Bundesgerichtshof, Urteil vom 09.01.2018, Az. 1 StR 370/17

1. Strafsenat | REWIS RS 2018, 16014

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Gegenstand

Notwendiger Inhalt der Anklageschrift bei einer Anklage betreffend das Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt und Steuerhinterziehung


Leitsatz

Zum notwendigen Inhalt der Anklageschrift zur Erfüllung der Umgrenzungsfunktion bei einer Anklage betreffend das Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt und Steuerhinterziehung.

Tenor

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des [X.] vom 3. April 2017 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe

1

Das [X.] hat durch das angefochtene Urteil das Verfahren gemäß § 260 Abs. 3 StPO eingestellt. Gegen dieses Urteil hat die Staatsanwaltschaft zu Ungunsten der Angeklagten Revision eingelegt. Sie rügt die Verletzung materiellen Rechts. Das vom [X.] vertretene Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

2

Dem Einstellungsurteil des [X.]s ging folgendes [X.] Geschehen voraus:

3

1. Die Staatsanwaltschaft [X.] wirft beiden Angeklagten und dem bis zur Verfahrensabtrennung Mitangeklagten E.        mit Anklageschrift vom 24. Januar 2014 vor, in 238 Fällen gemeinschaftlich handelnd als Arbeitgeber den Einzugsstellen Beiträge der Arbeitnehmer zur Sozialversicherung sowie zugleich auch als Arbeitgeber an diese Stellen abzuführende Beiträge zur Sozialversicherung vorenthalten zu haben. Weiter lag der Angeklagten [X.] in 51 Fällen sowie dem Angeklagten     [X.]in 40 Fällen, Steuern dadurch verkürzt zu haben, dass sie gemeinschaftlich handelnd die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis ließen.

4

In der insgesamt 39 Seiten umfassenden Anklageschrift wird zu den Tatvorwürfen näher ausgeführt, dass beide Angeklagte im Rahmen ihrer unternehmerischen Tätigkeit, die Angeklagte [X.]als angemeldete einzelkaufmännische Gewerbetreibende der Einzelfirma „D.                          “ sowie der Angeklagte      [X.]als faktischer Mitinhaber dieser Firma im Zeitraum von Juli 2006 bis Juli 2010 (Taten 1-238 der Anklage) im bewussten und gewollten Zusammenwirken Arbeitnehmer beschäftigt haben sollen, ohne sie überhaupt bzw. nur teilweise gegenüber den Sozialversicherungsträgern und den Finanzbehörden angemeldet zu haben. Zur Verschleierung dieser Beschäftigungsverhältnisse wurden einerseits mit Scheinrechnungen zahlreiche Fremdarbeiten als Betriebsausgaben verbucht sowie andererseits bzgl. einzelner namentlich bekannter Arbeitnehmer Lohnzahlungen unzutreffend als steuer- und beitragsfreie Fahrt- und Verpflegungskosten behandelt. Zu den konkreten [X.] waren in der Anklage für die genannten Tatzeiträume aufgeschlüsselte Übersichten mit den jeweils nicht abgeführten monatlichen Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung, zu den näher bezeichneten [X.], [X.] und [X.], [X.] und Techniker Krankenkasse ([X.]) enthalten, aus denen sich ein Gesamtbetrag der nicht abgeführten Sozialversicherungsbeiträge von 441.741,36 Euro im gesamten Tatzeitraum ergab. Im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen wird dargelegt, dass bei den Taten 1 bis 49 in Bezug auf die nicht namentlich ermittelbaren Arbeitnehmer die Schwarzlohnsumme geschätzt und die Beiträge insoweit auf Grund der letzten Ziffern der Betriebsnummer der [X.] als Einzugsstelle zugeordnet wurden. In den Fällen 50 bis 238 erfolgte in den jeweiligen [X.] eine konkrete Zuordnung der nicht abgeführten Sozialabgaben zu den Einzugsstellen in Bezug auf die fehlerhaft als beitragsfrei ausbezahlten [X.] und Verpflegungspauschalen, ohne aber in den jeweiligen Monaten die betreffenden Arbeitnehmer konkret zu bezeichnen.

