Bundesgerichtshof, Urteil vom 25.05.2023, Az. IX ZR 116/21

9. Zivilsenat | REWIS RS 2023, 4623

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Gegenstand

Factoring: Zurechnung der Kenntnis des Verkäufers von Zahlungsunfähigkeit


Leitsatz

Im Rahmen des echten Factorings muss sich der Factor die Kenntnis des Forderungsverkäufers von der Zahlungsunfähigkeit des späteren Insolvenzschuldners oder den die Zahlungsunfähigkeit begründenden Umständen regelmäßig nicht allein wegen der den Forderungsverkäufer treffenden Pflichten zur Unterstützung des Factors bei der Forderungsdurchsetzung und zur Information des Factors über eine Zahlungsunfähigkeit begründende Umstände zurechnen lassen.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 9. Zivilsenats des [X.] vom 23. Juni 2021 aufgehoben, soweit zu ihrem Nachteil entschieden worden ist, und die Berufung des [X.] gegen das Urteil der 6. Zivilkammer des [X.] vom 10. September 2020 auch insoweit zurückgewiesen.

Die Kosten der Rechtsmittel werden dem Kläger auferlegt.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger ist Verwalter in dem auf Eigenantrag vom 14. Juli 2015 am 28. August 2015 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der [X.] (fortan: Schuldnerin). Gegenstand des Unternehmens der Schuldnerin war die Produktion und der Vertrieb von Räucherfisch. Am 24. November 2014 schloss die Schuldnerin mit der                AG (fortan:            AG), einem Dienstleister im Bereich der Mittelstandsfinanzierung, einen Rahmenvertrag, in dem sich die           AG dazu verpflichtete, auf Anforderung der Schuldnerin Waren oder Investitionsgüter zu erwerben und an diese mit einem vereinbarten Zahlungsziel von 60 Tagen weiter zu veräußern. Die        AG räumte der Schuldnerin ein Bestelllimit von 100.000 € ein.

2

Die           AG hatte im August 2014 ihrerseits einen Factoringvertrag mit der Beklagten geschlossen, in dem sie sich verpflichtet hatte, ihre künftig entstehenden Forderungen aus Warenlieferungen oder Leistungen der Beklagten zum Kauf anzubieten und ihr bereits im Voraus abzutreten. Als Gegenleistung sollte die Beklagte der            AG den Bruttobetrag der Forderung abzüglich einer Factoringgebühr und Zinsen gutschreiben. Gegenstand des [X.], in dem die Beklagte als Factor und die             AG als Firma bezeichnet sind, waren folgende Regelungen:

"7.1 [X.] obliegen Mahn- und weitergehende Rechtsverfolgungsmaßnahmen für alle angekauften und abgetretenen Forderungen. […]

[…]

11.1 Die Firma verpflichtet sich, jede vom Factor geforderte Unterstützung zur Durchsetzung von Ansprüchen gegenüber Debitoren nach besten Kräften unverzüglich zu gewähren, insbesondere durch Auskunftserteilung, Überlassung von Unterlagen sowie Abgabe aller Erklärungen, die ggf. zur Durchsetzung erforderlich sind. […]"

3

Weitere Grundlage der Geschäftsbeziehungen zwischen der Beklagten und der          AG waren die [X.] der Beklagten. Diese enthielten folgende Regelung:

"4. b) Sind oder werden der Firma Umstände bekannt, welche die Zahlungsunfähigkeit des [X.] und die Durchsetzung einer zum Kauf anzubietenden, angebotenen bzw. angekauften Forderung gefährden könnten, hat sie dem Factor diese Umstände unverzüglich mitzuteilen."

