Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 17.01.2019, Az. 6 B 137/18

6. Senat | REWIS RS 2019, 11370

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Gegenstand

Fahrkostenerstattung für den Besuch einer Schule im benachbarten Bundesland


Gründe

I

1

Der Kläger lebt mit seiner Familie in der beklagten Wohnsitzgemeinde in [X.]. Er begehrt von der [X.]eklagten die Erstattung von [X.] und beruft sich dabei insbesondere auf den Erlass des [X.] vom 29. März 1971 (sog. "[X.]"). Nach dessen Nr. 1.1 und 1.2 trägt das beigeladene Land für Schüler, die ihren Wohnsitz in [X.] haben und täglich eine öffentliche Schule

oder private Ersatzschule in einem Nachbarland besuchen, die notwendigen Fahrkosten, wenn die Schule nächstgelegene Schule ist. Die [X.] haben nach Nr. 1.3 des [X.]es die [X.] vorzuleisten. Die Kinder des [X.] besuchten das Missionsgymnasium in [X.] im benachbarten [X.]. Das bilinguale Konzept des Gymnasiums begründet einen eigenen [X.]ildungsgang nach niedersächsischem Schulrecht. Die [X.]eklagte lehnte den Antrag auf Fahrkostenerstattung ab, da nächstgelegene Schule das Gymnasium vor Ort sei und das Missionsgymnasium nicht die Voraussetzungen eines bilingualen [X.]ildungsgangs am Gymnasium nach [X.] Erlasslage erfülle.

2

Das Verwaltungsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Oberverwaltungsgericht hat auf die [X.]erufungen der [X.]eklagten und des [X.]eigeladenen das erstinstanzliche Urteil geändert und die Klage abgewiesen. Zur [X.]egründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:

3

Die in § 97 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 SchulG NW, § 2 Abs. 1 Satz 1 [X.]-Verordnung ([X.]) vorgesehene Fahrkostenerstattung erstrecke sich nur auf den [X.]esuch von Schulen, die nach [X.] Schulrecht errichtet oder genehmigt worden seien. Aus § 2 Abs. 4 [X.], der den [X.]eigeladenen ermächtige, [X.] im Ermessenswege zu übernehmen, wenn die nächstgelegene Schule außerhalb des [X.] liege, folge ebenfalls kein Anspruch gegen die [X.]eklagte. Ebenso wenig ergebe sich der Anspruch aus Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. einer auf dem [X.] beruhenden Erstattungspraxis der [X.]eklagten. Denn die [X.]eklagte habe eine frühere Praxis, Fahrkosten für den [X.]esuch des [X.] zu erstatten, in Absprache mit dem [X.]eigeladenen unter [X.]erufung auf die Verwaltungsvorschrift zu § 9 [X.] vor dem [X.] aus sachlichen Gründen aufgegeben. Weiter lasse sich der [X.] nicht aus Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. einer entsprechenden Ermessenspraxis des beigeladenen [X.] ableiten. Nach Auffassung des [X.]eigeladenen könnten auf der Grundlage des [X.]es Fahrkosten für den [X.]esuch einer Schule mit einem bilingualen [X.]ildungsgang in

einem Nachbarland nur erstattet werden, wenn dieser [X.]ildungsgang auf mit dem eigenen [X.]recht vergleichbaren rechtlichen Grundlagen beruhe; diese Voraussetzungen seien aus Sicht des [X.]eigeladenen bei den bilingualen [X.]ildungsgängen an [X.] Schulen nicht erfüllt. Das Kriterium der vergleichbaren rechtlichen Grundlagen sei am Maßstab von Art. 3 Abs. 1 GG nicht zu beanstanden. Schließlich könne sich der Anspruch nicht unmittelbar aus den Regelungen des [X.]es ergeben, weil es sich um eine ermessenslenkende Verwaltungsvorschrift handele. Entscheidend sei, wie die zuständigen [X.]ehörden die Verwaltungsvorschrift im maßgebenden Zeitpunkt in ständiger Praxis gehandhabt hätten und in welchem Umfang sie infolgedessen gebunden seien. Aus der Formulierung des Erlasses könne ohne [X.]erücksichtigung der tatsächlichen Handhabung durch die Schulverwaltung kein Anspruch hergeleitet werden.

