Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 13.12.2005, Az. 1 StR 410/05

1. Strafsenat | REWIS RS 2005, 307

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[X.]IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 1 StR 410/05 vom 13. Dezember 2005 in der Strafsache gegen 1. 2. wegen Körperverletzung mit Todesfolge u.a. - 2 - Der 1. Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 13. Dezember 2005, an der teilgenommen haben: [X.] am [X.] [X.] und [X.] am [X.] Dr. Wahl, [X.], [X.], Dr. [X.], Staatsanwalt als Vertreter der [X.], Rechtsanwalt als Verteidiger des Angeklagten [X.] , Rechtsanwalt als Verteidiger der Angeklagten [X.], Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle, für Recht erkannt: - 3 - Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des [X.] vom 21. April 2005 mit den [X.] aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine als Schwurgericht tätige [X.] des [X.] zurückverwiesen. Von Rechts wegen Gründe: [X.] Am 7. Januar 2004 verstarb die dreijährige [X.]. Nach den [X.] wurde das Kind vom Angeklagten [X.] , dem Lebensgefährten der Mutter des Kindes, der Angeklagten [X.] , mehrere Tage lang körperlich schwer misshandelt. Die Angeklagte schritt dagegen nicht mit der gebotenen Entschiedenheit ein; wirkte teilweise sogar aktiv mit. Am Abend des 4. Januar 2004 versetzte der Angeklagte [X.]mit solcher Gewalt einen Schlag ins Gesicht, dass sie mit dem Kopf gegen die Zimmerwand prallte, röchelte und bewusstlos zu Boden sank. Bemü-hungen der Angeklagten, [X.]wieder zu Bewusstsein zu bringen, blieben erfolglos. Ärztliche Hilfe holten sie nicht herbei. Erst am nächsten Tag verbrach-- 4 - ten sie das immer noch ohnmächtige Mädchen gegen 14.00 Uhr in eine Toilette eines Krankenhauses, wo es dann aufgefunden wurde. Trotz ärztlicher Inten-sivbehandlung war [X.]jedoch nicht mehr zu retten. Auch bei sofortiger ärztlicher Hilfe hätte das Kind wahrscheinlich nicht überlebt. Die [X.] des [X.] hat beide Angeklagte wegen Misshandlung einer Schutzbefohlenen (§ 225 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 1 StGB) in Tateinheit mit Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 Abs. 1 StGB) - bei der Angeklagten begangen durch Unterlassen (§ 13 StGB) zu Freiheitsstrafen ver-urteilt, den Angeklagten - wegen erheblicher Verminderung der Steuerungs- und damit der Schuldfähigkeit zur Tatzeit ausgehend von dem nach den §§ 21, 49 Abs. 1 StGB herabgesetzten Strafrahmen des § 227 Abs. 1 StGB - zu der Freiheitsstrafe von zehn Jahren und drei Monaten, die Angeklagte - unter Her-absetzung des Strafrahmens des § 227 Abs. 1 StGB gemäß §§ 13 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB - zu der Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten. [X.] verfügte die [X.] die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus, bei Anordnung des [X.] von drei Jah-ren Freiheitsstrafe. Tötungsvorsatz im Zusammenhang mit dem tödlichen Schlag hat die [X.] bei beiden Angeklagten verneint. Dies, sowie die fehlende Prüfung einer Strafbarkeit jedenfalls wegen versuchten Mordes durch Unterlassen nach dem Schlag (keine sofortige Herbeiholung ärztlicher Hilfe) beanstandet die Staatsanwaltschaft mit ihrer zu Ungunsten der Angeklagten eingelegten sowie auf die Sachrüge und einige Formalrügen gestützte Revision und erstrebt die Aufhebung des Urteils. Das Rechtsmittel der Staatsanwalt-schaft hat schon mit der Sachrüge Erfolg. Die Beweiswürdigung zur Feststel-lung fehlenden bedingten Tötungsvorsatzes ist nicht frei von [X.]. Auf die Formalrügen kommt es deshalb nicht mehr an. - 5 - I[X.] Im Einzelnen hat die [X.] Folgendes festgestellt: 1. Der 1973 in [X.] geborene, hier aufgewachsene und zur Tatzeit 30-jährige Angeklagte [X.]