5

In Bezug auf die Steuerhinterziehung enthält die Anklageschrift im Tatzeitraum von Juni 2006 bis Juli 2010 eine tabellarische Auflistung der in den jeweiligen Monaten nicht einbehaltenen und nicht abgeführten Lohnsteuer mit einer Gesamtsumme von 162.689,71 Euro. Dabei richtet sich der Tatvorwurf für den gesamten Tatzeitraum gegen die Angeklagte [X.](Taten 239-288 der Anklage), gegen den Angeklagten    [X.]     nur für die Taten 249-288 der Anklage, weil wegen der früheren Taten Verfolgungsverjährung eingetreten ist. Weiter wird beiden Angeklagten zur Last gelegt, im Veranlagungszeitraum 2008 bei der Jahreserklärung der Umsatzsteuer, der Gewerbesteuer und der Einkommensteuer (Tat 289 der Anklage) Steuern in Höhe von insgesamt 67.421 Euro verkürzt zu haben. Da von Seiten der Einzelfirma keine ordnungsgemäße Lohnbuchhaltung erfolgte und nur vereinzelt Stundenaufzeichnungen und [X.] gefunden wurden, konnte entsprechend der Anklage nicht durchgängig festgestellt werden, für welche konkreten Personen Lohnsteuer nicht ordnungsgemäß abgeführt wurde, weshalb insoweit teilweise Schätzungen erfolgten.

6

2. Diese Anklage wurde vom [X.] mit Beschluss vom 12. Oktober 2015 unverändert zur Hauptverhandlung zugelassen.

7

3. Das [X.] hat das Verfahren in der Hauptverhandlung vom 3. April 2017 mit Urteil gemäß § 260 Abs. 3 StPO eingestellt, weil die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft nicht die in § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO normierte Umgrenzungsfunktion der Anklage erfülle. Zur Begründung wird - vor allem unter Bezugnahme auf Beschlüsse des [X.] vom 18. August 2015 (III-3 [X.], [X.], 86) und des [X.] vom 19. Juli 2011 (1 Ws 271-274/11, [X.], 434) und vom 3. Juli 2013 (1 [X.], [X.] 2015, 430) - darauf abgestellt, dass im Fall des Vorwurfs des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt die Umgrenzungsfunktion der Anklage nur gewahrt werde, „wenn die einzelnen verfahrensgegenständlichen Taten - namentlich das jeweils einen konkreten Zeitraum betreffende Nichtabführen von Sozialversicherungsbeiträgen für bestimmte Personen an konkret benannte Sozialversicherungsträger trotz bestehender Pflicht hierzu - bezeichnet werden“ ([X.]). Da vorliegend in der Anklage weder die bekannten Arbeitnehmer benannt noch einem bestimmten Zeitraum bzw. einem bestimmten Sozialversicherungsträger zugeordnet werden, genüge dies zur Wahrung der Umgrenzungsfunktion der Anklage nicht. Eine Bezeichnung lediglich der Einzugsstellen ohne die Arbeitnehmer reiche nicht aus, auch soweit die Arbeitsentgelte der unbekannten Arbeitnehmer nur durch Schätzung ermittelt wurden ([X.]). Dieser Verfahrensmangel betreffe auch die angeklagten Taten der Lohnsteuerhinterziehung, da hier ebenfalls nicht nachvollziehbar werde, hinsichtlich welcher bekannten Arbeitnehmer für welchen Zeitraum die Lohnsteuer überhaupt berechnet wurde ([X.]). Auch hinsichtlich der Tat 289 der Anklage ergebe sich nicht hinreichend genau für welche Steuerarten eine Steuerhinterziehung angeklagt werden solle ([X.] 22).

II.

8

Die Revision der Staatsanwaltschaft ist begründet. Die Anklage ist wirksam, weil sie die notwendigen Angaben zur Bestimmung des [X.] enthält und damit ihrer Umgrenzungsfunktion genügt.

9

1. Eine Anklage ist nur dann unwirksam mit der Folge, dass das Verfahren wegen Fehlens einer Prozessvoraussetzung einzustellen ist, wenn etwaige Mängel ihre Umgrenzungsfunktion betreffen (vgl. u.a. [X.], Urteil vom 24. Januar 2012 - 1 [X.], [X.]St 57, 88, 90 f. Rn. 12 mwN).

