Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 20.04.2018, Az. V ZB 226/17

V. Zivilsenat | REWIS RS 2018, 10404

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[X.]:[X.]:BGH:2018:200418B[X.]226.17.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB 226/17
vom

20. April
2018

in der [X.]ssache

-
2
-
Der V.
Zivilsenat des [X.] hat am 20.
April
2018
durch die Vorsitzende Richterin Dr.
Stresemann, die Richterinnen Prof.
Dr.
Schmidt-Räntsch
und Dr.
Brückner, [X.]
Göbel und die Richterin Haberkamp

beschlossen:

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss des [X.]
Zivilkammer 29
vom 10.
Oktober 2017 aufgehoben.

Es wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts [X.] vom 29.
November 2016 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat.

Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden der Freien
und [X.] auferlegt.

Der Gegenstandswert des [X.] beträgt 5.000

Gründe:

I.
Der Betroffene ist kosovarischer Staatsangehöriger. Seinen Asylantrag lehnte das [X.] am 26.
März 2015 als of-fensichtlich unbegründet ab. Eine für den 28. Juli 2015 geplante Abschiebung 1
-
3
-
scheiterte, weil der Betroffene zu dem mit ihm vereinbarten Termin am Flugha-fen nicht erschien, sondern untertauchte und sich in die [X.] begab. Nach der Rücküberstellung in das [X.] stellte er einen [X.]; diesen
lehnte das Bundesamt am 2.
November 2016 als unzulässig ab und forderte den Betroffenen
unter Androhung der Abschiebung in den [X.] zur Ausreise binnen einer Woche auf. Am 3. November 2016 teilte der [X.] seine Absicht mit, eine
deutsche Staatsangehörige zu heiraten. Am 29.
November 2016 beantragte die beteiligte Behörde gegen den Betroffenen Haft zur Sicherung der Abschiebung bis zum 2.
Dezember 2016 und stellte [X.] für diesen Zeitraum einen Antrag auf Anordnung von [X.] gemäß §
62b [X.] Das Amtsgericht ordnete durch Beschluss vom selben Tag gegen den Betroffenen [X.] bis zum 2.
Dezember 2016 an. Die dagegen gerichtete Beschwerde des Betroffenen, die nach des-sen Abschiebung am 2.
Dezember 2016 auf die Feststellung der Rechtswidrig-keit der Haftanordnung gerichtet worden ist, hat das Beschwerdegericht zu-rückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde, deren Zurückweisung die beteiligte Behörde beantragt,
verfolgt
der Betroffene seinen Feststellungsantrag weiter.

II.
Das Beschwerdegericht meint, die Voraussetzungen für die Anordnung von [X.] gemäß §
62b [X.] hätten vorgelegen. Die Aus-reisefrist
sei abgelaufen gewesen. Zudem habe der Betroffene ein Verhalten gezeigt, das erwarten lasse, dass er die Abschiebung erschweren oder verei-teln werde, indem er fortgesetzt seine gesetzlichen Mitwirkungspflichten verletzt habe. Obwohl er erklärt habe, freiwillig zum [X.] zu kommen, wenn ihm ein Termin zur Abschiebung genannt werde, sei er zu dem Abschiebungstermin am 28.
Juli 2015 nicht erschienen
-
dies begründe den Haftgrund gemäß § 62 2
-
4
-
Abs. 3 Satz
1 Nr. 3 [X.]
-, sondern in die [X.] gereist. Ihm sei am 8.
November 2016 sowie am 15.
November 2016 erlaubt worden, zur kosovari-schen Botschaft nach [X.] zu reisen, zum einen, weil er einen Pass habe [X.] wollen, um die beabsichtigte Eheschließung anmelden zu können und zum anderen, um sich ein Passersatzpapier für die Ausreise zu beschaffen.
Mit Schreiben vom 17.
November 2016 sei er von der beteiligten Behörde aufge-fordert worden, am 28.
November 2016 ein Ausreiseticket in den [X.] und das Passersatzpapier vorzulegen. Dem sei er bei seiner Vorsprache am 29.
November 2016 nicht nachgekommen.
Der Betroffene habe auch nicht glaubhaft gemacht,
und es sei auch nicht
offensichtlich, dass er sich der Abschiebung nicht entziehen wolle. Zwar habe er nach seiner Inhaftierung einen
Ausdruck über die Buchung eines Flugtickets für den 1.
Dezember 2016 vorgelegt sowie den Ausdruck einer [X.], die besa-ge, dass er seinen Pass bei der Botschaft
abholen könne. Hierdurch sei aber eine direkte Ausreise vom [X.] in den [X.] nicht gewährleistet gewe-sen, da der Betroffene den Pass offenbar in [X.] noch hätte abholen müssen und der Flug zudem eine Zwischenlandung in [X.] vorgesehen habe.

