Bundesfinanzhof, Urteil vom 28.06.2023, Az. VI R 28/21

6. Senat | REWIS RS 2023, 5244

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Gegenstand

Kein Zufluss von Arbeitslohn wegen fehlender Insolvenzsicherung des Arbeitslohnanspruchs


Leitsatz

NV: Die fehlende Insolvenzsicherung und das damit einhergehende Risiko des (Wert-)Verlusts eines vom Arbeitgeber nicht erfüllten Lohnanspruchs führen nicht zum Zufluss von Arbeitslohn.

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 25.11.2021 - 4 K 122/18 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.

Tatbestand

I.

1

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) zahlte verschiedenen Arbeitnehmern ab dem [X.] [X.] --im Wesentlichen Prämien und Weihnachtsgeld-- nicht aus. Sie hatte mit den betreffenden Arbeitnehmern vereinbart, dass die nicht ausgezahlten Arbeitslöhne noch einzurichtenden sogenannten Zeitwertkonten gutgeschrieben werden sollten.

2

Im November 2011 schloss die Klägerin mit den Arbeitnehmern sodann Wertguthabenvereinbarungen über die Führung von Wertkonten zum Zweck der ruhestandsnahen Freistellung ab. Die Wertguthaben wurden nach diesen Vereinbarungen durch die [X.] ([X.]) geführt. Die Wertguthaben einschließlich des darin enthaltenen [X.] hatte die Klägerin gegen das Risiko einer Insolvenz durch ein den Anforderungen des § 7e Abs. 2 Satz 1 des [X.] ([X.]) entsprechendes [X.] gesichert. Im März 2012 führte die Klägerin die nicht ausgezahlten Arbeitslöhne den bei der [X.] eingerichteten Wertkonten der Arbeitnehmer zu.

3

Im Rahmen einer bei der Klägerin durchgeführten [X.] vertrat die Prüferin die Auffassung, Wertgutschriften auf einem Zeitwertkonto lösten [X.] nur dann keinen Zufluss aus, wenn bestimmte Vorgaben eingehalten seien, insbesondere eine sogenannte Zeitwertkontengarantie vorliege. Bis November 2011 seien die Voraussetzungen der Zeitwertkontengarantie wegen fehlender Zeitwertkonten jedoch nicht erfüllt. Die vorher entstandenen und fälligen Prämien seien den Arbeitnehmern deshalb zugeflossen und unterlägen dem Lohnsteuerabzug, den die Klägerin zu Unrecht nicht vorgenommen habe.

4

Der Beklagte und Revisionskläger (Finanzamt --[X.]--) folgte der Auffassung der Prüferin und erließ einen entsprechenden Haftungsbescheid über Lohnsteuer und sonstige Lohnabzugsbeträge. Während des [X.] nahm das [X.] den Haftungsbescheid teilweise zurück und wies den Einspruch der Klägerin anschließend als unbegründet zurück.

5

Das Finanzgericht ([X.]) gab der hiergegen erhobenen Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2022, 120 veröffentlichten Gründen statt.

6

Mit der Revision rügt das [X.] die Verletzung materiellen Rechts.

7

Es beantragt,
das Urteil des [X.] aufzuheben und die Klage abzuweisen.

8

Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

9

Die Revision des [X.] ist unbegründet und zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Die Klägerin hat die Lohnsteuern und [X.], für die sie als Haftungsschuldnerin in Anspruch genommen worden ist, nicht fehlerhaft angemeldet und abgeführt.

1. Nach § 42d Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) haftet der Arbeitgeber für die Lohnsteuer, die er bei jeder Lohnzahlung vom Arbeitslohn für Rechnung des Arbeitnehmers einzubehalten und abzuführen hat. Die Klägerin hat ihren Arbeitnehmern allerdings nicht dadurch Arbeitslohn zugewandt, dass sie einzelne Lohnbestandteile --insbesondere Prämien und Weihnachtsgeld-- nicht ausgezahlt, sondern zu dem Zweck einbehalten hat, die betreffenden Beträge zukünftig einzurichtenden [X.] gutzuschreiben.

a) Nur zugeflossener Arbeitslohn unterliegt der Einkommensteuer und dem Lohnsteuerabzug ([X.]surteil vom 22.02.2018 - VI R 17/16, [X.], 532, [X.], 496, Rz 26). Hinsichtlich des Zeitpunkts der Vereinnahmung von Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit gelten gemäß § 11 Abs. 1 Satz 4 EStG die Vorschriften des § 38a Abs. 1 Satz 2 und 3 EStG. Laufender Arbeitslohn gilt hiernach in dem Kalenderjahr als bezogen, in dem der Lohnzahlungszeitraum endet, für den der Arbeitslohn gezahlt wird. Arbeitslohn, der --wie Prämien und Weihnachtsgeld-- nicht als laufender Arbeitslohn gezahlt wird (sonstige Bezüge), wird in dem Kalenderjahr bezogen, in dem er dem Arbeitnehmer zufließt.

