Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 08.11.2018, Az. 2 WRB 1/18

2. Wehrdienstsenat | REWIS RS 2018, 2003

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Gegenstand

Disziplinararrest; Maßnahmebemessung; Anhörung der Vertrauensperson


Leitsatz

1. Nicht jede Änderung einer beabsichtigten Disziplinarmaßnahme verpflichtet zur erneuten Anhörung der Vertrauensperson.

2. Den Tatgerichten steht bei der Maßnahmebemessung im Wehrdisziplinarrecht ein erheblicher Beurteilungs- und Ermessensspielraum zu.

3. Mit der Rechtsbeschwerde kann die mangelnde Beachtung einer in § 38 WDO niedergelegten Bemessungsrichtlinie geltend gemacht werden.

Tatbestand

1

Die Rechtsbeschwerde betrifft die Verhängung eines [X.]es.

2

1. Der Beschwerdeführer gehörte als Oberstabsgefreiter der ... in ... an. Er hatte am Vormittag des 19. September 2017 beim Kasernenoffizier Hauptmann M. zu erscheinen. Wegen seines Verhaltens bei einer Kasernentorkontrolle sollte er über die Einhaltung der Kasernenordnung belehrt werden. Als der Soldat der Belehrung achselzuckend folgte, fragte ihn der Hauptmann mehrfach, ob er an spastischen Zuckungen leide. Der Soldat war darüber erbost und die Situation eskalierte. In der späteren Disziplinarverfügung wurde dem Soldaten folgender Sachverhalt als Dienstvergehen zur Last gelegt:

"Er hat am 19.09.2017 in ..., (...) gegen 11:15 Uhr im Büro des [X.], des Hptm M., während einer Belehrung über die Kasernenordnung, entgegnet: '[X.] hier soll'. Im weiteren Verlauf der Belehrung durch Hptm M. sprang der Soldat dann von seinem Stuhl auf und positionierte sich in einer angriffslustigen Haltung in ungefähr einem halben Meter vor ihm und fragte diesen drohend: 'ob sie nicht mal vor die Kaserne gehen sollen, um sich dort wie richtige Männer zu unterhalten'. Dem darauf erteilten Befehl des Hptm M., sich wieder hinzusetzen, befolgte der Soldat erst nach zweimaliger Wiederholung."

3

Der Disziplinarvorgesetzte beabsichtigte, deswegen einen [X.] von 21 Tagen zu verhängen. Die auf Antrag des Beschwerdeführers angehörte Vertrauensperson führte ausweislich der Niederschrift vom 15. November 2017 zum beabsichtigten Disziplinarmaß aus, dass sie trotz der Äußerungen des Soldaten und des daraus entstehenden Verdachtes einer Wehrstraftat 21 Tage [X.] als nicht zielführend erachte. Dies werde nicht zur Disziplinierung, sondern im Gegenteil eher zu künftigen Problemen im Umgang mit dem Soldaten führen.

4

Der Kommandeur hielt an seiner Absicht fest und beantragte die dafür erforderliche Zustimmung des [X.]s. Mit Beschluss vom 18. Dezember 2017 erteilte der Vorsitzende der [X.] des [X.] die Zustimmung mit der Maßgabe einer Reduzierung des [X.]es auf 14 Tage. Zur Begründung führte er aus, dass ein dreiwöchiger Arrest für die vorliegende Ersttat nicht angemessen sei. Der Soldat sei zwar aufsässig und ungehorsam gewesen, aber nicht tätlich geworden. Daraufhin verhängte der [X.] stationär mit Disziplinarverfügung vom 20. Dezember 2017 gegen den Beschwerdeführer einen [X.] von 14 Tagen.

5

Mit Schreiben vom 21. Dezember 2017 legte der Beschwerdeführer gegen die Disziplinarverfügung Beschwerde ein und bestritt die ihm vorgeworfenen Äußerungen und Befehlsverweigerungen. Er habe sich bei dem Vorfall mit Hauptmann M. 2017 völlig richtig verhalten. Er sei provoziert und in seiner Menschenwürde verletzt worden. Nicht er, sondern Hauptmann M. habe sich falsch verhalten. Er habe das Gespräch beenden wollen, während Hauptmann M. die Situation mit voller Absicht unnötig eskaliert habe.