4

Am 9. Februar 2015 stellte die           AG der Schuldnerin eine Rechnung für Warenlieferungen über 53.843,26 € und teilte ihr zugleich mit, dass sie die Forderung an die Beklagte abgetreten habe und der Rechnungsbetrag mit schuldbefreiender Wirkung nur an die Beklagte gezahlt werden könne. Innerhalb des bis zum 9. Mai 2015 verlängerten [X.] beglich die Schuldnerin die Rechnung nicht. Am 22. Mai 2015 erklärte die Schuldnerin gegenüber der           AG, sie könne eine Zahlung der Forderung bis zum 27. oder 28. Juni 2015 zusagen. Die           AG lehnte eine Zahlung bis zum 27. oder 28. Juni 2015 ab, forderte die Schuldnerin zur Zahlung bis zum 27. Mai 2015 auf und drohte ihr für den Fall der Nichtzahlung an, dass die Einkaufslinie der Schuldnerin gestrichen werde. Am 28. Mai 2015 überwies die Schuldnerin den Rechnungsbetrag an die Beklagte.

5

Der Kläger verlangt im Wege der Insolvenzanfechtung die Rückgewähr von 53.843,26 € nebst Zinsen sowie die Erstattung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten. Das [X.] hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des [X.] hat das Berufungsgericht die Beklagte zur Zahlung von 53.843,26 € nebst Zinsen verurteilt und die weitergehende Berufung zurückgewiesen.

6

Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Entscheidungsgründe

7

Die Revision hat Erfolg.

I.

8

Das Berufungsgericht, dessen Urteil unter anderem in [X.], 1805 ff veröffentlicht ist, hat den Anfechtungsanspruch gemäß § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 143 Abs. 1 [X.] für begründet erachtet. Die Beklagte habe im Zeitpunkt der Zahlung am 28. Mai 2015 gewusst, dass die Schuldnerin zahlungsunfähig gewesen sei. [X.] könne, inwieweit die Beklagte eigene Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin oder den zugrundeliegenden Umständen gehabt habe. Die Beklagte müsse sich jedenfalls die Kenntnis der         [X.] entsprechend § 166 Abs. 1 [X.] zurechnen lassen. Die             [X.] sei nach der Arbeitsorganisation der Beklagten dazu berufen gewesen, für diese im Rechtsverkehr aufzutreten. Schon gemäß Nr. 11.1 des [X.] mit der Beklagten sei die            [X.] verpflichtet gewesen, die Beklagte bei der Durchsetzung der an diese abgetretenen Forderungen zu unterstützen. Tatsächlich sei die           [X.] im Rahmen der Durchsetzung der Forderung gegen die Schuldnerin in erheblich weitergehendem Umfang eigenverantwortlich tätig geworden. Sie habe mit der Schuldnerin über die fristgerechte Zahlung verhandelt und insbesondere die im Namen der Schuldnerin begehrte Verlängerung der Zahlungsfrist bis zum 27. oder 28. Juni 2015 abgelehnt. Dieses eigenverantwortliche Tätigwerden der           [X.] müsse sich die Beklagte entgegenhalten lassen, auch wenn Entsprechendes im Factoringvertrag zwischen ihr und der           [X.] nicht vereinbart gewesen sei. Die Beklagte habe den Umständen nach Kenntnis von der Tätigkeit der         [X.] gehabt und diese hingenommen. Dass die Beklagte trotz Verstreichens der Zahlungsfrist am 9. Mai 2015 bis zur Erfüllung der Forderung am 28. Mai 2015 untätig geblieben sei, sei nur dadurch zu erklären, dass sie davon ausgegangen sei, die Schuldnerin werde anderweitig zur zeitnahen Zahlung angehalten. Andernfalls hätte es nahegelegen, dass die Beklagte jedenfalls den Kontakt zur Schuldnerin gesucht hätte. Ein etwaiges eigenes Interesse der           [X.] an der Durchsetzung der Forderung stehe ihrer faktischen Einbeziehung in die Arbeitsorganisation der Beklagten nicht entgegen. Die             [X.] sei nach [X.]. b der Allgemeinen Factoringbedingungen der Beklagten verpflichtet gewesen, Wissen betreffend die Zahlungsfähigkeit der Schuldnerin an die Beklagte weiterzuleiten.