a) Die Anklageschrift hat nach § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat sowie Zeit und Ort ihrer Begehung so genau zu bezeichnen, dass die Identität des geschichtlichen Vorgangs dargestellt und erkennbar wird, welche bestimmte Tat gemeint ist; sie muss sich von anderen gleichartigen strafbaren Handlungen desselben Täters unterscheiden lassen (vgl. u.a. [X.], Urteil vom 24. Januar 2012 - 1 [X.], [X.]St 57, 88, 91 Rn. 13). Dabei muss die Schilderung umso konkreter sein, je größer die allgemeine Möglichkeit ist, dass der Angeklagte verwechselbare weitere Straftaten gleicher Art verübt hat (vgl. u.a. [X.], Beschluss vom 8. August 1996 - 4 [X.], [X.]R StPO § 200 Abs. 1 Satz 1 Tat 20 mwN). Die begangene konkrete Tat muss durch bestimmte Tatumstände so genau bezeichnet werden, dass keine Unklarheit darüber möglich ist, welche Handlungen dem Angeklagten zur Last gelegt werden (vgl. u.a. [X.], Urteil vom 28. Oktober 2009 - 1 [X.], [X.], 308 Rn. 92). Denn es darf nicht unklar bleiben, über welchen Sachverhalt das Gericht nach dem Willen der Staatsanwaltschaft urteilen soll. Erfüllt die Anklage ihre Umgrenzungsfunktion nicht, ist sie unwirksam (vgl. u.a. [X.], Urteile vom 9. August 2011 - 1 [X.], [X.], 85 mwN; vom 2. März 2011 - 2 StR 524/10, [X.]St 56, 183, 185 f. Rn. 6 und vom 28. Oktober 2009 - 1 [X.] aaO; Beschluss vom 29. November 1994 - 4 [X.], [X.], 245 mwN; Urteil vom 11. Januar 1994 - 5 [X.], [X.]St 40, 44, 45). Ein wesentlicher Mangel der Anklageschrift, der als Verfahrenshindernis wirken kann, ist daher nur anzunehmen, wenn die angeklagten Taten anhand der Anklageschrift nicht genügend konkretisierbar sind, so dass unklar bleibt, auf welchen konkreten Sachverhalt sich die Anklage bezieht und welchen Umfang die Rechtskraft eines daraufhin ergehenden Urteils haben würde (vgl. u.a. [X.], Beschlüsse vom 18. Oktober 2007 - 4 [X.], [X.], 352 mwN und vom 14. Februar 2007 - 3 [X.], [X.], 290 mwN; Urteil vom 28. April 2006 - 2 [X.], [X.], 649 Rn. 1; Beschluss vom 20. Juli 1994 - 2 StR 321/94 mwN). Bei der Prüfung, ob die Anklage die gebotene Umgrenzung leistet, dürfen die Ausführungen im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen zur Ergänzung und Auslegung des [X.]es herangezogen werden (vgl. u.a. [X.], Urteile vom 9. August 2011 - 1 [X.] aaO mwN; vom 28. Oktober 2009 - 1 [X.] aaO Rn. 95 mwN und vom 28. April 2006 - 2 [X.] aaO).

b) Diese allgemeinen Anforderungen führen nach der Rechtsprechung des [X.] im hier maßgeblichen Bereich der Steuerhinterziehung (§ [X.]) und des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt (§ 266a StGB) dazu, dass im [X.] das relevante Verhalten und der [X.]. § [X.] bzw. § 266a StGB anzuführen sind, einer Berechnungsdarstellung der Steuerverkürzung bzw. der nicht abgeführten Sozialversicherungsbeiträge bedarf es dort hingegen nicht (vgl. [X.], Beschlüsse vom 8. August 2012 - 1 StR 296/12, [X.], 409; vom 21. Dezember 2016 - 1 [X.], [X.], 270 Rn. 2 und vom 27. Mai 2009 - 1 [X.], [X.], 465). Ausführungen zur Schadensberechnung können keinen Beitrag zur Individualisierung der Tat leisten, im [X.] aber mitunter dem Ziel zuwiderlaufen, den Tatvorwurf klar, übersichtlich und verständlich darzustellen (vgl. [X.], Beschluss vom 8. August 2012 - 1 StR 296/12, [X.], 409; Nr. 110 Abs. 1 [X.]). Die für Urteile geltenden Darstellungsmaßstäbe können angesichts der unterschiedlichen Anforderungen nicht auf Anklageschriften übertragen werden ([X.], Beschluss vom 8. August 2012 - 1 StR 296/12, [X.], 409; vgl. auch [X.] [X.] 2011, 388, 389). Eine Anklageschrift erfüllt daher auch dann die für ihre Wirksamkeit erforderliche Individualisierungs- und Umgrenzungsfunktion (vgl. § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO), wenn die dem Angeklagten zur Last liegende Höhe der Steuerverkürzung oder des Vorenthaltens oder Veruntreuens von Arbeitsentgelt bei illegalen Beschäftigungsverhältnissen auf einer Schätzung (zu deren Zulässigkeit vgl. [X.], Urteil vom 28. Juli 2010 - 1 [X.], [X.], 28, 31 Rn. 40 f.) beruht, selbst wenn eine genauere Berechnung der Steuerverkürzung bzw. Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen möglich gewesen wäre.