konsumierte insbesondere im Alter von 12 bis 15 Jahren exzessiv gewalthaltige Videofilme und Computerspiele. Nach der achten Klasse verließ er die Hauptschule ohne Abschluss. Sein anschließendes Leben war bei kurzfristigen Ausbildungs- und Arbeitsverhältnissen geprägt von Drogen- und Alkoholkonsum, Arbeitslosigkeit, der Begehung von - auch gewalttätigen - Straftaten, dadurch bedingten Haftzeiten sowie von zahl-reichen Drogentherapien beziehungsweise Therapieversuchen. Zuletzt wurde er mit Methadon substituiert. Die zur Tatzeit 24-jährige Angeklagte [X.] kam im Jahre 1979 in [X.] zur Welt. Nach ihrer Schulzeit führte sie ein unstetes Leben in [X.] und [X.] unter Erwerbstätigkeit im Amüsierbereich. Drogen ([X.], [X.] und Kokain) konsumierte sie zuletzt nicht mehr. Bier, Wein und Schnaps nimmt sie seit ihrem 14. Lebensjahr regelmäßig, manchmal auch im Übermaß, zu sich. Im Alter von 21 Jahren wurde die Angeklagte von einem anderweitig ge-bundenen, etwa 15 Jahre älteren Mann - Türsteher, Bodyguard und damals ihr Zuhälter - ungewollt schwanger. Am 6. Dezember 2000 wurde [X.], das spätere Tatopfer, in [X.]

geboren. Während der ersten drei Monate betreute die Angeklagte ihre Tochter selbst. Dann überließ sie dies weitgehend anderen Personen, darunter ihrer in [X.]wohnhaften Mutter. Der Aus-tausch von Zärtlichkeiten zwischen der Angeklagten und [X.]war die Aus-- 6 - nahme. Das Kind wurde von der Angeklagten öfters angeschrieen und [X.]. Gelegentlich erhielt es Ohrfeigen. Zu weiteren Misshandlungen kam es jedoch nicht. 2. a) Im November 2003 fanden sich die Angeklagten und lebten von da an zusammen, zunächst in der Wohnung der Mutter der Angeklagten. Nach einem Wutanfall des Angeklagten - wobei er mit dem Kopf einen Spiegel zer-trümmert hatte - der Wohnung verwiesen, fanden die Angeklagten in der zwei-ten [X.] 2003 Unterschlupf im Einfamilienhaus eines Bekannten des Angeklagten im Stadtteil [X.]. Zwischen den Angeklagten gab es häufig Streit, wobei der Angeklagte seiner Lebensgefährtin auch [X.] versetzte. Im Übrigen verbrachten sie die Vormittage meist im Bett und die Nachmittage mit dem [X.] von Alkohol und mit Fernsehen. [X.]spielte währenddessen oder sollte schlafen. Wegen —[X.], wie Hinauszögerns des angeordneten Mittagsschlafs, Problemen beim abendlichen Einschlafen, langsamen Essens und ähnlicher typisch kindlicher Verhaltensweisen ärgerte sich der Angeklagte. Er beschloss, [X.]mittels Strafen zu —erziehenfi. Vom 1. Januar 2004 an unterzog der Angeklagte [X.]deshalb einer Tortur, die am 4. Januar 2004 mit der Beifügung der zum Tode des Kindes füh-renden Verletzungen endete. Die Angeklagte, die alles miterlebte, und sich ihrer Fürsorgepflicht gegenüber ihrer Tochter bewusst war, widersetzte sich den Ü-bergriffen des Angeklagten nicht mit der gebotenen - und ihr zumutbaren - Ent-schiedenheit. Erreichbare Hilfe, z.B. beim Wohnungsgeber oder von anderen Personen, suchte sie nicht. Sie unternahm auch nicht den Versuch, unter [X.] auszuziehen, etwa zurück zur Mutter. Nur gelegentlich setz-te sie zum Widerstand an. In Einzelfällen wirkte sie demgegenüber sogar aktiv an den Misshandlungen ihrer Tochter durch den Angeklagten mit. - 7 - Entsprechend der Forderung des Angeklagten, dass das Kind, das er im-mer wieder als Bastard bezeichnete, weg