Bundesverfassungsgericht, Stattgebender Kammerbeschluss vom 30.06.2011, Az. 1 BvR 367/11

1. Senat 2. Kammer | REWIS RS 2011, 5192

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Stattgebender Kammerbeschluss: Unvertretbare zivilgerichtliche Entscheidung verletzt Willkürverbot - zivilrechtlicher, nach der FzgVerwGebO BY 2002 bemessener Kostenerstattungsanspruch aus GoA gegen Eigentümer eines Unfallfahrzeugs nach polizeilicher Beauftragung eines Abschleppunternehmers


Tenor

1. Das Endurteil des [X.] vom 11. Oktober 2010 - 21 U 5525/09 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes. Das Urteil wird aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen.

2. ...

3. Der Gegenstandswert wird auf 8.000 € (in Worten: achttausend Euro) festgesetzt.

Gründe

1

1. Der Beschwerdeführer erlitt im Juli 2006 mit seinem Auto einen Verkehrsunfall. Ein von der Polizei beauftragter [X.], der Beklagte und Widerkläger des Ausgangsverfahrens (nachfolgend: der Beklagte), verbrachte das Unfallfahrzeug auf sein Betriebsgelände und forderte den Beschwerdeführer auf, Abschlepp- und Standkosten zu zahlen; vorher werde er das Auto nicht herausgeben. Der Beschwerdeführer verweigerte die Zahlung und erhob Klage auf Herausgabe seines Pkws und Schadensersatz wegen Nutzungsausfalls.

2

Das [X.] verurteilte den Beklagten mit Urteil vom 13. Oktober 2009, das Fahrzeug Zug um Zug gegen Zahlung von 1.618,20 € nebst Zinsen herauszugeben. Auf die Widerklage des Beklagten verurteilte es den Beschwerdeführer zudem zur Zahlung der 1.618,20 € nebst Zinsen.

3

Das [X.] wies die Berufung des Beschwerdeführers zunächst durch Versäumnisurteil zurück, gegen das der Beschwerdeführer rechtzeitig Einspruch einlegte.

4

Mit dem angegriffenen Urteil hielt das [X.] das Versäumnisurteil mit der Maßgabe aufrecht, dass das Urteil des [X.]s dahingehend abgeändert werde, dass an Stelle des Betrages von "€ 1.618,20" jeweils der Betrag von "€ 1.079,96" trete. Zur Begründung führte das [X.] aus, im Verhältnis zwischen Polizei und Beschwerdeführer liege ein Fall der Geschäftsführung ohne Auftrag vor. Der daraus folgende Kostenerstattungsanspruch stehe grundsätzlich nur der Polizei zu. Der Senat sei allerdings zu der Überzeugung gelangt, dass die Polizei den Kostenerstattungsanspruch gleichzeitig mit seiner Beauftragung konkludent an den Beklagten abgetreten habe. Dafür spreche die praktische Handhabung, "das Abschleppen bei gleichzeitiger Abtretung der Ansprüche gegen den 'Abgeschleppten' (…) abzuwickeln". Zum Beleg für die Auffassung, dass der Polizei ein Anspruch aus Geschäftsführung ohne Auftrag erwachse und eine konkludente Abtretung des Anspruchs bei Beauftragung des [X.]s anzunehmen sei, verwies das [X.] lediglich auf die Erläuterungen bei Randnummer 22 zu Art. 76 des Gesetzes über die Aufgaben und Befugnisse der [X.] (Polizeiaufgabengesetz - [X.]) im Kommentar von Berner/[X.]/[X.] (Polizeiaufgabengesetz, 20. Aufl. 2010). Die - im Verhältnis zum landgerichtlichen Urteil geringere - Höhe der erstattungsfähigen Kosten ergebe sich aus der Verordnung des [X.] über Gebühren und Auslagen für die Verwahrung von Fahrzeugen durch die Polizei vom 15. Januar 2002 (FVGebO).

5

2. Der Beschwerdeführer rügt mit seiner Verfassungsbeschwerde unter anderem die Verletzung seines Grundrechts aus Art. 3 Abs. 1 GG.

6

3. Der Beklagte des Ausgangsverfahrens sowie das [X.] hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.

II.