Zwar ist es mit [X.]ick auf die Informationsfunktion der Anklageschrift regelmäßig angezeigt, im wesentlichen Ermittlungsergebnis (§ 200 Abs. 2 Satz 1 StPO; Nr. 112 [X.]) die für eine nachvollziehbare Darstellung der Berechnung der Abgabenverkürzung erforderlichen Tatsachenfeststellungen sowie (Steuer-)Berechnungen oder Schätzungen anzuführen. Auch erscheint es zweckmäßig, die Ausführungen bereits an den für das Gericht geltenden Maßstäben auszurichten (vgl. [X.], Beschluss vom 8. August 2012 - 1 StR 296/12, [X.], 409, 410; zu den Voraussetzungen für eine Schätzung vgl. [X.], Beschluss vom 10. November 2009 - 1 [X.], [X.], 635, 636 Rn. 4 ff.). Fehlen derartige Angaben oder erweisen sie sich als ungenügend, kann dies für sich allein indes die Wirksamkeit der Anklage nicht in Frage stellen, da Mängel der Informationsfunktion ihre Wirksamkeit nicht berühren (vgl. u.a. [X.], Urteile vom 24. Januar 2012 - 1 [X.], [X.], 195, 197 Rn. 17 und vom 2. März 2011 - 2 StR 524/10, [X.]St 56, 183, 185 Rn. 6 sowie Beschluss vom 18. Oktober 2007 - 4 [X.], [X.], 109, jeweils mwN); insoweit können Fehler auch noch in der Hauptverhandlung durch Hinweise entsprechend § 265 StPO geheilt werden (vgl. [X.], Urteil vom 28. Oktober 2009 - 1 [X.], [X.], 308 Rn. 92 mwN).

2. Danach fehlt es hier in Bezug auf alle Tatvorwürfe nicht an der in jeder Lage des Verfahrens zu beachtenden Verfahrensvoraussetzung einer wirksamen Anklageschrift und - daran anknüpfend - eines wirksamen Eröffnungsbeschlusses.

a) In Bezug auf das Vorenthalten oder Veruntreuen von Arbeitsentgelt (Taten 1-238 der Anklage) wird die Umgrenzungsfunktion der Anklage gewahrt. Es bestehen insbesondere keinerlei Zweifel am Umfang der Rechtskraft eines daraufhin ergehenden Urteils.

aa) So enthält die Anklage zunächst Angaben zur Arbeitgeberstellung der Angeklagten und damit zur Zahlungspflicht. Weiter werden für den konkret bezeichneten Tatzeitraum von Juli 2006 bis Juli 2010 die jeweiligen Beitrags- und Beschäftigungsmonate einschließlich der zuständigen Einzugsstellen konkret benannt, an die trotz bestehender Pflicht Sozialversicherungsbeiträge nicht abgeführt wurden. Für die relevanten Monate im Tatzeitraum finden sich auch die jeweils nicht abgeführten Sozialversicherungsbeiträge, aufgeschlüsselt nach Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteilen des einzelkaufmännischen Unternehmens, für das die Angeklagten handelten. Diese Angaben lassen damit eine Abgrenzung zu anderen Taten ohne Weiteres zu. Weitergehende Angaben zu den Einkünften der Arbeitnehmer und zu dem jeweiligen [X.] für die Höhe der Sozialversicherungsbeiträge sind für die Erfüllung der Umgrenzungsfunktion der Anklage ohne Bedeutung. [X.] war auch, dass die Anklage bei der Auflistung der einzelnen Taten hinsichtlich der betreffenden Monate nicht nach einzelnen Personen differenziert hat, sondern nur pauschal den jeweiligen Sozialversicherungsträgern als Einzugsstellen zuordnet. Einer weitergehenden individualisierenden Beschreibung der jeweiligen Einzelakte jeder Tat bedurfte es nach der dargestellten Rechtsprechung des [X.] zur Identifizierbarkeit der Anklage nicht.