4

Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner [X.]eschwerde.

II

5

Die [X.]eschwerde des [X.], die sich allein auf den Zulassungsgrund der Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) stützt, bleibt ohne Erfolg.

6

1. Der Kläger rügt zum einen, das [X.] habe in seinem Urteil vom 26. Oktober 2017 - 8 [X.] 18.16 [[X.]:[X.]:[X.]] - ([X.]VerwGE 160, 193 Rn. 20) den Rechtssatz aufgestellt, dass ein in sich geschlossenes Konzept die [X.]ehörde als antizipierte Verwaltungspraxis am Maßstab von Art. 3 Abs. 1 GG gleichheitsrechtlich ebenso wie eine bestehende Verwaltungspraxis binde. Das [X.]erufungsgericht sei von diesem Rechtssatz unter Ziff. 5 seiner Entscheidungsgründe abgewichen, weil es einen unmittelbaren Anspruch auf Fahrkostenerstattung aus dem [X.] als in sich geschlossenem Regelungskonzept nicht hergeleitet, sondern ausschließlich auf die Verwaltungspraxis abgestellt habe.

7

Darüber hinaus seien ermessenslenkende Verwaltungsvorschriften nach dem vom [X.] im Urteil vom 2. März 1995 - 2 [X.] 17.94 - ([X.] 240 § 17 [X.] Nr. 7) aufgestellten Rechtssatz nicht wie Rechtsvorschriften aus sich heraus, sondern als Willenserklärung nach § 133 [X.]G[X.] gemäß der vom Urheber gebilligten oder doch geduldeten tatsächlichen Verwaltungspraxis auszulegen. Von diesem Rechtssatz sei das [X.]erufungsgericht abgewichen, wenn es allein darauf abstelle, dass es eine Verwaltungspraxis zur Erstattung von Fahrkosten für den [X.]esuch eines in [X.] gelegenen Gymnasiums mit bilingualem Sprachangebot als nicht gegeben erachte. In diesem Fall hätte das [X.]erufungsgericht nach dem genannten Rechtssatz ermitteln müssen, ob der Richtliniengeber die Erstattung gewollt habe, weil sich nach dessen Angaben die Frage des vergleichbaren bilingualen [X.]ildungsgangs erstmalig in diesem Verfahren gestellt habe. Dieses Vorbringen rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO.

8

2. Der Zulassungsgrund der Divergenz setzt voraus, dass die Entscheidung des [X.]erufungsgerichts auf einem abstrakten Rechtssatz beruht, der im Widerspruch zu einem Rechtssatz steht, den das [X.], der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des [X.] oder das [X.]verfassungsgericht in Anwendung derselben Rechtsvorschrift aufgestellt hat. Zwischen den Gerichten muss ein prinzipieller Auffassungsunterschied über den [X.]edeutungsgehalt einer bestimmten revisiblen Rechtsvorschrift oder eines revisiblen Rechtsgrundsatzes bestehen. Die [X.]ehauptung einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen, die eines der genannten divergenzfähigen Gerichte aufgestellt hat, genügt den Zulässigkeitsanforderungen einer [X.] dagegen nicht (stRspr, vgl. nur [X.]VerwG, [X.]eschluss vom 21. Dezember 2017 - 6 [X.] 43.17 [[X.]:[X.]:[X.]] - NVwZ 2018, 496 Rn. 4 m.w.N.).

