Bundesgerichtshof, Urteil vom 22.05.2014, Az. IX ZR 136/13

9. Zivilsenat | REWIS RS 2014, 5293

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Gegenstand

Mietrechtsstreit um die Auszahlung eines Nebenkostenguthabens: Prozessführungsbefugnis des insolventen Mieters nach Wirksamwerden der Enthaftungserklärung des Insolvenzverwalters/Treuhänders


Leitsatz

Mit dem Wirksamwerden der Enthaftungserklärung des Insolvenzverwalters oder Treuhänders hinsichtlich der Wohnung des Schuldners erlangt der Mieter die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Mitvertragsverhältnis zurück. Dem Insolvenzverwalter oder Treuhänder fehlt die Prozessführungsbefugnis, gegen den Vermieter Ansprüche auf Auszahlung von Guthaben aus Nebenkostenabrechnungen an die Masse für einen Zeitraum nach Wirksamwerden der Enthaftungserklärung geltend zu machen.

Tenor

Auf die Rechtsmittel der Beklagten werden das Urteil der [X.] des [X.] vom 24. Mai 2013 und das Urteil des [X.] vom 12. September 2012 aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Klägerin wurde mit Eröffnung im Insolvenzverfahren über das Vermögen des    K.          (künftig: Schuldner) am 11. August 2009 zur Treuhänderin bestellt. Der Schuldner bewohnte eine von der Beklagten angemietete Wohnung in [X.]. Mit Schreiben vom 26. August 2009 an die Beklagte gab die Klägerin die Enthaftungserklärung nach § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO ab.

2

Die Klägerin begehrt Auszahlung eines Betriebskostenguthabens für den [X.] in Höhe von 754,11 €, welches die Beklagte mit Schreiben vom 12. September 2011 der Klägerin mitgeteilt, aber an den Schuldner ausgekehrt hat.

3

Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Berufung ist ohne Erfolg geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Abweisungsbegehren weiter.

Entscheidungsgründe

4

Die Revision ist begründet und führt zur Klageabweisung.

I.

5

Das Berufungsgericht hat gemeint, die Klägerin sei zur Geltendmachung des Guthabenanspruchs befugt, weil dieser in die Masse falle. Die Enthaftungserklärung ändere hieran nichts. Diese habe nur zur Folge, dass Ansprüche, die nach Ablauf der in § 109 Abs. 1 Satz 1 [X.] genannten Frist fällig werden, nicht im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können. Durch die Erklärung werde der Mietvertrag jedoch nicht beendet, sondern vom Schuldner fortgesetzt. Die Regelung diene der Enthaftung der Masse für Ansprüche aus dem Mietverhältnis, denen sie sonst nach § 108 Abs. 1 [X.] ausgesetzt wäre. Aus der Enthaftung folge aber keine Freigabe des Mietverhältnisses. Die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Mietverhältnis falle nach Wirksamwerden der Enthaftungserklärung nicht an den Schuldner zurück. Wie ein Kautionsrückzahlungsanspruch falle auch ein Anspruch auf ein nach Eröffnung entstandenes Betriebskostenguthaben in die Masse.

II.

6

Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung nicht stand. Die Klage ist bereits unzulässig. Der Klägerin fehlt hinsichtlich des geltend gemachten Anspruchs die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis und damit auch die Prozessführungsbefugnis.

7

Das Schreiben der Klägerin vom 26. August 2009, mit dem sie hinsichtlich der vom Schuldner bei der [X.] angemieteten Wohnung die Enthaftungserklärung gemäß § 109 Abs. 1 Satz 2 [X.] abgab, hat zur Folge, dass nach Ablauf der Frist des § 109 Abs. 1 Satz 1 [X.] die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis hinsichtlich des Mietverhältnisses wieder auf den Schuldner überging.