Arbeitslohn ist mit der Erlangung der wirtschaftlichen Verfügungsmacht zugeflossen ([X.]surteil vom 23.08.2017 - VI R 4/16, [X.], 304, [X.] 2018, 208, Rz 20). [X.] ist nach ständiger Rechtsprechung der [X.] des Anspruchs des Arbeitnehmers, also der Zeitpunkt, in dem der Arbeitgeber die geschuldete Leistung tatsächlich erbringt ([X.]surteil vom 22.02.2018 - VI R 17/16, [X.], 532, [X.], 496, Rz 27, m.w.N.). Der erkennende [X.] hat bereits in seinem Urteil vom 22.02.2018 - VI R 17/16 ([X.], 532, [X.], 496, Rz 28 ff.) ausführlich zu den Voraussetzungen Stellung genommen, unter denen der Zufluss von Arbeitslohn anzunehmen ist. Nach diesen Maßstäben, an denen der [X.] uneingeschränkt festhält, ist das Urteil des [X.] wegen nicht zu beanstanden. Die Vorinstanz hat den Zufluss von Arbeitslohn zutreffend verneint.

b) Die Klägerin hat die streitgegenständlichen Lohnbestandteile nach den tatsächlichen Feststellungen des [X.] nicht an ihre Arbeitnehmer ausgezahlt. Sie hatte nach den ebenfalls nicht angegriffenen und den [X.] daher gemäß § 118 Abs. 2 [X.]O bindenden Feststellungen mit ihren Arbeitnehmern vielmehr vereinbart, die nicht ausgezahlten Lohnbestandteile zukünftig noch einzurichtenden [X.] zuzuführen.

Diese Vereinbarung stellt keine Vorausverfügung der Arbeitnehmer über ihren [X.] dar. Vielmehr verzichteten die Arbeitnehmer durch diese Vereinbarung lediglich auf die (sofortige) Auszahlung eines Teils ihres Arbeitslohns, wodurch der Zufluss --ähnlich wie im Fall einer Stundung-- hinausgeschoben wurde. Bei dieser Sachlage scheidet auch ein Arbeitslohnzufluss durch Gutschrift in den Büchern der Klägerin oder Novation aus. Eine zum Lohnzufluss führende Lohnverwendungsabrede ist im Streitfall ebenfalls nicht gegeben. Durch die [X.] einzelner Arbeitslohnbestandteile erfüllte die Klägerin offenkundig keine Verbindlichkeiten ihrer Arbeitnehmer gegenüber Dritten.

c) Das [X.] nimmt dessen ungeachtet einen Zufluss der den Arbeitnehmern nicht ausgezahlten Lohnbestandteile deshalb an, weil die Arbeitnehmer wegen der erst im November 2011 mit der Klägerin abgeschlossenen Wertguthabenvereinbarungen und der bis dahin fehlenden Zeitwertkontengarantie das Insolvenzrisiko hinsichtlich der für den Aufbau der Wertguthaben vorgesehenen Beträge getragen und daher die wirtschaftliche Verfügungsmacht hierüber erlangt hätten. Dabei übersieht das [X.] allerdings, dass die fehlende Insolvenzsicherung und das damit einhergehende Risiko des (Wert-)Verlusts eines vom Arbeitgeber nicht ausgezahlten beziehungsweise nicht erfüllten Lohnanspruchs als solches nicht zum Zufluss von Arbeitslohn führt. Vielmehr ist das Risiko, durch die Insolvenz des Schuldners einen (Wert-)Verlust zu erleiden, jedem (nicht insolvenzgesicherten) Anspruch immanent. Trotzdem führt nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden [X.]s das bloße Innehaben von Ansprüchen gegen den Arbeitgeber nicht zum Zufluss von Arbeitslohn beim Arbeitnehmer ([X.]surteile vom 27.05.1993 - VI R 19/92, [X.], 46, [X.] 1994, 246; vom 18.08.2016 - VI R 18/13, [X.], 58, [X.] 2017, 730, Rz 15 und vom 22.02.2018 - VI R 17/16, [X.], 532, [X.], 496, Rz 29). Denn das Tragen des Insolvenzrisikos in Bezug auf den [X.] begründet (noch) keine wirtschaftliche Verfügungsmacht über das durch die spätere Erfüllung des Anspruchs --und damit das für den Zufluss maßgebliche-- Erlangte.