müsse, hatten die Angeklagten auch erwogen, das Kind vor einem Wohnanwesen oder in einer [X.] auszusetzen oder nach [X.] zu verbringen. —Keiner der Angeklagten unternahm jedoch ei-nen Versuch, einen dieser Pläne in die Tat umzusetzen.fi Von einer Tötung des Kindes war aber nie die Rede. b) Folgende einzelne Vorfälle vermochte die [X.] dann festzustel-len, wobei ihr eine genaue zeitliche Einordnung nur teilweise möglich war. Am 1. Januar 2004 bemalte [X.] in der Wohnung herumliegendes Papier, was missfiel. Zur Strafe brachte der Angeklagte [X.]in einen unbe-heizten Raum, die so genannte "[X.]". Dort schlug er dem Kind [X.] mit einem Holzstab auf die Finger beider Hände, so dass jene rot anlie-fen und anschwollen. Dann musste [X.], nur mit einem kurzärmligen T-Shirt und mit einer Strumpfhose bekleidet, bei geöffnetem Fenster und bei Minustemperaturen im Außenbereich, einige Stunden in der —[X.] stehen bleiben. Nachdem sich der Angeklagte beruhigt hatte, [X.] er [X.]s geschwollene Hände ein und verband sie. Zum Ärger des Angeklagten spielte [X.]

am Morgen des 2. Januar 2004 mit der letzten gefüllten [X.], die dem Angeklagten noch zur Verfügung stand. Er erhitze mit einem Feuerzeug den Plastikverschluss einer leeren [X.], packte die am Unterkörper entblößte [X.] am Na-cken, drückte sie mit dem Gesicht auf eine Matratze und presste die ange-schmorte Spitze des Verschlusses mit Drehungen auf das Gesäß und die Oberschenkel des Mädchens. Dies wiederholte der Angeklagte mehrfach so-- 8 - wohl an diesem wie auch am nächsten Tag. Die Angeklagte half hierbei dem Angeklagten jeweils —weisungsgemäßfi, das Kind festzuhalten. Bei anderer Gelegenheit zwang der Angeklagte [X.], sich mit dem Bauch auf den Boden zu legen. Dann schlug er mit einem Ledergürtel so auf das entblößte Kind ein, dass es vom Rücken bis zu den [X.] etwa sechs rote Striemen erlitt. Nach diesem Vorfall drohte die Angeklagte dem Angeklag-ten, ihn zu verlassen. Er entschuldigte sich, [X.] das Kind ein und bandagier-te es. Zu einem weiteren Zeitpunkt versetze der Angeklagte dem Kind einen Schlag mit der flachen Hand ins Gesicht, sodass das Mädchen mit dem Kopf gegen die Wand prallte. An einem der Abende holte der Angeklagte [X.]aus [X.] - dorthin hatte er sie einige Stunden zuvor verbracht - ins Schlafzimmer, haute ihr das schnurlose Telefon [X.] gegen den Kopf, setzte sich mit der Angeklagten auf das Bett und schlug dem vor ihm stehenden Kind mit der Hand so gegen den Hinterkopf, dass es mit dem Gesicht auf der Kommode auf-schlug und dann zu Boden fiel. Dies wiederholte er auf ähnliche Art und Weise [X.], allerdings ohne dass sich das Mädchen erneut an der Kommode stieß. [X.]erlitt an den Ohren und im Gesicht blutende Verletzungen. Diese [X.] der Angeklagte dann zwar ein und ließ den Kopf des Kindes von der Angeklagten in ein Tuch wickeln. Dann verbrachte er [X.]aber wieder in einen unbeheizten und dunklen [X.]raum und zwang sie, sich - Schuhe trug sie nicht - ohne Abstützen an der Wand auf einem Bein hinzustellen. Die Ange-klagte versuchte nun, telefonisch polizeiliche Hilfe herbeizurufen. Dies unter-band der Angeklagte, indem er ihr das schnurlose Telefon entriss. - 9 - In einer weiteren Nacht brachte der Angeklagte die bereits verletzte und am Auge stark geschwollene [X.]