8

1. Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Schuldners über das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen gemäß § 80 Abs. 1 [X.] auf den Verwalter über, im vereinfachten Insolvenzverfahren gemäß § 313 Abs. 1, § 80 Abs. 1 [X.] auf den Treuhänder. Miet- und [X.] über unbewegliche Gegenstände oder Räume bestehen gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 [X.] mit Wirkung für die Insolvenzmasse fort. § 108 Abs. 1 [X.] verdrängt insoweit § 103 Abs. 1 [X.] ([X.], Urteil vom 5. Juli 2007 - [X.], [X.]Z 173, 116 Rn. 9), in der Insolvenz des Vermieters unter der Voraussetzung, dass die Mietsache im [X.]punkt der Eröffnung bereits an den Mieter übergeben war ([X.], Urteil vom 5. Juli 2007, aaO Rn. 13 ff).

9

Der Verwalter hat das Sonderkündigungsrecht gemäß § 109 Abs. 1 Satz 1 [X.]. Handelt es sich jedoch um die Wohnung des Schuldners, steht dem Verwalter nur die Möglichkeit der Enthaftungserklärung nach § 109 Abs. 1 Satz 2 [X.] zur Verfügung. Gibt der Verwalter die Enthaftungserklärung ab, verbleibt es bis zum Ablauf der Kündigungsfrist des § 109 Abs. 1 Satz 1 [X.] bei dem Fortbestehen des Mietverhältnisses mit Wirkung für und gegen die Insolvenzmasse ([X.], Urteil vom 23. Februar 2012 - [X.], [X.], 784 Rn. 10). Nach Ablauf der Frist können jedoch gemäß § 109 Abs. 1 Satz 2 [X.] Ansprüche, die nach diesem [X.]punkt fällig werden, nicht im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden.

2. Die Frage, welche Auswirkungen die Enthaftungserklärung des Insolvenzverwalters nach § 109 Abs. 1 Satz 2 [X.] nach Ablauf der in § 109 Abs. 1 Satz 1 [X.] genannten Frist für das betroffene Wohnraummietverhältnis hat, ist umstritten. Im Wesentlichen werden drei Meinungen vertreten.

a) Nach einer Auffassung beschränkt sich die Bedeutung der Enthaftungserklärung darauf, dass die Masse für die nach Ablauf der Kündigungsfrist fällig werdenden Verbindlichkeiten nicht mehr hafte. Das Mietverhältnis unterliege aber weiterhin dem [X.]. Dem Insolvenzverwalter oder Treuhänder komme weiterhin die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis hinsichtlich des Mietverhältnisses zu. § 109 Abs. 1 Satz 2 [X.] lasse die Rechtswirkungen des § 80 Abs. 1 [X.] (gegebenenfalls iVm § 313 Abs. 1 [X.]) unberührt ([X.]/[X.], [X.], 13. Aufl., § 109 Rn. 21 ff; [X.]/[X.], [X.], § 109 Rn. 57, 70 f; [X.]/[X.] in [X.]/[X.]/Ringstmeier, [X.], 2. Aufl., § 109 Rn. 22; [X.], [X.], 803, 806; [X.], [X.], 607, 610; [X.], [X.], 441, 443).

b) Nach anderer Auffassung geht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis nach Ablauf der Frist vollständig auf den Schuldner über (HK-[X.]/[X.], 6. Aufl. § 109 Rn. 16; [X.], [X.], 401, 410 f; FK-[X.]/[X.], 7. Aufl., § 109 Rn. 16; MünchKomm-[X.]/[X.], 3. Aufl., § 109 Rn. 54; BK-[X.]/Goetsch, 2007, § 109 Rn. 10).

c) Nach einer dritten Ansicht fällt zwar die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den Schuldner zurück. Einzelne Forderungen aus dem Mietvertrag, wie diejenige auf Rückzahlung der Kaution, seien aber als Neuerwerb des Schuldners der Masse zuzuordnen (Tintelnot in [X.]/[X.], 2007, § 109 Rn. 20; HmbKomm-[X.]/Ahrendt, 4. Aufl., § 109 Rn. 22; Graf-Schlicker/Breitenbücher, [X.], 3. Aufl., § 109 Rn. 12; Hain, Z[X.] 2007, 192, 197; [X.], Z[X.] 2010, 1073).

