Bundesgerichtshof, Beschluss vom 08.08.2012, Az. 1 StR 296/12

1. Strafsenat | REWIS RS 2012, 4014

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Gegenstand

Strafverfahren wegen Steuerhinterziehung und Vorenthaltens von Sozialversicherungsbeiträgen: Wirksamkeit der Anklageschrift bei Schätzung der Schadenshöhe


Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 3. Januar 2012 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der [X.] keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 [X.]).

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Ergänzend zur Antragsschrift des [X.] merkt der Senat an:

1. Es fehlt nicht an der in jeder Lage des Verfahrens zu beachtenden Verfahrensvoraussetzung einer wirksamen Anklageschrift und - daran anknüpfend - eines wirksamen Eröffnungsbeschlusses.

Die Staatsanwaltschaft hat in der Anklageschrift die Höhe der Sozialversicherungsbeiträge, die der Angeklagte vorenthalten haben soll (§ 266a StGB), und die Höhe der Lohnsteuer, die der Angeklagte hinterzogen haben soll (§ [X.]), auf der Grundlage einer Schätzung bestimmt. Hierin erblickt die Revision - u.a. gestützt auf einen Beschluss des [X.] vom 19. Juli 2011 (1 Ws 271 - 274/11, [X.], 434) - einen die Wirksamkeit der Anklage tangierenden Mangel, weil eine konkretere Berechnung möglich und daher geboten gewesen sei. Diesem Vorbringen muss der Erfolg versagt bleiben.

Liegt einem Angeklagten Steuerhinterziehung zur Last, sind im [X.] das relevante Verhalten und der [X.]. § [X.] anzuführen, einer Berechnungsdarstellung der Steuerverkürzung bedarf es dort hingegen nicht (vgl. [X.], Beschluss vom 27. Mai 2009 - 1 [X.], [X.], 465). Ausführungen zur Schadensberechnung können keinen Beitrag zur Individualisierung der Tat leisten, im [X.] aber mitunter dem Ziel zuwiderlaufen, den Tatvorwurf klar, übersichtlich und verständlich darzustellen (vgl. [X.], aaO; Nr. 110 Abs. 1 [X.]). Die für Urteile geltenden Darstellungsmaßstäbe können angesichts der unterschiedlichen Anforderungen nicht auf Anklageschriften übertragen werden ([X.], aaO; vgl. auch [X.] [X.] 2011, 388, 389). Eine Anklageschrift erfüllt daher auch dann die für ihre Wirksamkeit erforderliche Individualisierungs- und Umgrenzungsfunktion (vgl. § 200 Abs. 1 Satz 1 [X.]), wenn die dem Angeklagten zur Last liegende Höhe der Steuerverkürzung - hier Lohnsteuerhinterziehung bei illegalen Beschäftigungsverhältnissen - auf einer Schätzung (zu deren Zulässigkeit vgl. [X.], Urteil vom 28. Juli 2010 - 1 [X.], [X.], 28) beruht, indes eine genauere Berechnung der Verkürzung möglich gewesen wäre. Für den Straftatbestand des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt (§ 266a StGB) gilt insoweit nichts Abweichendes.

Zwar ist es mit Blick auf die Informationsfunktion der Anklageschrift regelmäßig angezeigt, im wesentlichen Ermittlungsergebnis (§ 200 Abs. 2 Satz 1 [X.]; Nr. 112 [X.]) die für eine nachvollziehbare Darstellung der Berechnung der Abgabenverkürzung erforderlichen Tatsachenfeststellungen sowie (Steuer)Berechnungen oder Schätzungen anzuführen. Auch erscheint es zweckmäßig, die Ausführungen bereits an den für das Gericht geltenden Maßstäben auszurichten (vgl. dazu [X.], Beschluss vom 10. November 2009 - 1 [X.], [X.], 635). Fehlen derartige Angaben oder erweisen sie sich als ungenügend, kann dies für sich allein indes die Wirksamkeit der Anklage nicht in Frage stellen, da Mängel der Informationsfunktion ihre Wirksamkeit nicht berühren (vgl. u.a. [X.], Urteile vom 24. Januar 2012 - 1 [X.], [X.], 195 und vom 2. März 2011 - 2 StR 524/10, [X.]St 56, 183 sowie Beschluss vom 18. Oktober 2007 - 4 [X.], [X.], 109, jeweils mwN); insoweit können Fehler auch noch in der Hauptverhandlung durch Hinweise entsprechend § 265 [X.] geheilt werden (vgl. [X.], Urteil vom 28. Oktober 2009 - 1 [X.], [X.], 308 mwN).