II.

9

Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Mit den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen kann das Vorliegen der subjektiven Voraussetzungen einer Insolvenzanfechtung nach § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 [X.] - also die positive Kenntnis der Beklagten als Anfechtungsgegnerin von der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin - nicht angenommen werden.

1. Von der Revision unangefochten stellt das Berufungsgericht fest, dass die Schuldnerin im Zeitpunkt der Vornahme der Zahlung an die Beklagte zahlungsunfähig und dies der       [X.] bekannt war.

2. Mit Recht wendet sich die Revision gegen die Ansicht des Berufungsgerichts, der Beklagten sei die Kenntnis der           [X.] von der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin in entsprechender Anwendung von § 166 Abs. 1 [X.] zuzurechnen.

a) Nach der Rechtsprechung des [X.] ist § 166 Abs. 1 [X.] entsprechend auch auf so genannte [X.] anzuwenden (vgl. [X.], Urteil vom 24. Januar 1992 - [X.], [X.]Z 117, 104, 106 f mwN; vom 25. Oktober 2018 - [X.], [X.], 35 Rn. 13). [X.] ist dabei jeder, der nach der Arbeitsorganisation des [X.]n dazu berufen ist, im Rechtsverkehr als dessen Repräsentant bestimmte Aufgaben in eigener Verantwortung zu erledigen und die dabei anfallenden Informationen zur Kenntnis zu nehmen sowie gegebenenfalls weiterzuleiten. Der [X.] muss sich seiner im rechtsgeschäftlichen Verkehr wie eines Vertreters bedienen ([X.], Urteil vom 10. Februar 1971 - [X.], [X.]Z 55, 307, 311; vom 24. Januar 1992, aaO [X.]; vom 13. Dezember 2012 - [X.], [X.], 448 Rn. 23); einer ausdrücklichen Bestellung zum rechtsgeschäftlichen Vertreter oder zum [X.] bedarf es hierfür nicht ([X.], Urteil vom 2. Februar 1996 - [X.], [X.]Z 132, 30, 35 mwN). Die Wissenszurechnung beruht letztlich auf der Erwägung, dass der [X.] aus einer geschäftsorganisatorisch bedingten Wissensaufspaltung keine Vorteile ziehen soll ([X.], Urteil vom 14. Januar 2016 - [X.], [X.], 3445 Rn. 61).

b) Nach diesen Maßstäben muss sich die Beklagte das Wissen der            [X.] nicht zurechnen lassen.

aa) Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass eine Wissenszurechnung auch im Rahmen der Insolvenzanfechtung in Betracht kommt (vgl. schon [X.], Urteil vom 15. Januar 1964 - [X.], [X.]Z 41, 17, 21 zu § 30 Nr. 1 KO; vom 31. Oktober 2019 - [X.], [X.], 223 Rn. 14). So hat der Senat angenommen, dass sich ein Gläubiger das Wissen eines externen [X.], den er ausdrücklich mit dem Empfang der schuldnerischen Leistung oder mit der Durchsetzung einer Forderung gegen den späteren Insolvenzschuldner beauftragt hat, zurechnen lassen muss ([X.], Urteil vom 22. November 1990 - [X.], [X.], 39, 41 und vom 10. Januar 2013 - [X.], [X.], 174 Rn. 26 zum beauftragten Rechtsanwalt; vom 3. April 2014 - [X.], [X.], 650 Rn. 38 zum Inkassounternehmen). Ebenso hat der Senat eine Wissenszurechnung für am Rechtsverkehr teilnehmende Organisationen etwa im Bankenbereich oder in der Versicherungswirtschaft, aber auch für Behörden angenommen, wenn es aufgrund einer arbeitsteiligen Organisation zu Wissensverlagerungen oder Wissensaufspaltungen kommt (vgl. [X.], Urteil vom 15. Dezember 2005 - [X.], [X.], 194, 195; vom 16. Juli 2009 - [X.], [X.]Z 182, 85 Rn. 16; vom 30. Juni 2011 - [X.], [X.]Z 190, 201 Rn. 14 ff).

