Bundesfinanzhof, Urteil vom 11.12.2012, Az. VII R 69/11

7. Senat | REWIS RS 2012, 576

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Gegenstand

Unterlassungsklage und Feststellungsklage gegen Vollstreckung aus einem Beitreibungsersuchen


Leitsatz

1. NV: Die Unterlassung weiterer Vollstreckungsmaßnahmen aus einem Beitreibungsersuchen ist vorrangig im Wege des einstweiligen Rechtschutzes durch Anträge auf Aussetzung der Vollziehung (§ 69 FGO) bzw. einstweilige Anordnung (§ 114 FGO) zu verfolgen. Das für eine Unterlassungsklage erforderliche besonders intensive Rechtschutzinteresse setzt die substantiierte Darlegung einer Rechtsverletzung durch eine bestimmte, künftig zu erwartende Maßnahme voraus, zusätzlich muss ein Abwarten der tatsächlichen Rechtsverletzung unzumutbar sein, weil die Rechtsverletzung dann nicht oder nur schwerlich wiedergutgemacht werden könnte.  

2. NV: Eine auf Feststellung der Rechtswidrigkeit bereits ergriffener Vollstreckungshandlungen gerichtete Klage ist wegen Subsidiarität der Feststellungsklage gegenüber einer Anfechtungsklage grundsätzlich unzulässig.  

3. NV: Eine Klage auf Feststellung der Rechtswidrigkeit einer künftigen Vollstreckung, weil ein Beitreibungsersuchen keine wirksame Vollstreckungsgrundlage darstelle, ist unzulässig, wenn die Rechtmäßigkeit dieses Ersuchens bereits als Vorfrage in einem anhängigen Klageverfahren gegen eine bereits ergriffene Vollstreckungsmaßnahme zu klären ist.

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist als Rechtsanwalt in [X.] und [X.] geschäftsansässig und Gesellschafter-Geschäftsführer einer [X.] Gesellschaft. Wegen nicht [X.] Steuerschulden dieser Gesellschaft nahm das Finanzamt für Steuererhebung auf den [X.] ([X.] [X.]) den Kläger mit Haftungsbescheid vom 19. November 2007 in Anspruch. Die dagegen eingelegte Steuerbeschwerde und die beim Finanzgericht der [X.] ([X.] [X.]) erhobene Klage hatten keinen Erfolg. Nach seinen unbelegten Angaben hat der Kläger gegen dieses Urteil [X.] zum [X.] eingelegt. Zum Stand des von der [X.] den Steuerbescheid in Anspruch genommenen Rechtsschutzes hat sich der Kläger nicht geäußert.

2

Nachdem der Kläger auf den Haftungsbescheid nicht gezahlt hatte, erließ das Regionalfinanzamt der [X.] am 1. Februar 2008 eine Vollstreckungsanordnung, die dem Rechtsanwalt des [X.] am 15. Februar 2008 zugestellt wurde.

3

Mit E-Mail vom 22. Juni 2009 übersandte die Staatsbehörde für Steuerverwaltung in [X.] über das [X.]/[X.] an das [X.] (BZSt) elektronisch ein [X.]. Der E-Mail waren die Vollstreckungsanordnung im PDF-Format und das Formular "Ersuchen um Beitreibung gemäß Art. 6 der Richtlinie 2008/55/[X.]" im [X.] angefügt. Das BZSt leitete die E-Mail an die [X.] und diese sandte sie dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --[X.]--) zu.

4

Das [X.] erließ aufgrund dieses Ersuchens am 24. Juli 2009 eine Zahlungsaufforderung. Dagegen legte der Kläger Einspruch ein und beantragte Aussetzung der Vollziehung (AdV). Mit Schreiben vom 31. August 2009 holte das [X.] die vom Kläger beanstandeten Angaben nach und lehnte die AdV ab. Über den Einspruch ist bislang nicht entschieden.

5

Unter dem 27. August 2009 pfändete das [X.] bei sich selbst als Drittschuldner Steuererstattungsansprüche des [X.] zur Beitreibung der Forderung der [X.] Steuerbehörde und ordnete die Einziehung an. Gegen die Pfändungs- und Einziehungsverfügung legte der Kläger Einspruch ein und beantragte insoweit [X.]

6

Auf Antrag des [X.] gewährte das Finanzgericht ([X.]) AdV gegen Sicherheitsleistung, weil es wegen der elektronischen Übermittlung Zweifel an der Rechtmäßigkeit "des [X.]" hatte. Auf die Beschwerde des [X.] hob der [X.] ([X.]) diesen Beschluss auf und lehnte den Antrag auf AdV ab. Die Zahlungsaufforderung sei kein Leistungsgebot; dieses sei bereits mit dem [X.] Haftungsbescheid verbunden gewesen.

7

Die auf Unterlassung der weiteren Vollstreckung der Haftungsschuld, hilfsweise Feststellung der Rechtswidrigkeit der Vollstreckung aus dem [X.] erhobene Klage blieb erfolglos. Im Klageverfahren hat die [X.] Steuerbehörde die Vollstreckungsanordnung vom 1. Februar 2008 in Papierform übersandt.