erneut in [X.] und legte sie bäuch-lings auf einem Schrank ab. Von dort zog er sie einige Stunden später an den Beinen fassend wieder herunter und ließ sie in einem Nebenraum im [X.], wiederum auf einem Bein stehend, zurück. Erst am Morgen durfte die Ange-klagte das vor Kälte zitternde Kind ins Bett bringen. Als beim Essen Brotkrümel herunterfielen, schlug der Angeklagte [X.]mit der flachen Hand gegen den Kopf, brachte das Kind in die kalte [X.] und dann in [X.]. Nach einigen Stunden holte er [X.]- ihre Augen waren zugeschwollen, sie blutete, ihre Haare hatte ihr der Angeklagte teilweise, tonsurartig, ausgerissen - nach oben, indem er sie an der Kleidung am Hals packte und so die Treppe hinauftrug, der auf dem Bett sitzenden [X.] vor die Füße warf, wobei das laut schreiende und weinende Kind mit dem Kopf am Nachttisch anschlug. Die Angeklagte sollte das Mädchen wa-schen, da es eingekotet hatte. Als [X.]in der Badewanne wegen eines Wasserspritzers ins Gesicht aufschrie, schlug ihr der Angeklagte mit dem Duschkopf auf den Kopf. Anschließend rasierten die Angeklagten dem [X.] die restlichen Haare vom Kopf. [X.] später schlug der Angeklagte [X.]mit der flachen Hand gegen die Brust, so dass sie gegen einen Schrank fiel und zu Boden sank. Der Angeklagte riss sie an den Kleidern hoch und warf sie zuerst aufs Bett. Dann sollte sich [X.]ins [X.] stellen. [X.] sank jedoch kraftlos zu Boden. Der Angeklagte verweigerte dem [X.] gleichwohl zunächst den Schlaf, bis sie sich auf ein auf dem Boden zube-reitetes Lager legen durfte. Als der Angeklagte bemerkte, dass sie eingenässt hatte, drückte er eine brennende Zigarette an ihrem Knie aus. - 10 - Am Nachmittag des 4. Januar 2004 sperrte der Angeklagte [X.]in den Tankraum im 2. Untergeschoss. Am Abend, nach der Rückkehr der Ange-klagten vom Besuch bei einer Nachbarin drückte der Angeklagte den heißen Kopf eines Feuerzeugs auf die nackte Haut des Kindes. Später öffnete er [X.] vier Brandblasen vollends und [X.] sie ein. Als der Angeklagte im weiteren Verlauf des Abends über die Angeklagte in Wut geraten war, reagierte er sich an [X.]

ab. Er schlug sie mit einem Le-dergürtel ins Gesicht und auf den Kopf. Danach schlug er das Kind mit der [X.] linken Hand —mit einer Wucht von mindestens 80 [X.] seitlich gegen das Gesicht, so dass [X.]mit dem Kopf gegen die Zimmerwand prallte. [X.]

