kläger verweisen für die Klärungsbedürftigkeit des Verhältnisses zwischen § 119 [X.] und § 366 [X.] auf eine einzelne Literaturfundstelle ([X.] in [X.]/[X.]/[X.], § 365 [X.] Rz 118), in der es heißt, § 119 [X.] sei auf [X.] nicht sinngemäß anwendbar, weil § 366 [X.] hierfür besondere Regeln bereithalte.

Indes enthält § 366 [X.] nur Formvorschriften (Schriftform, Begründungszwang, Rechtsbehelfsbelehrung, Bekanntgabe). Insoweit ist diese Vorschrift jedenfalls als Spezialregelung zu § 119 Abs. 2 [X.] (Grundsatz der Formfreiheit von steuerlichen Verwaltungsakten) anzusehen. Da derartige Formfragen durch den Streitfall aber nicht aufgeworfen werden, wäre das Verhältnis zwischen § 119 (Abs. 2) [X.] und § 366 [X.] insoweit im vorliegenden Verfahren nicht klärungsfähig.

Dass § 366 [X.] für [X.] eine Ausnahme von dem durch § 119 Abs. 1 [X.] allgemein angeordneten Erfordernis inhaltlich hinreichender Bestimmtheit enthalten könnte, wird --soweit ersichtlich-- von niemandem ausdrücklich vertreten. Vielmehr müssen auch [X.] --wie alle anderen [X.] einen bestimmten und der Befolgung fähigen Inhalt aufweisen, was schon aus dem Rechtsstaatsprinzip folgt. Davon unberührt bleibt, dass der Inhalt einer Einspruchsentscheidung nach einhelliger Auffassung (vgl. die unter [X.] angeführten Nachweise) auslegungsfähig ist.

b) Die Revision ist auch nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 [X.]O) wegen Divergenz zum [X.]-Urteil vom 18. Februar 1997 VII R 96/95 ([X.]E 182, 282, [X.] 1997, 339) zuzulassen.

In formaler Hinsicht fehlt es --wie das [X.] zutreffend anführt-- bereits an der Herausarbeitung eines abstrakten Rechtssatzes aus der angegriffenen vorinstanzlichen Entscheidung (vgl. zu diesem Erfordernis Senatsbeschluss vom 18. Januar 2011 [X.]34/10, [X.]/NV 2011, 813, unter 1.c, m.w.N.).

Eine Divergenz liegt aber auch tatsächlich nicht vor. In der angeführten [X.]-Entscheidung heißt es, bei der Auslegung behördlicher Erklärungen sei im Zweifel das den Betroffenen weniger belastende Ergebnis vorzuziehen, da der Erklärungsempfänger durch etwaige Unklarheiten aus der Sphäre der Verwaltung nicht benachteiligt werden dürfe ([X.]-Urteil in [X.]E 182, 282, [X.] 1997, 339, unter 2.a). Dies kann aber nur dann gelten, wenn überhaupt mehrere Auslegungsmöglichkeiten in Betracht kommen ("im Zweifel"). Demgegenüber war vorliegend angesichts der Angabe der Steuernummer der Kläger zu 1. und 2. auf dem ersten Blatt der Einspruchsentscheidung und der ausdrücklichen Nennung ihrer Namen im Kopf der Anlage zur Einspruchsentscheidung jedes andere Auslegungsergebnis als das vom [X.] zutreffend gefundene ausgeschlossen.

2. Die Beschwerde der Klägerin zu 3. ist unzulässig.

Es fehlt insoweit an der gemäß § 116 Abs. 3 [X.]O erforderlichen Beschwerdebegründung. Das [X.] hat die Klage, soweit sie von der Klägerin zu 3. erhoben worden war, als unzulässig verworfen, weil diese durch die [X.] nicht beschwert sei. Mit dieser Begründung des finanzgerichtlichen Urteils befassen sich die Kläger in ihrer Beschwerdebegründung nicht. Insbesondere machen sie nicht geltend, die [X.] könne selbst Inhaltsadressatin der zur Einkommensteuer ergangenen Einspruchsentscheidung sein.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 [X.]O.

4. Von einer weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 [X.]O ab.

Meta

X B 104/14

15.01.2015

Bundesfinanzhof 10. Senat

Beschluss

vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 22. Mai 2014, Az: 10 K 338/13, Urteil

§ 119 Abs 1 AO, § 119 Abs 2 AO, § 366 AO, § 133 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 15.01.2015, Az. X B 104/14 (REWIS RS 2015, 17085)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 17085

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