Bundesgerichtshof, Beschluss vom 06.12.2018, Az. 1 StR 343/18

1. Strafsenat | REWIS RS 2018, 805

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Gegenstand

Mitteilungspflichtige Gespräche nach Wiedereintritt in Hauptverhandlung


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 12. Dezember 2017 mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, Anstiftung zur unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen, jeweils in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, sowie Beihilfe zum unerlaubten Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und zehn Monaten verurteilt und die Einziehung eines Geldbetrages in Höhe von 23.650 € angeordnet.

2

Die auf mehrere Verfahrensbeanstandungen und die nicht ausgeführte Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat mit einer Rüge der Verletzung der Mitteilungspflicht aus § 243 Abs. 4 Satz 2 [X.] Erfolg.

3

Der - in zulässiger Weise erhobenen (§ 344 Abs. 2 Satz 2 [X.]) - Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

4

1. Am (zweiten) Hauptverhandlungstermin vom 7. September 2017 kam es auf Anregung des Vorsitzenden während der Unterbrechung der Hauptverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten zu einem „[X.] nach § 257b [X.]“, in dessen Verlauf der Vorsitzende die Ergebnisse und den Stand der - in der ersten Instanz jeweils abgeschlossenen - Strafverfahren gegen die gesondert verfolgten Mittäter des Angeklagten schilderte sowie mitteilte, diese hätten mit einer Ausnahme vollumfängliche Geständnisse abgelegt. Der Vorsitzende gab überdies die vorläufige Einschätzung der Strafkammer zur Beweissituation im vorliegenden Verfahren bekannt. In dem Gespräch fragte der Vorsitzende zudem den [X.] der Staatsanwaltschaft, Staatsanwalt V.     , nach den [X.] der Staatsanwaltschaft, woraufhin dieser mitteilte, dazu zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Angaben machen zu können.

5

Am nächsten (dritten) [X.], dem 13. September 2017, wurde die Hauptverhandlung zu deren Beginn - nunmehr auf Anregung der Verteidiger - unterbrochen und es fand außerhalb der Hauptverhandlung ein weiteres „[X.] nach § 257b [X.]“ ohne den Angeklagten statt. In dessen Rahmen kündigte die Verteidigung für den kommenden [X.] eine ausführliche schriftliche Erklärung an, die ein Teilgeständnis umfassen sollte. Auf Nachfrage der Strafkammer teilte der [X.] der Staatsanwaltschaft, Erster Staatsanwalt [X.], sodann mit, dass er sich hinsichtlich der zu erwartenden Strafe an den vorherigen Verurteilungen der Mittäter zu orientieren habe, insbesondere an derjenigen des    E.  , der sich geständig eingelassen habe und zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt worden sei. Diese Vorstellungen wurden seitens der Verteidigung als unrealistisch bezeichnet.

6

Der Vorsitzende informierte nach Fortsetzung der Hauptverhandlung jeweils nicht über Inhalt und Ablauf der Gespräche im Einzelnen und die geäußerten [X.].

7

Der Angeklagte räumte am vierten [X.] über eine Erklärung seiner Verteidiger die Tatvorwürfe mit Ausnahme der [X.] ein.

8

2. Soweit der dargestellte Geschehensablauf nicht durch das Protokoll bewiesen wird (§ 274 Satz 1 [X.]), ergibt sich die Überzeugung des Senats aus Folgendem:

9

Dass in den Gesprächen auf Nachfrage der Strafkammer - durch Bezugnahme auf die gesonderte Verurteilung des geständigen    E.   - auch über [X.] der Staatsanwaltschaft für den Angeklagten im vorliegenden Verfahren gesprochen wurde, ergibt sich aus der Stellungnahme des [X.]und den damit übereinstimmenden dienstlichen Stellungnahmen beider [X.] der Staatsanwaltschaft. Deren Richtigkeit wird durch die zeitlich späteren - hinsichtlich Ablauf und Inhalt der Gespräche im Einzelnen wenig konkreten und allgemein gehaltenen - Erklärungen des Vorsitzenden und des beisitzenden [X.]s zu dem Inhalt der Gespräche nicht in Frage gestellt, die sich lediglich zu direkten Äußerungen der Verfahrensbeteiligten zu [X.] bezogen auf den Angeklagten selbst verhalten, nicht jedoch zu entsprechenden Erklärungen durch eine Bezugnahme auf den gesondert verurteilten Mittäter    E.  . Der beisitzende [X.] hat in seiner dienstlichen Stellungnahme vom 30. Juli 2017, die er ebenso wie der Vorsitzende etwa zehn Monate nach den maßgeblichen [X.]en verfasst hat, zudem explizit darauf hingewiesen, seine Angaben insoweit lediglich aus seiner Erinnerung zu machen.

3. Auf dieser Tatsachengrundlage erweist es sich als rechtsfehlerhaft, dass der Vorsitzende nach Wiedereintritt in die Hauptverhandlung entgegen § 243 Abs. 4 Satz 2 [X.] nicht über den wesentlichen Inhalt (vgl. dazu näher etwa [X.], Beschluss vom 10. Januar 2017 - 3 [X.], [X.], 363, 364 mwN) der zuvor geführten Gespräche unterrichtete.

a) Spätestens das während der Unterbrechung der Hauptverhandlung am 13. September 2017 geführte [X.] war mitteilungspflichtig.

