Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 03.07.2001, Az. VI ZR 418/99

VI. Zivilsenat | REWIS RS 2001, 2059

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[X.] DES VOLKESURTEIL[X.]Verkündet am:3. Juli 2001Holmes,[X.] Geschäftsstellein dem [X.]:ja[X.]Z: neinBGB § 823 Aa; ZPO § 286 [X.] Tatrichter darf einen groben Behandlungsfehler nicht ohne ausreichendeGrundlage in den medizinischen Darlegungen des Sachverständigen bejahen.[X.], Urteil vom 3. Juli 2001 - [X.] - [X.] am [X.]. Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche [X.] durch die Vorsitzende Richterin [X.], [X.]Dressler und [X.], die Richterin [X.] und [X.] Recht erkannt:Auf die Revision der [X.] wird das Urteil des [X.] [X.] vom [X.] aufgehoben.Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung,auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das [X.] zurückverwiesen.Von Rechts [X.]:Die 1962 geborene Klägerin verlangt Schadensersatz und Schmerzens-geld wegen der Folgen eines Narkosezwischenfalls. Sie unterzog sich am8. August 1993 in dem von der [X.] zu 3) betriebenen Krankenhaus in H.einer Kaiserschnittentbindung, die der ursprünglich mitbeklagte GynäkologeDr. [X.] unter Vollnarkose durchführte. Anästhesistin war die Beklagte zu 1). [X.] die Klägerin zunächst mit Sauerstoff und leitete um 10.10 Uhr [X.] ein. Etwa zwei Minuten später hörte sie bei der Auskultation beiderLungenseiten gleichmäßige spastische Atemgeräusche. Um 10.17 Uhr erfolgtedie Entbindung. Die Erstbeklagte nahm eine kurze Untersuchung des [X.] vor und stellte dessen [X.] fest. Bei der im Anschluß an die- 3 -Entbindung vorgenommenen Plazenta-Ablösung bemerkte Dr. [X.] eine [X.]. Die Erstbeklagte wandte sich wieder der Klägerin [X.] nahm um 10.25 Uhr eine Neuintubation vor. Um 10.28 Uhr alarmierte sieden Notdienst des Krankenhauses. Nach etwa zwei Minuten erschienen dieChefanästhesistin Dr. G und der Internist Dr. M.. Letzterer stellte eine starkeZyanose fest. Die Pupillen der Klägerin waren geweitet und reagierten nichtmehr auf Licht. Ihr Kreislauf war zusammengebrochen. Die Herzfrequenz sankauf 25 Schläge ab. [X.] leitete [X.] ein, die von dem [X.] hinzugekommenen Oberarzt Dr. E. fortgesetzt wurden. Nachdem Dr. [X.]bemerkte, daß der Magen der Klägerin [X.] war, überprüfte [X.] dieTubuslage. Sie fand den [X.] im Rachenraum vor der Luftröh-re liegend und schob den Tubus um 10.30 Uhr in die [X.]. Nach [X.] stellte sich alsbald eine Besserung der Herz- und Kreislaufwerteein.Die Klägerin erlitt als Folge der vorübergehenden Sauerstoffunterver-sorgung eine hochgradige Großhirnschädigung, aus der sich ein apallischesSyndrom entwickelte. Sie ist nicht mehr ansprechbar. Ein irgendwie gearteterKontakt mit ihr ist nicht möglich.Die Klägerin hat Ersatz von [X.] (Nachtwache durch ihrenVater) in Höhe von 37.384,80 DM, fiktive Haushaltsführungskosten (Betreuungihres Kindes) von monatlich 1.200,00 DM, ein angemessenes Schmerzensgeld(Vorstellung: 300.000 DM) sowie die Feststellung der Ersatzpflicht für künftigematerielle und immaterielle Schäden begehrt. Das [X.] hat der - alleinnoch gegen die [X.] zu 1) und 3) gerichteten - Klage überwiegend statt-gegeben und der Klägerin u.a. ein Schmerzensgeld von 500.000 DM zuer-kannt. Auf die Berufungen der [X.] hat das [X.] das- 4 -Schmerzensgeld auf 250.000 DM herabgesetzt. Mit ihrer Revision verfolgen die[X.] ihr Klageabweisungsbegehren weiter. Die Klägerin hat ihre Revisionzurückgenommen.Entscheidungsgründe:[X.] Berufungsgericht bejaht eine sowohl vertragliche als auch delikti-sche Haftung der [X.] für die gesundheitliche Schädigung der Klägerin.Es geht davon aus, daß innerhalb von zwei Minuten nach Beginn der [X.] - wahrscheinlich durch das [X.] von Magensaft in die Speiseröhre(Regurgation) und dessen Eindringen in den Bronchialraum - ein Bronchos-pasmus aufgetreten sei, der zu einer fortschreitenden Hypoxie geführt und ei-nen Herz- und Kreislaufstillstand zur Folge gehabt habe. Zwar sei eine Fehlin-tubation durch die Erstbeklagte nicht bewiesen. Eine stille Aspiration von [X.] könne nämlich auch bei fehlerfreier Intubation nicht