III.
[X.] hat Erfolg.
1. Sie ist gemäß §
70 Abs.
3 Satz
1 Nr.
3, Satz
2 FamFG mit dem Fest-stellungsantrag nach §
62 Abs.
1 FamFG ohne Zulassung durch das Be-schwerdegericht statthaft. Hierfür bedarf es keiner Entscheidung, ob der [X.] eine Freiheitsentziehung i.S.d. Art.
104 Abs.
2 Satz
1 GG dar-stellt, obwohl er gemäß §
62b Abs.
2 [X.] im Transitbereich eines Flugha-fens oder in einer
Unterkunft vollzogen wird, von wo aus die Ausreise des Aus-3
4
5
-
5
-
länders möglich
ist. Der Gesetzgeber hat nämlich den [X.] in-sofern einer Freiheitsentziehung gleichgestellt, als dieser
generell einer richter-lichen Anordnung bedarf (§
62b Abs.
1 Satz
1 [X.]). Vor dem Hintergrund dieser gesetzlichen Regelung ist nach der Erledigung eines gegen diese Ent-scheidung von dem Ausländer eingelegten Rechtsmittels

ebenso wie bei den Rechtsbehelfen gegen richterliche Haftanordnungen
ein berechtigtes [X.] des Betroffenen an einer Feststellung nach §
62 Abs.
1 FamFG anzuerken-nen, durch die richterlich angeordnete Maßnahme in seinen Rechten verletzt worden zu sein. Insoweit gelten die Grundsätze zur Statthaftigkeit einer Rechtsbeschwerde im Zusammenhang mit der richterlichen Anordnung des Aufenthalts eines Ausländers im Transitbereich eines [X.]s über einen Zeitraum von 30 Tagen hinaus (§
15 Abs.
6 Satz
2 [X.]) entsprechend (vgl. hierzu Senat, Beschluss vom 30.
Juni 2011
V
ZB 274/10, NVwZ-RR
2011, 875 Rn.
8
f.).
2. [X.] ist begründet, weil die Anordnung des [X.] durch das Amtsgericht den Betroffenen in seinen Rechten ver-letzt hat.
a) Gemäß § 62b Abs. 1 Satz 1 [X.] in der im Zeitpunkt der Haftan-ordnung am 29. November 2016 geltenden Fassung kann
der Ausländer unab-hängig von den Voraussetzungen der Sicherungshaft für die Dauer von längs-tens
vier -
seit dem 29. Juli
2017: zehn
(Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht vom 20. Juli 2017, [X.] I 2017 S. 2780) -
Tagen in Gewahrsam genommen werden, wenn die Ausreisepflicht abgelaufen ist und der Ausländer ein Verhalten gezeigt hat, das erwarten lässt, dass er die Abschiebung er-schweren oder vereiteln wird, indem er fortgesetzt seine gesetzlichen [X.] verletzt hat oder über seine Identität oder seine Staatsangehö-rigkeit getäuscht hat.
6
7
-
6
-
b) Entgegen der Auffassung des [X.] tragen die [X.]. mehr als einmal (vgl. [X.]/[X.], Ausländerrecht, 2. Aufl., § 62b Rn.
6; BeckOK [X.]/[X.], [X.]. vom 1. November 2017, [X.] § 62b Rn. 6),
seine Mitwirkungspflichten (§ 82 [X.]) verletzt.
Deshalb kann da-hinstehen, ob die in der Literatur an der Vorschrift geäußerten verfassungs-
und europarechtlichen Bedenken (vgl. [X.]/[X.], [X.] 2015, 145, 146;
[X.]/Beichel-Benedetti, [X.], 2. Aufl., § 62b Rn. 3, [X.]/Tewocht, NVwZ 2017, 1153, 1154) berechtigt sind.
aa) Richtig ist, dass der Betroffene
durch sein Verhalten im Zusammen-hang mit der für den 28.
Juli 2015 vorgesehenen Abschiebung seine [X.] verletzt hat, weil er entgegen seiner Zusage nicht an dem ver-einbarten Abschiebeort ([X.]) erschienen ist.
[X.]) Demgegenüber fehlt es an hinreichenden Feststellungen dazu, ob dem Betroffenen vorgeworfen werden
kann, dass er bei der Vorsprache am 29.
November 2016 der beteiligten Behörde weder ein Flugticket noch ein [X.] vorlegte. Hierfür kann dahinstehen, ob -
so die Ansicht der Rechtsbeschwerde -
Mitwirkungspflichten i.S.d. § 62b [X.] nur solche sind, die sich auf behördliche Maßnahmen beziehen, die der zwangsweisen Durchsetzung
der [X.] dienen. Auch wenn
von dem Begriff der Mitwirkung Handlungen erfasst sein sollten, die die Behörde von dem [X.] im Zusammenhang mit einer angekündigten freiwilligen Ausreise fordert, hätten
der Haftrichter und das Beschwerdegericht im Rahmen
ihrer Amtsermitt-lungspflicht (§ 26 FamFG) der Frage nachgehen müssen, ob der Betroffene seine insoweit bestehenden Pflichten schuldhaft verletzt
hat. An einer solchen Aufklärung fehlt es. Wie die Rechtsbeschwerde zu Recht rügt, hat das Be-schwerdegericht die Angaben des Betroffenen im Rahmen von dessen
Anhö-8
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10
-
7
-
rung vor dem Amtsgericht nur unzureichend berücksichtigt. Hiernach habe
die
Botschaft in [X.], bei der der Betroffene
ein Dokument zur Ausreise verlangt hatte, ihm geraten, einen Antrag auf Erteilung eines Reisepasses zu stellen, was er getan habe. Wäre dies zutreffend, könnte
ihm nicht vorgehalten werden, nicht zusätzlich nach einem Passersatzpapier gefragt zu haben, da nicht fest-gestellt ist, dass er über die insoweit bestehenden Unterschiede informiert war. Sein Verfahrensbevollmächtigter hat die beteiligte Behörde zudem -
dies wird auch von dem Beschwerdegericht nicht verkannt -
vor dem für den [X.] 2016 bestimmten Anhörungstermin darüber unterrichtet, dass das [X.] [X.] noch nicht vorliege. Da unter Zugrundelegung der Schilde-rung des Betroffenen eine Ausreise mangels Vorlage des hierzu erforderlichen Dokuments nicht möglich war, hatte
er auch noch keine Veranlassung,
einen Flug für eine freiwillige Ausreise zu buchen.