3. Der [X.] hatte die Frage bisher offen gelassen ([X.], Urteil vom 9. Mai 2012 - [X.], [X.], 2270 Rn. 32). Sie ist dahin zu entscheiden, dass die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis hinsichtlich des Mietverhältnisses mit Wirksamwerden der Enthaftungserklärung in vollem Umfang auf den Schuldner übergeht (vgl. jetzt schon [X.], Urteil vom 9. April 2014 - [X.], zVb).

a) Der Wortlaut der Vorschrift, der auf die Geltendmachung im Insolvenzverfahren abstellt, könnte zwar dafür sprechen, dass die Enthaftungserklärung nur Folgen für Passivansprüche hat, die der Vermieter nicht mehr gegen die Masse, sondern nur noch gegen den Schuldner persönlich geltend machen kann. Die Enthaftungserklärung tritt jedoch an die Stelle der Kündigung nach § 109 Abs. 1 Satz 1 [X.]. Durch die Kündigung des Mietverhältnisses wird die Verbindung zur Masse für die [X.] nach Ablauf der Kündigungsfrist vollständig gelöst. Dies spricht dafür, Entsprechendes für die Enthaftungserklärung anzunehmen ([X.], Urteil vom 9. April 2014, aaO Rn. 14).

Durch die Enthaftungserklärung wird der Mietvertrag nicht beendet, er wird, sofern keine anderweitigen Beendigungsgründe eintreten, zwischen Schuldner und Vermieter fortgesetzt ([X.], Urteil vom 23. Februar 2012, aaO Rn. 10 mwN; Amtliche Begründung zu § 109 Abs. 1 Satz 2 [X.], BT-Drucks. 14/5680 S. 27 zu [X.]). Der Mieter erhält dadurch die Möglichkeit, durch die Übernahme der Mietzahlung und der Nebenkostenvorauszahlung aus seinem freien Vermögen die Wohnung zu behalten ([X.], Urteil vom 19. Juni 2008 - [X.], [X.], 1736 Rn. 22).

b) Bliebe die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Verwalters im Übrigen für das Mietverhältnis bestehen, hätte dies für die Masse erhebliche Nachteile. Ansprüche des Mieters gegen den Vermieter, etwa auf Mängelbeseitigung, Schadensersatz oder Minderung des Mietzinses, müssten vom Verwalter oder Treuhänder auf Kosten der Masse geltend gemacht werden. Die Erklärungen des Vermieters könnten umgekehrt nur dem Verwalter oder Treuhänder gegenüber abgegeben werden, der sie an den Schuldner weiterleiten müsste (Abmahnungen, Kündigung, Mieterhöhungsverlangen, Betriebskostenabrechnung). Prozesse müssten für den Schuldner auf Kosten der Masse geführt werden, ohne dass dem für die Masse Vorteile gegenüberstünden. Zudem könnte sich infolge des besonderen Aufwands des Verwalters dessen Vergütung durch Zuschläge gemäß § 3 Abs. 1 InsVV zum Nachteil der Masse erhöhen.

c) Für den Schuldner wäre es äußerst unpraktikabel, wenn er Erklärungen gegenüber dem Vermieter nicht selbst, sondern nur durch den Verwalter mit dessen Einverständnis abgeben könnte. Eine eigene Kündigungserklärung durch den Mieter wäre bei [X.] Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Verwalters unwirksam. Der Verwalter selbst könnte aber nach § 109 Abs. 1 Satz 2 [X.] eine Kündigungserklärung überhaupt nicht abgeben. Eine derartige Bindung des Schuldners an den Mietvertrag kann nicht angenommen werden. Deswegen wird selbst von der Meinung, die das Verwaltungs- und Verfügungsrecht weiterhin beim Verwalter sieht, eine Kündigungsmöglichkeit bejaht. Hierfür wird etwa eine Einschränkung der Verwaltungsbefugnis des Verwalters hinsichtlich der Kündigung ([X.]/[X.], aaO Rn. 21) angenommen oder ein Zusammenwirken zwischen Verwalter und Schuldner zu einer gemeinsamen Kündigung für notwendig erachtet (MünchKomm-[X.]/[X.], aaO Rn. 55).

