Bundesgerichtshof, Beschluss vom 27.10.2021, Az. XII ZB 330/21

12. Zivilsenat | REWIS RS 2021, 1554

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Gegenstand

Rechtsweg für den Aussetzungsantrag des Elternteils eines Schulkindes im Hinblick auf innerschulische Corona-Schutzmaßnahmen


Tenor

Die Rechtsbeschwerden gegen den Beschluss des 10. Zivilsenats und [X.] des [X.] vom 29. Juni 2021 werden auf Kosten des weiteren Beteiligten zurückgewiesen.

Wert: 4.000 €

Gründe

I.

1

Der Beteiligte hat mit Schreiben vom 8. Mai 2021 beim [X.] darum nachgesucht, ein Verfahren nach § 1666 BGB zu eröffnen und gegenüber den Lehrkräften und der Schulleitung der von seiner seinerzeit 9jährigen Tochter besuchten Grundschule anzuordnen, die schulintern getroffenen Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19), insbesondere die Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung, Abstandsgebote und gesundheitliche Testungen, vorläufig auszusetzen.

2

Das [X.] hat den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für unzulässig erklärt und das Verfahren eingestellt, da es nicht an das Verwaltungsgericht verwiesen werden könne. Das [X.] hat die sofortige Beschwerde des Beteiligten zurückgewiesen. Hiergegen richten sich die zugelassenen Rechtsbeschwerden des betroffenen Kindes und des Beteiligten.

II.

3

Die nach § 17 a Abs. 4 Satz 4 [X.] statthaften Rechtsbeschwerden haben keinen Erfolg.

4

1. Das [X.] hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt: Eröffnet sei allein der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten. Denn der Sache nach greife der Vater Anordnungen der Schulleitung und die zugrunde liegenden Bestimmungen der [X.] vom 5. März 2021 (BayMBl. Nr. 171) sowie § 28 a des Infektionsschutzgesetzes an. Die Streitigkeit betreffe daher das Verhältnis zwischen Bürger und Staat, hier in Gestalt der Schulverwaltung, und sei somit öffentlich-rechtlicher Natur.

5

Eine spezialgesetzliche Zuweisung zu einem anderen Gericht (§ 40 Abs. 1 Halbsatz 2 VwGO) liege nicht vor. Dem [X.] komme auch nach § 1666 Abs. 4 BGB keine Anordnungskompetenz gegenüber Behörden, Regierungen und sonstigen Trägern staatlicher Gewalt zu. Behördliches, hoheitliches Verhalten sei ausschließlich durch die Verwaltungsgerichte zu kontrollieren.

6

2. Die angefochtene Entscheidung hält einer rechtlichen Nachprüfung stand (vgl. auch Senatsbeschluss vom 6. Oktober 2021 - [X.] 35/21 - juris).

7

a) Zu Recht hat das [X.] den eigenen Rechtsweg gemäß § 17 a Abs. 2 [X.] für unzulässig erklärt. Es hat das an das [X.] gerichtete Schreiben des Beteiligten vom 8. Mai 2021 in rechtlich nicht zu beanstandender Weise dahin ausgelegt, dass gegen die Schule gerichtete Unterlassungsverlangen durchgesetzt werden sollen. Über derartige Unterlassungsansprüche hätten gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO die Verwaltungsgerichte zu entscheiden. Sie betreffen das Schulverhältnis als Rechtsverhältnis zwischen dem Schüler und einer öffentlichen, von einer Gebietskörperschaft getragenen Schule, deren Handeln in inneren Schulangelegenheiten einschließlich der Schulordnungsmaßnahmen der öffentlichen Gewalt zugerechnet wird ([X.], 2600 Rn. 7). Davon erfasst werden auch von der Schule angeordnete Infektionsschutzmaßnahmen ([X.], 2600 Rn. 7; [X.] FamRZ 2021, 1043, 1047 f.; [X.] FamRZ 2021, 1539, 1540; [X.] Beschluss vom 27. Juli 2021 - 13 UF 80/21 - juris Rn. 10; [X.] FamRZ 2021, 1538, 1539; [X.] VwGO/[X.] [Stand: 1. April 2021] § 40 Rn. 71a; vgl. auch Senatsbeschluss vom 12. Mai 2021 - [X.] 34/21 - FamRZ 2021, 1402 Rn. 13 zur verwaltungsgerichtlichen Zuständigkeit für die Untersagung von Maßnahmen des Jugendamts).