ausgeschlossenwerden. Gegen eine fehlerhafte Erstintubation spreche auch, daß die [X.] Neugeborenen gut gewesen seien. Unstreitig habe auch die [X.] die [X.] nicht verursacht. Die von [X.] festgestellte feh-lerhafte Lage des [X.]s sei möglicherweise darauf zurückzu-führen, daß der Tubus bei der Herzmassage verrutscht sei. Der Erstbeklagtensei aber vorzuwerfen, die Klägerin nicht genügend beobachtet und überwachtzu haben; deswegen habe sie das tatsächliche Ausmaß der Symptome dessich entwickelnden Sauerstoffmangels nicht bemerkt und nicht rechtzeitig undausreichend erfolgversprechende Gegenmaßnahmen ergriffen. Sie habe sich- 5 -nicht bemüht, die Ursache für die kurz nach der [X.] sich ständig verschlimmernden Atemprobleme festzustellen, den Notdienstzu spät benachrichtigt und ihre Aufmerksamkeit für ein bis zwei Minuten [X.] statt der Klägerin gewidmet. Deren lückenlose Beobachtungwäre wegen der bestehenden Atemstörung und auch deshalb erforderlich ge-wesen, weil zur Überwachung weder ein Pulsoxymeter noch ein Kapnometerzur Verfügung gestanden hätten. Die verspätete Alarmierung des [X.] für den Schadenseintritt kausal. Es könne zwar nicht sicher gesagt werden,ob [X.] bei früherem Erscheinen nur eine Herzmassage vorgenommen oderandere wirksame Maßnahmen ergriffen hätte. Es sei aber jedenfalls nicht un-wahrscheinlich, daß eine frühere Benachrichtigung des Notdienstes die Schä-digung der Klägerin verhindert hätte. In der Gesamtbetrachtung sei der Erstbe-klagten ein grober Behandlungsfehler anzulasten. Dabei sei ergänzend in [X.] mit einzubeziehen, daß sie die Vitalparameter nicht oder nur unge-nügend dokumentiert habe. Der Umstand, daß das Anästhesieprotokoll nichtalle wichtigen Daten enthalte und daß hieran später auf Anweisung [X.] [X.] Korrekturen mit [X.] vorgenommen worden seien,zeige, daß die Dokumentation nicht ernst genug genommen worden sei.I[X.] Berufungsurteil hält den Angriffen der Revision nicht stand. Die [X.] getroffenen Feststellungen vermögen die Annahme einer Haftung der [X.] nicht zu tragen.1. Auch wenn das Berufungsgericht einerseits im Zuwarten der Erstbe-klagten mit der Alarmierung des Notdienstes bis 10.28 Uhr eine fikausale- 6 -Pflichtverletzungfl sieht, lassen seine weiteren Ausführungen erkennen, daß eslediglich nicht für unwahrscheinlich hält, daß eine frühere Benachrichtigung [X.] der Klägerin eingetretene Persönlichkeitszerstörung verhindert hätte [X.] die Haftung der [X.] im Wege der Beweislastumkehr auf einengroben Behandlungsfehler stützt. Hiergegen macht die Revision [X.] Ein grober Behandlungsfehler liegt nur dann vor, wenn der Arzt ein-deutig gegen bewährte ärztliche [X.] oder gesicherte medizini-sche Erkenntnisse verstoßen und einen Fehler begangen hat, der aus objekti-ver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Arzt schlechterdingsnicht unterlaufen darf (st.Rspr., vgl. [X.]Z 138, 1, 6; Senatsurteile vom 4. Okto-ber 1994 - [X.] - [X.], 46, 47; vom 19. November 1996 - [X.]/95 - [X.], 315, 316; vom 3. November 1998 - [X.] - [X.], 231, 232; vom 29. Mai 2001 - [X.]/00 - zur [X.] be-stimmt). Die Beurteilung, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, obliegt zwardem Tatrichter; dessen wertende Entscheidung muß aber auf ausreichendentatsächlichen Feststellungen beruhen, die sich auf die medizinische Bewertungdes [X.] durch den Sachverständigen stützen und aufdieser Grundlage die juristische Gewichtung des ärztlichen Vorgehens als grobbehandlungsfehlerhaft zu tragen vermögen. Es ist dem Tatrichter nicht gestat-tet, ohne entsprechende medizinische Darlegungen des Sachverständigen ei-nen groben Behandlungsfehler aus eigener Wertung zu bejahen (vgl. z.B.[X.]Z 138, 1, 6 f.; Senatsurteile vom 19. November 1996 - [X.] - aaO;vom 16. Mai 2000 - [X.] - [X.], 1146, 1148; sowie vom27. März 2001 - [X.] -, vom 29. Mai 2001 - [X.]/00 - und vom19. Juni 2001 - [X.]/00 - sämtlich zur [X.] bestimmt).