d) Für den Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den Schuldner mit Wirksamwerden der Enthaftungserklärung spricht auch der Schutz des Vermieters. Diesem dürfen bestehende Aufrechnungsmöglichkeiten nicht dadurch entzogen werden, dass die nach § 387 BGB erforderliche Gegenseitigkeit der Ansprüche durch die Enthaftungserklärung aufgelöst wird. Könnte der Vermieter danach entstehende Ansprüche nur gegen den Schuldner geltend machen, während gegen ihn gerichtete neue Ansprüche aus dem Miet-vertrag der Masse zuständen, hätte er wegen der Unzulässigkeit der Aufrechnung Nachteile hinzunehmen, die mit dem Wesen des an sich unverändert fortgesetzten Mietvertrages nicht vereinbar wären. Selbst wenn man § 404 BGB entsprechend anwenden würde, stände einer Aufrechnung § 96 Abs. 1 Nr. 4 [X.] entgegen.

e) Im Ergebnis kann nichts anderes gelten als bei einer Freigabeerklärung nach § 35 Abs. 2 [X.].

aa) Nach dieser Vorschrift muss der Insolvenzverwalter hinsichtlich einer selbständigen Tätigkeit des Schuldners in jedem Fall erklären, ob Ansprüche aus dieser Tätigkeit im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können. Bei der Schaffung dieser Regelung hat sich der Gesetzgeber an § 109 Abs. 1 Satz 2 [X.] orientiert (BT-Drucks. 16/3227 S. 17 zu Nr. 12; [X.], [X.], 339 Rn. 21).

Zu § 35 Abs. 2 [X.] hat der Senat bereits entschieden, dass sich die Freigabe auf das Vermögen des Schuldner erstreckt, das seiner gewerblichen Tätigkeit gewidmet ist, einschließlich der dazu gehörenden Vertragsverhältnisse ([X.], Urteil vom 9. Februar 2012 - [X.], [X.]Z 192, 322 Rn. 19). Die freigabeähnliche Erklärung nach § 35 Abs. 2 Satz 1 [X.] betrifft im Unterschied zur echten Freigabe nicht nur einzelne Vermögensgegenstände, sondern eine Gesamtheit von Gegenständen und Werten. Die Freigabe verwirklicht sich mit dem Zugang der Freigabeerklärung bei dem Schuldner. Die Erklärung zerschneidet das rechtliche Band zwischen der Insolvenzmasse und der durch den Schuldner ausgeübten selbständigen Tätigkeit und leitet die der selbständigen Tätigkeit dienenden Vertragsverhältnisse von der Masse auf die Person des Schuldners um ([X.], aaO Rn. 19). Der in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck gekommene Wille des Gesetzgebers zur Freigabe auch von Vertragsverhältnissen hat in § 35 Abs. 2 Satz 1 [X.] hinreichend Ausdruck gefunden ([X.], aaO Rn. 21 f).

