Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 22.08.2012, Az. 4 StR 308/12

4. Strafsenat | REWIS RS 2012, 3765

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 308/12

vom
22.
August
2012
in der Strafsache
gegen

wegen räuberischen
Diebstahls u.a.

-
2
-
Der 4.
Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des [X.] und des Beschwerdeführers am 22.
August 2012 gemäß §
349 Abs.
2 und 4 StPO beschlossen:

1.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Land-gerichts [X.] vom 29.
März 2012 mit Ausnahme der Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen aufgehoben.
2.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache
zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-tels, an eine andere [X.] des [X.] zurück-verwiesen.
3.
Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen Diebstahls in drei Fällen, Wohnungseinbruchsdiebstahls, räuberischen Diebstahls, gefährlicher Körper-verletzung, versuchten Diebstahls und versuchter Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt und seine Unterbringung in
einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die Revision des Angeklag-ten, mit der er allgemein die Verletzung materiellen Rechts rügt, hat den aus der [X.] ersichtlichen Erfolg.
1
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3
-
I.
1.
Nach den Feststellungen des [X.] zu den Anlasstaten ent-wendete der
unter umfassender Betreuung stehende Angeklagte in einem Fall den Inhalt zweier Briefkästen, die er zuvor aufgehebelt hatte.
In einem weiteren Fall nahm er in
einer Wohnung, in die er durch das offen stehende Schlafzim-merfenster eingestiegen war, zwei Geldbörsen mit Inhalt
an sich, um diese für sich zu behalten. In zwei Fällen entwendete er jeweils ein Navigationsgerät aus einem geparkten Pkw bzw. einem unverschlossen abgestellten Lkw. In einem weiteren Fall setzte er sich mit Gewalt gegenüber einem
Kaufhausdetektiv zur Wehr, der beobachtet hatte, wie der Angeklagte einen Pullover unter seiner Kleidung anzog, um diesen ohne Bezahlung mitzunehmen. Ferner
brachte er dem Bewohner eines Grundstücks, auf
dem er sich widerrechtlich aufhielt, durch zwei plötzliche
Messerstiche stark blutende Stichverletzungen bei. Im Fall
III.
6 der Urteilsgründe verschaffte sich der Angeklagte auf der Suche nach stehlenswerten Gegenständen durch eine nicht verschlossene Tür Zutritt zu einem Wohnhaus und setzte sich mit Schlägen und Tritten gegen seine Fest-nahme zur Wehr, nachdem
er vom Hauseigentümer überrascht worden war.
2. Die Entscheidung zur Frage der Schuldfähigkeit und zur Unterbrin-gung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus beruht auf [X.] Feststellungen und Erwägungen der insoweit sachverständig beratenen [X.]:
Der Angeklagte leidet unter einer Intelligenzminderung mit deutlich ver-langsamtem, inhaltsarmem
und teilweise sprunghaftem
Denken
von geringer logischer Konsistenz. Seine Fähigkeiten zur
Selbstreflexion, Selbstkritik, Reali-tätsprüfung und [X.] sind deutlich eingeschränkt. Bei
Bege-2
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4
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hung der festgestellten Taten war bei gegebener und erhalten gebliebener Ein-sichtsfähigkeit infolge seiner Intelligenzminderung seine Steuerungsfähigkeit im Sinne von §
21 StGB erheblich vermindert. Eine Psychose oder eine hirnorga-nische Erkrankung sowie eine tiefgreifende Bewusstseinsstörung lagen indes nicht vor. Nach Auffassung des [X.] besteht bei dem Angeklagten [X.] seines nicht besserungsfähigen oder heilbaren psychischen Zustandes ein erhebliches Rückfallrisiko für einschlägige Taten. Mit hoher Wahrscheinlich-keit seien ohne langfristig strukturierte Behandlung weitere erhebliche Strafta-ten zu erwarten, so dass der Angeklagte für
die Allgemeinheit gefährlich sei; dies gelte umso mehr,
als er die hier abgeurteilten Taten binnen kurzer [X.] habe. Die zu erwartenden Taten seien dabei als Folgewirkung des psy-chischen Zustandes des Angeklagten, einer Intelligenzminderung mit einherge-henden Verhaltensauffälligkeiten, anzusehen. Eine Aussetzung der Vollstre-ckung der Anordnung zur Bewährung im Sinne von §
67b Abs.
1 Satz
2 StGB
komme nicht in Betracht.
II.
Die Ausführungen des [X.] zur erheblich verminderten Schuld-fähigkeit als Grundlage für die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
1.
Die [X.] nach §
63 StGB setzt unter anderem die [X.] Feststellung eines länger andauernden, nicht nur vorübergehenden Defekts voraus, der zumindest eine erhebliche Einschränkung der Schuldfähigkeit im Sinne des §
21 StGB sicher begründet (st.
Rspr.; vgl. nur Senatsurteil vom 6.
März 1986