9

a) Der Senat kann offen lassen, ob die für ermessenslenkende Verwaltungsvorschriften geltenden Auslegungsgrundsätze, die nach der Rechtsprechung des [X.]s ihre Anknüpfungspunkte in Art. 3 Abs. 1 GG und § 133 [X.]G[X.] haben, divergenzfähige Rechtssätze sind, wenn sich die Anwendung dieser Grundsätze auf einen [X.]ereich bezieht, der wie hier das [X.] Schulrecht nebst Erlassen nicht dem revisiblen Recht zuzuordnen ist (vgl. dazu [X.]/Korbmacher, in: [X.]/[X.] , VwGO, 5. Aufl. 2018 § 137 Rn. 70 ff.). Denn der Kläger hat mit seiner [X.]eschwerde jedenfalls nicht aufgezeigt, dass das berufungsgerichtliche Urteil in entscheidungserheblicher Weise auf einer Abweichung von Rechtssätzen beruht, die das [X.] für die Auslegung und Anwendung von ermessenslenkenden Verwaltungsvorschriften aufgestellt hat.

b) Das [X.]erufungsgericht hat unter Ziff. 5 der Entscheidungsgründe die Herleitung eines Fahrkostenerstattungsanspruchs unmittelbar aus dem [X.] abgelehnt. Hierbei hat es entscheidungstragend auf den Rechtssatz abgestellt, dass der Erlass keiner eigenständigen Auslegung wie eine Rechtsnorm unterliegt, sondern maßgeblich ist, wie die [X.]ehörden die Verwaltungsvorschrift im maßgeblichen Zeitpunkt in ständiger Praxis handhaben und in welchem Umfang sie infolgedessen an den Gleichheitssatz gebunden sind. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des [X.]s (vgl. [X.]VerwG, Urteile vom 7. Mai 1981 - 2 [X.] 5.79 - [X.] 232 § 25 [X.] Nr. 1 S. 3, vom 2. März 1995 - 2 [X.] 17.94 - [X.] 240 § 17 [X.] Nr. 7 S. 8, vom 17. Januar 1996 - 11 [X.] 5.95 - [X.] 451.55 Subventionsrecht Nr. 101 S. 13 f., vom 21. Januar 2003 - 3 [X.] 12.02 - [X.] 428.7 § 17 [X.] Nr. 1 S. 2 f., vom 15. Juni 2006 - 2 [X.] 14.05 - [X.] 240 § 73 [X.] Nr. 12 Rn. 25 und vom 15. November 2011 - 1 [X.] 21.10 - [X.]VerwGE 141, 151 Rn. 15; [X.]eschluss vom 11. November 2008 - 7 [X.] - juris Rn. 9).

Das [X.]erufungsgericht ist hiermit nicht von dem im Urteil des [X.]s vom 26. Oktober 2017 - 8 [X.] 18.16 - ([X.]VerwGE 160, 193 Rn. 20) aufgestellten Rechtssatz abgewichen, dass ein in sich geschlossenes Konzept die [X.]ehörde als antizipierte Verwaltungspraxis am Maßstab von Art. 3 Abs. 1 GG gleichheitsrechtlich ebenso wie eine bestehende Verwaltungspraxis binde. Denn diesem Rechtssatz liegt zugrunde, dass sich eine Verwaltungspraxis im Rahmen des der [X.]ehörde zustehenden Ermessens noch nicht gebildet hat und die [X.]ehörde vor dem ersten Zugriff nicht verpflichtet ist, ein Eingriffskonzept als Voraussetzung für die gleichmäßige Ermessensausübung zu erstellen ([X.]VerwG, Urteil vom 26. Oktober 2017 a.a.[X.] Rn. 20 f.). Der vom Kläger angeführte Rechtssatz beansprucht mithin nur Geltung, wenn sich noch keine Verwaltungspraxis herausgebildet hat. In diesem Fall ist die durch eine ermessenslenkende Verwaltungsvorschrift antizipierte Verwaltungspraxis geeignet, die Verwaltung über Art. 3 Abs. 1 GG zu binden. Dies ist aber vorliegend nach den tatsächlichen und das [X.] in einem Revisionsverfahren gemäß § 137 Abs. 2 VwGO bindenden Feststellungen des [X.]erufungsgerichts nicht der Fall, wonach der [X.] die hier im Streit stehende Kostenerstattung für den [X.]esuch des [X.] in der Verwaltungspraxis nicht (mehr) erfasst.