bb) Durch den Hinweis auf § 109 Abs. 1 Satz 2 [X.] bei Einführung des § 35 Abs. 2 Satz 1 [X.] hat der Gesetzgeber zwar nicht die in § 109 Abs. 1 geregelten Fristen in Bezug genommen, weshalb solche bei der Freigabeerklärung nach § 35 Abs. 2 Satz 1 [X.] nicht einzuhalten sind ([X.], Urteil vom 9. Februar 2012, aaO Rn. 23 ff; [X.], [X.], 339 Rn. 21). Die Bezugnahme macht aber deutlich, dass auch die freigabeähnliche Erklärung nach § 109 Abs. 1 Satz 2 [X.] das Vertragsverhältnis als Ganzes betrifft. Auch § 35 Abs. 2 Satz 1 [X.] regelt, wie § 109 Abs. 1 Satz 2 [X.], an sich nur, ob Ansprüche aus der selbständigen Tätigkeit "im Insolvenzverfahren" geltend gemacht werden können. Auch hier betrifft der Wortlaut also lediglich Ansprüche gegen die Masse. Ansprüche aus freigegebenen Vertragsverhältnissen können jedoch bei § 35 Abs. 2 Satz 1 [X.] nur vom Schuldner geltend gemacht werden. Mit der Freigabeerklärung ist die allgemeine Überleitung des Vertragsverhältnisses von der Masse auf den Schuldner verbunden. Nur dies ermöglicht eine klare Abgrenzung der die Masse und der den Schuldner treffenden, aus der selbständigen Tätigkeit herrührenden Verbindlichkeiten ([X.], aaO Rn. 27).

Auch die Enthaftungserklärung nach § 109 Abs. 1 Satz 2 [X.] muss wie die Regelung in § 35 Abs. 2 Satz 1 [X.] eine solche Überleitung des Mietverhältnisses von der Masse auf den Schuldner zur Folge haben, weil nur so den Belangen der Beteiligten angemessen Rechnung getragen und in der gebotenen Klarheit der rechtliche Rahmen für die Fortsetzung des Mietverhältnisses geschaffen werden kann. Nur so können, wie bei § 35 Abs. 2 [X.], die zahlreichen Zweifelsfragen geklärt werden, die sich andernfalls aus dem unklaren Wortlaut der Regelung ergeben würden.

cc) Die Enthaftungserklärung nach § 109 Abs. 1 Satz 2 [X.] ist allerdings, anders als die Freigabeerklärung nach § 35 Abs. 2 Satz 1 [X.], nicht gegenüber dem Schuldner abzugeben, sondern gegenüber dem Vermieter. Dies erklärt sich zum einen daraus, dass dessen Rechte gegen die Masse nach § 108 Abs. 1 [X.] beschränkt werden, zum anderen aus dem Umstand, dass die Person des Vermieters bekannt ist. Ihm gegenüber kann die Erklärung abgegeben werden. Daneben ist der Schuldner zu informieren (MünchKomm-[X.]/[X.], aaO Rn. 50).

Eine derartige Erklärung gegenüber allen Vertragspartnern des Schuldners bei einer Freigabe gemäß § 35 Abs. 2 Satz 1 [X.] ist dagegen nicht möglich, weil regelmäßig nicht alle Vertragspartner feststellbar sein werden, zumal sich die Freigabe auch auf künftige Verträge bezieht. Deshalb genügt hier eine Erklärung gegenüber dem Schuldner, die allerdings gemäß § 35 Abs. 3 Satz 1 [X.] dem Gericht gegenüber anzuzeigen und nach § 35 Abs. 3 Satz 2 [X.] von diesem öffentlich bekannt zu machen ist. Die Wirksamkeit der Freigabe tritt zwar schon mit der Erklärung gegenüber dem Schuldner ein. Durch die anschließende Veröffentlichung der Freigabeerklärung werden die Gläubiger und der Geschäftsverkehr jedoch informiert, so dass bei Verfahrensbeteiligten und [X.] keine Unklarheiten im Zusammenhang mit den durch den Schuldner im Rahmen der selbständigen Tätigkeit und den freigegebenen Vertragsverhältnissen abgegebenen Erklärungen auftreten ([X.], Urteil vom 9. Februar 2012, aaO Rn. 24). Eines solchen besonderen Schutzes durch öffentliche Bekanntmachung bedarf es bei § 109 Abs. 2 Satz 1 [X.] nicht.

