Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 07.02.2012, Az. 5 StR 545/11

5. Strafsenat | REWIS RS 2012, 9429

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5 StR 545/11

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS

vom 7. Februar 2012
in der Strafsache
gegen

wegen versuchten Totschlags u.a.

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Der 5. Strafsenat des [X.] hat am 7. Februar 2012
beschlossen:

1.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 14. September 2011 gemäß §
349 Abs. 4 StPO im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

2.
Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.

3.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer [X.] und Entscheidung an eine andere Jugend-kammer des [X.]s zurückverwiesen.

4.
Es wird davon abgesehen, dem Beschwerdeführer die Kosten des Rechtsmittels aufzuerlegen.

[X.]e

Das [X.] hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung eines weite-ren Urteils zu einer Einheitsjugendstrafe von fünf Jahren und zwei Monaten verurteilt. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der [X.] ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs.
4 StPO); im Üb-rigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

1. Gegen den Schuldspruch ist aus den zutreffenden Gründen der [X.] revisionsgerichtlich nichts zu erin-nern. Insbesondere hat die [X.] eine alkoholbedingte Aufhebung 1
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der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten (§ 20 StGB) rechtsfehlerfrei ausge-schlossen.

2. Hingegen begegnet die Begründung, mit der sie auch eine erhebli-che Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit nach § 21 StGB abgelehnt hat, durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

a) Nach den Feststellungen war der Tat vom 13. Dezember 2010 ein Trinkgelage im Innenhof der Altmarktgalerie in der [X.] [X.], an dem neben dem Angeklagten drei weitere junge Leute teil-nahmen und das sich über mehr als fünf Stunden erstreckte. Bereits zuvor hatte der Angeklagte Alkohol konsumiert. Ausgehend von den Trinkmengen-angaben des Angeklagten in der Hauptverhandlung (vgl. [X.], 12) ge-langt sie durch Rückrechnung zu einer maximalen Blutalkoholkonzentration

ts-
und Sachverständigengutachten findet die [X.] indes im [X.] keinerlei Anhaltspunkte für eine erhebliche Einschränkung der Schuldfä-inen der Zeugen seien körperliche und neurologische Ausfallerscheinungen des Angeklagten berichtet worden. Der Angeklagte selbst könne sich genau erinnern. Das Tatgeschehen wie auch Vr-

b) Diese Begründung hält revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht einer erheblichen Herabsetzung der Hemmungsfähigkeit nahe, die nach ständiger Rechtsprechung des [X.] für eine Tat wie die [X.] ([X.], Urteil vom 22. November 1990

4 [X.], [X.]St 37, 231, 3
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235; Urteil vom 12. Januar 1994

3 [X.], [X.]R StGB § 21 [X.]; Beschluss vom 25. Februar 1998

2 StR 16/98, [X.]R StGB § 21 Blutalkoholkonzentration 34). Auch wenn davon auszugehen ist, dass es keinen gesicherten medizinisch-statistischen Erfahrungssatz darüber gibt, dass ohne Rücksicht auf psychodiagnostische Beurteilungskriterien [X.] wegen einer bestimmten Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit in aller [X.] vom Vorliegen einer alkoholbedingt erheblich verminderten Steuerungs-fähigkeit ausgegangen werden muss, ist der festgestellte Wert ein gewichti-ges Beweisanzeichen für die Stärke der alkoholischen Beeinflussung.

Zwar ist grundsätzlich der eingeschränkte Beweiswert aufgrund von [X.] errechneter Blutalkoholwerte zu beachten. Die Bewer-tung der [X.], der Angeklagte habe seinen eigenen Alkoholkon-sum in der Hauptverhandlung überhöht dargestellt, vermag der vom Sach-verständigen berechneten und vom [X.] übernommenen Blutalkohol-konzentration nicht die Bedeutung im Sinne einer Feststellung zu nehmen. Solange nämlich nicht auf der Grundlage einer schlüssigen Beweiswürdi-gung, die hier indes fehlt, ein geringerer Alkoholkonsum festgestellt wird, ge-bietet es der [X.], den von der [X.] errechneten Maxi-malwert mit der sich daraus ergebenden Indizwirkung der Beurteilung der Schuldfähigkeit zugrunde zu legen, wenn keine gegenteiligen Beweisanzei-chen vorhanden sind (vgl. [X.] in [X.], 12. Aufl., § 20 Rn. 111 mwN).

