Bundesgerichtshof, Beschluss vom 15.07.2020, Az. IV ZB 11/20

4. Zivilsenat | REWIS RS 2020, 1863

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Gegenstand

Kostenentscheidung nach übereinstimmender Erledigungserklärung: Klärung materieller Rechtsfragen zur Legalzession bei der Reiserücktrittsversicherung


Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss des [X.] - 31. Zivilkammer - vom 27. Januar 2020 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Entscheidung - auch über die Kosten des [X.] - an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.

Gerichtskosten für das Rechtsbeschwerdeverfahren werden nicht erhoben.

Der Gegenstandswert des [X.] wird auf bis 1.500 € festgesetzt.

Gründe

1

I. Die Klägerin hat die Beklagte auf Auskunft über die Höhe der Stornokosten und auf Rückzahlung desjenigen Betrages in Anspruch genommen, den die Beklagte wegen des Rücktritts der Reisenden von einem Reisevertrag dieser über den tatsächlichen Rücktrittsschaden hinaus in Rechnung gestellt hatte. Die Reisende hatte bei der Beklagten eine Pauschalreise vom 8. bis 22. April 2017 zum Preis von 5.336 € gebucht. Nachdem sie am 5. April 2017 von dem Vertrag zurückgetreten war, stellte die Beklagte ihr als Stornogebühr 4.268,80 € (80 % des Reisepreises gemäß den vereinbarten Reise- und Zahlungsbedingungen) in Rechnung, die sie mit der geleisteten Zahlung der Reisenden verrechnete und den Differenzbetrag erstattete. Die Reisende hatte ferner einen Vertrag mit einem [X.] geschlossen. Dieser erstattete ihr abzüglich der vereinbarten Selbstbeteiligung von 300 € einen Betrag von 3.968,80 €. Der [X.] trat den von ihm gegen die Beklagte im Wege der Legalzession nach § 86 [X.] geltend gemachten Anspruch an die Klägerin ab.

2

Nachdem die Beklagte die verlangte Auskunft im Rahmen ihrer Klageerwiderung erteilt und einen Betrag von 363,14 € an die Klägerin überwiesen hatte, haben die Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt und wechselseitig Kostenanträge gestellt. Das Amtsgericht hat der Klägerin die Kosten des Rechtsstreits auferlegt. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde hat das Landgericht (Einzelrichter) durch den angefochtenen Beschluss zurückgewiesen.

3

Mit der vom Beschwerdegericht wegen der grundsätzlichen Bedeutung der [X.] zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Klägerin das Ziel, die Kosten des Rechtsstreits der Beklagten aufzuerlegen.

4

II. Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.

5

1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 ZPO statthaft. Ihre Zulassung ist nicht deshalb unwirksam, weil der Einzelrichter entgegen § 568 Satz 2 Nr. 2 ZPO anstelle des Kollegiums entschieden und damit gegen das Verfassungsgebot des gesetzlichen [X.]s (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) verstoßen hat. An eine dennoch erfolgte Zulassung ist das Rechtsbeschwerdegericht gemäß § 574 Abs. 3 Satz 2 ZPO gebunden ([X.], Beschlüsse vom 19. August 2014 - [X.], NJW 2014, 3520 Rn. 4; vom 13. Juli 2004 - [X.], NJW-RR 2004, 1717 unter I 1 [juris Rn. 5]; vgl. auch [X.]/[X.], ZPO 33. Aufl. § 91a Rn. 29; [X.]/[X.] aaO § 574 Rn. 9).

6

2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Die angefochtene Entscheidung unterliegt bereits deshalb der Aufhebung, weil sie unter Verletzung des Verfassungsgebots des gesetzlichen [X.]s ergangen ist. Der Einzelrichter durfte nicht selbst entscheiden, sondern hätte das Verfahren wegen der von ihm angenommenen grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 568 Satz 2 Nr. 2 ZPO der mit drei [X.]n besetzten Kammer übertragen müssen. Mit seiner Entscheidung hat er die Beurteilung der grundsätzlichen Bedeutung der Sache dem Kollegium als dem gesetzlich zuständigen [X.] entzogen. Diesen Verstoß gegen das Verfassungsgebot des gesetzlichen [X.]s hat der [X.] wegen zu beachten (vgl. [X.], Beschlüsse vom 7. Mai 2020 - [X.], [X.], 1077 Rn. 3; vom 19. August 2014 aaO Rn. 5; vom 13. Juli 2004 aaO Rn. 6; vgl. auch [X.]/[X.] aaO § 574 Rn. 9).