dd) Der Umstand, dass den Schuldner nach der Freigabeerklärung gemäß § 35 Abs. 2 Satz 2 [X.] eine Abführungspflicht an die Masse nach dem Maßstab des § 295 Abs. 2 [X.] trifft (vgl. dazu [X.], Beschluss vom 13. Juni 2013 - [X.], [X.], 1612 Rn. 20; Urteil vom 13. März 2014 - [X.], [X.], 751 Rn. 17), steht einer Gleichbehandlung der Regelungen hinsichtlich ihrer freigabeähnlichen Wirkungen nicht entgegen. Die Abführungspflicht im laufenden Insolvenzverfahren besteht nur, soweit der Schuldner mit seiner Tätigkeit tatsächlich Gewinn erzielt. Sie ist der Höhe nach gemäß dem Maßstab des § 295 Abs. 2 [X.] beschränkt ([X.], Beschluss vom 13. Juni 2013, aaO Rn. 11 ff). Es soll damit verhindert werden, dass er besser gestellt ist als ein unselbständig tätiger Schuldner, dessen pfändbares Einkommen in die Masse fällt. Bei der Enthaftungserklärung nach § 109 Abs. 1 Satz 2 [X.] bedarf es eines solchen Ausgleichsmechanismusses nicht, weil aus dem Mietvertrag für den Schuldner als Mieter kein Gewinn zu erzielen ist. Selbständige und Unselbständige sind zudem gleichermaßen betroffen.

ee) Durch die freigabeähnliche Wirkung der Enthaftungserklärung nach § 109 Abs. 1 Satz 2 [X.] und den dadurch bewirkten Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis hinsichtlich des Mietverhältnisses auf den Schuldner geht den Gläubigern keine Haftungsmasse verloren. Die Forderungen des Vermieters muss der Schuldner aus seinem insolvenzfreien Vermögen befriedigen, auf das die Gläubiger auch außerhalb des Insolvenzverfahrens keinen Zugriff hätten (vgl. [X.], Urteil vom 19. Juni 2008 - [X.], [X.], 1736 Rn. 22).

ff) Ob die Entstehung oder Realisierung eines dem Schuldner aus dem Mietverhältnis zustehenden Anspruchs, etwa auf Auszahlung eines Nebenkostenguthabens, als Neuerwerb in die Masse fällt und vom Schuldner an den Verwalter abgeführt werden muss, ist im vorliegenden Prozess des Verwalters gegen den Vermieter nicht entscheidungserheblich und kann offen bleiben.

Der Senat weist aber auf folgendes hin:

(1) Bezieht der Schuldner [X.], ist ein Erstattungsanspruch aus einer Betriebs- und Heizkostenabrechnung des Vermieters unpfändbar, weil die entsprechende Rückzahlung gemäß § 19 Abs. 1, § 20 Abs. 1 SGB II nach § 22 Abs. 3 Satz 1 SGB II (früher § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II) die Leistungen des Folgemonats an den Hilfeempfänger mindert. Wäre in diesem Fall die Pfändung zulässig, würde sie nach dem Gesetz zu Lasten öffentlicher Mittel erfolgen, die dem Leistungsbezieher das Existenzminimum sichern. Da hiernach der Anspruch unpfändbar ist, fällt er gemäß § 36 Abs. 1 [X.] auch nicht in die Masse ([X.], 85 Rn. 16 ff; [X.], Urteil vom 20. Juni 2013 - [X.], NJW 2013, 2819 Rn. 8).