c) Als in
diesem Sinne kontraindikatorische psychodiagnostische Be-urteilungskriterien kommen dabei nur solche Umstände in Betracht, die Hin-weise darauf geben können, ob das Steuerungsvermögen des [X.] trotz der erheblichen Alkoholisierung voll erhalten geblieben ist ([X.], Beschluss vom 30. Juli 1997

3 [X.], [X.], 592). Den vom [X.] herangezogenen Umständen kommt eine solche Bedeutung nicht zu. Das Verhalten des Angeklagten bei der Tatbegehung weist keine Merkmale auf, die aussagekräftige Rückschlüsse auf die Steuerungsfähigkeit zulassen. Vielmehr zeigt das Tatbild im Gegenteil Besonderheiten, die auf eine alko-6
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holbedingte erhebliche Herabsetzung der Hemmungsfähigkeit des Angeklag-ten schließen lassen können (spontane, rasche Verfolgung des nach einer geringfügigen, bereits beruhigten Auseinandersetzung weggehenden Ge-Oberbauch) und die von der [X.] in diesem Zusammenhang nicht behandelt werden. [X.] bleibt auch der Umstand, dass die Gruppe um -
Angeklagten nach der Tat (Flucht mit der Straßenbahn, Entsorgung des [X.] im Schnee) hat nur geringe Aussagekraft, zumal durch die Tat eine wesentliche Ernüchterung eingetreten sein kann. Sein angeblich genaues Erinnerungsvermögen ist angesichts seiner dreimal abgewandelten Einlas-sung zum Tatablauf, die das [X.] jeweils

in nachvollziehbarer [X.]

für nicht glaubhaft hält, kein wesentliches Kriterium. Dass der [X.] nicht durch Torkeln oder Lallen oder ähnliche Ausfallerschei-nungen aufgefallen ist, genügt alleine nicht, eine erhebliche Verminderung seines Steuerungsvermögens auszuschließen.

d) Ob die Schuldfähigkeit des Angeklagten bei der Tat infolge seiner Alkoholisierung erheblich vermindert war oder dies zumindest nicht [X.] ist (§ 21 StGB), bedarf deshalb erneuter Prüfung. Der Senat ver-kennt nicht, dass der Alkoholisierung

namentlich bei einer Ahndung nach Jugendstrafrecht

nicht unbedingt maßgebliche strafmildernde Wirkung [X.] muss. Die entsprechende Gewichtung obliegt indes dem Ermessen des Tatgerichts.

3. Darüber hinaus liegt ein Rechtsfehler darin, dass die [X.] eine Unterbringung nach § 64 StGB nicht geprüft hat. Die im [X.] mit der Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten wiederge-Abhän-weis, dass eine Alkoholabhängigkeit nicht zwingende Voraussetzung für die 8
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Annahme eines Hanges ist (vgl. [X.], Beschlüsse vom 6. November 2003

1 [X.], [X.]R StGB § 64 Hang 2, und vom 4.
April 1995

4 [X.], [X.]R § 64 Abs. 1 Hang 5). Denn hierunter fällt nicht nur eine chronische, auf körperlicher Sucht beruhende Abhängigkeit, sondern es [X.] eine eingewurzelte, aufgrund psychischer Disposition bestehende oder durch Übung erworbene intensive Neigung, immer wieder Alkohol oder [X.] Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen, ohne dass diese den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss ([X.], Beschlüsse vom 18. August 1998

5 StR 363/98, und vom 18. Juli 2007

5 [X.]). [X.] solche Neigung liegt bei dem festgestellten Alkoholmissbrauchsverhalten -

22) nicht von [X.] fern (vgl. [X.], Beschluss vom 13. Januar 2010

5 [X.],
NStZ-RR
2010, 234).

4.
Angesichts der Bestätigung des Schuldspruchs kann der Senat trotz der Zurückverweisung der Hauptsache die auf § 74 [X.] und § 473 Abs. 1 Satz 2, Abs. 4 Satz 1 StPO gestützte Kostenentscheidung bereits jetzt tref-fen.

[X.] Raum

Brause

Schneider Bellay

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Meta

5 StR 545/11

07.02.2012

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 07.02.2012, Az. 5 StR 545/11 (REWIS RS 2012, 9429)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 9429

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5 StR 545/11

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