Bundesfinanzhof, Beschluss vom 15.12.2011, Az. VIII B 14/11

8. Senat | REWIS RS 2011, 377

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Gegenstand

NZB: unterlassene Beweiserhebung, Tatsachenunterstellung als wahr


Leitsatz

1. NV: Ein ordnungsgemäß gestellter Beweisantrag darf nur unberücksichtigt bleiben, wenn das Beweismittel für die zu treffende Entscheidung unerheblich, das Beweismittel unerreichbar, unzulässig oder absolut untauglich ist oder wenn die stehende Tatsache zu Gunsten des Beweisführenden als wahr unterstellt werden kann.

2. NV: Eine Zeugenvernehmung kann danach unterbleiben, wenn sich das FG unter Berücksichtigung des Schriftsatzes des Klägervertreters, mit dem die Zeugen unter Angabe des Beweisthemas benannt worden sind, sowie aufgrund des Vortrags der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung ausführlich mit den von den Zeugen zu bekundenden Tatsachen auseinandergesetzt, diese im Rahmen des Gesamtvortrags des Klägers gewürdigt und den Schluss gezogen hat, die zu bekundenden Tatsachen könnten als wahr unterstellt werden.

3. NV: Im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde kann neuer Sachvortrag keine Berücksichtigung finden. Das gilt auch, wenn mit der Beschwerdebegründung erstmals vorgetragen wird, bereits benannte Zeugen könnten nunmehr weitergehende Aussagen machen.

Gründe

1

[X.]ie [X.]eschwerde ist unbegründet, die vom Kläger und [X.]eschwerdeführer (Kläger) gerügten Verfahrensmängel sind nicht gegeben.

2

a) [X.]ie Rüge, das [X.]inanzgericht ([X.]) habe verfahrensfehlerhaft die beantragte [X.]eweiserhebung unterlassen, ist unbegründet. Nach § 76 Abs. 1 Satz 1 der [X.]inanzgerichtsordnung ([X.]O) hat das [X.] den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen und die erforderlichen [X.]eweise zu erheben (§ 81 Abs. 1 Satz 2 [X.]O). Ein ordnungsgemäß gestellter [X.]eweisantrag darf nur unberücksichtigt bleiben, wenn das [X.]eweismittel für die zu treffende Entscheidung unerheblich, das [X.]eweismittel unerreichbar, unzulässig oder absolut untauglich ist oder wenn die infrage stehende Tatsache zu Gunsten des [X.]eweisführenden als wahr unterstellt werden kann ([X.]undesfinanzhof --[X.][X.]H--, [X.]eschluss vom 30. April 2008 [X.], [X.], 1475, m.w.N.).

3

Nach diesen Grundsätzen war das [X.] nicht gehalten, die von den Klägern benannten [X.], [X.], [X.] und [X.] zu vernehmen. [X.]as [X.] hat sich unter [X.]erücksichtigung des Schriftsatzes des Klägervertreters vom 27. Oktober 2010, mit dem die vorgenannten Zeugen unter Angabe des [X.]eweisthemas benannt worden sind, sowie aufgrund des Vortrags der [X.]eteiligten in der mündlichen Verhandlung vom 4. November 2010 ausführlich mit den von den Zeugen zu bekundenden Tatsachen auseinandergesetzt, diese im Rahmen des Gesamtvortrags des [X.] gewürdigt und den Schluss gezogen, es könne als wahr unterstellt werden, der Kläger habe Schulungen bei seinen und für seine Mandanten durchgeführt.

4

Wenn das [X.] nach dem eigenen Vortrag des [X.] unter Würdigung der von ihm im finanzgerichtlichen Verfahren eingereichten Unterlagen zu Lasten des [X.] aber den Schluss zieht, eine überwiegend unterrichtende Tätigkeit ergebe sich auch bei [X.]erücksichtigung der vom Kläger erwarteten Aussagen der von ihm benannten Zeugen nicht, so ist diese Schlussfolgerung nicht zu beanstanden. Zum einen könnten die vom Kläger benannten Zeugen Schulungsmaßnahmen als Schwerpunkt seiner Tätigkeit allenfalls punktuell bestätigen, zumal sämtliche Zeugen über das Tätigkeitsfeld des [X.] kaum oder nur sehr eingeschränkt Überblick hatten. Zum anderen widerspricht die [X.]ehauptung des [X.], die unterrichtende Tätigkeit präge seine gesamten Aktivitäten, seinem eigenen Vorbringen im [X.]-Verfahren sowie den von ihm vorgelegten Verträgen. Wenn der damalige Klägervertreter z.[X.]. in der mündlichen Verhandlung vom 31. April 2010 ausgeführt hat, "die Tätigkeit des [X.] umfasse komplexe betriebswirtschaftliche Vorgänge von Logistik, Produktion, [X.]inanzierung usw.; darüber hinaus werden komplexe wirtschaftliche [X.]eratungen in konkreten [X.] von Unternehmen durchgeführt", so spricht das gegen eine die [X.] prägende unterrichtende Tätigkeit. [X.]as macht auch die Aufgabenzusammenstellung für den Kläger in der Anlage zum Vertrag zwischen dem Kläger und der [X.] deutlich. [X.]arin wird dem Kläger unter anderem die Leitung für den [X.]ereich [X.]risis Management mit den [X.]ivisionen Krisenmanagement und Response übertragen, die Koordinierung der diesen [X.]ivisionen zugeordneten [X.]onsultants, die Überwachung der Arbeitsergebnisse der [X.]onsultants nebst [X.]unktion als Quality [X.]ontrol Supervisor; Training und Schulung der dem Kläger zugeordneten [X.]onsultants, Verantwortung des [X.] für den Geschäftsbereich, Kontaktpflege zu Polizei, [X.]ehörden, Subunternehmen sowie Gewinnung neuer Kunden und [X.]etreuung von Stammkunden. Nach alledem hat das [X.] zutreffend davon abgesehen, die [X.], [X.], [X.] und [X.] zu vernehmen.