Gemäß § 243 Abs. 4 Satz 1 und 2 [X.] ist über Erörterungen nach §§ 202a, 212 [X.] zu berichten, die außerhalb der Hauptverhandlung stattgefunden haben und deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung (§ 257c [X.]) gewesen ist. Davon ist auszugehen, sobald bei im Vorfeld oder neben der Hauptverhandlung geführten Gesprächen ausdrücklich oder konkludent die Möglichkeit und die Umstände einer Verständigung im Raum stehen. Dies ist jedenfalls dann zu bejahen, wenn Fragen des prozessualen Verhaltens in [X.] zum Verfahrensergebnis gebracht werden und damit die Frage nach oder die Äußerung zu einer Straferwartung nahe liegt ([X.], Urteil vom 19. März 2013 - 2 BvR 2628/10 u.a., [X.]E 133, 168, 216 f. Rn. 85; [X.], Urteile vom 23. Juli 2015 - 3 [X.], [X.], 221, 222 Rn. 12 und vom 3. Mai 2017 - 2 StR 576/15, [X.], 49; Beschluss vom 24. Januar 2018 - 1 StR 564/17, [X.], 487, 488; siehe auch [X.], Beschluss vom 21. April 2016 - 2 BvR 1422/15, [X.], 422, 424 zur „synallagmatischen Verknüpfung“). Dementsprechend ist mitteilungspflichtig jedes ausdrückliche oder konkludente Bemühen um eine Verständigung in Gesprächen, die von den Verfahrensbeteiligten insoweit als Vorbereitung einer Verständigung verstanden werden können ([X.], Beschlüsse vom 14. April 2015 - 5 StR 9/15, [X.], 535, 536 und vom 24. Januar 2018 - 1 StR 564/17, [X.], 487, 488); im Zweifel wird eine Mitteilung zu erfolgen haben ([X.], Urteil vom 19. März 2013 - 2 BvR 2628/10 u.a., aaO).

b) Nach diesen Maßstäben hat zumindest das außerhalb der Hauptverhandlung geführte Gespräch am 13. September 2017 die durch den Vorsitzenden zu erfüllende Mitteilungspflicht begründet. Der Vertreter der Staatsanwaltschaft hat - auf Nachfrage der Strafkammer - mit dem Hinweis auf die gegen einen geständigen Mittäter verhängte Strafe eine auch für den Angeklagten denkbare Straferwartung genannt. Damit lag ein Bemühen um eine Verständigung vor, weil die Formulierung der Straferwartungen der Staatsanwaltschaft in einem vergleichbaren Fall einen [X.] zwischen einem Geständnis des bis dahin nicht im Sinne des Anklagevorwurfs geständigen Angeklagten und einer auch für diesen möglichen Strafe hergestellt hat. Dies begründete die Mitteilungspflicht des Vorsitzenden ungeachtet des Umstands, dass das [X.] selbst keine Straferwartungen formuliert und die Gespräche in der Sitzungsniederschrift lediglich als „[X.]e nach § 257b [X.]“ bezeichnet hat.

Der Mitteilungspflicht ist nicht entsprochen worden. Weder nach Wiedereintritt noch zu einem späteren Zeitpunkt ist in öffentlicher Hauptverhandlung über den wesentlichen Inhalt des Gesprächs informiert worden.

c) Angesichts dessen kommt es nicht darauf an, ob - wie vor dem Hintergrund der dienstlichen Stellungnahmen des Vorsitzenden und des beisitzenden [X.]s zu Fragen nach dem zu erwartenden Einlassungsverhalten des Angeklagten und zu den Schwerpunkten seiner Verteidigung bzw. nach der Verteidigungsstrategie des bislang schweigenden Angeklagten im Rahmen der außerhalb der Hauptverhandlung geführten Gespräche am 7. und 13. September 2017 sowie des von den Verfahrensbeteiligten im zweiten und dritten Hauptverhandlungstermin erklärten Verzichts auf die Vernehmung von insgesamt fünf Zeugen möglich erscheint - eine Verständigung auch auf das Prozessverhalten der Verfahrensbeteiligten gezielt haben könnte, was bei einer entsprechenden inhaltlichen Verknüpfung mit der Strafzumessung ebenfalls die Mitteilungspflicht hätte auslösen können (vgl. [X.] in [X.]/[X.], [X.], 61. Aufl., § 257c Rn. 14; [X.], [X.], 31. Edition, § 257c Rn. 17).

d) Der Senat kann wegen des bis zum (vierten) Hauptverhandlungstermin vom 20. September 2017 gezeigten Einlassungsverhaltens des Angeklagten nicht ausschließen, dass der Schuld- und der Rechtsfolgenausspruch auf der Verletzung der Mitteilungspflicht beruhen. Das bedingt die Aufhebung des Urteils einschließlich der Feststellungen.

Raum     

        

Jäger     

        

Bellay

        

Hohoff     

        

Pernice     

        

Meta

1 StR 343/18

06.12.2018

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Heilbronn, 12. Dezember 2017, Az: 43 Js 18560/16 - 8 KLs

§ 243 Abs 4 S 1 StPO, § 243 Abs 4 S 2 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 06.12.2018, Az. 1 StR 343/18 (REWIS RS 2018, 805)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 805

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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