4
StR
40/86, [X.], 22, 26; Senatsbeschluss vom 5
6
-
5
-
6.
Februar 1997

4
StR
672/96, [X.], 385). Dabei erfolgt die richterliche Entscheidung, ob die Fähigkeit eines [X.], das Unrecht seiner Tat einzuse-hen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in §
20 StGB be-zeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert war, in einem aus mehreren Schritten bestehenden Verfahren (vgl. im Einzelnen [X.]/
[X.]/[X.]/[X.], NStZ 2005, 57). Zuerst ist die Feststellung erforderlich, dass beim Angeklagten eine psychische Störung vorliegt, die ein solches Aus-maß erreicht hat, dass sie unter eines der psychopathologischen Eingangs-merkmale des §
20 StGB zu subsumieren ist. Sodann sind der Ausprägungs-grad der Störung und deren Einfluss auf die [X.] Anpassungsfähigkeit des [X.] zu untersuchen. Durch die festgestellten psychopathologischen Verhal-tensmuster muss die psychische Funktionsfähigkeit des [X.] bei der [X.] beeinträchtigt worden sein. Dabei hat der Tatrichter bei der Entschei-dung über die Bejahung eines der [X.]e des §
20 StGB und bei der Annahme eingeschränkter Schuldfähigkeit nicht nur die Darlegungen des medizinischen Sachverständigen eigenständig zu überprüfen; er ist auch ver-pflichtet, seine Entscheidung in einer für das Revisionsgericht nachprüfbaren Weise zu begründen ([X.], Beschluss vom 7.
März 2006

3
StR
52/06,
[X.], 74).
Das abschließende Urteil über die Erheblichkeit der Ver-minderung von Einsichts-
oder Steuerungsfähigkeit ist als Rechtsfrage aus-schließlich Sache des Richters ([X.], Urteil vom
17.
April 2012

1 StR 15/12 mwN).
2.
Diesen Anforderungen genügen die Urteilsgründe hier nicht.
a)
Den [X.]
ist schon
nicht zu entnehmen, welches der psychopathologischen [X.]e des §
20 StGB das [X.] in der Person des
Angeklagten als gegeben ansieht. Die [X.] beschränkt 7
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6
-
sich im Urteil darauf mitzuteilen, der Angeklagte sei bei gegebener und erhalten gebliebener Einsichtsfähigkeit infolge seiner Intelligenzminderung
in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert im Sinne des §
21 StGB; eine Psy-chose, eine hirnorganische Erkrankung oder eine tiefgreifende Bewusstseins-störung hätten bei Begehung der Taten nicht vorgelegen.
b)
Da sich
das [X.] auf die Mitteilung des Ergebnisses der [X.] durch den psychiatrischen Sachverständigen be-schränkt, ist das als gegeben erachtete [X.] auch dem Gesamt-zusammenhang der Urteilsgründe nicht zu entnehmen. Zwar kann die hier vom [X.] angenommene Intelligenzminderung des Angeklagten grundsätz-lich die Annahme von Schwachsinn im Sinne des §
20 StGB rechtfertigen, die bloße Minderung der geistigen Leistungsfähigkeit begründet sie aber nicht (vgl. [X.], Urteil vom 31.
August 1994

2 StR 366/94, [X.]R StGB §
63 Zustand 17). Die Urteilsgründe verhalten sich jedoch nicht genauer zum Grad der beim Angeklagten vorhandenen Intelligenzminderung, die einerseits als leicht bis mit-telgradig ([X.]), an anderer Stelle als erheblich ([X.]) bezeichnet wird. Schon im Hinblick auf die denkbare Schwankungsbreite dieser Behinderung (vgl. etwa [X.], Beschluss vom 20.
Juli 2010

5 [X.] für die Diagnose "Schwach-sinn") sind die [X.] daher wenig aussagekräftig und für die revi-sionsgerichtliche Überprüfung unzureichend, zumal nicht mitgeteilt wird, ob und gegebenenfalls welche psychologischen Testverfahren der Beurteilung zu Grunde liegen. Ferner bleibt offen, in welchem Zusammenhang die [X.] mit den beim Angeklagten ebenfalls diagnostizierten Verhaltensauf-fälligkeiten steht.
c) Es kommt hinzu, dass die Ausführungen zu einer möglichen hirnorga-nischen Schädigung als Ursache der Intelligenzminderung in sich widersprüch-9
10
-
7
-
lich sind. Zum einen nimmt die [X.] an, ursächlich für die leichte bis mittelgradige Intelligenzminderung des Angeklagten sei "mutmaßlich" ein ge-burtsbedingter frühkindlicher Hirnschaden ([X.]), an anderer Stelle -
ebenfalls im Zusammenhang mit der beim Angeklagten vorliegenden [X.] -
wird das Vorliegen einer hirnorganischen Erkrankung verneint (UA 12).
3.
Danach ist weder sicher feststellbar, von welcher Alternative des §
21 StGB das [X.] ausgegangen ist, noch, ob
nicht §
20 StGB anwendbar ist. Sowohl der Schuldspruch als auch die Anordnung nach §
63 StGB können daher mangels eindeutiger Feststellungen keinen Bestand haben. Die Beurtei-lung der Schuldfähigkeit des Angeklagten als Grundlage für die Anordnung der Maßregel bedarf insgesamt neuer Prüfung durch den Tatrichter. Die [X.] zum äußeren Tatgeschehen sind von dem Rechtsfehler indes nicht be-troffen und können bestehen bleiben. Ergänzende Feststellungen sind möglich.
Mutzbauer Roggenbuck Franke

Quentin

Reiter
11

Meta

4 StR 308/12

22.08.2012

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 22.08.2012, Az. 4 StR 308/12 (REWIS RS 2012, 3765)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 3765

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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1 StR 15/12

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