röchelte und sank bewusstlos zu Boden. Der Angeklagte rief aus: —Das [X.] ich nichtfi. Den Angeklagten gelang es nicht, [X.] wieder zu Bewusstsein zu bringen. Sie hofften dennoch, der Zustand des regelmäßig atmenden Kindes werde sich bessern. Sie rechneten nicht mit dessen Ableben. Am Tag darauf entschlossen sich die Angeklagten um 9.00 Uhr, [X.] in einer stark [X.] Toilette eines Krankenhauses abzulegen. Erst fünf Stunden später setzten sie dies kurz nach 14.00 Uhr im [X.]in die Tat um. Um 15.45 Uhr wurde [X.]

gefunden. Trotz sofortiger Intensiv-behandlung erlangte sie das Bewusstsein nicht mehr und verstarb am 7. Januar 2004 um 10.40 Uhr. Todesursache war eine zentrale Lähmung aufgrund einer raumgreifenden Blutung unter die harte Hirnhaut, verursacht durch den vom Angeklagten zuletzt geführten Schlag und den Aufprall des Kopfes von [X.]gegen die Wand. Dieser tödliche Ausgang wäre auch bei sofortiger ärztlicher Hilfe nicht auszuschließen gewesen. - 11 - c) Die Angeklagten hatten sich bereits am 6. Januar 2004, nachdem sie im Rundfunk vom Auffinden des Kindes gehört hatten, auf Drängen des Angeklag-ten auf die Flucht begeben. Bereits wenige Tage später konnten sie in [X.]festgenommen werden, nachdem die Angeklagte, die mit einer weiteren Flucht in die [X.] nicht einverstanden war, polizeiliche Hilfe in Anspruch genommen hatte. 3. - Bedingten - Tötungsvorsatz vermochte die [X.] weder bei dem Angeklagten [X.] noch bei der Angeklagten [X.] festzu-stellen. Der Angeklagte habe sich [X.] dahin eingelassen, dass er mit ei-nem tödlichen Ausgang nicht gerechnet habe. Dass derartige Schläge gegen den Kopf wegen der dadurch ausgelösten Rotationsbewegung —besondersfi ([X.]) gefährlich sind und in Folge des [X.] zu einer tödli-chen Hirnblutung führen kann, sei auch kein Allgemeinwissen ([X.]). Der Angeklagte habe diese Kenntnis bestritten. Bei Schlägen mit der flachen Hand handele es sich auch nicht um —äußerstfi ([X.]) gefährliche Gewalthandlun-gen und sie stünden - wie die Vorverurteilungen erhellten - am unteren Ende der Skala von Gewalttätigkeiten des Angeklagten. Auch habe das Kind - so die [X.] weiter - auf frühere gleichartige Schläge —nicht in einer Weise rea-giert, dass der Angeklagte es für möglich halten musste, dass derartige Schläge tödlich sein [X.] Schließlich seien die Überraschung des Angeklagten nach dem Eintritt der Bewusstlosigkeit und die sofort einsetzenden hektischen Rettungsbemühungen —mit einem [X.] nicht verein-barfi. - 12 - 4. Das [X.] kam zu dem Ergebnis, dass der Angeklagte [X.] im Zustand verminderter Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) handelte. Bei ihm lägen, so die sachverständig beratene [X.], massive Persönlichkeitsstörungen (dissozial - [X.] 10 F 60.2 - und emotional instabil vom Borderline-Typ [X.] 10 F 60.3 -) vor, die hier als schwere andere Abartigkeit im Sinne von § 20 StGB zu bewerten sind, sowie eine als krankhafte seelische Störung im Sinne des § 20 einzuordnende Polytoxikomanie - [X.] 10 F 19.2 - mit Abhängigkeiten von [X.] und Benzodiazepinen bei zusätzlichem chronischen Missbrauch von [X.] vor. Dadurch sei die Steuerungsfähigkeit (§ 21 StGB) des Angeklagten zu den [X.] erheblich vermindert gewesen. II[X.] 1. Die Erwägungen, mit denen das [X.] zu der Feststellung ge-langte, die Angeklagten hätten nicht mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt, halten rechtlicher Überprüfung nicht stand. Zwar ist auch insoweit die Beweiswürdigung Sache des Tatrichters und revisionsrechtlicher Überprüfung nur eingeschränkt zugänglich. Wenn bei der Beantwortung der Frage, ob Angeklagte vorsätzlich, bedingt vorsätzlich oder (bewusst) fahrlässig gehandelt haben, allein aus äußeren Umständen auf deren innere Einstellung zur Tat geschlossen werden muss, bedarf es jedoch einer umfassenden Würdigung des insoweit relevanten festgestellten Sachverhalts (vgl. [X.], 35, 36). Dem genügen die Darlegungen der [X.] nicht; sie sind widersprüchlich und lassen eine umfassende Auseinanderset-zung mit allen für die Bewertung der subjektiven Tatseite relevanten Umstän-den sowie der Persönlichkeit der Angeklagten vermissen. Zudem hat die [X.] 13 - kammer zu hohe Anforderungen an die Feststellung des bedingten Vorsatzes gestellt. Im Ansatz zutreffend geht die [X.] zwar zunächst davon aus, dass es bei —äußerstfi gefährlichen Gewalthandlungen grundsätzlich nahe liegt, dass der Täter auch mit der Möglichkeit rechnet, das Opfer könne dabei auch zu Tode kommen, wenn dies für sich allein betrachtet aber noch kein zwingen-der Beweisgrund für die Billigung eines Todeserfolges durch den Täter ist (sog. voluntatives Element des Vorsatzes, vgl. [X.], 475, 476). Schon die Grundvoraussetzung - äußerst gefährlich - verneint die [X.] dann aber, indem sie die vom Angeklagten ausgeübte und von der Angeklagten hinge-nommene Tathandlung lediglich als —besondersfi gefährlich bewertet. [X.] davon, dass allein aus dieser Nuance bei der erforderlichen Gesamtbe-trachtung kaum tragfähige Schlussfolgerungen zum Tötungsvorsatz zuverlässig gezogen werden können, ist die Begründung für diese Herabstufung des [X.] nicht tragfähig. Die [X.] hebt entscheidend darauf ab, der Angeklagte habe —das Kind unwiderlegbar lediglich mit der flachen Hand und nicht etwa mit der Faust oder irgendwelchen Gegenständen gegen den Kopf geschlagenfi ([X.]). Damit lässt das [X.] bei der Bewertung dieses Vorgangs im Hinblick auf die subjektive Tatseite einen entscheidenden Teil des an anderer Stelle festge-stellten Sachverhalts außer [X.], nämlich das Aufprallen des Kopfes auf die Wand infolge des wuchtigen Schlages. Mit dieser verkürzten Betrachtung setzt sich die [X.] zudem in Widerspruch zu den Darlegungen des Sachver-ständigen Prof. Dr. E. , —denen sich die Kammer anschließtfi. Danach —war sowohl ein Faustschlag als auch ein mit Wucht (mindestens 80 G) geführ-ter Schlag mit einer flachen Hand und anschließendem Aufprall des Kopfes ge-- 14 - gen einen festen Gegenstand geeignet, die tödliche Blutung mit Abriss einer [X.] auszulösenfi ([X.]). Die Tathandlung des Angeklagten [X.] also einem Faustschlag und war nicht weniger gefährlich. Das Aufschla-gen des Kopfes war auch vorhersehbar. Auch schon früher traktierte der Ange-klagte [X.] mehrfach so, dass deren Kopf gegen einen festen Gegenstand (Wand, Kommode, Nachttisch) prallte. Die [X.] stellt des weiteren zu hohe Anforderungen an den Um-fang der Kenntnis über die möglichen Folgen eines Schlages gegen den Kopf, wenn sie meint, —tatsächlich gehört es nicht zum allgemeinen Erfahrungswis-sen, dass seitliche Schläge gegen den Kopf im Kieferbereich wegen der [X.] ausgelösten [X.] von besonderer Gefährlichkeit