Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 01.12.2011, Az. 5 StR 417/11

5. Strafsenat | REWIS RS 2011, 874

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5 [X.]/11

BUNDESGERICHTSHOF

IM [X.] DES VOLKES

URTEIL

vom 1. Dezember 2011
in der Strafsache
gegen

wegen sexueller Nötigung u.a.

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2
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Der 5. Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom [X.] 2011, an der teilgenommen haben:

[X.] Dr. Raum als Vorsitzender,

[X.] Dr. Brause,
[X.] [X.],
[X.]in Dr. [X.],
[X.] Prof. Dr. König

als beisitzende [X.],

[X.] beim [X.]

als Vertreter der [X.]schaft,

Rechtsanwalt W.

als Verteidiger,

Rechtsanwältin P.

als Vertreterin für die Nebenklägerin [X.],

Rechtsanwältin We.

als Vertreterin für die Nebenklägerin [X.],

Rechtsanwältin G.

als Vertreterin für die Nebenklägerin [X.],

[X.]

als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
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für Recht erkannt:

1.
Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und

betreffend den Fall 4

der Nebenklägerin [X.]
wird das Urteil des [X.] vom 26. Mai 2011 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Jedoch bleiben die [X.] zum objektiven Tatgeschehen in den Fällen 4, 6 und 7 aufrechterhalten; insoweit werden die Revisionen verworfen.

2.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten der [X.], an eine andere Strafkammer des [X.].

Von Rechts wegen

[X.] n d e

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Nötigung in sieben Fäl-len, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt und deren Vollstre-ckung zur Bewährung ausgesetzt. Gegen das Urteil wenden sich die [X.] und hinsichtlich Fall 4 die Nebenklägerin [X.]
mit ihren [X.] auf die Sachrüge gestützten Revisionen. Die Rechtsmittel haben den aus dem [X.] ersichtlichen Erfolg.

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1. Das [X.] hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

a) Der zur Tatzeit 21-jährige, im elterlichen Haushalt lebende, e-Trennung von seiner Freundin oft einsam. Er war auf der Suche nach körper-licher Nähe, die er besonders beim Küssen empfand. Aus diesem Grund nä-herte er sich in sieben Fällen zwischen dem 12. August 2008 und dem 17.
Januar 2009 in seinem Wohnumfeld auf offener Straße jungen, ihm un-bekannten Frauen, die ihn optisch ansprachen, umfasste sie jeweils von [X.] und hielt sie fest. In einigen Fällen küsste er sie (Taten 1 und 3) oder ver-langte, sie sollten ihn küssen (Tat 6), und berührte sie über der Kleidung an den Brüsten oder im Genitalbereich (Taten 2 bis 6). Er ließ jeweils von den Frauen ab, als sie sich wehrten oder Dritte auf das Geschehen aufmerksam wurden. Zwei der Frauen trugen leichte körperliche Verletzungen davon (Ta-ten 3 und 7).

b) Das [X.] hat sämtliche Taten als Nötigung gemäß § 240 Abs. 1 und 2 StGB gewertet und in den Fällen 3 und 7 jeweils tateinheitlich hierzu eine vorsätzliche Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1 StGB ange-nommen. Eine Strafbarkeit wegen

vollendeter oder versuchter

sexueller Nötigung hat es in allen Fällen verneint. Eine sexuelle Handlung liege nicht vor, da es an der gemäß § 184g Nr. 1 StGB erforderlichen Erheblichkeit feh-le. Bei den vom
Angeklagten vorgenommenen Handlungen handele es sich um Zudringlichkeiten und nur ganz flüchtige Berührungen oberhalb der Be-kleidung. Da der Angeklagte nicht mehr erstrebt habe als in Küssen und Um-armung bestehende Nähe, scheide auch eine Strafbarkeit wegen versuchter sexueller Nötigung aus. Von einer solchen wäre der Angeklagte im Übrigen in jedem der Fälle gemäß § 24 Abs. 1 StGB strafbefreiend zurückgetreten.