6

2. [X.] hat über die Beschwerde auf der Grundlage der schriftlichen Vernehmungsprotokolle des Soldaten und mehrerer Zeugen ohne mündliche Verhandlung entschieden. Es hat mit Beschluss vom 21. Februar 2018 den [X.] auf neun Tage herabgesetzt, die Beschwerde im Übrigen jedoch zurückgewiesen. In tatsächlicher Hinsicht sei die vorgeworfene Befehlsverweigerung nicht feststellbar. Der Soldat sei zwar bei dem Gespräch der zunächst geäußerten Bitte, sich zu setzen, nicht gefolgt, habe aber dem anschließenden Befehl des Hauptmanns M. Folge geleistet. Zuvor habe er jedoch gegenüber dem Hauptmann geäußert, "[X.] soll" und "Wollen wir nicht mal vor die Kaserne gehen, um uns dort wie richtige Männer zu unterhalten". Dabei habe er sich in einem Abstand von ca. einem halben Meter vor diesem bedrohlich aufgebaut.

7

Durch dieses Verhalten habe der Soldat seine Pflichten verletzt, Disziplin zu wahren und die Stellung des Vorgesetzten in seiner Person zu achten sowie der [X.]ung und dem Vertrauen gerecht zu werden, die sein Dienst als Soldat erfordere. Der Soldat habe zwar keine Wehrstraftat, aber ein vorsätzliches Dienstvergehen begangen. Bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme sei die Verhängung von [X.] auch im Hinblick auf die Auswirkungen der Tat angemessen, weil der Beschwerdeführer sein disziplinloses Verhalten im [X.] kundgetan habe. Eine sichtbare disziplinare Reaktion sei auch aus generalpräventiven Gesichtspunkten geboten. Im konkreten Fall sei die Maßnahme zu mildern gewesen, weil der Soldat wegen ehrverletzender Äußerungen des Zeugen M. provoziert worden sei, so dass schuldmildernd von einer persönlichkeitsfremden Augenblickstat auszugehen sei.

8

Die Disziplinarmaßnahme leide an keinem formalen Mangel. Insbesondere hätte die Vertrauensperson nicht erneut zu dem endgültig verhängten [X.] von 14 Tagen angehört werden müssen. In Fällen, in denen der verhängende Disziplinarvorgesetzte die Entscheidung des Richters lediglich umsetze, müsse keine erneute Anhörung der Vertrauensperson stattfinden. Dies werde auch dem Grundsatz gerecht, dass Disziplinarverfahren beschleunigt zu behandeln seien. Wegen dieser Frage hat das [X.] die Rechtsbeschwerde zugelassen.

9

3. Mit seiner fristgerecht eingelegten und begründeten Rechtsbeschwerde macht der Beschwerdeführer geltend, der Beschluss des [X.]s verstoße gegen § 28 Abs. 1 [X.]. Nach Reduzierung des ursprünglich beantragten Disziplinarmaßes hätte die Vertrauensperson nochmals angehört werden müssen. Dies gelte unabhängig davon, ob die Änderung des Disziplinarmaßes auf eigenem Entschluss des Disziplinarvorgesetzten oder auf einer truppendienstlichen Entscheidung beruhe. Der Disziplinarvorgesetzte sei dadurch nicht gezwungen gewesen, das reduzierte Disziplinarmaß aus dem Beschluss vom 18. Dezember 2017 festzusetzen. Vielmehr habe es in seinem Ermessen gelegen, die Entscheidung nochmals zu überdenken, die Vertrauensperson noch einmal anzuhören und eine noch mildere Maßnahme zu verhängen.