d) Soweit sich das [X.] im Hinblick auf die bis November 2011 fehlende Zeitwertkontengarantie auf das Schreiben des [X.] ([X.]) vom 17.06.2009 (BStBl I 2009, 1286, unter B.V.1.) beruft, kann eine Fallgestaltung, wie sie nach dem vom [X.] festgestellten Sachverhalt im Streitfall vorliegt, dort von vornherein nicht angesprochen sein. Denn es ist denklogisch ausgeschlossen, dass eine erst zu vereinbarende, aber noch nicht abgeschlossene Wertguthabenvereinbarung bereits eine Zeitwertkontengarantie beinhaltet. Dementsprechend wird in dem vorgenannten [X.]-Schreiben auch verlangt, dass die "getroffene Vereinbarung" eine Zeitwertkontengarantie vorsieht.

Der erkennende [X.] muss in dem vorliegenden Verfahren daher nicht entscheiden, ob er sich der in dem [X.]-Schreiben vom 17.06.2009 (BStBl I 2009, 1286, unter B.V.1.) vertretenen Auffassung anschließen könnte. Er hat allerdings bereits entschieden, dass es für den Zufluss von Arbeitslohn im Zusammenhang mit einer Wertguthabenvereinbarung gemäß § 41 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung nicht auf die (zivilrechtliche) Wirksamkeit der Vereinbarung ankommt, sofern die Beteiligten das wirtschaftliche Ergebnis gleichwohl eintreten und bestehen lassen (s. [X.]surteil vom 04.09.2019 - VI R 39/17, Rz 13 ff.). Der Zufluss von Arbeitslohn richtet sich im Ertragsteuerrecht nach steuerrechtlichen Maßstäben und folglich grundsätzlich nicht danach, ob eine Wertguthabenvereinbarung den sozialversicherungsrechtlichen Vorgaben --insbesondere der §§ 7d und 7e SGB IV-- entspricht. Eine andere --im Streitfall ebenfalls nicht entscheidungserhebliche-- Frage ist es, welche steuerlichen Rechtsfolgen sich für den Zufluss von Arbeitslohn im Falle der Auflösung des [X.] wegen eines vom Rentenversicherungsträger festgestellten Verstoßes gegen die Zeitwertkontengarantie (§ 7e Abs. 6 SGB IV) ergeben.

e) Aus dem Urteil des [X.] vom 28.10.2020 - X R 1/19 ([X.], 505, [X.] 2021, 283) ergibt sich für den Streitfall nichts anderes. Das Urteil betraf die Frage der steuerlichen Anerkennung einer zwischen nahen Angehörigen abgeschlossenen Wertguthabenvereinbarung nach den Kriterien des Fremdvergleichs, nicht aber die hier zu beurteilende Frage des Zuflusses von Arbeitslohn bei Arbeitnehmern, die der Arbeitgeberin (Klägerin) als fremde Dritte gegenüberstehen.

2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 [X.]O.

Meta

VI R 28/21

28.06.2023

Bundesfinanzhof 6. Senat

Urteil

vorgehend Thüringer Finanzgericht, 25. November 2021, Az: 4 K 122/18, Urteil

§ 41 Abs 1 S 1 AO, § 11 Abs 1 S 4 EStG 2002, § 38a Abs 1 S 2 EStG 2002, § 38a Abs 1 S 3 EStG 2002, § 42d Abs 1 Nr 1 EStG 2002, § 11 Abs 1 S 4 EStG 2009, § 38a Abs 1 S 2 EStG 2009, § 38a Abs 1 S 3 EStG 2009, § 42d Abs 1 Nr 1 EStG 2009, § 7d SGB 4, § 7e SGB 4, EStG VZ 2009, EStG VZ 2010, EStG VZ 2011, EStG VZ 2012, EStG VZ 2013

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 28.06.2023, Az. VI R 28/21 (REWIS RS 2023, 5244)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 5244

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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