7

III. Nach Zurückverweisung wird der Einzelrichter die Sache der Kammer zu übertragen haben, wenn er der Rechtssache nach erneuter Prüfung weiterhin grundsätzliche Bedeutung beimisst. Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass es nicht Zweck einer Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits nach § 91a ZPO ist, Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu klären, soweit es um Fragen des materiellen Rechts geht. Grundlage der Entscheidung ist lediglich eine summarische Prüfung, bei der das Gericht grundsätzlich davon absehen kann, in einer rechtlich schwierigen Sache nur wegen der Verurteilung der Kosten alle für den hypothetischen Ausgang bedeutsamen Rechtsfragen zu klären ([X.], Urteil vom 18. April 2013 - [X.], [X.]Z 197, 147 Rn. 13; Beschlüsse vom 7. Februar 2018 - [X.]/17 juris Rn. 10; vom 28. Oktober 2008 - [X.], NJW-RR 2009, 422 juris Rn. 5; [X.]/[X.], ZPO 33. Aufl. § 91a Rn. 27).

8

Ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen die Reiserücktrittsversicherung in den Anwendungsbereich des § 86 [X.] fällt, stellt eine derartig schwierige Frage des materiellen Rechts dar. § 86 [X.] findet, wie sich bereits aus seiner Stellung im Gesetz ergibt, auf die Schadenversicherung, nicht dagegen auf die Summenversicherung Anwendung (vgl. bereits Senatsurteil vom 4. Juli 2001 - [X.], [X.], 1100 juris Rn. 22 - 25 zur Krankentagegeldversicherung unter der Geltung von § 67 Abs. 1 [X.] a.F.).

9

In Rechtsprechung und Schrifttum wird vielfach vertreten, dass die Reiserücktrittsversicherung eine Schadenversicherung oder dieser jedenfalls ähnlich ausgestaltet sei, so dass § 86 [X.] entweder direkt oder zumindest analog Anwendung finde ([X.], Urteil vom 18. Juli 2016 - 27 O 425/15, BeckRS 2016, 117240; [X.], Urteil vom 9. Juni 2016 - 4 S 36/15 juris Rn. 13 - 20; [X.], Urteil vom 17. März 2014 - 14 O 298/13, juris Rn. 37 - 42; [X.], Urteil vom 14. Oktober 2019 - 142 C 353/18, BeckRS 2019, 31335 Rn. 15 - 17; [X.] in [X.], [X.] 9. Aufl. § 86 Rn. 33; Armbrüster in [X.]/[X.], [X.] 30. Aufl. § 86 Rn. 5; Brand in [X.]/Pauge/Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht 3. Aufl. § 86 Rn. 5; unklar HK-[X.]/Muschner, 4. Aufl. § 86 Rn. 2, 3). Demgegenüber lehnen andere eine direkte oder entsprechende Anwendung von § 86 [X.] auf die Reiserücktrittsversicherung ab ([X.], Urteil vom 27. April 2006 - 31 S 21056/05, BeckRS 2011, 12097; [X.] in Burmann/[X.]/[X.]/[X.], Straßenverkehrsrecht 26. Aufl. § 86 Rn. 13). Das Beschwerdegericht seinerseits will auf die konkrete Ausgestaltung des Versicherungsvertrages abstellen, der hier indessen einschließlich der maßgeblichen Versicherungsbedingungen nicht zur Akte gereicht wurde. Für die Klärung dieser Rechtsfrage im Rahmen einer Kostenentscheidung gemäß § 91a ZPO dürfte daher von vornherein kein Raum sein.

IV. Von der Erhebung von Gerichtskosten wird gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 GKG abgesehen.

[X.]     

        

Felsch     

        

Prof. [X.]

        

Lehmann     

        

Dr. Brockmöller     

        

Meta

IV ZB 11/20

15.07.2020

Bundesgerichtshof 4. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG München I, 27. Januar 2020, Az: 31 T 18460/19

§ 86 VVG, § 91a ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 15.07.2020, Az. IV ZB 11/20 (REWIS RS 2020, 1863)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 1863


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. IV ZB 11/20

Bundesgerichtshof, IV ZB 11/20, 15.07.2020.


Az. 31 T 18460/19

LG München I, 31 T 18460/19, 27.01.2020.


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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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