Der Beschluss beachte ferner die Vorschrift des § 38 Abs. 3 [X.] nicht, wonach die Verhängung eines [X.]es nur als letztes Mittel in Betracht komme. Da das [X.] von einer persönlichkeitsfremden Augenblickstat ausgegangen sei, sei eine mildere Disziplinarmaßnahme zur Einwirkung auf den Soldaten ausreichend gewesen. Das Gericht führe nicht aus, inwieweit eine mildere Disziplinarmaßnahme nicht der Generalprävention Genüge getan hätte. Es lasse außer [X.], dass der Soldat aus der Einheit zwangsversetzt worden und ein Nachahmungseffekt nicht zu befürchten gewesen sei. Wegen der Folgen des Verfahrens befinde er sich in ärztlicher Behandlung, was das [X.] ermessensfehlerhaft nicht zu seinen Gunsten berücksichtigt habe. Der Beschwerdeführer bestreitet im Übrigen weiterhin die Vorwürfe und erhebt mehrere Verfahrensrügen.

Dem Antrag des Beschwerdeführers, die Disziplinarmaßnahme vom 20. Dezember 2017 in Gestalt des Beschlusses des [X.]s vom 21. Februar 2018 aufzuheben, ist der Bundeswehrdisziplinaranwalt nicht entgegengetreten. Auch er hält die Beschwerde für begründet, weil eine erneute Anhörung der Vertrauensperson geboten gewesen wäre.

Der Soldat ist mit Verfügung vom 23. Februar 2018 an einen anderen Standort versetzt worden, an dem er seit 1. April 2018 seinen Dienst verrichtet.

Entscheidungsgründe

Die Rechtsbeschwerde hat in der Sache Erfolg und führt zur Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.].

1. Die Disziplinarverfügung ist allerdings nicht mangels ausreichender Anhörung der Vertrauensperson wegen Verstoßes gegen § 28 Abs. 1 [X.] rechtswidrig.

a) Nach dieser Vorschrift ist die Anhörung der Vertrauensperson vor der Verhängung der [X.]nahme zur Person des Soldaten, zum Sachverhalt und zum [X.] geboten. Der Disziplinarvorgesetzte soll dadurch eine Einschätzung erhalten, wie der Soldat und das angeschuldigte Verhalten aus Kameradensicht beurteilt werden und welches [X.] der Vertrauensperson nach deren [X.]rechtlicher Prüfung angemessen erscheint. Die Anhörung der Vertrauensperson dient - sowohl im Interesse des Soldaten als auch zur Objektivierung des Verfahrens - der Vorbereitung der Ermessensentscheidung des Disziplinarvorgesetzten (vgl. [X.], Urteil vom 8. Dezember 2010 - 2 WD 24.09 - [X.]E 138, 263 Rn. 16 zu § 27 Abs. 2 [X.] a.F.). Weil es sich um eine Anhörung zu einer beabsichtigten Maßnahme handelt, gilt für ihre Durchführung § 21 [X.] mit der Folge, dass die Vertrauensperson rechtzeitig und umfassend zu unterrichten, dass ihr Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben und dass die beabsichtigte Maßnahme mit ihr zu erörtern ist.

b) Schon aus dem Umstand, dass die Anhörung vor Erlass der "beabsichtigten" Maßnahme (§ 21 Satz 1 [X.]) ergehen muss, folgt, dass der Gegenstand der Anhörung nicht die am Ende des Entscheidungsprozesses stehende Verfügung sein kann. Daher hat das [X.] bereits zu dem früheren [X.]egriff der der [X.]eteiligung unterliegenden "[X.]n" im Sinne von § 23 Abs. 1 Satz 1 [X.] a.F. entschieden, dass sie nicht in jeder Hinsicht deckungsgleich sein müsse mit den einzelnen Entscheidungen, die später zu ihrer Verwirklichung ergehen. Gerade weil zu [X.]n häufig noch Korrekturen erfolgen, die - ohne den wesentlichen Inhalt der Entscheidung zu verändern - zum [X.]eispiel behebbare Rechtsfehler beseitigen oder der "Feinabstimmung" der Maßnahme dienen, löse nicht jede Veränderung die Pflicht zu einer erneuten Anhörung aus. Maßgeblich sei, dass die beabsichtigte [X.] - für den betroffenen Soldaten erkennbar - nach Anlass, Ziel und Gegenstand im [X.] identisch bleibe und auch ein zeitlicher Zusammenhang gewahrt werde ([X.], [X.]eschluss vom 28. Oktober 2008 - 1 W[X.] 49.07 - [X.]E 132, 234 Rn. 44).