2. Das angefochtene Urteil begegnet schon deshalb durchgreifenden Bedenken, weil die Beweiswürdigung des [X.]s hinsichtlich der vom 2
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Angeklagten verfolgten Ziele und damit zu seinem Tatvorsatz lückenhaft ist (vgl. [X.], Urteil vom 2. Dezember 2005

5 [X.], [X.], 925, 928, insoweit in [X.]St 50, 299 nicht abgedruckt).

Die Strafkammer ist der Einlassung des Angeklagten, er sei lediglich e-folgt, ohne dem widersprechende Umstände zu erwägen. Schon die vom Angeklagten durchweg gewählte Art der Kontaktaufnahme

überraschendes gewaltsames Umfassen der jungen ihm unbekannten Frauen auf offener Straße von hinten

war offensichtlich ungeeignet, das vom Angeklagten be-hauptete [X.] zu erreichen. Zudem hat der Angeklagte Handlungen vorgenommen, die über das angegebene Ziel hinausgingen und ersichtlich auf eine sexuelle Annäherung ausgerichtet waren:

In den [X.] fasste er die Frauen an die Brust und den Geni-talbereich, ohne dass ein von ihm [X.] Küssen als Ausdruck der kör-perlichen Nähe überhaupt angesprochen oder versucht wurde. Im Fall 4 um-fasste er

seine Hose stand dabei offen

die Nebenklägerin [X.]
und berührte die Frau für wenige Sekunden an den Brüsten, ohne sie zu küssen oder dies zu versuchen. Das gleiche gilt im Fall 7, als er den Mund der Frau zuhielt. Im Fall 3 berührte er zunächst nach Öffnen eines Reißverschlusses Frau so fest gegen eine Wand gedrückt hatte, dass sie Hämatome davon-trug.

3. Die [X.] bedarf demnach neuer Aufklärung und Bewertung. Nachdem das [X.] die Einlassung des Angeklagten fehlerhaft bewer-tet hat, muss der Senat auch die objektiven Feststellungen in den Fällen auf-heben, in denen diese allein auf der Einlassung des Angeklagten
beruhen.

Das neue Tatgericht wird zu bedenken haben, dass als erheblich im Sinne des § 184g Nr. 1 StGB solche Handlungen zu werten sind, die nach 6
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Art, Intensität und Dauer eine sozial nicht mehr hinnehmbare Beeinträchti-gung des im jeweiligen Tatbestand geschützten Rechtsguts besorgen lassen ([X.], Urteil vom 24. September 1991

5 StR 364/91, [X.], 324). Bei der am Schutzgut der sexuellen Selbstbestimmung orientierten Bewertung sind auch die gesamten Begleitumstände des Tatgeschehens einzubeziehen und neben den näheren Umständen der Handlung die Beziehung zwischen den Beteiligten und die konkrete Tatsituation zu berücksichtigen ([X.], [X.] vom 8. Februar 2006

2 [X.], [X.], 251; [X.], Urteil vom 25. Juli 1989

1 [X.], NJW 1989,
3029; [X.]/Roggen-buck, StGB, 12. Aufl., § 184g Rn. 12). Eine ergänzende Betrachtung des Ge-samtzusammenhangs ist insbesondere dann geboten, wenn die Handlungen für sich genommen in ihrer sexuellen Ausprägung nicht besonders gravie-rend oder nachhaltig sind. In die Bewertung wird deshalb hier neben der (zum Teil eher geringen) Intensität der sexuellen Handlungen einzustellen sein, dass der Angeklagte jeweils ihm unbekannte Frauen überraschend und unvermittelt von hinten angriff und sie unter beträchtlicher Kraftentfaltung körperlich so heftig bedrängte, dass sich die Frauen ihm nur durch erhebliche körperliche Gegenwehr entziehen konnten.

Aufgrund des engen Zusammenhangs der schon länger zurückliegen-den Taten wird wiederum die Festsetzung einer die Einzelstrafen eng zu-sammenfassenden Gesamtstrafe geboten sein. Auch könnten die Erwägun-gen des angefochtenen Urteils zur Strafaussetzung zur Bewährung auch in Ansehung eines geänderten Schuldspruchs tragfähig bleiben.

Raum Brause

[X.]

[X.] König

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Meta

5 StR 417/11

01.12.2011

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 01.12.2011, Az. 5 StR 417/11 (REWIS RS 2011, 874)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 874

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