bb) Jedoch rechtfertigen weder die in Nr. 11.1 des [X.] und in [X.]. b der Allgemeinen Factoringbedingungen niedergelegten Unterstützungs- und Informationspflichten der          [X.] eine Wissenszurechnung entsprechend § 166 Abs. 1 [X.], noch kann allein aus dem Umstand, dass die Beklagte trotz Verstreichens der Zahlungsfrist am 9. Mai 2015 bis zur Erfüllung der Forderung am 28. Mai 2015 gegenüber der Schuldnerin untätig geblieben ist, darauf geschlossen werden, dass die Beklagte die          [X.] mit der Erledigung bestimmter Angelegenheiten in eigener Verantwortung betraut hat.

(1) Aus den in Nr. 11.1 des [X.] und [X.]. b der Allgemeinen Factoringbedingungen geregelten Pflichten der           [X.], die Beklagte bei der Durchsetzung von Ansprüchen gegen Debitoren zu unterstützen und Informationen über die Zahlungsunfähigkeit eines [X.] mitzuteilen, folgt keine für eine Wissenszurechnung ausreichende Stellung der            [X.] in Bezug auf die Beklagte.

Bei diesen Regelungen handelt es sich um eine in echten Factoring-Verträgen typischerweise vorkommende Konkretisierung der sich bereits aus § 402 [X.] ergebenden Nebenpflichten des [X.]s (vgl. [X.] in [X.] Vertragshandbuch 2, Wirtschaftsrecht I, 8. Aufl., VI. [X.], [X.]. 48; [X.], BB 2021, 2056, 2059). Nach § 402 [X.] ist der bisherige Gläubiger verpflichtet, dem neuen Gläubiger die zur Geltendmachung der Forderung nötige Auskunft zu erteilen. Die Vorschrift gibt dem neuen Gläubiger im Interesse der Verkehrsfähigkeit von Forderungen [X.] gegen den bisherigen Gläubiger an die Hand, die dem neuen Gläubiger die erfolgreiche Durchsetzung der Forderung erleichtern sollen. Nach allgemeiner Meinung erstreckt sich die Auskunftspflicht des bisherigen Gläubigers auch auf die ihm bekannten persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners und auf solche Tatsachen und Umstände, die erst nach der Abtretung eingetreten sind oder die ihm erst nach der Abtretung bekannt geworden sind ([X.]/Busche, [X.], 2022, § 402 Rn. 10; MünchKomm-[X.]/[X.], 9. Aufl., § 402 Rn. 5). Bereits die Stellung des § 402 [X.] im Gesetz spricht dafür, dass es sich bei der dort normierten Auskunftspflicht um eine reine Nebenpflicht des bisherigen Gläubigers handelt, deren Verletzung allenfalls eine Schadensersatzpflicht des bisherigen Gläubigers nach sich zieht ([X.]/Busche, aaO Rn. 4; MünchKomm-[X.]/[X.], aaO). Hingegen handelt es sich nicht um eine allgemeine Vorschrift zur Wissenszurechnung. Aus der Nebenpflicht des [X.]s zur Auskunftserteilung beim echten Factoring folgt damit für sich genommen keine für eine Wissenszurechnung ausreichende Stellung im Verhältnis zum Factor.