Mängel der Anklageschrift, die deren Wirksamkeit nicht in Frage stellen, berechtigen auch nicht zur Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens ([X.] in [X.], 6. Aufl., § 204 Rn. 5; vgl. auch [X.], [X.], 55. Aufl., § 200 Rn. 27 mwN). Hält das zur Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens berufene Gericht die Schätzung der Anklagebehörde für unstatthaft oder ungenügend, hat es demzufolge die für erforderlich erachteten Nachermittlungen (Nachberechnungen) entweder selbst vorzunehmen oder auf eine Mängelbeseitigung durch die Staatsanwaltschaft hinzuwirken (vgl. insgesamt zu Mängeln, die nicht die Umgrenzungsfunktion der Anklageschrift betreffen [X.], [X.], 55. Aufl., § 200 Rn. 27). Hingegen kommt - auch unbeschadet der Möglichkeit einer neuen Anklageerhebung (vgl. § 156 [X.]) - die Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens (§ 204 [X.]) allein wegen einer aus Sicht des Gerichts nicht tragfähigen Schätzung in der Anklage nicht in Betracht (insoweit zumindest irreführend [X.], Beschluss vom 19. Juli 2011 - 1 Ws 271 - 274/11, [X.], 434, soweit der Beschluss die Zulässigkeit der Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens mit "derzeit unzulässigen Schätzungen" der Anklagebehörde begründet, denn dies lässt nicht erkennen, ob es an einem hinreichenden Tatverdacht einer Steuerhinterziehung fehlt).

2. Schuld- und Strafausspruch haben Bestand. Zwar bestimmt sich bei illegalen Beschäftigungsverhältnissen der der Strafzumessung zugrunde zu legende Nominalbetrag verkürzter Lohnsteuer auf der Grundlage des gezahlten [X.] nur dann nach den Steuersätzen der [X.], wenn in Fällen vollumfänglicher Schwarzlohnzahlungen dem Arbeitgeber eine Lohnsteuerkarte des Arbeitnehmers nicht vorlag (§ 39c EStG in der im Tatzeitraum geltenden Fassung) bzw. ihm die dem Arbeitnehmer zugeteilte Identifikationsnummer nicht bekannt war (§ 39c EStG), im Übrigen (Teilschwarzlohnzahlungen) nach der jeweiligen - unschwer feststellbaren - Steuerklasse des betroffenen Arbeitnehmers (vgl. [X.], Beschluss vom 8. Februar 2011 - 1 [X.], [X.]St 56, 153 mwN; zu geringfügig entlohnten Beschäftigten vgl. [X.], Urteil vom 11. August 2010 - 1 [X.], [X.], 376). Die hiervon teilweise abweichende Bestimmung der Höhe hinterzogener Lohnsteuer durch die [X.] berührt vorliegend jedoch - wie der Senat den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen entnehmen kann - nicht die für die Strafzumessung maßgebliche Größenordnung der Steuerverkürzung und kann den Angeklagten jedenfalls nicht beschweren.

Wahl                                               Hebenstreit                                                 [X.]

                         [X.]

Meta

1 StR 296/12

08.08.2012

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Duisburg, 3. Januar 2012, Az: 34 KLs 14/11 - 144 Js 189/10

§ 370 AO, § 200 Abs 1 S 1 StPO, § 266a StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 08.08.2012, Az. 1 StR 296/12 (REWIS RS 2012, 4014)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 4014

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