- 7 -3. Die Revision beanstandet zu Recht, daß die Erwägungen des [X.]s diesen Grundsätzen nicht gerecht werden. Das Berufungsgerichtstützt sich bei seiner Bewertung in erster Linie auf die Größe der abzuwenden-den Gefahr und führt in diesem Zusammenhang aus, die Erstbeklagte hätte [X.] gehabt, daß kurze Störungen der Ventilation zu einer Hypoxie undsogar zum Tod der Klägerin führen konnten. Damit sei die Tatsache, daß siedie Klägerin nicht genau beobachtet und sich sogar für ein bis zwei Minuten ineiner sehr kritischen Phase von ihr abgewandt habe, ein fataler Fehler, dereiner Anästhesistin schlechthin nicht unterlaufen dürfe. Sie habe von ihr einzu-haltende medizinische Standards in einem besonders schwerwiegenden [X.]. Welche konkreten medizinischen Standards die Erstbeklagtemißachtet haben soll, hat das Berufungsgericht nicht näher dargelegt. Sie er-schließen sich auch nicht aus der im Berufungsurteil in Bezug genommenenBegutachtung des vom [X.] beauftragten Sachverständigen Prof.Dr. D.. Soweit dieser in seinem Ergänzungsgutachten vom 13. November 1996die Übernahme der Erstversorgung durch die Beklagte zu 1) als "problemati-sche Prioritätssetzung" bezeichnet hat, mag zwar - unter Berücksichtigung derbei der Klägerin zuvor aufgetretenen Atmungsprobleme - ein Behandlungsfeh-ler in Betracht zu ziehen sein. Die Annahme eines - aus medizinischer Sicht -eindeutigen Verstoßes gegen bewährte ärztliche [X.] läßt sichdaraus aber nicht herleiten, zumal weder der Gutachter noch das Berufungsge-richt eine statt dessen gebotene Handlungsalternative aufzeigen. Wie die [X.] in ihrer Berufungsbegründung unter Beweisantritt vorgetragen hat,gab es für die Erstbeklagte in dem Zeitraum, in dem diese mit der [X.] befaßt war, keinen unmittelbaren zusätzlichenHandlungsbedarf. Mit dieser Behauptung hat sich das Berufungsgericht verfah-rensfehlerhaft nicht auseinandergesetzt. Es hätte zumindest, wenn es bei der- 8 -Bewertung des angenommenen Behandlungsfehlers die Erstversorgung [X.] ausschlaggebend zum Nachteil der [X.] berücksichtigenwollte, dem zu diesem Punkt von der [X.]n gestellten Antrag entspre-chen müssen, den Sachverständigen Prof. Dr. D. zur (weiteren) [X.] schriftlichen Gutachtens zu laden (vgl. Senatsurteil vom 3. Juni 1986- VI ZR 95/85 - VersR 1986, 1079). Hierzu bestand um so mehr Anlaß, als diebisherige medizinische Beurteilung des Sachverständigen erkennbar nicht [X.] war, den Vorwurf eines groben Behandlungsfehlers zu stützen. [X.] Einschätzung durfte das Berufungsgericht mangels Ausweisung ent-sprechender eigener Sachkunde nicht abweichen (vgl. Senatsurteile vom19. November 1996 - [X.] - aaO, und vom 21. Januar 1997 - VI ZR86/96 - [X.], 510).4. Anhand der bisher getroffenen Feststellungen läßt sich auch nichtbeurteilen, ob eine Haftung der [X.] aus anderen Gründen gerechtfertigtist. So ist nicht festgestellt, ob die der Erstbeklagten vom Berufungsgericht an-gelastete unzureichende Beobachtung der Klägerin innerhalb der Zeitspannezwischen der Einleitung der Narkose und der Entbindung für die gesundheitli-che Schädigung (mit)ursächlich war. Mit Recht weist die Revision darauf hin,daß Feststellungen dazu fehlen, wann und auf welche Weise die Erstbeklagtedie beginnende Hypoxie in ihrem frühen Anfangsstadium (spätestens) hättewahrnehmen können. Ob die Erstbeklagte vor dem Eintreffen des herbeigeru-fenen [X.] die gräuliche Hautverfärbung und die Weitung der Pupil-len sowie die Zyanose bemerken konnte, hat das Berufungsgericht ausdrück-lich offengelassen. Es hat auch nicht festgestellt, welche Maßnahmen der [X.] ergriffen hätte, wenn er früher alarmiert worden wäre. Ob eine Herzmas-sage zu einem früheren Zeitpunkt indiziert gewesen wäre, müßte [X.] 9 -falls aufgeklärt werden. Die [X.] hat dies bestritten und auch dazu dieAnhörung des Sachverständigen Prof. Dr. D. beantragt.[X.] alledem konnte das Berufungsurteil keinen Bestand haben. Es [X.] aufzuheben und die Sache zur weiteren Sachaufklärung an das [X.] zurückzuverweisen.[X.] Dr. Dressler Dr. Grei-ner [X.] Pauge

Meta

VI ZR 418/99

03.07.2001

Bundesgerichtshof VI. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 03.07.2001, Az. VI ZR 418/99 (REWIS RS 2001, 2059)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2001, 2059

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