(2) Auch im Übrigen fehlt es nach den vorliegenden Bedingungen des [X.] an einer die Wissenszurechnung begründenden Beauftragung oder Einbeziehung der            [X.] in die arbeitsteilige Organisation der Beklagten. Nach Nr. 7.1 des [X.] obliegen die Mahn- und weitergehenden Rechtsverfolgungsmaßnahmen für alle angekauften und abgetretenen Forderungen der Beklagten. Eine Beteiligung der           [X.] am Forderungseinzug ist gerade nicht vorgesehen. Diese ebenfalls für den echten Factoringvertrag typische Regelung (vgl. [X.] in [X.] Vertragshandbuch 2, Wirtschaftsrecht I, 8. Aufl., VI. [X.], mit [X.]. 42; [X.], BB 2021, 2056, 2059) entspricht dem Umstand, dass der Factor beim echtem Factoring Inhaber der Forderung wird, weil er die Forderung zur eigenen Durchsetzung auf eigene Rechnung und auf eigenes Risiko ankauft. Eine Einbeziehung des [X.]s in die arbeitsteilige Organisation des Factors oder eine Beauftragung des [X.]s mit dem Forderungseinzug ist damit nicht verbunden (vgl. [X.]/Schilken, 2023, § 166 [X.] Rn. 21.1; [X.], [X.], 1008, 1009; [X.], aaO S. 2059). Der [X.] verkauft seine Forderungen an den Factor als (Finanz)Dienstleister, bleibt aber von diesem rechtlich und organisatorisch unabhängig. Insoweit unterscheidet sich die Rechtslage beim echten Factoring maßgeblich von derjenigen bei Geltendmachung einer Forderung im Wege der Beauftragung eines externen [X.], etwa eines Rechtsanwalts oder eines Inkassounternehmens, die die Forderung für den Gläubiger in dessen Interesse durchsetzen.

(3) Schließlich erlauben die von der            [X.] zur Forderungsdurchsetzung zugunsten der Beklagten vorgenommenen Handlungen im Streitfall keinen ausreichend sicheren Schluss auf eine Beauftragung oder eine arbeitsteilige Eingliederung des [X.]s in den Forderungseinzug durch den Factor.

Eine Zurechnung der Kenntnis eines [X.] als [X.] könnte zwar auch dann in Betracht kommen, wenn dieser ohne Vertretungsmacht oder ohne Auftrag gehandelt hat (vgl. [X.], Urteil vom 24. Januar 1992 - [X.], [X.]Z 117, 104, 107 f). Eine Wissenszurechnung setzt dann aber das Bestehen konkreter Anhaltspunkte dafür voraus, dass das Tätigwerden des [X.] dem [X.]n bekannt ist und von diesem wenigstens gebilligt wird [X.], [X.], 226; aA [X.], BB 2021, 2056, 2061). Die nach der Rechtsprechung des [X.] zur Wissenszurechnung erforderliche willentliche und bewusste Einschaltung des [X.] als [X.] des [X.]n darf nicht schlicht vermutet, sondern muss vom Tatrichter auf der Grundlage hinreichend tragfähiger Anhaltspunkte festgestellt werden. Es obliegt dem Insolvenzverwalter darzulegen und zu beweisen, dass der Factor Kenntnis von dem Tätigwerden des [X.]s hatte und dies wenigstens gebilligt hat.