Das [X.]erufungsgericht hat in diesem Zusammenhang auch den Anwendungsbereich des [X.]es ohne Abweichung von der bundesverwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung bestimmt, nach der es für die Ermessensbindung der Verwaltung zum einen auf die vom Urheber gebilligte oder doch geduldete tatsächliche Verwaltungspraxis zur maßgeblichen Zeit ankommt (stRspr, vgl. [X.]VerwG, Urteile vom 2. März 1995 - 2 [X.] 17.94 - [X.] 240 § 17 [X.] Nr. 7 S. 8, vom 17. Januar 1996 - 11 [X.] 5.95 - [X.] 451.55 Subventionsrecht Nr. 101 S. 14, vom 15. Juni 2006 - 2 [X.] 14.05 - [X.] 240 § 73 [X.] Nr. 12 Rn. 25 und vom 15. November 2011 - 1 [X.] 21.10 - [X.]VerwGE 141, 151 Rn. 15; [X.]eschluss vom 11. November 2008 - 7 [X.] - juris Rn. 9) und zum anderen die tatsächliche Verwaltungspraxis auch maßgeblich ist, wenn diese eine Verwaltungsvorschrift auf bestimmte Sachverhalte nicht anwendet und so den Anwendungsbereich der Vorschrift einschränkt (vgl. nur [X.]VerwG, [X.]eschluss vom 29. Juni 2017 - 1 W[X.] 11.16 [[X.]:[X.]:[X.]VerwG:2017:290617[X.]1W[X.]11.16.0] - juris Rn. 40 m.w.N.). So hat das [X.]erufungsgericht festgestellt, dass aufgrund der zeitlich nach dem [X.] ergangenen Verwaltungsvorschrift zur [X.]-Verordnung eine vor dem hier streitigen Zeitraum bestehende Erstattungspraxis der [X.]eklagten mit dem Willen des [X.]eigeladenen als [X.] eingestellt worden ist und der [X.]eigeladene diese Praxis für bilinguale [X.]ildungsgänge an Gymnasien in Nachbarländern, deren rechtliche Grundlagen nicht mit denjenigen in [X.] vergleichbar sind, auch nicht wieder aufgenommen hat. In der Sache rügt der Kläger unter diesem Gesichtspunkt eine unrichtige Anwendung des bezeichneten Rechtssatzes, die eine Divergenz nicht begründet.

3. [X.] beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Der [X.]eigeladene, dessen [X.]eteiligung vom [X.] durch Übersendung der [X.]eschwerdeschrift mit der [X.]itte um Stellungnahme veranlasst worden ist, hat einen Zurückweisungsantrag gestellt und diesen begründet, sodass es der [X.]illigkeit entspricht, dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des [X.]eigeladenen aufzuerlegen (vgl. nur [X.]VerwG, [X.]eschlüsse vom 20. März 2006 - 6 [X.] 81.05 - juris Rn. 2 und vom 31. Oktober 2000 - 4 KSt 2.00 - [X.] 310 § 162 VwGO Nr. 36).

Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.

Meta

6 B 137/18

17.01.2019

Bundesverwaltungsgericht 6. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 25. April 2018, Az: 19 A 2261/16, Urteil

Art 3 Abs 1 GG, § 133 BGB, § 162 Abs 3 VwGO, § 97 Abs 1 SchulG NW 2005, § 97 Abs 4 SchulG NW 2005, § 2 Abs 4 SchfKVO NW 2005

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 17.01.2019, Az. 6 B 137/18 (REWIS RS 2019, 11370)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 11370

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