Diese Grundsätze sind auch für die Pflicht zur Anhörung von Vertrauenspersonen zu "beabsichtigten Maßnahmen" im Sinne der §§ 21, 28 [X.] n.F. anzuwenden. Sie gelten - wie das [X.] mittlerweile entschieden hat - generell und nicht nur für den dort entschiedenen Anwendungsfall. Gerade weil die [X.]eteiligung vor dem Erlass von Verfügungen erfolgt, auf das "Ob" des Erlasses und den Inhalt der jeweiligen Verfügung Einfluss nehmen und die personalbearbeitende Stelle gegebenenfalls zu Korrekturen veranlassen soll (siehe § 24 Abs. 3 [X.]), ist allein maßgeblich, dass während des [X.]eteiligungsverfahrens die Identität der (ex ante) beabsichtigten [X.] im Wesentlichen erhalten bleibt ([X.], [X.]eschluss vom 2. August 2017 - 1 [X.] 5.17 - [X.] 449.7 § 24 [X.] Nr. 2 Rn. 46).

Soweit der Senat für beabsichtigte [X.]nahmen im [X.]eschluss vom 26. Januar 2011 - 2 [X.] 9.10 - ([X.] 449.7 § 27 [X.] Nr. 6 Rn. 3 f.) für jedwede Änderung des [X.]es eine erneute Anhörung vorgesehen hat, hält er daran nicht mehr fest. Vielmehr besteht auch bei beabsichtigten [X.]nahmen nur bei wesentlichen Änderungen eine Pflicht zur erneuten Anhörung (z.[X.]. bei grundlegend verändertem Sachverhalt, neuen Anschuldigungen oder der Absicht, eine andere Art von [X.]nahme zu verhängen). Denn auch bei [X.]nahmen kommt es des Öfteren vor, dass das ursprünglich beabsichtigte [X.] nach Durchführung der vorgeschriebenen [X.] und [X.]eteiligungsverfahren abgemildert oder modifiziert wird, ohne dass dadurch die Identität der [X.]nahme im [X.] verloren geht.

c) Nach diesen Maßstäben liegt bei unverändertem Sachverhalt allein in der Abmilderung des [X.]es durch eine Reduzierung der Arresttage in aller Regel keine wesentliche Änderung vor. Dies gilt unabhängig davon, ob diese Abmilderung auf dem Anraten der Vertrauensperson beruht, auf die Intervention des [X.]s zurückgeht oder unter dem Eindruck des Schlussgehörs des angeschuldigten Soldaten erfolgt. Ein Abrücken von der ursprünglich beabsichtigten Höhe des [X.]es löst auch typischer Weise keinen neuen personalvertretungsrechtlichen Erörterungsbedarf aus. Das [X.] weist zu Recht darauf hin, dass es dem bei [X.]nahmen geltenden [X.]eschleunigungsgebot widersprechen würde, wenn jedwede Änderung des [X.]es zugunsten des [X.]etroffenen zwingend zu einer erneuten Anhörung der Vertrauensperson führen müsste. Dementsprechend war auch hier bei der Reduzierung der Arresttage von 21 auf 14 Tage keine erneute Anhörung der Vertrauensperson vor Erlass der Disziplinarentscheidung erforderlich. Dass die ursprüngliche Anhörung der Vertrauensperson ordnungsgemäß erfolgt ist, ist zwischen den [X.]eteiligten nicht umstritten und folgt aus der hierzu angefertigten Niederschrift vom 15. November 2017.