7

[X.] nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt.

8

1. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 3 Abs. 1 GG angezeigt. Die Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 [X.] für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor. Die für die Beurteilung maßgeblichen Fragen sind durch das [X.] bereits geklärt (vgl. [X.] 80, 48 <51>; 81, 132 <137>). Die Verfassungsbeschwerde ist zudem offensichtlich begründet.

9

2. In der Rechtsprechung des [X.]s ist geklärt, dass ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Bedeutung als Willkürverbot nicht schon dann vorliegt, wenn die Rechtsanwendung oder das eingeschlagene Verfahren Fehler enthalten. Hinzukommen muss vielmehr, dass Rechtsanwendung oder Verfahren unter keinem denkbaren Aspekt mehr rechtlich vertretbar sind und sich daher der Schluss aufdrängt, dass die Entscheidung auf sachfremden und damit willkürlichen Erwägungen beruht (vgl. [X.] 80, 48 <51>; 87, 273 <278 f.>; 89, 1 <13 f.>).

Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Das [X.] hat die Rechtslage in krasser Weise verkannt. Es hat ohne nähere Erläuterung und in Widerspruch zur Rechtsprechung des [X.] einen Anspruch aus Geschäftsführung ohne Auftrag angenommen und hierzu lediglich auf eine Kommentarstelle verwiesen, die diese Auffassung nicht stützt. Zudem ist die angegriffene Entscheidung in sich widersprüchlich, soweit das [X.] eine privatrechtliche Vereinbarung zwischen der Polizei und dem Beklagten annimmt, den hieraus resultierenden Entgeltanspruch jedoch nach der Gebührenordnung zur [X.] berechnet, der auf die Verwahrung von Fahrzeugen durch die Polizei Anwendung findet. Im Ergebnis drängt sich daher der Schluss auf, dass die Entscheidung auf sachfremden Erwägungen beruht.

a) Das [X.] hat für das Verhältnis zwischen Polizei und Beschwerdeführer einen Fall der Geschäftsführung ohne Auftrag angenommen und festgestellt, dass der daraus folgende Kostenerstattungsanspruch grundsätzlich nur der Polizei zustehe. Eine über diese Feststellung hinausgehende rechtliche Auseinandersetzung findet sich nicht, obschon eine solche nahe gelegen hätte. Nach der Rechtsprechung des [X.] enthalten die Vorschriften des [X.] Polizeirechts über die unmittelbare Ausführung einer Maßnahme und die Ersatzvornahme einschließlich der dazugehörenden Bestimmungen über die Erhebung von Kosten eine erschöpfende Sonderregelung, die in diesem Bereich einen Anspruch des Trägers der Polizei aus Geschäftsführung ohne Auftrag ausschließt (vgl. [X.], 394 <398 ff.>). Im vorliegenden Fall gingen das [X.] wie auch das [X.] von einem Tätigwerden der Polizei zur Gefahrenabwehr aus. Unabhängig davon, ob in dem Abschleppen des Fahrzeugs eine Ersatzvornahme nach Art. 55 [X.] oder eine unmittelbare Ausführung nach Art. 9 [X.] zu sehen ist, wäre damit jedenfalls nach der Rechtsprechung des [X.] wie auch nach der herrschenden Lehre (wenn auch zum Teil mit anderer Begründung, vgl. hierzu [X.], Die Geschäftsführung ohne Auftrag auf dem Rückzug - Das Ende des "auch fremden" Geschäfts?, NJW 2010, S. 1243 ff.; [X.], Privatrechtliche Geschäftsführung ohne Auftrag durch die Ordnungsbehörden?, [X.], [X.] ff.; [X.], Geschäftsführung ohne Auftrag zum Zwecke der Gefahrenabwehr, in: Planung - Steuerung - Kontrolle, Festschrift für [X.], 2006, S. 529 <531 ff.>) ein Anspruch der Polizei gegen den Beschwerdeführer aus Geschäftsführung ohne Auftrag - ungeachtet der Frage nach dessen Abtretbarkeit - nicht in Betracht gekommen. Zwar stellt ein Abweichen von der höchstrichterlichen Rechtsprechung für sich genommen noch keinen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG dar, vorliegend treten jedoch weitere Umstände hinzu.