c) Unabhängig davon, dass es hiernach bereits an hinreichenden Fest-stellungen zum dem Vorliegen des Tatbestandsmerkmal einer fortgesetzten Verletzung der Mitwirkungspflichten durch den Betroffenen fehlt, haben weder das Amtsgericht noch das Beschwerdegericht erkannt, dass die Anordnung des [X.]s gemäß §
62b [X.] im Ermessen des Gerichts steht

e-

62 Abs.
2 Satz
2 [X.] aF, die im Zusammenhang mit der Einfügung des §
62b [X.] gestrichen und durch die Regelung des [X.]s ersetzt worden ist
(vgl.
Bergmann/[X.]/[X.], [X.], 12.
Aufl., § 62b Rn. 5).

aa) Die Entscheidung über die Anordnung des
[X.]s
er-fordert deshalb eine Abwägung zwischen dem Freiheitsgrundrecht des Be-troffenen und dem staatlichen Interesse an der zügigen Durchführung der Ab-schiebung. Die für die Ermessensausübung maßgeblichen Gründe sind
wenn 11
12
-
8
-
auch in knapper Form
in der Entscheidung darzulegen (§
38 Abs.
3 Satz
1, §
96 Abs.
2 FamFG). Das Rechtsbeschwerdegericht darf zwar nicht das Er-messen des Tatrichters durch eine eigene Entscheidung ersetzen. Er hat aber zu überprüfen, ob eine Ermessensentscheidung überhaupt stattgefunden hat und ob sie fehlerfrei
insbesondere unter Beachtung des Grundsatzes der Ver-hältnismäßigkeit
erfolgt ist (vgl. Senat, Beschluss vom 19.
Januar 2012

V
ZB
221/11, FGPrax
2012, 84 Rn.

[X.]) Hier lässt sich der Begründung der Anordnung des [X.]s nicht entnehmen, ob dem Amtsgericht die Notwendigkeit einer [X.] bewusst war. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass es das im Hinblick auf die beabsichtigte Eheschließung nachvollziehbare und im Rahmen der
Anhörung vor dem Amtsgericht -
aber auch bereits zuvor gegenüber der beteiligten Behörde -
deutlich gemachte Interesse des Betroffenen berücksich-tigt hat, zur Vermeidung einer ansonsten bestehenden Einreisesperre (vgl. § 11 [X.]) freiwillig auszureisen.
3. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden (§ 74 Abs. 6 Satz 1 FamFG). Aufgrund der zwischenzeitlich erfolgten Abschiebung des Betroffenen kann die fehlende Aufklärung nicht mehr nachgeholt werden, da hierfür auch die persönliche Anhörung des
Betroffenen zu dem Ergebnis der Ermittlungen erforderlich wäre (vgl. Senat, Beschluss vom 17. März 2016 -
V [X.], juris Rn. 10 mwN).
13
14
-
9
-
IV.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
81 Abs.
1, §
83 Abs.
2, §
430
FamFG, Art.
5 [X.] analog. Der Gegenstandswert bestimmt sich nach §
36 Abs.
3 GNotKG.

Stresemann Schmidt-Räntsch Brückner

Göbel

Haberkamp

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 29.11.2016 -
219b [X.]/16 -

LG [X.], Entscheidung vom 10.10.2017 -
329 [X.] -

15

Meta

V ZB 226/17

20.04.2018

Bundesgerichtshof V. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 20.04.2018, Az. V ZB 226/17 (REWIS RS 2018, 10404)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 10404

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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