8

Eine daneben parallel bestehende Regelungskompetenz auf Grundlage des § 1666 BGB ist den [X.]en nicht eröffnet. Diese Vorschrift ermöglicht es den Gerichten in erster Linie, Maßnahmen zu ergreifen, die geeignet sind, die Personensorgeberechtigten zur Einhaltung ihrer Schutzpflichten gegenüber dem Kind anzuhalten (vgl. BT-Drucks. 16/6815 S. 14 f.); als ultima ratio kommt hierbei die Entziehung der elterlichen Sorge in Betracht (§ 1666 Abs. 3 Nr. 6 BGB). Zwar kann in besonders gelagerten Fällen bei Angelegenheiten der Personensorge auch eine Maßnahme gegen einen Dritten erfolgen (§ 1666 Abs. 4 BGB), wenn von dessen Verhalten eine Gefahr für das Kindeswohl ausgeht. Eine Befugnis des [X.]s zum Erlass von Anordnungen zur Durchsetzung des Kindeswohls gegenüber Behörden ist damit aber nicht verbunden. Denn Dritte im Sinne der Vorschrift sind nicht Behörden und sonstige Träger der öffentlichen Gewalt. Auf Grundlage des § 1666 BGB können die [X.]e auch die Jugendämter nicht zur Unterlassung von Maßnahmen der Jugendhilfe wie etwa einer Inobhutnahme verpflichten (Senatsbeschluss vom 12. Mai 2021 - [X.] 34/21 - FamRZ 2021, 1402 Rn. 13 mwN; vgl. auch [X.], 668 f.). Umso weniger sind sie befugt, andere staatliche Stellen in [X.] oder Unterlassen anzuweisen. Dies würde nämlich einen Eingriff in das [X.] bedeuten ([X.] FamRZ 2021, 1043, 1048; [X.]/[X.] 8. Aufl. § 1666 Rn. 181; [X.]/[X.]/[X.]/[X.] Familienrecht 7. Aufl. § 1666 a BGB Rn. 17; Meysen FamRZ 2008, 562, 563), für den es an der erforderlichen Rechtsgrundlage fehlt. Insbesondere legitimieren die §§ 1666, 1666 a BGB i.V.m. dem staatlichen Wächteramt einen solchen Eingriff nicht. Im Rahmen des schulischen Sonderrechtsverhältnisses sind die zuständigen Behörden ihrerseits an die das Kindeswohl schützenden Grundrechte gebunden. Die gerichtliche Kontrolle dieses Behördenhandelns - auch hinsichtlich Infektionsschutzmaßnahmen in den jeweiligen Schulen - obliegt hierbei allein den Verwaltungsgerichten; insoweit haben auch die §§ 23 b [X.], 111 Nr. 2, 151 Nr. 1 FamFG nicht die Bedeutung einer abdrängenden Sonderzuweisung im Sinne des § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

9

b) Ebenfalls zu Recht hat das [X.] keine Verweisung an das Verwaltungsgericht ausgesprochen.

Zwar ist auch im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit eine Verweisung auf einen anderen Rechtsweg nicht generell ausgeschlossen. So kam beispielsweise die Verweisung einer beim allgemeinen Zivilgericht anhängig gewordenen Klage an das für Wohnungseigentumssachen zuständige Gericht der freiwilligen Gerichtsbarkeit in Betracht, weil das für Wohnungseigentumssachen als sogenannte echte Streitsache ausgestaltete Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit ähnlichen Verfahrensgrundsätzen folgte (vgl. [X.] Beschluss vom 13. Oktober 1983 - [X.] 408/83 - NJW 1984, 740). Umgekehrt kann ein beim Gericht für Notarsachen (§ 111 [X.]) anhängig gemachtes Verfahren, das als ein streitiges Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit anzusehen ist, an die Zivilgerichte verwiesen werden ([X.]Z 115, 275 = [X.], 185). Auch konnte ein Zuständigkeitsstreit zwischen dem für [X.] zuständigen [X.] und dem für [X.] zuständigen Gericht der allgemeinen freiwilligen Gerichtsbarkeit durch Verweisung gelöst werden (Senatsbeschluss [X.]Z 78, 108 = [X.], 1107).

Die Vorschrift des § 17 a [X.] ist jedoch einschränkend dahin auszulegen, dass eine Verweisung von Amts wegen betriebener Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit mangels „Beschreitung eines Rechtswegs“ durch einen Antragsteller oder Kläger nicht in Betracht kommt, sondern diese bei fehlender Zuständigkeit einzustellen sind ([X.], 2600 Rn. 11; [X.], 2054; [X.] FamRZ 2021, 1383, 1384; [X.] FamRZ 2021, 1043, 1048; [X.] Beschluss vom 27. Juli 2021 - 13 UF 80/21 - juris Rn. 5, 10 f.; vgl. auch [X.] Beschluss vom 12. Juli 2021 - 14 UF 90/21 - juris Rn. 10 f.). Aufgrund der Eingabe des Beteiligten vom 8. Mai 2021 hätte beim [X.] kein kontradiktorischen Regeln folgendes Antragsverfahren eröffnet werden können, das einer Verweisung an das Verwaltungsgericht zugänglich gewesen wäre (vgl. [X.], 2600 Rn. 11 f.), sondern allenfalls ein Verfahren von Amts wegen. Ein Verfahren von Amts wegen mit dem Ziel der Aufhebung schulischer Anordnungen ist der Verwaltungsgerichtsbarkeit jedoch wesensfremd.

Dose     

        

Schilling     

        

Günter

        

Nedden-Boeger     

        

Guhling     

        

Meta

XII ZB 330/21

27.10.2021

Bundesgerichtshof 12. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend OLG Nürnberg, 29. Juni 2021, Az: 10 UF 617/21

§ 1666 Abs 1 BGB, § 1666 Abs 4 BGB, § 17a Abs 2 GVG, § 17a Abs 4 S 4 GVG, § 40 Abs 1 S 1 VwGO, CoronaVV BY 13, § 28a IfSG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 27.10.2021, Az. XII ZB 330/21 (REWIS RS 2021, 1554)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 1554

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