bb) Soweit das [X.] sich zur Begründung seiner Rechtsauffassung auf die Rechtsprechung des [X.] (Beschluss vom 18. August 2015 - III-3 [X.], [X.], 86) und des [X.] (Beschlüsse vom 19. Juli 2011 - 1 Ws 271-274/11, [X.], 434 und vom 3. Juli 2013 - 1 [X.], [X.] 2015, 430) stützt, lagen - soweit darin überhaupt ein Widerspruch zur vorgenannten Rechtsprechung des [X.] zu sehen sein sollte - hier teilweise abweichende Fallgestaltungen zu Grunde, die im [X.]ick auf die vorliegende Anklage eine Einstellung des Verfahrens nicht rechtfertigen. So wäre es auch nach Auffassung des [X.] (Beschluss vom 3. Juli 2013 - 1 [X.] aaO 433) für die Erfüllung der Umgrenzungsfunktion der Anklage unschädlich, „dass die Anklage bei der Auflistung der einzelnen Taten hinsichtlich der betreffenden Monate nicht nach den einzelnen Personen, für die Sozialversicherungsbeiträge abzuführen waren, differenziert, sondern die Personen nur pauschal den jeweiligen Sozialversicherungsträgern zuordnet“. Auch der weiteren Entscheidung des [X.] (Beschluss vom 19. Juli 2011 - 1 Ws 271-274/11 aaO) lag eine Fallgestaltung zu Grunde, bei der es in der Anklage an jeglicher Individualisierung hinsichtlich der Arbeitnehmer mit Zuordnung zu Einzugsstellen, dem Abrechnungszeitraum und dem Beitragssatz fehlte. Ebenso waren bei der Entscheidung des [X.] (Beschluss vom 18. August 2015 - III-3 [X.] aaO) in der Anklage weder der Tatzeitpunkt noch die Arbeitnehmer sowie die jeweiligen Sozialversicherungsträger konkret benannt.

Im Übrigen wäre auch in Bezug auf die Taten 1 bis 49 der Anklage zum Nachteil der [X.] in jedem Fall die Umgrenzungsfunktion der Anklage gewahrt, da es sich hier weitestgehend um Beiträge für nicht identifizierte und nicht identifizierbare Arbeitnehmer der beiden Angeklagten handelte, bei denen eine personenbezogene Zuordnung der Schwarzarbeit und der gezahlten Schwarzlöhne überwiegend gar nicht möglich war und deshalb die Berechnung der Nettolöhne - wie im wesentlichen Ermittlungsergebnis der Anklage näher ausgeführt - durch Schätzung auf der Grundlage der ermittelten Nettoumsätze erfolgen musste.

b) Auch hinsichtlich der Lohnsteuerhinterziehung für die Schwarzlohnzahlungen (Taten 239-288 der Anklage) wird die Umgrenzungsfunktion der Anklage gewahrt. Entsprechend den obigen Anforderungen an die Wirksamkeit der Anklage werden hier die im Hinblick auf die Lohnsteueranmeldung für ein bestimmtes Unternehmen verantwortlichen Personen, die jeweiligen Tatzeiträume und die hinterzogenen [X.] konkret bezeichnet. Verwechselungen der Steuerschuldner, Veranlagungszeiträume oder Steuererklärungen und damit in Bezug auf die angeklagten Lebenssachverhalte können nach der Fassung der Anklage hier nicht entstehen. Einer weitergehenden Darstellung zur Schadensberechnung bedurfte es zur Individualisierung der Taten nicht.

Auch hinsichtlich der Tat 289 der Anklage ist die Ansicht des [X.]s, die Anklage lasse nicht genau erkennen, hinsichtlich welcher Steuerarten eine Steuerhinterziehung angeklagt werden soll, unzutreffend. Hier wird bereits in der Einleitung der Anklage dargestellt, dass im Jahr 2008 erhebliche Einnahmen durch Schrottverkäufe erzielt wurden, die buchhalterisch nicht erfasst und „nicht der umsatzsteuerlichen Besteuerung unterworfen“ ([X.]. 4 der Anklage) wurden. Weiter werden in der Anklage die steuerlichen Pflichten der Angeklagten einschließlich der Zeitpunkte zur Abgabe der entsprechenden Steuererklärungen benannt und in der folgenden Übersicht der maßgebliche Veranlagungszeitraum 2008 mit den am selben Tag abgegebenen Erklärungen und den jeweiligen Steuerarten mit Umsatz-, Gewerbe- und Einkommensteuer einschließlich der verkürzten Steuerbeträge konkret bezeichnet ([X.]. 19 ff. der Anklage). Der Anklage ist auch zu entnehmen, dass die dargestellte Verkürzung der Einkommensteuer sich nur auf das Einkommen der Angeklagten [X.]bezieht.

Raum     

      

[X.]     

      

Fischer

      

Bär     

      

Hohoff     

      

Meta

1 StR 370/17

09.01.2018

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Kaiserslautern, 3. April 2017, Az: 6065 Js 9381/10 - 2 KLs

§ 200 StPO, § 266a StGB, § 370 AO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 09.01.2018, Az. 1 StR 370/17 (REWIS RS 2018, 16014)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 16014

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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