5

Hinsichtlich der [X.] und [X.] lässt die [X.]eschwerde schon nicht erkennen, inwieweit deren Nichtvernehmung verfahrensfehlerhaft sein soll.

6

Soweit mit der [X.]eschwerdebegründung nunmehr geltend gemacht wird, die Zeugen könnten weiter gehende Aussagen machen, die die Tätigkeit des [X.] in einem anderen Licht erscheinen ließen, handelt es sich um neuen Sachvortrag, der im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde keine [X.]erücksichtigung finden kann (vgl. Gräber/Ruban, [X.]inanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 118 Rz 36, m.w.N.).

7

b) Zu Recht hat das [X.] auch von der Vernehmung des erstmals in der mündlichen Verhandlung vom 4. November 2010 benannten [X.] abgesehen. Mit Verfügung vom 12. Oktober 2010 hatte das [X.] dem Kläger unter Hinweis auf die [X.]olgen einer [X.]ristversäumung eine [X.]rist nach § 79b Abs. 1, Abs. 2 [X.]O gesetzt bis zum 27. Oktober 2010 zur Angabe weiterer Tatsachen und zur [X.]enennung von [X.]eweismitteln, die bei der Entscheidung des Streitfalls noch zu berücksichtigen sind. [X.]er Kläger hat diese [X.]rist nicht gewahrt und den [X.] erst in der mündlichen Verhandlung vom 4. November 2010 benannt, ohne dass die Verspätung entschuldigt worden ist. Zutreffend ist das [X.] deshalb davon ausgegangen, dass die Vernehmung des in der mündlichen Verhandlung nicht präsenten Zeugen eine Vertagung erfordern und daher die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde.

8

c) Unbegründet ist auch die Rüge mangelnder Sachaufklärung infolge unzureichender Auswertung der Akten und unzureichender [X.]erücksichtigung des Vortrags des [X.]. Zum einen richten sich diese Einwendungen gegen die Sachverhalts- und [X.]eweiswürdigung des [X.], d.h. gegen die materielle Richtigkeit des [X.]-Urteils; die Zulassung der Revision kann darauf nicht gestützt werden (ständige Rechtsprechung, vgl. z.[X.]. [X.][X.]H-[X.]eschlüsse vom 29. Oktober 1998 X [X.] 132/98, [X.][X.]H/NV 1999, 510; vom 4. August 1999 IV [X.] 96/98, [X.][X.]H/NV 2000, 70). Zum anderen bedeutet der Umstand, dass das [X.] in den Urteilsgründen nicht auf sämtliche Argumente des [X.] umfassend eingegangen ist, nicht, dass es diese Gründe teilweise nicht zur Kenntnis genommen oder erwogen hat. Nach der Rechtsprechung des [X.]undesverfassungsgerichts ([X.]VerfG) ist das Gericht nach Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in der [X.]egründung seiner Entscheidung ausdrücklich zu befassen (Entscheidungen des [X.]VerfG vom 27. Mai 1970  2 [X.]vR 578/69, [X.]VerfGE 28, 378, 384; vom 10. Juni 1975  2 [X.]vR 1086/74, [X.]VerfGE 40, 101, 104 f.; vom 5. Oktober 1976  2 [X.]vR 558/75, [X.]VerfGE 42, 364, 368, und vom 15. April 1980  2 [X.]vR 827/79, [X.]VerfGE 54, 86). Vielmehr ist grundsätzlich davon auszugehen, dass das Gericht das von ihm entgegengenommene Vorbringen eines [X.]eteiligten tatsächlich auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat ([X.]VerfG-[X.]eschluss vom 15. April 1980  1 [X.]vR 1365/78, [X.]VerfGE 54, 43). Anders ist die Situation nur, wenn besondere Umstände des konkreten [X.]alls auf einen diesbezüglichen Verstoß hindeuten (ständige Rechtsprechung, [X.][X.]H-Urteil vom 5. Oktober 1999 [X.], [X.][X.]H/NV 2000, 235). [X.]as ist hier nicht der [X.]all.

9

In diesem Zusammenhang lässt die [X.]eschwerde überdies unberücksichtigt, dass die tatrichterliche Überzeugungsbildung der Vorinstanz (§ 96 Abs. 1 [X.]O) nur insoweit revisibel ist, als Verstöße gegen die Verfahrensordnung, gegen [X.]enkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze vorliegen (vgl. § 118 Abs. 2 [X.]O; Gräber/Ruban, [X.]inanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 118 Rz 30; [X.] in Tipke/[X.], Abgabenordnung, [X.]inanzgerichtsordnung, § 118 [X.]O Rz 87, m.w.N.). Solche Verstöße sind jedoch im Streitfall nicht erkennbar.

Meta

VIII B 14/11

15.12.2011

Bundesfinanzhof 8. Senat

Beschluss

vorgehend FG Münster, 4. November 2010, Az: 6 K 1973/05 G, Urteil

§ 76 Abs 1 FGO, § 81 Abs 1 FGO, § 96 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 15.12.2011, Az. VIII B 14/11 (REWIS RS 2011, 377)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 377

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