sind und zum Riss der [X.] mit der Folge einer tödlichen Hirnblutung führen könnenfi ([X.]). Es entspricht gesicherter allgemeiner Kenntnis, dass derar-tige Schläge gegen den Kopf eines kleinen Kindes mit anschließendem Aufprall gegen einen festen Gegenstand immer äußerst schwerwiegende Folgen bis hin zum Tod haben können. Medizinischen Detailwissens bedarf es dazu nicht. Vor dem Hintergrund des Allgemeinwissens über mögliche Folgen derartiger Miss-handlungen ist deshalb auch das Argument der [X.], —trotz mehrfacher gleichartiger Schläge hat das Kind auf alle Schläge mit Ausnahme des letzten (tödlichen) nicht in einer Weise reagiert, dass der Angeklagte es für möglich halten musste, dass derartige Schläge tödlich sein könntenfi ([X.]) nicht tragfähig. Vielmehr lag schon bei den entsprechenden früheren Handlungen das Vorliegen bedingten Tötungsvorsatzes nicht fern. Ein Umstand, den die [X.] nicht in ihre Erwägungen einbezog. Denn letztlich war es eher ein Zufall, bei welcher dieser Misshandlungen [X.]zu Tode kam. - 15 - Die [X.] hat sich zudem bei der Beurteilung der subjektiven [X.] zu sehr allein mit dem letzten, dem dann tödlichen Vorfall befasst. [X.] hat sie zu hohe Anforderungen an die Feststellung des bedingten [X.]es gestellt, worauf auch der Satz hindeutet, die [X.] seien mit dem [X.] nicht vereinbar. Das [X.] betont zunächst ausdrücklich - was an sich selbstverständlich ist -, der Tötungsvorsatz müsse sich gerade auf die Handlung beziehen, die den tat-bestandsmäßigen Erfolg verursacht hat. Das [X.] verweist dann auf die hohe Hemmschwelle bei Tötungsdelikten, die beim Angeklagten nicht herabge-setzt gewesen sei. Nun belegt zwar - wovon die [X.] damit im Ansatz zutreffend ausgeht - die Indizwirkung einer offen zutage tretenden Lebensge-fährlichkeit wegen der höheren Hemmschwelle gegenüber der Tötung eines Menschen für sich gesehen noch nicht zwingend Handeln mit bedingtem [X.]. Bedeutung kommt dem aber insbesondere bei einmaligen Spon-tantaten in einer emotional aufgeladenen, häufig alkoholbedingt enthemmten Atmosphäre zu. Der Angeklagte misshandelte demgegenüber das Kind [X.] hemmungslos und gleichwohl auf geradezu systematische Art und Weise und bedrohte das Leben des Mädchens in jedem Einzelfall in hohem Maße. Darüber hinaus hätten aus der viertägigen Tortur, auch soweit die teilweise ge-radezu sadistischen Handlungen für sich gesehen nicht lebensbedrohlich [X.], der der Angeklagte [X.] [X.]unterwarf - bei Duldung und teil-weiser Mitwirkung der Angeklagten [X.] -, sowie aus der [X.], die bei

[X.] unter anderem durch einen Mangel an Empathie, andauernde Verantwortungslosigkeit, Missachtung [X.] Nor-men geprägt ist, weitere Rückschlüsse auf die subjektive Tatseite der Ange-klagten gezogen werden können. All dies hätte jedenfalls eingehender Erörte-rung bedurft. - 16 - Das anschließende Erschrecken, wenn sich der nach den Feststellungen ja nicht von vornherein beabsichtigte, aber gleichwohl in Kauf genommene [X.] realisiert, —das habe ich nicht gewolltfi, steht bedingtem Vorsatz nicht entge-gen. Vielmehr könnte hier das weitere Verhalten der Angeklagten nach dem Eintritt der Ohnmacht des Kindes trotz der —hektischenfi Rettungsbemühungen, die sich allerdings in eher untauglichen Maßnahmen, wie Beatmungsversuchen und Bespritzen mit Wasser erschöpften, nämlich