8

Das [X.] wies die Unterlassungsklage als unzulässig ab, weil der Kläger nicht konkret dargelegt habe, welche irreparablen Nachteile ihm drohten, wenn das [X.] weitere Vollstreckungsmaßnahmen ergreife und er dann dagegen Einspruch einlegen bzw. nachfolgend Anfechtungsklage erheben und zugleich AdV beantrage. Auch die Klage auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der bereits ergriffenen Vollstreckungsmaßnahmen hielt es für unzulässig, weil sie subsidiär zu Einspruch und Anfechtungsklage sei. Dagegen sah es die Feststellungsklage mit dem Ziel, die Rechtswidrigkeit weiterer, noch nicht durchgeführter Vollstreckungsmaßnahmen wegen Mängeln des [X.]s festzustellen, insbesondere wegen des Gebots effektiven Rechtsschutzes als zulässig an, wies sie aber als unbegründet ab.

9

Das [X.] hat die Revision u.a. zur Klärung der Frage zugelassen, ob und ggf. mit welcher Klageart Einwendungen gegen die Rechtmäßigkeit der [X.] insgesamt geltend gemacht werden können, auch wenn konkret drohende irreparable Schäden durch eine bevorstehende Vollstreckung nicht vorgetragen werden. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2012, 482 veröffentlicht.

Mit seiner Revision wendet sich der Kläger im Wesentlichen gegen die Ausführungen des [X.] zur Unbegründetheit der vorbeugenden Feststellungsklage.

Der Kläger beantragt, das Urteil des [X.] aufzuheben und das [X.] zu verurteilen, weitere Vollstreckungsmaßnahmen aus dem [X.] des Regionalfinanzamtes der [X.] zu unterlassen, hilfsweise festzustellen, dass die Vollstreckung aus dem [X.] rechtswidrig ist.

Das [X.] beantragt, die Revision zurückzuweisen. Es schließt sich im Wesentlichen den Ausführungen des [X.] an und stellt darüber hinaus in Frage, inwiefern den Finanzbehörden die Prüfung des ordre public obliege, ob diese nicht vielmehr den Gerichten überlassen sei.

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist unbegründet. Das Urteil des [X.] verletzt zwar Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--), soweit die vorbeugende Feststellungsklage als unbegründet, statt als unzulässig zurückgewiesen worden ist. Es hat aber Bestand, weil der [X.] richtig ist (§ 126 Abs. 4 [X.]O; vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 126 Rz 8, m.w.N.).

1. Das [X.] hat den Hauptantrag des [X.] zu Recht als Unterlassungsklage gewertet und als unzulässig angesehen.

Der Kläger will mit dem Antrag erreichen, dass das [X.] weitere Vollstreckungsmaßnahmen aufgrund des [X.] [X.]s unterlässt. Für einen solchen vorbeugenden Rechtsschutz ist angesichts des [X.] der [X.]O ein besonders intensives Rechtsschutzinteresse Voraussetzung [X.] in [X.]/[X.]/[X.], § 40 [X.]O Rz 146). Geht es darum, eine behördliche Maßnahme abzuwehren, bietet die [X.]O dem Rechtssuchenden neben Einspruch und Anfechtungsklage einstweiligen Rechtsschutz durch Aussetzung der Vollziehung (§ 69 [X.]O) bzw. einstweilige Anordnung (§ 114 [X.]O). Für eine Unterlassungsklage ist nur dann Raum, wenn das erstrebte Schutzziel mit diesen Rechtsbehelfen nicht erreicht werden kann, wenn also substantiiert und in sich schlüssig dargetan wird, durch ein bestimmtes, künftig zu erwartendes Handeln einer Behörde in den Rechten verletzt zu sein, und ein Abwarten der tatsächlichen Rechtsverletzung unzumutbar ist, weil die Rechtsverletzung dann nicht oder nur schwerlich wiedergutzumachen ist (BFH-Urteile vom 27. Oktober 1993 I R 25/92, [X.], 488, [X.] 1994, 210; vom 19. März 1998 VII R 73/97, [X.], 179, [X.] 1998, 861).

Nach den für den Senat bindenden Feststellungen des [X.] (§ 118 Abs. 2 [X.]O) hat der Kläger nicht dargelegt, welche irreparablen Nachteile ihm drohten, wenn er gegen weitere Vollstreckungsmaßnahmen des [X.] mit Einspruch, Klage und Aussetzungsantrag vorginge. Auch mit der Revision macht der Kläger allgemein "drohende Eingriffe in die Eigentums- und Vermögenspositionen" geltend. Inwieweit dadurch nicht wiedergutzumachende Schäden zu erwarten wären, hat er nicht dargelegt.

2. Die Unzulässigkeit der auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der bereits ergriffenen Vollstreckungshandlungen gerichteten Klage hat das [X.] zutreffend mit der in § 41 Abs. 2 Satz 1 [X.]O angeordneten Subsidiarität der Feststellungsklage gegenüber einer Anfechtungsklage begründet.