(2) Im Übrigen ist allerdings anerkannt, dass zu dem nach Verfahrenseröffnung begründeten Neuerwerb nicht nur das pfändbare Arbeitseinkommen gehört, sondern auch Gegenstände, die mit insolvenzfreien Mitteln erworben wurden, ebenso der Erlös beim Verkauf einer unpfändbaren Sache. Gleiches gilt für das aus dem unpfändbaren Teil des Arbeitseinkommens angesparte Vermögen ([X.], Beschluss vom 26. September 2013 - [X.], [X.], 2112 Rn. 8 mwN). Hinsichtlich dieser als Neuerwerb zur Masse gehörenden Gegenstände besteht für Insolvenzgläubiger das Vollstreckungsverbot des § 89 Abs. 1 [X.]. Der Verwalter oder Treuhänder kann aufgrund einer vollstreckbaren Ausfertigung des [X.] gemäß § 148 Abs. 2 [X.] die Herausgabe der Gegenstände oder die Abtretung derartiger Forderungen verlangen.

(3) Das gilt indessen nicht bei freigegebenen Gegenständen. Wird eine Forderung freigegeben, fällt ein mit deren Beitreibung erzieltes Vermögen nicht gemäß § 35 [X.] in die Masse ([X.], Urteil vom 21. April 2005 - [X.], [X.]Z 163, 32, 37 unter III).

(4) Ist nicht ein einzelner Gegenstand freigegeben, sondern die selbständige Tätigkeit des Schuldners, können die Neugläubiger, die nach der Freigabeerklärung Forderungen gegen den Schuldner erworben haben, auf die ab diesem [X.]punkt durch die selbständige Tätigkeit erwirtschafteten Vermögenswerte des Schuldners als eigenständige Haftungsmasse zugreifen. Den Altgläubigern ist dagegen die Vollstreckung gemäß § 89 [X.] in diese Vermögensgegenstände verwehrt (BT-Drucks. 16/3227 S. 17; [X.], Urteil vom 9. Februar 2012 - [X.], [X.]Z 192, 322 Rn. 28). Eine Herausgabevollstreckung des Insolvenzverwalters oder Treuhänders aus § 148 Abs. 2 [X.] ist hinsichtlich solcher Gegenstände nicht möglich ([X.], Urteil vom 13. März 2014 - [X.], [X.], 741 Rn. 12 f).

(5) Wegen der Parallelität der Enthaftungserklärung nach § 109 Abs. 1 Satz 2 [X.] mit der Freigabeerklärung nach § 35 Abs. 2 Satz 1 [X.] liegt es nahe, dass für das von der Enthaftungserklärung betroffene Mietverhältnis dieselben Grundsätze Anwendung finden, die bei der Freigabe nach § 35 Abs. 2 Satz 1 [X.] gelten.

gg) Der Gesetzgeber ist allerdings möglicherweise davon ausgegangen, dass der Anspruch auf Rückzahlung der [X.] in die Masse falle, weil er bereits vor Verfahrenseröffnung entstanden sei. Dieser Anspruch könne jedoch vom Insolvenzverwalter erst nach Beendigung des Mietverhältnisses geltend gemacht werden (BT-Drucks. 14/5680 S. 27 zu [X.]). Ob dabei die Auswirkungen der Enthaftungserklärung auf den Anspruch auf Rückzahlung der [X.] ausreichend bedacht worden sind, lässt sich der Gesetzesbegründung nicht entnehmen. Offenbar ist aber davon ausgegangen worden, dass es bei diesem Anspruch der Masse trotz der Enthaftungserklärung des Verwalters verbleiben würde. Ein zwingender Umkehrschluss, dass die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis aus diesem Grund beim Insolvenzverwalter verbleiben sollte, ergibt sich aber aus diesen Annahmen der Gesetzesbegründung nicht.

Kayser     

        

Vill     

        

Rin[X.] Lohmann ist erkrankt
und kann nicht unterschreiben

                                   

Kayser

        

[X.]     

        

Möhring     

        

Meta

IX ZR 136/13

22.05.2014

Bundesgerichtshof 9. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend LG Berlin, 24. Mai 2013, Az: 63 S 627/12

§ 199 Abs 1 S 2 InsO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 22.05.2014, Az. IX ZR 136/13 (REWIS RS 2014, 5293)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 5293

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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