Solche Umstände ergeben sich hier nicht schon daraus, dass die           [X.] die Schuldnerin hinsichtlich der streitgegenständlichen Forderung zur Zahlung bis zum 27. Mai 2015 aufforderte, hierzu Druck auf die Schuldnerin ausübte und die Beklagte trotz Verstreichens der Zahlungsfrist am 9. Mai 2015 bis zur Erfüllung der Forderung am 28. Mai 2015 gegenüber der Schuldnerin untätig geblieben ist. Dass die Beklagte dieses Verhalten der           [X.] kannte und sich zunutze machte, kann allein aus ihrer Untätigkeit bezüglich dieser Forderung nicht gefolgert werden. Insbesondere fehlen Feststellungen dazu, dass die            [X.] oder andere [X.] sich auch bei weiteren an die Beklagte abgetretenen Forderungen entsprechend verhalten haben und die Beklagte dies duldete. Die Beklagte weist mit Recht darauf hin, dass ein derartiges Tätigwerden des [X.]s typischerweise zugleich in dessen eigenem Interesse erfolgt. Zum einen wirkt sich eine verspätete Zahlung des [X.] auf die Höhe der vom [X.] an den Factor zu zahlende Vergütung aus. Diese besteht bei dem auch hier angewandten Nominalwertverfahren aus einer festen Vergütung in Höhe eines prozentualen Anteils am Nominalbetrag der Forderung für die [X.] und aus einem Zins, der auf das jeweilige Finanzierungsvolumen berechnet wird, wobei die Zinsen von der Gutschrift oder Auszahlung des [X.] bis zur Zahlung des [X.] oder dem Eintritt des [X.] zu zahlen sind (vgl. [X.] in [X.] Vertragshandbuch 2, Wirtschaftsrecht I, 8. Aufl., VI. [X.], [X.]. 37; [X.]/[X.]/[X.], Vertrags- und Formularbuch zum Handels-, Gesellschafts-, Bank- und Kapitalmarktrecht, 5. Aufl., [X.] 1 Factoringvertrag, [X.]. 12; [X.], BB 2021, 2056, 2058). Zum anderen kann das Bestehen noch zur Zahlung offener, vom Factor angekaufter Forderungen gegen einen bestimmten Schuldner den Ankauf weiterer Forderungen gegen diesen hindern, insbesondere, wenn das für den betreffenden Schuldner eingeräumte Debitorenlimit ausgeschöpft ist. Der [X.] hat jedoch zur Sicherung seiner eigenen Liquidität ein Interesse am fortlaufenden Forderungsankauf durch den Factor, was die fristgerechte Rückführung angekaufter Forderungen durch den [X.] voraussetzt ([X.], BB 2021, 2056, 2060).

III.

Das angefochtene Urteil kann deshalb keinen Bestand haben. Es ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da die Aufhebung nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist, hat der Senat in der Sache selbst zu entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO). Weitere Feststellungen des Berufungsgerichts zur Kenntnis der Beklagten von der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin sind nicht zu erwarten. Trotz Abweisung der Klage in erster Instanz mangels Zurechnung des Wissens der            [X.] hat der Kläger in der Berufungsinstanz auch nach einem Hinweis des Berufungsgerichts keine weiteren Tatsachen vorgetragen, die für eine Einordnung der            [X.] als [X.] der Beklagten sprechen könnten, und solche sind auch sonst nicht ersichtlich. Soweit das Berufungsgericht offengelassen hat, ob die         [X.] nach den Grundsätzen über die Duldungsvollmacht als Vertreterin der Beklagten tätig wurde, kommt es hierauf nicht an. Denn eine Duldungsvollmacht ist nur gegeben, wenn der Vertretene es - in der Regel über einen längeren Zeitraum - wissentlich geschehen lässt, dass ein anderer für ihn ohne Bevollmächtigung als Vertreter auftritt ([X.], Urteil vom 21. Juni 2005 - [X.], [X.], 1520, 1522). Hierzu hat der Kläger aber keine entsprechenden Tatsachen vorgetragen. Ebenso wenig hat der Kläger behauptet, dass die Beklagte eigene Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin oder von Umständen hatte, die zwingend auf eine Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin schließen lassen (§ 130 Abs. 2 [X.]).

Schoppmeyer     

      

Lohmann     

      

Schultz

      

Selbmann     

      

Harms     

      

Meta

IX ZR 116/21

25.05.2023

Bundesgerichtshof 9. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, 23. Juni 2021, Az: 9 U 109/20, Urteil

§ 130 Abs 1 S 1 InsO, § 166 Abs 1 BGB, § 402 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 25.05.2023, Az. IX ZR 116/21 (REWIS RS 2023, 4623)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 4623

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IX ZR 155/08

IX ZR 201/13

IX ZR 13/12

IX ZR 170/18

I ZR 65/14

III ZR 298/11

IX ZR 168/17

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