3. Entgegen der Rechtsauffassung des [X.] ist die Klage, soweit mit ihr die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer künftigen Vollstreckung aus dem [X.] erreicht werden soll, ebenfalls nicht zulässig. Der Kläger hat kein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung des Rechtsverhältnisses i.S. des § 41 Abs. 1 [X.]O. Das danach erforderliche Feststellungsinteresse ist eine besondere Erscheinungsform des allgemeinen [X.]. Deshalb ist die Feststellungsklage nicht gegeben, wenn der Kläger sein Prozessziel auf anderem Wege schneller, einfacher und billiger erreichen kann (vgl. Senatsurteil vom 23. November 1993 VII R 56/93, [X.], 201, [X.] 1994, 356, m.w.N.).

Im Streitfall will der Kläger im [X.] die Feststellung erreichen, dass das [X.] [X.] keine wirksame [X.] darstellt. Die Frage der Rechtmäßigkeit dieses Ersuchens stellt sich aber als Vorfrage schon in dem vom Kläger angestrengten Klageverfahren gegen die Pfändungs- und Einziehungsverfügung, so dass ein weiteres Klageverfahren unnötigen Doppelaufwand bedeutete. Es ist kein Grund dafür ersichtlich, diese Frage losgelöst von der konkreten, bereits getroffenen Vollstreckungsmaßnahme zu klären.

Anders könnte sich die Zulässigkeit der Feststellungsklage darstellen, wenn eine Vollstreckung aus dem umstrittenen [X.] erstmalig bevorstünde. Für diesen Fall könnten die Erwägungen, die das [X.] bewogen haben, die Zulässigkeit zu bejahen, berechtigt sein. Denn dann wäre in der Tat zu erwägen, ob das Gebot effektiven Rechtsschutzes eine gerichtliche Klärung der [X.] im Vorhinein jedenfalls dann erfordert, wenn die zu erwartenden Vollstreckungsmaßnahmen über die reine Geldleistung hinausgehende einschneidende Beeinträchtigungen mit sich brächten, vor welchen eine AdV der Vollstreckungsmaßnahmen nicht schützen könnte.

Ein solcher Sachverhalt lag offenbar dem vom [X.] herangezogenen Senatsurteil vom 3. November 2010 VII R 21/10 ([X.], 500, [X.] 2011, 401) zugrunde. Denn in dem dortigen Fall war die Frage, ob ein [X.] wegen Verstoßes gegen den ordre public zur Rechtswidrigkeit einer Vollstreckungsmaßnahme führen könnte, im Zusammenhang mit der Androhung einer Bürgschaftsverwertung, also vor Beginn der Vollstreckung, zu klären. Zwar hat sich der Senat zur Zulässigkeit der Feststellungsklage nicht ausdrücklich geäußert. Allerdings ist davon auszugehen, dass inzident die Zulässigkeit der Feststellungsklage bejaht wurde. Der Kläger konnte nicht auf die Anfechtung einer bereits ergangenen Vollstreckungsmaßnahme verwiesen werden, so dass die Feststellungsklage wohl als der gebotene Rechtsschutz angesehen wurde. Diesem Urteil kann --anders als das [X.] meint-- nicht entnommen werden, dass die vorbeugende Feststellungklage zur Klärung von [X.] stets zulässig ist, also auch, wenn --wie im vorliegenden [X.] die Klärung der Rechtsfrage im Anfechtungsverfahren --und dort vorrangig-- möglich ist.

Auch das vom [X.] für die Zulässigkeit der Feststellungklage vorgebrachte weitere Argument, dass es im Fall einer vor einer ersten Vollstreckungsmaßnahme erlassenen einstweiligen Anordnung gegen das [X.], die Vollstreckung zu unterlassen, nie zu einer Anfechtungsklage kommen könne, in der die Einwendungen gegen die [X.] geprüft werden könnten, ist in der eben beschriebenen Konstellation des [X.], in dem bereits vollstreckt worden ist, nicht einschlägig.

4. Im Übrigen wäre die Zulassung einer Feststellungklage bei gleichzeitiger Unzulässigkeit der Unterlassungsklage im Streitfall widersprüchlich. Besteht nämlich kein Rechtsschutzinteresse für die Unterlassungsklage, weil nach den Feststellungen des [X.] für den Kläger mit der Möglichkeit, im Zeitpunkt der Vornahme einer Vollstreckungsmaßnahme eine AdV zu erwirken, ausreichender Rechtsschutz besteht, so spricht dieser Gesichtspunkt auch gegen das besondere Feststellunginteresse i.S. des § 41 Abs. 1 [X.]O.

Meta

VII R 69/11

11.12.2012

Bundesfinanzhof 7. Senat

Urteil

vorgehend FG Hamburg, 26. Oktober 2011, Az: 3 K 205/10, Urteil

§ 40 FGO, § 41 Abs 1 FGO, § 69 FGO, § 114 FGO, § 41 Abs 2 S 1 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 11.12.2012, Az. VII R 69/11 (REWIS RS 2012, 576)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 576

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