dem Absehen von der Herbeiholung sofortiger ärztlicher Hilfe und das heimliche Ablegen des Kindes in einer Krankenhaustoilette tags darauf, eher dafür sprechen, dass sich die Angeklagten - insbesondere der Angeklagte [X.] - von vornherein der möglicherweise tödlichen Folgen der Misshandlungen bewusst war, deren strafrechtlichen Konsequenzen sich die Angeklagten zu entziehen suchten. Auch dies wäre jedenfalls zu erörtern gewesen. Die bei der Prüfung der subjektiven Tatseite gebotene umfassende Erörte-rung der für die Tat bedeutsamen Umstände und der Persönlichkeit der Ange-klagten (vgl. [X.], 507, 508) lassen die Urteilsgründe deshalb nicht ausreichend erkennen. Bei der sich über mehrere Tage erstreckenden brutalen und wiederholt lebensgefährlichen Behandlung liegt das voluntative Element des - zumindest bedingten - Vorsatzes im Grunde auf der Hand. Die Sache [X.] daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung. Die nunmehr zur Entscheidung berufene [X.] wird Gelegenheit haben, die Mordmerkmale, namentlich der Grausamkeit und der sonstigen nied-rigen Beweggründe, zu prüfen. Bezüglich der Angeklagten [X.] wird zu erörtern sein, ob der Schwerpunkt ihrer Handlungen beim [X.] liegt. - 17 - 2. Schließlich begegnen die Darlegungen zur Annahme erheblich vermin-derter Steuerungsfähigkeit des Angeklagten [X.] Bedenken. Zwar sind die Eingangsmerkmale des § 20 StGB - sachverständig beraten - rechtsfehler-frei festgestellt. Der [X.] führt dann aber in seiner Antrags-schrift - wie dann auch in der Hauptverhandlung - zutreffend aus: —Das [X.] hat sich dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. N. ange-schlossen, nach dessen Ausführungen die Steuerungsfähigkeit des Angeklag-ten [deshalb] erheblich im Sinne von § 21 StGB vermindert gewesen sei ([X.] f.). Insoweit hat die Kammer jedoch verkannt, dass die Frage, ob die Steuerungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt ist, eine Rechtsfrage ist (st. Rspr.; BGHSt 49, 45, 53 = NStZ 2004, 437, 438). Diese hat der Tatrichter ohne Bin-dung an Äußerungen von Sachverständigen in eigener Verantwortung zu [X.]. Entscheidend sind die Anforderungen, welche die Rechtsordnung an jedermann stellt (BGHSt 43, 66, 77; [X.], 295, 296, jeweils mit weiteren Nachweisen). Diese Anforderungen sind umso höher, je [X.] das in Rede stehende Delikt ist (Senat, Urteil vom 21. März 2001 - 1 StR 32/01). Dass sich das [X.] eigenständig und losgelöst vom Sachverständigen mit diesen Anforderungen und der Frage der Erheblichkeit im Sinne von § 21 StGB befasst hätte, lässt sich den Urteilsgründen nicht [X.] Die Rechtsordnung darf erwarten, dass Menschen mit den hier festge-stellten Störungen, ihr Verhalten so steuern, dass es nicht zu tagelangen, grau-samen, letztlich tödlichen Misshandlungen eines kleinen Kindes kommt, wie hier bislang festgestellt. - 18 - [X.]Der Senat hat von der Möglichkeit des § 354 Abs. 2 Satz 1 2. Alt. StPO Gebrauch gemacht und die Sache an ein anderes [X.] zurückverwiesen (vgl. [X.] in [X.], StPO 5. Aufl. § 354 Rdn. 37). [X.] Wahl Boetticher [X.] [X.]

Meta

1 StR 410/05

13.12.2005

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 13.12.2005, Az. 1 StR 410/05 (REWIS RS 2005, 307)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2005, 307

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