b) So geht die angegriffene Entscheidung - trotz der entgegenstehenden höchstrichterlichen Rechtsprechung - ohne eine eigene rechtliche Begründung von der Anwendbarkeit der Regeln der Geschäftsführung ohne Auftrag aus. Eine nachvollziehbare Begründung stellt auch der Hinweis auf den Kommentar zum Polizeiaufgabengesetz nicht dar; denn dort ist gerade nicht von einem Anspruch aus einer privatrechtlichen Geschäftsführung ohne Auftrag und einem - wie das [X.] formuliert - "daraus folgenden Kostenerstattungsanspruch" die Rede, sondern von einem Kostenerstattungsanspruch der Behörde, die diesen per Leistungsbescheid festsetze, wobei der beauftragte Privatunternehmer bei Entgegennahme des Geldes als Bevollmächtigter handeln könne. An anderer Stelle - in Randnummer 14 zu Art. 9 [X.] - schließt der in Bezug genommene Kommentar zudem ausdrücklich einen Kostenerstattungsanspruch aufgrund Geschäftsführung ohne Auftrag im Falle einer unmittelbaren Ausführung aus.

c) Schließlich ist die angegriffene Entscheidung insoweit in sich widersprüchlich, als sie ausdrücklich von einem privatrechtlichen Vertragsverhältnis des Beklagten zur Polizei ausgeht, die Höhe des Erstattungsanspruchs jedoch nach der Verordnung über Gebühren und Auslagen für die Verwahrung von Fahrzeugen durch die Polizei bestimmt. Unabhängig davon, ob man im Tätigwerden der Polizei durch Beauftragung eines [X.]s eine privatrechtliche oder öffentlich-rechtliche Geschäftsführung ohne Auftrag erblickt, ergibt sich für den Geschäftsführer aus §§ 677, 683, 670 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ([X.]) ein Anspruch nach § 257 [X.] auf Befreiung von der Verbindlichkeit, die durch die Beauftragung des Beklagten entstanden ist. Mit der Abtretung des [X.] an den Gläubiger - hier den Beklagten - wandelt sich dieser in einen Zahlungsanspruch um (vgl. [X.], 136 <141>). Weshalb sich daher die Höhe der aus der privatrechtlichen Vereinbarung zwischen Polizei und Beklagtem ergebenden Verbindlichkeit der Polizei, also der Werklohnanspruch des [X.]s, aus der öffentlich-rechtlichen Gebührenordnung zur [X.] ergeben soll, wird in der angegriffenen Entscheidung nicht erläutert und lässt sich nicht nachvollziehen.

d) Aus den vorstehenden Gründen drängt sich der Schluss auf eine an sachfremden Erwägungen orientierte Entscheidung auf. Es entsteht der Eindruck, dass das [X.] den Beschwerdeführer aufgrund seiner Eigenschaft als Störer und Verursacher der Abschleppmaßnahme lediglich aufgrund einer vermeintlich besseren "praktischen Handhabung" für die entstandenen Kosten haftbar machen wollte und hierüber die Notwendigkeit einer genauen Prüfung der rechtlichen Voraussetzungen aus dem Blick verloren hat.

3. Die angegriffene Entscheidung beruht auch im Ergebnis auf diesen sachfremden Erwägungen und somit auf dem festgestellten Verfassungsverstoß. Das Urteil war daher nach § 95 Abs. 2 [X.] aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das [X.] zurückzuverweisen.

4. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers folgt aus § 34a Abs. 2 [X.].

Meta

1 BvR 367/11

30.06.2011

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 2. Kammer

Stattgebender Kammerbeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend OLG München, 11. Oktober 2010, Az: 21 U 5525/09, Urteil

Art 3 Abs 1 GG, § 670 BGB, § 677 BGB, § 683 BGB, § 93c Abs 1 S 1 BVerfGG, FzgVerwGebO BY 2002, Art 55 PolAufgG BY, Art 9 PolAufgG BY

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Stattgebender Kammerbeschluss vom 30.06.2011, Az. 1 BvR 367/11 (REWIS RS 2011, 5192)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 5192

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
Wird zitiert von

10 ZB 17.807

StB 32/20

8 ZB 22.1469

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