2. Die Rechtsbeschwerde ist jedoch begründet, soweit sie die [X.]emessung der [X.]nahme angreift und eine unzureichende [X.]erücksichtigung des § 38 Abs. 3 [X.] rügt.

a) Nach den "Richtlinien für das [X.] der [X.]nahme" in § 38 Abs. 1 [X.] sind bei Art und Maß der [X.]nahme Eigenart und Schwere des Dienstvergehens und seine Auswirkungen, das Maß der Schuld, die Persönlichkeit, die bisherige Führung und die [X.]eweggründe des Soldaten zu berücksichtigen. Eine objektive und ausgewogene Zumessungsentscheidung setzt voraus, dass diese [X.]emessungskriterien mit dem ihnen im Einzelfall zukommenden Gewicht ermittelt und in die Entscheidung eingestellt werden (vgl. [X.], Urteile vom 20. Oktober 2005 - 2 C 12.04 - [X.]E 124, 252 <258> und vom 28. September 2018 - 2 WD 14.17 - Rn. 99). Denn diese Kriterien sind Ausdruck verfassungsrechtlicher Gebote. Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] gelten das Schuldprinzip und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Übermaßverbot) grundsätzlich auch im Disziplinarverfahren (vgl. [X.], [X.] vom 8. Dezember 2004 - 2 [X.]vR 52/02 - NJW 2005, 1344 <1346> m.w.N.). Dabei konkretisieren § 38 Abs. 2 und 3 [X.] den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in der Weise, dass in der Regel mit der milderen [X.]nahme zu beginnen und erst bei erneutem Dienstvergehen zu schwereren [X.]nahmen überzugehen ist; insbesondere [X.] soll erst dann verhängt werden, wenn vorausgegangene erzieherische Maßnahmen und [X.]nahmen ihren Zweck nicht erreicht haben oder die Aufrechterhaltung der militärischen Ordnung eine [X.]e Freiheitsentziehung gebietet.

b) Allerdings ist die Maßnahmebemessung grundsätzlich Sache des Tatgerichts. Es ist seine Aufgabe, auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den es von der Tat und der Persönlichkeit des [X.] gewonnen hat, die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und hierbei gegeneinander abzuwägen. Da es bei [X.]eachtung der oben genannten [X.]n eine [X.]andbreite vertretbarer Entscheidungen gibt, steht den Tatgerichten im Disziplinarrecht ebenso wie im Strafrecht ein erheblicher [X.]eurteilungs- und Ermessensspielraum zu. Ein Eingriff des [X.] in die Maßnahmebemessung ist in der Regel nur möglich, wenn die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, das Tatgericht die normativen [X.]n nicht oder nicht hinreichend beachtet oder wenn sich die verhängte [X.]nahme nach oben oder unten von ihrer [X.]estimmung löst, gerechter Schuldausgleich zu sein (vgl. [X.], Urteile vom 17. September 1980 - 2 StR 355/80 - [X.]St 29, 319 <320> und vom 7. Februar 2012 - 1 [X.] - [X.]St 57, 123 Rn. 17). Nur in diesem Rahmen kann bei [X.] nach § 22a [X.] eine Verletzung von [X.]undesrecht (§ 23a [X.] i.V.m. § 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) festgestellt werden. Dagegen ist eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle - ebenso wie bei der revisionsrechtlichen Überprüfung von [X.] - ausgeschlossen (vgl. [X.], Großer Senat für Strafsachen, [X.]eschluss vom 10. April 1987 - [X.] - [X.]St 34, 345 <349>).

c) Im vorliegenden Fall hat das [X.] die von § 38 Abs. 3 [X.] vorgegebene [X.] nicht hinreichend beachtet. Es stellt zwar auf der einen Seite den Soldaten von dem schwerwiegenden Vorwurf einer Wehrstraftat frei; es nimmt weder eine Vorgesetztenbedrohung noch eine [X.]efehlsverweigerung an. Auch geht die Entscheidung nicht davon aus, dass die verbalen Entgleisungen des Soldaten eine strafbare [X.]eleidigung darstellen. Ferner ist der Soldat nach den tatrichterlichen Feststellungen [X.] nicht vorbelastet; zu dessen Gunsten wird eingestellt, dass aufgrund der vorangegangenen Provokation eine persönlichkeitsfremde Augenblickstat vorliegt. Auf der anderen Seite verhängt das [X.] entgegen der Richtlinie des § 38 Abs. 2 und Abs. 3 Alt. 1 [X.] nicht zuerst eine mildere [X.]nahme, sondern sofort einen [X.].

Auch wenn die festgestellten verbalen und gestischen Entgleisungen des Soldaten ohne Zweifel eine Disziplinlosigkeit und ein nicht leicht wiegendes Dienstvergehen darstellen, das mit einer einfachen [X.]nahme geahndet werden kann, wird in den tatrichterlichen Zumessungserwägungen weder ausgeführt noch deutlich, dass schon die Schwere des Dienstvergehens oder dessen Auswirkungen auf den Dienstbetrieb eine Durchbrechung dieser "ultima-ratio"-Regel rechtfertigen. Vielmehr legen es die bisherige Führung, die [X.]eweggründe des Soldaten und die Annahme einer persönlichkeitsfremden Augenblickstat, als klassischer Milderungsgrund, nahe, nach dieser Regel zunächst eine mildere [X.]nahme zu verhängen. Denn es spricht wenig dafür, dass zur Einwirkung auf einen bislang unbescholtenen Soldaten, der sich nach einer Provokation zu einer verbalen und gestischen Entgleisung hinreißen lässt, entgegen § 38 Abs. 3 [X.] sofort die höchste einfache [X.]nahme erforderlich ist.

Soweit das [X.] generalpräventive Gründe für die Verhängung der schärfsten einfachen [X.]nahme anführt, wird damit zwar der Aspekt der "Aufrechterhaltung der militärischen Ordnung" angesprochen, der nach § 38 Abs. 3 Alt. 2 [X.] auch bei Ersttätern und Vorliegen von Schuldminderungsgründen eine [X.]e Freiheitsentziehung rechtfertigen kann. Es fehlt jedoch an einer tragfähigen [X.]egründung dafür, dass die mit der sichtbaren Maßnahme eines [X.]es verbundene abschreckende Wirkung im vorliegenden Fall auch - wie es § 38 Abs. 3 Alt. 2 [X.] fordert - geboten ist, um Andere von vergleichbaren Entgleisungen abzuhalten oder Nachahmungseffekte zu verhindern.

Allein das [X.]ekanntwerden eines Dienstvergehens im [X.] genügt dafür nicht. Denn dies kommt regelmäßig vor und begründet - wie die Rechtsbeschwerde zutreffend hervorhebt - für sich genommen noch keine besondere Gefahr von [X.]ezugstaten; im Normalfall sind die von der Durchführung eines Disziplinarverfahrens und von der Verhängung einer schuldangemessenen [X.]nahme ausgehenden generalpräventiven Wirkungen zu deren Verhinderung ausreichend. Trägt ein Dienstvergehen zudem eher singuläre Züge, besteht - wie in anderem Zusammenhang bereits entschieden - regelmäßig kein [X.]edürfnis für ein generalpräventives Handeln (vgl. zu alldem [X.], [X.]eschluss vom 2. Februar 1979 - 1 [X.] 238.78 - [X.] 402.24 § 10 AuslG Nr. 59 S. 56 ff.).

Im vorliegenden Fall bedarf es zur Gewichtung der Schwere des Dienstvergehens und zur [X.]edeutung generalpräventiver Aspekte weiterer tatrichterlicher Feststellungen. Es bedarf weiterer Ermittlungen, ob im vorliegenden Fall besondere Umstände für eine [X.]ezugstatenprognose sprechen oder ob der Sachverhalt aufgrund der vorangegangenen Provokation des Vorgesetzten eher singuläre Züge trägt, die einer generalpräventiven Maßnahmebemessung entgegenstehen. Daher war die Entscheidung nach § 22a Abs. 6 Satz 2 [X.] zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Ein näheres Eingehen auf die Verfahrensrügen des Soldaten ist aufgrund der Zurückverweisung entbehrlich.

Meta

2 WRB 1/18

08.11.2018

Bundesverwaltungsgericht 2. Wehrdienstsenat

Beschluss

Sachgebiet: WRB

vorgehend Truppendienstgericht Nord, 21. Februar 2018, Az: N 1 BLb 1/18, Beschluss

§ 21 SBG 2016, § 28 Abs 1 SBG 2016, § 38 Abs 1 WDO 2002, § 2 WDO 2002, § 3 WDO 2002, § 22a WBO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 08.11.2018, Az. 2 WRB 1/18 (REWIS RS 2018, 2003)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 2003

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1 StR 525/11

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